Blumhardt, Christoph Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 01.06.1842;  Möttlingen
Sterbedatum/-ort: 02.08.1919;  Bad Boll
Beruf/Funktion:
  • Pfarrer und Leiter von Bad Boll
Kurzbiografie: 1852 Umzug der Familie nach Bad Boll
1857-1859 Gymnasium Stuttgart
1859-1862 Evangelisch-theologisches Seminar Urach
1862-1866 Theologiestudium in Tübingen (Stadtstudent)
1866 Jul./Aug.: Erstes Theologisches Examen; September Vikar in Spöck; Dezember Vikar in Gernsbach
1867 Okt. Vikar in Dürnau (bei Göppingen) 1868 Juli/August Amtsverweser in Hohenstaufen (bei Göppingen)
1869 Mai Zweites Theologisches Examen
1869 Nov. Gehilfe des Vaters in Bad Boll
1870 Frühjahr Amtsverweser in Dürnau
1871 zeitweise Pfarrverweser in Dürnau und Gruibingen (bei Bad Boll)
1872 Jan. Tod der Gottliebin Dittus; Wendepunkt im Leben Blumhardts
1880 Februar nach dem Tod des Vaters Leiter von Bad Boll, anfangs mit Bruder Theophil
1885 Verleihung des Pfarrertitels
1894 Verzicht auf die Rechte eines Gemeindepfarrers für die Bad Boller Hausgemeinde
1899 Eintreten für die Arbeiter; nach Aufforderung durch das Konsistorium Verzicht auf den Pfarrertitel und Ausscheiden aus dem Dienst der Evangelischen Landeskirche
1900 Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands
1900-1906 SPD-Landtagsabgeordneter in Stuttgart und Hausvater in Bad Boll
1906 Rückzug aus der aktiven Politik. Reise nach Palästina, Malariaerkrankung
1907 Umzug nach Jebenhausen (Haus Wieseneck)
1913 Gründung der Bad Boll GmbH
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 12. 5. 1870 Emilie Pauline, geb. Bräuninger (7.12.1849-14.9.1929)
Eltern: Vater: Johann Christoph Blumhardt (16.7.1805-25.2.1880), Pfarrer in Möttlingen und 1852 Leiter von Bad Boll
Mutter: Dorothea (Doris), geb. Köllner (1816-1886)
Geschwister: Maria (1840-1923)
Carl (1841-1892), Fabrikant bei Elberfeld; Theophil (1843-1918), Pfarrer im Dorf Boll
Rahel (geb. und gest. 1845)
Nathanael I. (geb. und gest. 1846)
Nathanael II., Landwirt in Bad Boll, dann Neuseeland
Bertha (1853-1854)
Kinder: Dorothea (1872-1947), verheiratet mit Theophil Brodersen
Herrmann (1873-1909), Arzt
Clara (geb. 1874), verheiratet mit Johannes Weber
Katharina (1875-1960), Hebamme
Elisabeth (1877-1962), verheiratet mit Dr. Eduard Vopelius
Salome (1879-1958), verheiratet mit Prof. Richard Wilhelm
Friedrich (1881-1941), Farmer in Neuseeland, verheiratet mit Martha, geb. Honeck
Hanna (1883-1971), Lehrerin, verheiratet mit Prof. Hermann Bohner
Georg (1885-1918), Diplomingenieur
Gottliebin (1889-1976), Lehrerin
Immanuel (1892-1916), Landwirt
GND-ID: GND/118512072

Biografie: Dieter Ising (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 20-22

Geboren zu einer Zeit, als sein Vater Johann Christoph die erkrankte Gottliebin Dittus, eine junge Frau aus der Möttlinger Gemeinde, seelsorgerlich betreute, hat Blumhardt die Anfänge der Möttlinger Bewegung miterlebt. Die Erweckung der Gemeinde, Gebetsheilungen, der Zustrom Auswärtiger und die öffentliche Kritik an seinem Vater haben Blumhardts Kindheit bestimmt. 1852 zog die Familie nach Bad Boll, wo der Vater im Kurhaus ein Seelsorgezentrum begründete, das Menschen aus fast ganz Europa besuchten. Die durch Erweckungen und Heilungen verstärkte Hoffnung des Vaters auf eine baldige Ausgießung des Heiligen Geistes über die ganze Welt prägte auch Blumhardt. Im Tübinger Theologiestudium beschäftigten Blumhardt die Reibungsflächen zwischen dem Erleben in Bad Boll und der „wissenschaftlichen Sphäre der Theologie“. Er setzte sich der wissenschaftlichen Kritik aus, gab aber das im Elternhaus erworbene Fundament seiner Glaubensüberzeugung nicht preis. Nach dem Ersten Theologischen Examen wurde er Vikar im badischen Spöck bei Pfarrer Peter, einem Freund des Vaters und Nachfolger von Aloys Henhöfer. Vikariate an wechselnden Orten führten ihn in die Nähe Bad Bolls. Vom Vater früh als Nachfolger ins Auge gefasst, plagten ihn Zweifel, ob er dieses Amt nicht bloß als Epigone, sondern im vollmächtigen Sinne werde ausüben können.
Etwas ratlos wurde er 1869 Vikar und Sekretär seines Vaters. Erst als Gottliebin Dittus, die mit ihren Geschwistern den Blumhardts nach Bad Boll gefolgt war, 1872 im Sterben lag und die Umstehenden mit ihrer entschiedenen Hoffnung auf Gottes Reich beeindruckte, gewann Blumhardt einen eigenen Zugang zum avisierten Beruf. Nach des Vaters Tod übernahm er 1880 die Leitung Bad Bolls, das er anfangs ganz in dessen Sinne führte. Bald wurde ihm klar, dass dieses als geistliches Zentrum nur fortbestehen konnte, wenn neue Wege eingeschlagen wurden. Blumhardt hielt an der Gültigkeit der Möttlinger Erfahrungen fest, hinterfragte aber die Stellung seines Vaters zu Kirche und Mission, deren Bedeutung für das Reich Gottes er nicht mehr sehen konnte. Auch der fromme Egoismus der Heilungsuchenden in Bad Boll wurde ihm ein Dorn im Auge. Ende 1893 stellte er die Predigttätigkeit im Kurhaus für einige Zeit ein. 1898 wurde zudem die ständige seelsorgerliche Inanspruchnahme durch ein Herzleiden in Frage gestellt.
Nach Einbringung der „Zuchthausvorlage“ im Berliner Reichstag solidarisierte sich Blumhardt 1899 mit den Arbeitern und der SPD. In einer sozialdemokratischen Versammlung in Göppingen stellte er sich auf die Seite der Niedrigen; er verstand dies als Nachfolge Jesu, der so betrachtet auch ein Sozialist gewesen sei. Blumhardts „Antwortschreiben an seine Freunde“ bekannte sich zur Gleichachtung aller Menschen, auch der Proletarier, die „auf Erden nicht nur geplagte, sondern selige Geschöpfe Gottes sein sollen“. Der Status eines königlich-württembergischen Pfarrers und das Eintreten für die Sozialdemokraten wurden als unvereinbar empfunden; Blumhardt schied aus dem Dienst der Evangelischen Landeskirche aus. Er trat in die SPD ein und wurde 1900 im Wahlkreis Göppingen mit großer Mehrheit in den württembergischen Landtag gewählt.
In der SPD erkannte er gelebte Nachfolge Christi; zugleich versuchte er, die Partei im Geist des Evangeliums zu beeinflussen. Damit wurde Blumhardt zu einem der Väter des Religiösen Sozialismus. Der kapitalistischen „Herrschaftsmoral“ setzte er eine „Gemeinschaftsmoral“ entgegen, die zur gemeinschaftlichen Verwaltung der Produktionsmittel führen sollte. Die Forderungen blieben im Grundsätzlichen, weil historische Erfahrungen mit Kommunismus und Stalinismus auf der einen Seite und mit Sozialer Marktwirtschaft auf der anderen noch fehlten. Dennoch wurde Blumhardts Profil sichtbar, der – bei deutlicher Wahrnehmung des Klassengegensatzes – den Klassenkampf in Form einer gewaltsamen Machtergreifung des Proletariats ablehnte: „Da steht Trotz gegen Trotz, und es schweigt der höhere Ton des Reiches Gottes.“ Ungeachtet harter Auseinandersetzungen sah er den Sozialismus angetrieben durch die versöhnenden Kräfte des Reiches Gottes. Die grundsätzliche Ausrichtung des politischen Handelns auf den kommenden Christus, der zudem als der eigentlich Handelnde gesehen wurde, war ihm wichtig: „Es wird schließlich Gottes Reich heißen, nicht sozialdemokratisches Reich.“ Damit geriet er in Konflikt mit Teilen seiner Partei. Karl Barth, der das theologische Denken bis heute entscheidend geprägt hat, lernte als Student Blumhardt kennen. Die Einsicht, dass das kommende Gottesreich nicht ohne weiteres mit menschlichem Fortschrittshandeln identisch ist, taucht in Barths Dialektischer Theologie wieder auf. Einfluss übte Blumhardt auch auf Eduard Thurneysen, Hermann Kutter und Leonhard Ragaz aus. Sozialdemokratische Persönlichkeiten wie Clara Zetkin besuchten Bad Boll; August Bebel schrieb anerkennende Worte.
Nach dem Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Landtag erkrankte Blumhardt 1906 auf einer Palästinareise an Malaria. Er zog sich nach Jebenhausen ins Haus Wieseneck zurück, hielt aber weiter Predigten im nahen Bad Boll. Frühzeitig warnte er vor dem drohenden Weltkrieg. Nach einem Herzanfall Blumhardts 1911 übernahm Eugen Jäckh einen Teil der Predigten. 1917 machte ein Schlaganfall den endgültigen Rückzug in die Stille notwendig.
Die Besitzverhältnisse des Kurhauses wurden neu geregelt. Bislang im Besitz der Familie Blumhardt, wobei Blumhardt als Generalbevollmächtigter der Vermögensgemeinschaft vorstand, wurde 1913 die Bad Boll GmbH gebildet. Als Geschäftsführer berief man den Basler Theologen Samuel Preiswerk, der zugleich die Funktion des Hausvaters übernahm. Sein Nachfolger wurde später Blumhardts Schwiegersohn Eduard Vopelius. Nach Blumhardts Tod 1919 beschloss der engere Freundeskreis, dem auch Blumhardts Weggefährtin Anna von Sprewitz angehörte, die Herrnhuter Brüdergemeinde zu bitten, Bad Boll als Geschenk zu übernehmen und im Sinne Blumhardts weiterzuführen.
Quellen: LKAS: PA, Briefe, Predigten; Blumhardt-Archiv in der WLB Stuttgart; Archiv der Bayerischen Ak. d. Wiss. München: Abschriften von Briefen an Richard Wilhelm; Familienarchiv Brodersen Bad Boll; Familienarchiv Weber Bad Boll; Robert Lejeune (Hg.), C. Blumhardt. Eine Auswahl aus seinen Predigten, Andachten und Schriften. Bd. 1-4, 1925-1937; Eugen Jäckh (Hg.), Lieder aus Bad Boll von Johann Christoph Blumhardt und C. Blumhardt, 1927; Johannes Harder (Hg.), C. Blumhardt. Ansprachen, Predigten, Reden, Briefe 1865-1917. Neue Texte aus dem Nachlass. Bd.1-3, 1978; Louis Specker (Hg.), Politik aus der Nachfolge. Der Briefwechsel zwischen H. Eugster-Züst und C. Blumhardt 1886-1919, 1984.
Werke: Gedanken aus dem Reiche Gottes. Im Anschluß an die Geschichte von Möttlingen und Bad Boll, und unsere heutige Stellung, 1895 (neu hg. von Wolfgang J. Bittner unter dem Titel.: Damit Gott kommt, 1992); Antwortschreiben an seine Freunde, 1899; Robert Lejeune (Hg.), C. Blumhardt und Friedrich Zündel über Johann Christoph Blumhardt, 1969.
Nachweis: Bildnachweise: LKAS, NL Jäckh; Blumhardt-Archiv an der WLB; Christian Troebst/Dieter Ising, C. Blumhardt. Mahner zwischen den Fronten, 1992.

Literatur: Eugen Jäckh, C. Blumhardt. Ein Zeuge des Reiches Gottes, 1950; Gerhard Sauter, Die Theologie des Reiches Gottes beim älteren und jüngeren Blumhardt, 1962; Klaus-Jürgen Meier, C. Blumhardt Christ-Sozialist-Theologe, 1979 (mit Bibliographie); Eberhard Kerlen, Zu den Füßen Gottes. Untersuchungen zur Predigt C. Blumhardts, 1981; Friedhelm Groth, Chiliasmus und Apokatastasishoffnung in der Reich-Gottes-Verkündigung der beiden Blumhardts in: Pietismus und Neuzeit 9 (1983), 56-116; Hee-Kuk Lim, „Jesus ist Sieger!“ bei C. F. Blumhardt. Keim einer kosmischen Christologie, 1996; Martin Stober, C. F. Blumhardt zwischen Pietismus und Sozialismus, 1998.
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