Keidel, Georg 

Geburtsdatum/-ort: 27.10.1875;  Philippsburg/Baden
Sterbedatum/-ort: 20.03.1957; im D-Zug zwischen Bruchsal und Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Agrarökonom, Genossenschaftspräsident, Landesbezirksdirektor, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1893 Abitur am Realgymnasium in Heilbronn
1897 Abschluß des Studiums der Landwirtschaft als Diplom-Landwirt an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim
1915-1925 Generaldirektor der Ungarisch-Deutschen Landwirtschafts-AG in Budapest
1926-1933 Präsident des Verbands Badischer Landwirtschaftlicher Genossenschaften und Vorstandsvorsitzender der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft (ZG) und der Badischen Landwirtschaftsbank
1933-1945 politisch kaltgestellt; 1933 und 1937 jeweils mehrere Wochen inhaftiert
1945-1948 Leiter des Landesernährungsamtes und der nachfolgenden Landesdirektion für Landwirtschaft und Ernährung Nordbaden
1945-1955 Präsident des Verbandes der Landwirtschaftlichen Genossenschaften in Baden
1949 Dr. h. c. der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim
1950 Goldene Medaille des Deutschen Raiffeisenverbandes
1952 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1955 Ehrenpräsident des Verbandes Landwirtschaftlicher Genossenschaften in Baden – Raiffeisen e. V.
1955 Errichtung der „Dr.-Georg-Keidel-Stiftung“ durch alle Raiffeisenorganisationen Badens zur Heranbildung geeigneter Führungskräfte des Genossenschaftswesens und des ländlichen Raumes
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1908 Mainz, Auguste, geb. Geil
Eltern: Vater: Philipp Eugen Keidel (1845-1899), Direktor der Zuckerfabrik Waghäusel
Mutter: Elise, geb. Hagmaier (1849-1937)
Kinder: Dr. jur. Eugen, Oberbürgermeister von Freiburg (1962-1982), Ehrenbürger dieser Stadt und Senator der Universität Freiburg
Dr. Walter, Direktor und langjähriger Vorstandsvorsitzender der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft Badens (ZG) in Karlsruhe, Ehrensenator der Universität Hohenheim
GND-ID: GND/1012413039

Biografie: Clemens Seiterich (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 173-175

Keidel hat wie kein Zweiter das Geschehen des badischen Genossenschaftswesens Ende der 20er Jahre und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg positiv beeinflußt und mitgestaltet. Der vielseitig gebildete Agrarökonom hat nach erfolgreichem 10jährigem Wirken in der Leitung der ungarisch-deutschen Landwirtschafts-AG in den Jahren 1926 bis 1929 maßgeblich dazu beigetragen, die in einer wirtschaftlichen Krise steckenden badischen Raiffeisenorganisationen zu sanieren.
Gleichzeitig gelang ihm in Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, namentlich Dr. Franz-Josef Schwörer, Direktor des Badischen Bauernvereins in Freiburg, der längst fällige und notwendige Zusammenschluß der landwirtschaftlichen Genossenschaften „Karlsruher und Freiburger Richtung“ im Lande Baden. Hauptsächlich ihm ist es auch zuzuschreiben, daß die badischen Genossenschaften nach 1945 trotz der einschneidenden unterschiedlichen Besatzungsverhältnisse nicht auseinandergebrochen, sondern ein einheitliches Ganzes geblieben sind.
Keidel war an die Sanierung der in sich stark zerstrittenen und oft auch hoch verschuldeten Genossenschaftsorganisationen in der zweiten Hälfte der 20er Jahre mit dem Vorsatz herangegangen: Erst zusammenschließen und dann sanieren. Unter Aufbietung aller Kraft wurde dies in einem Zeitraum von nur drei Jahren erreicht. Keidel kamen dabei vor allem sein wirtschafts- und sozialpolitischer Weitblick, seine Organisationstalente, seine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen zugute. Zudem brachte er großes Stehvermögen in der Sache und diplomatisches Geschick ein. Überdies wußte er bei diesem genossenschaftlichen Sanierungswerk menschlich und charakterlich zu überzeugen. So konnten Werte in mehreren Millionen Reichsmark gerettet und Zusammenbrüche von Organisationen vermieden werden.
Keidel wurde in dieser Zeit auch zum Mitglied des Aufsichtsrates der Lebensversicherungsbank sowie der Versicherungsgesellschaften des Reichsverbandes der Deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschaften in Berlin bestellt. Die von ihm im Badischen und hier auf der Reichsebene erbrachte Arbeit gelang so stabil, daß beispielsweise die badischen Genossenschaften bei der politischen Wende 1933 nicht zerschlagen werden konnten, obzwar dies beabsichtigt war. Keidel indessen wurde aller seiner Ämter enthoben und nach Denunzierungen 1933 und 1937 jeweils für mehrere Wochen inhaftiert. 1938 wurde er vom Reichsgericht in Leipzig wegen erwiesener Unschuld vom Verdacht, Unterschlagungen vorgenommen zu haben, zu Lasten des Landes Baden freigesprochen. Die Aufnahme seiner früheren Betätigung blieb ihm jedoch versagt. In der Zeit von 1933 bis 1945 verdiente sich Keidel den Lebensunterhalt für seine Familie durch landwirtschaftliche gutachterliche und beratende Tätigkeiten.
Keidels Wirken erschöpfte sich nach 1945 nicht in der verantwortlichen Leitung der badischen Genossenschaftsorganisationen. Kurz nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches stellte er sich auch für die Leitung des Landesernährungsamtes für Nordbaden zur Verfügung. Diese Dienststelle, die nach wenigen Monaten zur Landesdirektion für Landwirtschaft und Ernährung in diesem Landesteil ausgebaut wurde, leitete Keidel nebenher bis 1948. Dem vor 1933 der Deutschen Volkspartei und nach 1945 der FDP nahestehende Keidel gelang es überraschend schnell, die katastrophale Ernährungslage in diesem Landesteil entscheidend zu verbessern. Damit verbunden war die rasch spürbare Erleichterung der zwangswirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft. Keidels Tatkraft und Energie ist es zuzuschreiben, daß diese weit eher als die Kollegenschaft im französisch besetzten Südbaden mit Betriebsmitteln aller Art nach und nach wieder ausgestattet werden konnte. Nebenher widmete Keidel sich dem Wiederaufbau der Mannheimer Produktenbörse. Zu deren Staatskommissar war er ernannt worden. Sie wurde für die Markt- und Preisgestaltung der landwirtschaftlichen Produkte im gesamten süddeutschen Raum von nachhaltiger eminenter Bedeutung.
Eine wesentliche Stütze für dieses erfolgreiche Wirken bot sich Keidel in seiner Tätigkeit als Generaldirektor der ungarisch-deutschen Landwirtschafts-AG, die in Teilen Ungarns einen Pachtbesitz von 30 000 ha mit damals 23 000 Stück Lebendvieh zu bewirtschaften hatte. Nicht nur in den Augen ungarischer Ministerien hat Keidel hier Bahnbrechendes geleistet.
Allerdings wurde diese seine Tätigkeit mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches Österreich und dem Entstehen eines selbständigen Ungarn 1918 und in den nachfolgenden Jahren empfindlich beeinträchtigt. Das Unternehmen mußte je rund 10 000 ha Fläche an Rumänien und an Jugoslawien abtreten; der Viehbestand mußte auf ein Drittel reduziert werden. Keidel konnte jedoch in Verhandlungen mit dem damaligen Volkskommissar Bela Kuhn erreichen, daß trotz der einschneidenden Veränderungen in den politischen Verhältnissen der Betrieb unter eingeschränkten Bedingungen weitergeführt werden konnte. Auch war es ihm gelungen, ausreichende Entschädigungen für die verlorenen Güterteile zu erhalten.
Keidels Lebensdevise war auf „Recht und Gerechtigkeit“ und auf „soziales Empfinden“ aufgebaut. Er hatte sein Denken und Handeln grundsätzlich und immer christlich eingestellt. Dies auch verbot es ihm, wie er einmal feststellte, nach 1945 „Hass gegen Hass“ auszuspielen; ich hätte damals Gelegenheit dazu gehabt ...“. Keidel war trotz der Erfolge, die er schon in jungen Jahren erzielen konnte, „der einfache, schlichte, erdverbundene Mensch geblieben, der er war, und jedermann faßte sofort Zutrauen zu ihm, weil er spürte, da ist ein gütiger und lieber Mensch, den man einfach liebhaben muß“, so ein Satz aus dem Nachruf des evangelischen Stadtpfarrers Streitenberg anläßlich der Trauerfeier für Keidel am 23. März 1957.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Archiv des Badischen Genossenschaftsverbands Karlsruhe sowie StAF, Bildnissammlung

Literatur: N. N., Die genossenschaftliche Einigung in Baden, in: Badischer Bauer, Wochenschrift und Vereinsblatt des Badischen Bauernvereins e. V. Freiburg Nr. 49, 1929, 575-580; Georg Keidel, Dipl.-Landwirt, in: Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, I. Bd. (Hg. Deutscher Landwirtschaftsverlag) Berlin 1932, o. S.; N. N., Präsident Keidel 73 Jahre alt, Manuskript 1948 im Archiv des Badischen Genossenschaftsverbands Karlsruhe; Lambert Schill, Präsident Georg Keidel 75 Jahre alt, Festansprache, Manuskript 1950 im Archiv des Badischen Genossenschaftsverbands Karlsruhe; Pfarrer Streitenberg, Ansprache bei der Trauerfeier für Georg Keidel am 23.3.1957, Manuskript im oben erwähnten Archiv
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