Herder-Dorneich, Theophil 

Geburtsdatum/-ort: 31.12.1898;  Freiburg
Sterbedatum/-ort: 11.02.1987;  Buchenbach bei Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Verleger
Kurzbiografie: 1916 Abitur am Bertholds-Gymnasium Freiburg
1916-1918 Soldat im Ersten Weltkrieg
1918-1921 Studium an der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg
1921 Dr. jur. (Dissertation: „Die Dauer des Autorrechts in rechtsvergleichender Darstellung“)
1921 Eintritt in den Verlag Herder, Studien- und Ausbildungsjahre in den Niederlassungen Wien, Freiburg, Köln, München, Rom, London, Paris und St. Louis (bis 1927)
1928 Eintritt in das Direktorium des Verlags, 1937 Übernahme
1939-1945 Soldat im Zweiten Weltkrieg, 1944 Major der Reserve
1944 26.11. Zerstörung des Verlagsgebäudes in Freiburg
1948 Präsident des ersten deutschen Katholikentages nach dem Krieg (Mainz)
1951 Ehrensenator der Universität Freiburg, Kommerzienrat
1958 Dr. phil. h.c. (Freiburg), Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1982 mit Stern); weitere in- und ausländische Auszeichnungen
1962 Übergabe des Stammhauses in Freiburg an Dr. Hermann Herder, Beibehaltung der Gesamtverantwortung für das Unternehmen
1979 Ehrenbürger der Gemeinde Buchenbach bei Freiburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1925 Elisabeth, geb. Herder (1900-1980), Tochter des Verlegers Hermann Herder und seiner Ehefrau Charlotte, geb. Willmann
Eltern: Vater: Philipp Dorneich (1866-1945), Verlagsteilhaber
Mutter: Angiolina, geb. Vassarotti (1863-1941)
Geschwister: 5
Kinder: Hermann, Birgit, Philipp, Elisabeth, Gabriele
GND-ID: GND/116732490

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 135-136

Herder-Dorneich war eine der großen Verlegergestalten unserer Zeit. Seine Lebensleistung besteht in der „Ausweitung des Verlags in alle Lebensgebiete hinein“ (Herder-Dorneich), in der schon von seinem Vorgänger Hermann Herder in für seine Zeit beachtlichen Ansätzen vorgezeichneten Umwandlung eines vorher mit Schwerpunkt im katholischen Binnenraum angesiedelten Verlagshauses in ein Unternehmen mit enzyklopädischer Zielsetzung. Mit diesem seinem universalen Konzept und einer beträchtlichen Portion verlegerischen Wagemuts setzte er in der Produktion des Verlags eine Fülle von neuen Akzenten, immer den Mut zur Utopie mit dem nüchternen Sinn für das in der Ertragsrechnung Mögliche verbindend. Vieles von dem, was die im Zweiten Vatikanum erfolgte Öffnung der Kirche zur Welt hin bewirkte, ist im Herder-Verlag geistig vorbereitet worden; man denke etwa an das das katholische Lutherbild revidierende und damit unmittelbar auf die ökumenische Gesprächsbereitschaft einwirkende Werk „Die Reformation in Deutschland“ von Joseph Lortz. Diese allmähliche Umpolung des Verlags ging zunächst – von 1937-1945 – in einer Zeit vor sich, in der der Verlag vielfach drangsaliert und schikaniert wurde; den braunen Machthabern war dieses Zentrum des geistigen Katholizismus natürlich ein Dorn im Auge. Das sogenannte Amt Rosenberg („Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP“) stufte die Bücher des Verlags als „nicht empfehlenswert“ ein, 50 Publikationen – darunter so bedeutende wie der Große Herder und das Staatslexikon – wurden verboten. Dennoch gelang es Herder-Dorneich, wichtige Veröffentlichungen wie z. B. im Jahre 1937 das von Erzbischof C. Gröber herausgegebene „Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen“ und den Herder-Kommentar zum Neuen Testament herauszubringen. Weder die Zerstörung des Verlagsgebäudes (1944) noch die im Februar 1945 verfügte Stillegung des sowieso in seinen Entfaltungsmöglichkeiten während der Kriegszeit stark eingeschränkten Verlags konnten Herder-Dorneich in seiner Zielsetzung beirren; als höherer Offizier konnte er übrigens die eine oder andere NS-Bosheit von dem Verlag abwenden. Der Stillegungsbefehl wurde nicht beachtet, in einem Ausweichquartier in Eichstätt wurden, in der Hoffnung auf baldigen Neubeginn, viele Manuskripte zum Druck vorbereitet.
Sofort nach dem Zusammenbruch – Herder-Dorneich war aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft geflohen – begann der Wiederaufbau, zuerst des zerbombten Verlagshauses. Die erste Geschäftsreise im Jahre 1945 durch die bayerischen Niederlassungen absolvierte Herder-Dorneich mit dem Fahrrad, 900 km. Die zweite Phase in der Leitung des Unternehmens durch Herder-Dorneich – 1945-1962 – stand ganz im Zeichen der neuen geistigen Orientierung des Verlages; zum Ausdruck kam sie in einer fortschreitenden Internationalisierung und der entsprechenden Neugründung von Niederlassungen in aller Welt, in Erwerb und Ausbau neuer Firmen (Alber, Christophorus, Ploetz), in der Gründung neuer Zeitschriften („Christ in der Gegenwart“, „Herder-Korrespondenz“, „Wort und Wahrheit“), vor allem aber in der Realisierung wegweisender Projekte (Lexikon für Theologie und Kirche 2. Aufl., Staatslexikon 6. Aufl., Großer Herder 5. Aufl., Vetus Latina, die vergleichende Enzyklopädie „Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft“, Herderbücherei etc.).
Herder-Dorneich, ein bei aller festen Bindung an die Kirche durchaus unabhängiger Geist, stieß gelegentlich auch auf Mißtrauen im Vatikan, so bei der Neuauflage des Luther-Buchs von Joseph Lortz und vor allem durch die Herausgabe des Holländischen Katechismus in deutscher Sprache, der freilich einige Jahre später, durch Klarstellungen ergänzt, von den deutschen Bischöfen als Religionsschulbuch zugelassen wurde.
Viele bedeutende Autoren wußte Herder-Dorneich an den Verlag zu binden, unter ihnen Karl Rahner und Reinhold Schneider. Renommierte Mitarbeiter wie Karl Färber, Josef Knecht (der während der Abwesenheit Herder-Dorneichs im Kriege die Hauptlast der Verantwortung für den Verlag trug), Fritz Knoch, Oskar Köhler, Robert Scherer und Karlheinz Schmidthüs verwirklichten eigenschöpferisch und in völliger gestalterischer Freiheit seine Intentionen. Der patriarchalische Zuschnitt des Chefs mit seinen Ecken und Kanten (Herder-Dorneich: „Man kann ein Unternehmen organisieren nach dem Prinzip der Entbehrlichkeit“) hatte ihn nicht gehindert, schon früh für die betriebliche Mitbestimmung einzutreten, allerdings: „Keine Mitbestimmung ohne Mitverantwortung.“ Dieses Leitwort galt auch für die von ihm eingeführten Lektorenkonferenzen – er selbst sah sich als erster Lektor des Verlages –, die sich zu wichtigen Entscheidungsgremien der Geschäftsführung entwickelten.
Herder-Dorneichs Aktivitäten waren nicht auf den Verlag – sein selbstverständliches Lebenszentrum – begrenzt; der gebürtige Freiburger setzte sich als langjähriger Vorsitzender des Münsterbauvereins und des Verbands der Freunde der Universität mit der ihm eigenen Tatkraft für die Förderung dieser Vereinigungen ein.
Seine Glaubensmitte war das Vaterunser, nach ihm benannte er die von ihm errichtete Kapelle im Ibental, die den Versöhnungsauftrag der Christenheit symbolisiert. Im Alter lebte er, fast erblindet, in selbstgewählter eremitischer Abgeschiedenheit in seiner Buchenbacher Klause, immer in der „hoffenden Ausschau nach der ‚Großen (abrahamitischen) Ökumene‘ der glaubenden Menschheit“ (O. Köhler).
Nachweis: Bildnachweise: in: Erbe und Auftrag (siehe Literatur) passim

Literatur: Albert M. Weiß/Engelbert Krebs, Im Dienst am Buch, Bartholomä Herder, Benjamin Herder, Hermann Herder, Freiburg 1951; Erbe und Auftrag, Sondernummer der Herder-Zeitung zum 70. Geburtstag von Dr. Theophil Herder-Dorneich am 31. Dezember 1968, Freiburg 1968; Oskar Köhler, Das Universale, Zum Tod von Theophil Herder-Dorneich, in: Christ in der Gegenwart 22.02.1987, 60; Otto Kaspar, Nachruf auf Herder-Dorneich, in: Ruhrwort, Essen, 9/1987; Eugen Biser, Verlegerische Glaubensimpulse, Der Beitrag des Verlages Herder zur Glaubensgeschichte der Nachkriegszeit (Vortrag – Manuskript – am 02.07.1987 in Freiburg anläßlich einer Herder-Dorneich-Gedächtnisausstellung, in der u. a. Ergebnisse des von ihm inspirierten Dialogs zwischen Christentum, Judentum und Islam dokumentiert wurden)
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