Ein eigenes Ministerium für Arbeit

Mitglieder der Provisorischen Regierung von Württemberg, darunter Hugo Lindemann (SPD), der erste Arbeitsminister Württembergs (zweiter von links), ca. 1918 – Quelle LABW (HStAS J 300 Nr. 739)
Mitglieder der Provisorischen Regierung von Württemberg, ca. 1918 – Quelle LABW (HStAS J 300 Nr. 739)

Wenn ein Ministerium für einen neuen Geschäftsbereich gebildet wird, bedeutet dies eine politische Akzentsetzung. Ein Arbeitsministerium gehörte nicht zu den klassischen Ressorts, war also noch nicht in den Kabinetten des 19. Jahrhunderts vertreten. Erst im Zusammenhang mit der Revolution 1918 wurde es in Württemberg eingerichtet. Die Nachkriegssituation erforderte besondere Initiativen. In großer Zahl drängten heimkehrende Soldaten in die Arbeitswelt zurück, in der Rüstungsindustrie wurden schlagartig Kräfte frei, für die Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden mussten. In der Provisorischen Regierung, die der Sozialdemokrat Wilhelm Blos am 11. November 1918 bildete, übernahm Hugo Lindemann (SPD) die Aufgabe des ersten württembergischen Arbeitsministers.

Fragen aus der Arbeitswelt waren bis dahin vor allem vom Innenministerium bearbeitet worden. Die Kompetenzen wurden nun herausgelöst und dem neu einzurichtenden Arbeitsministerium übertragen. Ihm oblag die staatliche Verwaltung in den Bereichen Industrie, Gewerbe und Handel und die Angelegenheiten des Eisenbahn-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehrs. Im Bereich der sozialen Fürsorge war es für den Arbeiterschutz, die Sozialversicherung, das Schlichtungs- und Einigungswesen und das sonstige Arbeitsrecht zuständig. Das Ministerium verfügte über Abteilungen für Arbeitsbeschaffung, für Notstandsarbeiten, für Frauenarbeit und eine Wirtschaftstechnische Abteilung (Demobilmachung). Ihm wurde eine Vielzahl von Behörden zu- und untergeordnet: das Landesgewerbeamt, das Gewerbe- und Aufsichtsamt, das Oberversicherungsamt, die Hauptfürsorgestelle der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge, das Landesamt für Arbeitsvermittlung, das Landesbrennstoffamt, das Staatliche Preis- und Schiedsamt, die Landesversicherungsanstalt und die 14 Schlichtungsausschüsse in Württemberg. Auffällig ist die hohe Ministerfluktuation. Als Hugo Lindemann im März 1919 ins Innenministerium wechselte, folgte ihm der Sozialdemokrat Alexander Schlicke. Nur bis Juli 1919 blieb er in Württemberg, dann übernahm er das Reichsarbeitsministerium. Als dritter Sozialdemokrat folgte Theodor Leipart für nahezu ein Jahr. Wilhelm Schall (DDP), der im Juni 1920 antrat, war der erste Nichtsozialdemokrat im Ministerium. Als er im November 1921 das Finanzressort übernahm, folgte Wilhelm Keil (SPD) für anderthalb Jahre. Seit Juni 1923 bis April 1924 war der parteilose Edmund Rau Arbeitsminister, dann kam das Ministerium in den Verantwortungsbereich des Staatsministers Wilhelm Bazille (DNVP).

In dem Maße, wie die Nachkriegsprobleme in der Arbeitswelt bewältigt wurden, relativierte sich die Bedeutung eines eigenständigen Arbeitsministeriums. Ein noch wichtigerer Faktor war, dass 1919 ein Reichsarbeitsministerium gebildet worden war, das viele Initiativen und Maßnahmen auf das Reich verlagerte. Schließlich gelangten auch Eisenbahn-, Post, Telegraphen- und Fernsprechverkehr, bisher dem württembergischen Arbeitsministerium vorbehalten, in die Verantwortung des Reiches.

Schon 1920 erhielten das Arbeits- und das Ernährungsministerium im Staatshaushaltsplan ein gemeinsames Kapitel, wurden also etatmäßig zusammengefasst. Seither stand ihnen ein gemeinsamer Minister vor, der beide Ministerien in Personalunion verband. Organisatorisch aber blieben Arbeits- und Ernährungsministerium eigenständig. 1926 erst wurden sie zu einem Ministerium vereinigt, das den Namen „Wirtschaftsministerium" erhielt. Die politischen Aufgaben aus dem Bereich der Arbeitswelt wurden dort weiterhin wahrgenommen, aber nicht mehr in der Benennung des zuständigen Ministeriums hervorgehoben.

 Peter Schiffer

Quelle: Archivnachrichten 46 (2013), S.20-21.

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