Spohn, Julius 

Geburtsdatum/-ort: 31.07.1841;  Ravensburg
Sterbedatum/-ort: 16.10.1919;  Ravensburg
Beruf/Funktion:
  • Industrieller, Mäzen
Kurzbiografie: bis 1855 Besuch der Realschule in Ravensburg
1855/1857 Kaufmännische Lehre in Ellwangen und Aufenthalt in Paris
1857 Beginn der Tätigkeit in der Flachs- und Abwergspinnerei des Vaters und Onkels
1861 Eintritt als Teilhaber
1866 Spohn übernimmt zusammen mit seinem Bruder Georg die Geschäftsführung
1871 Gründung der Zementfabrik in Blaubeuren
1886 Nach dem Tode seines Bruders Georg wird er Alleininhaber der Firmen und muss vertragsgemäß dessen Erben abfinden.
1888 Ernennung zum Kommerzienrat
1897 Einweihung des Konzerthauses in Ravensburg
1900 Einstellung der Jutefabrik und der Ziegelei in Ravensburg
1906 Übersiedlung nach Neckarsulm
1907 Die neue Jutespinnerei in Neckarsulm wird in Betrieb genommen.
1912 Spohnsche Familienstiftung, Beginn des Neubaus für Gymnasium und Oberrealschule in Ravensburg
1914 Ernennung zum Geheimen Kommerzienrat bei Fertigstellung des Schulneubaus
1917 Rückkehr in die Villa nach Ravensburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrenbürger von Ravensburg (1897); Ritterkreuz I. Klasse des Friedrichsordens (1897); Olga-Orden (1905); Ehrenbürger von Ilsfeld (1906); Ritterkreuz des Kronordens (1912); Goldene Bürgermedaille der Stadt Ravensburg (1914)
Verheiratet: 1868 Luise, geb. Heiß (1845-1900), aus Biberach an der Riß
Eltern: Vater: Christian Paul Spohn (1803-1884), Unternehmer in Ravensburg
Mutter: Katharina, geb. Gradmann (1811-1891)
Geschwister: Marie Wilhelmine (1840-1919)
Georg (1843-1886)
Elisabeth (1848-1935)
Kinder: Johann Georg (1870-1948)
Luise, verheiratete Kübel (1871-1955)
Julius (1873-1928)
Theodor (1874-1960)
Hermann (1876-1923)
Richard (1880-1959)
Karl (1887-1983)
GND-ID: GND/1012364402

Biografie: Alfred Lutz (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 264-266

Julius Spohn entstammte keiner der alten Ravensburger Familien. Sein Großvater, der aus Wippingen bei Ulm stammende Johann Michael Spohn (1748-1814), war 1765 nach Ravensburg gekommen und als Lehrling in die Spezereihandlung des wohlhabenden Kaufmanns Andreas Spieler eingetreten. Wenige Jahre später heiratete er eine Tochter Spielers und wurde schließlich 1793/96 Inhaber der Spezereihandlung. Seine beiden Söhne aus zweiter Ehe gingen innovationsfreudig geschäftlich neue Wege. Während Johann Georg Spohn 1829 eine der traditionsreichen Ravensburger Papiermühlen erwarb, gründete Christian Paul Spohn 1832/33 eine Flachs- bzw. Florettseidenspinnerei. Schließlich richteten die beiden Brüder mit Gespür für zukunftsträchtige Erwerbsmöglichkeiten 1847 in der nun aufgegebenen Papiermühle eine Abwergspinnerei zur maschinellen Verarbeitung von Flachs und Hanf ein.
Nachdem Johann Georg Spohn 1861 kinderlos gestorben war, trat der ältere Sohn Christian Paul Spohns, Julius, in das väterliche Unternehmen ein und übernahm, als sich sein Vater 1866 zur Ruhe setzte, zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Georg die Geschäftsführung. Der Betrieb wurde ausgebaut, um eine Weberei erweitert und 1873 in dem nahe gelegenen, kurz zuvor erworbenen Hofgut Ittenbeuren eine Naturbleiche errichtet, um Garn und Leinwand weitgehend selbst bleichen zu können. Das Unternehmen „Gebrüder Spohn Ravensburg. Flachs-, Hanf-, Abwergspinnerei und Weberei“ erlebte nun eine lang andauernde Blütezeit (1876: 225 Arbeiterinnen, 137 Arbeiter). Mit feinem Gespür für zukunftsweisende wirtschaftliche Entwicklungen gründete Julius Spohn 1871 zusammen mit seinem Bruder Georg und dem Blaubeurer Gastwirt Albert Ruthardt in Blaubeuren eine Zementfabrik. Sie warf jedoch erst mit Einführung des Portlandzements ab 1887 Gewinne ab und musste bis dahin mit den aus dem Ravensburger Spinnereibetrieb erwirtschafteten Überschüssen über Wasser gehalten werden. Danach war es gerade umgekehrt und die Ausdauer Julius Spohns hatte sich ausgezahlt. 1903 wurde der Großbetrieb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, wobei sich die „Portland-Zementwerke Heidelberg-Mannheim“ mit zunächst 24 % am Aktienkapital beteiligten. Die technische Leitung der Aktiengesellschaft übernahm der älteste Sohn Julius Spohns, Dr. Georg Spohn (1870-1948).
Nachdem sein Bruder Georg erst 43jährig 1886 gestorben war, lastete auf Julius Spohn die alleinige Verantwortung für die Fabriken. Noch im selben Jahr begann er seinen Betrieb in Ravensburg aufgrund des mittlerweile schlechten Ertrags – der Anbau von Flachs und Hanf hatte in Oberschwaben nachgelassen und die Baumwolle war immer deutlicher auf dem Vormarsch – zugunsten der Produktion von Geweben und Säcken aus importierter indischer Rohjute umzustellen. Schließlich erwies sich aber auf diesem Gebiet die ungünstige Verkehrslage Ravensburgs, fernab von den Nordseehäfen, als immer problematischer. Die hohen Transportkosten bei zugleich niedrigen Jutepreisen und auch der zu begrenzte lokale Absatzmarkt machten eine wirtschaftlich rentable Produktion mehr und mehr unmöglich. 1900 zog Julius Spohn die Konsequenzen und legte die Ravensburger Jutespinnerei- und Weberei still, was für die Stadt ein schwerer Schlag war. Auch die Ziegelei in Ravensburg, die er 1889 erworben hatte, wurde nun angesichts unzureichender Rohstoffe aufgegeben. Nach längerer Standortsuche entschied er sich 1903 dazu, im verkehrsgünstiger gelegenen Neckarsulm eine neue Jutespinnerei mit Weberei zu errichten. Der 1907 eröffnete Betrieb wies neben einer Wohnsiedlung für 125 Familien – die Facharbeiter waren zum großen Teil aus Böhmen, Galizien und Italien angeworben worden – weitere beachtliche Sozialeinrichtungen auf; allerdings wurden die Lohnpolitik und die in der Fabrik getroffenen Arbeitsschutzmaßnahmen im Jahre 1911 intern vom Innenministerium kritisiert. 1906 war Julius Spohn nach Neckarsulm umgezogen, blieb seiner Heimatstadt Ravensburg aber weiter eng verbunden. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs führte der mittlerweile 73jährige den Betrieb zunächst alleine weiter, da sein Sohn Richard an der Front war, doch kam es aufgrund der Unterbrechung der Juteeinfuhr bald zu Produktionsstockungen. Nachdem er die Neckarsulmer Fabrik verpachtet hatte, kehrte Julius Spohn 1917 wieder in seine Ravensburger Villa zurück und verstarb dort 78jährig am 16.10.1919.
In Ravensburg hatte er sich auch im öffentlichen Leben engagiert, so war er 1877-1883 Gemeinderat und 1879-1884 Mitglied der Vollversammlung der dortigen Handels- und Gewerbekammer. Julius Spohn vereinigte in seiner Person eine glückliche Mischung von Bodenständigkeit und zugleich Risikobereitschaft. Persönlich bescheiden, autokratisch-streng wie patriarchalisch-fürsorglich seine Firmen leitend, war er eine zupackende, zielstrebige, hin und wieder auch etwas derb und schroff, aber auch originell auftretende Persönlichkeit mit rastloser Arbeitskraft und unbändigem Gestaltungswillen, mit einem ausgeprägten Gespür für kommende gewinnträchtige Wirtschaftsbereiche und großer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen technischen Entwicklungen. So ließ er sich in seiner Ravensburger Villa als einer der Ersten in Württemberg 1881 ein Telefon installieren und in Neckarsulm führte er als Erster die elektrische Beleuchtung ein.
Sein steiler wirtschaftlicher Aufstieg spiegelt sich wider in seiner repräsentativen Ravensburger Villa, die er 1878/79 nach Plänen des bekannten und mit ihm befreundeten Stuttgarter Architekten Professor Robert Reinhardt im Neo-Renaissancestil in der sogenannten „Gartenvorstadt“ errichten ließ. Es war eines der ersten zur Gänze aus Zement errichteten Gebäude in Württemberg (heute Teil des Welfengymnasiums). So sollten die Vorzüge dieses neuen Baustoffes, werbewirksam für die eigene Firma, unter Beweis gestellt werden. Auch die 1884 ebenfalls von Reinhardt in antikisierenden Formen ausgeführte Spohnsche Familiengrabstätte auf dem Ravensburger Hauptfriedhof wurde zu großen Teilen aus Zement errichtet.
Als großzügiger Mäzen erlangte Julius Spohn herausragende Bedeutung. Kurz nachdem das alte Ravensburger Theater 1881 wegen Brandgefahr geschlossen wurde, initiierte er zusammen mit seinem Bruder einen Neubau und stellte zunächst 20 000 Mark als Grundstock zur Verfügung. Unermüdlich trieb er in der Folgezeit das Projekt gegen verschiedenste Widerstände voran. Unter dem Namen „Konzerthaus“ konnte der nach Plänen des renommierten, von Julius Spohn kontaktierten Wiener Architekten Ferdinand Fellner erbaute, repräsentative und vielseitig verwendbare Kulturbau am 14.11.1897 eingeweiht werden. Letztlich hatte Julius Spohn rund zwei Drittel der Gesamtkosten (weit über 300 000 Mark) getragen, ein Drittel war von der Bürgerschaft aufgebracht worden. Auch für nötige Nachrüstungen (u. a. Bühnenerweiterung, Kulissenhaus) und für den laufenden Betrieb des Hauses engagierte er sich in der Folgezeit finanziell in starkem Maße.
Noch einmal, 1912, machte Julius Spohn seiner Heimatstadt Ravensburg eine überaus großzügige Stiftung, indem er einen dringend benötigten, aber von der Stadt damals nicht finanzierbaren Neubau für Gymnasium und Oberrealschule ermöglichte. Er stellte hierzu ein großes Grundstück in der Nähe seiner Villa zur Verfügung und trug die Hälfte der für die Erstellung des Gebäudes und seine moderne Ausstattung nötigen Kosten von insgesamt rund 850 000 Mark. Die sehr repräsentative, u. a. mit Stern-, Erdbeben- und Wetterwarte, Lehrschwimmbecken und Turnhalle ausgestattete Schule konnte im September 1914 ihrer Bestimmung übergeben werden. Im Laufe der Zeit waren noch zahlreiche weitere kleinere Stiftungen Julius Spohns in Ravensburg hinzugekommen. Als das Dorf Ilsfeld, in der Nähe seines neuen Fabrikstandortes Neckarsulm gelegen, 1904 durch einen Großbrand weitgehend zerstört wurde, leistete er beträchtliche finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau. Julius Spohn wurde mit zahlreichen Auszeichnungen und Titeln für sein wirtschaftliches und mäzenatisches Wirken geehrt.
Quellen: Reste des NL in Privatbesitz. HStAS E 14, Bü 436; E 151, Bü 101; E 200, Bü 527. WABW B 44, Bü 66, 67, 68, 70, 97; StadtA Ravensburg A I Bü 129, 133, 1324, 2075, 4168, 4169; KH (=Konzerthausverwaltung), Bd. 1-8; X 130, X 237.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde mit Porträt von J. Spohn um 1930 (nach älterer Vorlage) im Besitz der Stadt Ravensburg; Bronzeplaketten mit Reliefporträts J. Spohns im Foyer des Konzerthauses Ravensburg (1911) und in der Aula des Spohngymnasiums Ravensburg (1916). Foto J. Spohns von Peter Scherer, um 1914 (StadtA Ravensburg).

Literatur: Oberschwäbische Volkszeitung vom 17. 10. 1919 und 28. 10. 1919; Unsere Heimat in Bildern. Beilage der Oberschwäbischen Volkszeitung und Tettnanger Bauernzeitung vom 18. 11. 1922 („25 Jahre Konzerthaus Ravensburg“, verfasst von Dr. Georg Spohn); Georg Spohn, Spohn, J., in: Württ. Nekrolog für 1918 und 1919 (1922), 135-140; Rudolf Waentig, Die Familie Spohn. Abriß der Geschichte einer schwäbischen Unternehmerfamilie 1747-1950, 1950; J. Spohn – ein Leben zwischen Jute und Zement, in: B-W 11 (1955), 33-35; Andrea Wurth, Das Konzerthaus in Ravensburg – ein Gebäude von Fellner und Helmer. Magisterarbeit Univ. Stuttgart 1986; Friedrich Lochmaier, Die Industrialisierung der Stadt Ravensburg 1890-1914, Diplomarbeit Univ. Mannheim 1986, 48-51, 92, Anhang, 4 f.; Peter Eitel, Bilder aus dem Schussental, 1987, 144-146; Helmuth Albrecht, Kalk und Zement in Württemberg, 1991; Alfred Lutz, Der lange Weg zum Konzerthaus, 1997.
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