Moraller, Franz Karl Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 14.07.1903;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 18.01.1986;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • NS-Politiker
Kurzbiografie: 1910-1914 Volksschule, 1914-1922 Humanistisches Gymnasium in Karlsruhe (bis einschließlich Obersekunda)
1922-1924 Uhrmacherlehre, Gesellenprüfung
1923-1925 Mitglied der „Völkischen Jugend“ und des „Schlageterbundes“ in Karlsruhe (Deckorganisationen der SA)
1927 Eintritt in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 69449), Sturmführer des SA-Sturms 1 Karlsruhe, 1930 Standartenführer, 1935 Oberführer, 1937 Brigadeführer, 1943 Gruppenführer, Obergruppenführer
1927-1934 Schriftleiter der Parteizeitung „Der Führer“ in Karlsruhe
1932-1933 Nachrichtendienstleiter des NSDAP-Gaues Baden, 1933 Pressechef der Badischen Landesregierung, Gaupropagandaleiter
1934-1939 Geschäftsführer der Reichskulturkammer in Berlin, Reichskulturwalter, Reichskultursenator, 1936 Reichsredner der NSDAP
1939 Kurzzeitig Soldat in einer Propagandakompanie (Übung)
1939-1940 „Kommissar“ des Rowohlt-Verlags in Stuttgart
1940-1944 Hauptschriftleiter der „Straßburger Neuesten Nachrichten“ in Straßburg, 1942 Unteroffizier in der Propagandakompanie 612 an der Ostfront
1944-1945 Hauptschriftleiter der Parteizeitung „Der Führer“ in Karlsruhe
1945-1953 Verhaftung und Internierung durch die französische Besatzungsmacht, ab 1947 Gefängnishaft in Metz
1953 Entlassung aus der Haft, bis 1958 freiberufliche Tätigkeiten
1958-1968 Angestellter der Verlagsgruppe Bertelsmann in Gütersloh, seit 1968 Ruhestand in Karlsruhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch, seit 1936 „gottgläubig“
Verheiratet: 1. 1932 Karlsruhe, Auguste, geb. Lieb, gesch. Graab (1902-1961)
2. 1975 Gütersloh, Elke, geb. Schwak
Eltern: Theodor Armand Moraller, Uhrmachermeister
Elisabeth, geb. Kratz
Kinder: aus 1. Ehe (1 Tochter aus erster Ehe der Ehefrau)
GND-ID: GND/1012577600

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 320-323

Moraller gehörte von 1933 bis 1945 zur Spitzengarnitur der badischen NS-Hierarchie. Welchen hohen Rang er dort einnahm, geht daraus hervor, daß er als Dritter im Bunde Mitglied jenes ominösen Trios war, das, bestehend aus Robert Wagner, Karl Pflaumer und ihm selbst, am 9.3.1933 jenen dreisten Staatsstreich unternahm, der schließlich die „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten in Baden einleitete; Staatspräsident Dr. Schmitt „wich nur der Gewalt“.
Die Laufbahn des intelligenten und beweglichen jungen Mannes hatte mit einer Uhrmacherlehre in der väterlichen Werkstatt begonnen. Er schloß seine Ausbildung ab, was besonders vermerkt wird, da er sich dadurch von vielen seiner Parteigenossen abhebt. Früh schon führte ihn sein Antisemitismus in das rechte Spektrum. Bei dem berüchtigten „Deutschen Tag“ in Bruchsal am 10.12.1923, an dem nur rechtsextreme Organisationen teilnahmen, trug der Zwanzigjährige ein antisemitisches Gedicht vor. „Völkische Jugend“, „Schlageterbund“ nannten sich die Deckorganisationen der braunen Sturmabteilung (SA), denen er in einer kontinuierlichen Laufbahn von 1923-1945 angehörte, immer in führenden Positionen. Größeres Gewicht in seiner Parteilaufbahn darf jedoch das 1927 übernommene Amt des Schriftleiters der Parteizeitung „Der Führer“ beanspruchen; der von Moraller dirigierten strammen Propaganda dieses Blattes ist nicht zuletzt der Anstieg der NS-Stimmen in Baden bei den Wahlen vor 1933 zuzuschreiben, etwa bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 auf 36 %. Liest man heute Morallers Leitartikel aus diesen Jahren, stößt die abgedroschene Phraseologie des NS-Jargons nur ab; versetzt man sich aber in jene aufgewühlte Zeit von 1929 bis 1933 mit ihren Notverordnungen und sechs Millionen Arbeitslosen, erkennt man schnell, was in einer Zeit ohne Fernsehen – der Rundfunk hatte gerade erst begonnen – mit einer raffinierten Zeitungspropaganda, die trübe Instinkte weckte, und mit dem gleisnerischen Trug lügenhafter Versprechungen bewirkt werden konnte. In diesen „Kampfjahren“ entwickelte sich Moraller zu einem gewandten und nie um griffige Formulierungen verlegenen Skribenten. Zwischen Mai 1931 und August 1932 wurde „Der Führer“ an 68 Tagen verboten. Wegen vieler Hetzartikel mußten sich Wagner und Moraller in 65 Gerichtsverfahren verantworten; in 20 wurden sie verurteilt. Schroffer Antisemitismus, die nationalsozialistische Blut- und Boden-Ideologie, der Kampf gegen den Bolschewismus und um den von Hitler propagierten „deutschen Lebensraum im Osten“ und die unkritischen Sklavengehorsam heischende Parole „Führer befiehl, wir folgen dir“ bestimmten bis in die allerletzten Tage des „Dritten Reiches“ Thematik und Stil des Morallerschen Journalismus.
Die Belohnung für so treue Dienste ließ nach der „Machtübernahme“ nicht lange auf sich warten: Wagner ernannte seinen Freund Moraller zum Pressechef der badischen Landesregierung und zum Gaupropagandaleiter, und schon ein Jahr darauf erhielt er in Berlin die höheren Weihen eines „Reichskulturwalters“ und „-senators“ im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda des Dr. Joseph Goebbels. Dort wurde ihm die Geschäftsführung der Reichskulturkammer übertragen, jener Zwangsorganisation, der seinerzeit alle kulturell Tätigen angehören mußten. Ohne Kammerausweis waren alle künstlerischen oder literarischen Aktivitäten streng verboten. Die Versetzung nach Berlin ging übrigens auf das Bestreben Wagners zurück, führende badische Nationalsozialisten – wie später auch den Kultusminister Dr. Wacker – als Interessenvertreter des NS-Gaues Baden nach Berlin zu beordern. Der frühere Uhrmachergeselle hatte es weit gebracht; er saß jetzt in einer der Schlüsselstellungen des „Dritten Reiches“. In Theater, Film, Presse, Rundfunk, Musik, Literatur, in den bildenden Künsten – überall hatte er als enger Mitarbeiter seines Meisters Goebbels ein gewichtiges Wort mitzureden. Er fand auch schnell heraus – und meldete dies natürlich sofort seinem obersten Propagandisten –, daß „das Auftreten der Kammer bisher viel stärker den Charakter der Repräsentation trug als den der Propaganda“ und daß bei den meisten Veranstaltungen die „weltanschauliche Fundierung“ fehlte. Dafür sorgte der Reichskulturwalter nun, indem er sich zunächst einmal einen Überblick über die Parteizugehörigkeit der Kammermitglieder „wegen der erforderlichen politischen Zuverlässigkeit“ verschaffte, natürlich um sicherzustellen, daß dort, wo eine Pfründe zu vergeben war, alte PGs bevorzugt wurden. Am 21.2.1935 folgte ein von Moraller inspiriertes Schreiben des Vizepräsidenten der Reichskulturkammer, Walter Funk, an die „Landeskulturwalter“, in dem angeordnet wurde, daß sämtliche Veranstaltungen der Kammer und ihrer Verbände künftig nur dann stattfinden durften, wenn das Einvernehmen mit der Geschäftsführung der Reichskulturkammer – d. h. mit Reichskulturwalter Moraller – hergestellt worden sei. So lag es ohne Einschränkungen in Morallers Hand, die von ihm geforderte „einheitliche propagandistische Linie“ zu sichern. Wer anders als er sollte die Eröffnungsansprache der von München nach Berlin gewanderten Ausstellung „Entartete Kunst“ am 26.2.1938 halten? Diese Ausstellung zeige den Kulturbolschewismus im Sinne einer politischen Gefahr, erklärte er, und ließ am 10.3.1938 in der Berliner NS-Postille „Der Angriff“ einen Leitartikel mit der für sein Kulturstreben vielsagenden Überschrift „Es kann gar nicht genug vernichtet werden“ folgen. Es machte ihm, der sich zum smarten und redegewandten Funktionär gemausert hatte, auch nichts aus, am 17.7.1937 vor 700 Architekten in München hinzutreten und ihnen „das“ Primat des Architekten unter allen bildenden Künsten zu bestätigen; „überall ist der große Wurf des Führers sichtbar“. Schon im Dezember 1933 hatte er bei Gelegenheit der Gründung der Zeitungswissenschaftlichen Vereinigung an der Universität Freiburg klargemacht, daß die Objektivität der Form eine ungeheure Gefahr darstelle und verschwinden müsse, „der neue Staat hat eine Objektivität eingeführt, die nur einen Wertmesser kennt: das Volk“ – eben das gesunde Volksempfinden.
Im Jahre 1939 wurde dem erprobten Propagandisten eine neue verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die „Gleichschaltung“ des, wie der Sicherheitsdienst (SD) der SS ermittelt hatte, „kulturbolschewistischen“ Rowohlt-Verlags. Der Verleger Ernst Rowohlt selbst war 1938 aus der Reichskulturkammer – Geschäftsführer: Moraller – ausgeschlossen worden, und der Verlag firmierte seither als Tochtergesellschaft der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart. In Heinrich Maria Ledig-Rowohlt fand er aber offensichtlich einen Mitgeschäftsführer vor, dem er nicht so ganz gewachsen war; wie ein Augenzeuge, Kurt Pinthus, berichtete, warf Moraller nach einem Jahr das Handtuch, ohne seine Aufgabe gelöst zu haben. Nun, er hatte die Verbindung zu seinem Freund Wagner nie abreißen lassen und wandte sich 1940 kurzfristig wieder seiner „Führer“-Zeitung zu. Nach der Niederlage Frankreichs wurde er Hauptschriftleiter der „Straßburger Neuesten Nachrichten“, die er zum Hauptsprachrohr seines zum Chef der Zivilverwaltung im Elsaß avancierten Reichsstatthalterfreundes Wagner umfunktionierte. Vier Jahre lang konnte sich Moraller als Bannerträger der NS-Ideologie im Elsaß entfalten und seine propagandistischen Fähigkeiten im Dienste der von Wagner erbarmungslos betriebenen Germanisierung des Elsaß einsetzen, ehe der Fall Straßburgs am 23.11.1944 den Chef der Zivilverwaltung samt seinen Chargen zur schleunigen Flucht heim ins Reich nötigte. So fuhr Moraller in Karlsruhe dort fort, wo er 1927 begonnen hatte, beim „Führer“; aber jetzt ging es nicht mehr um den – längst verlorenen – „Lebensraum im Osten“, sondern jetzt ging es um das nackte Überleben, und als die Alliierten immer weiter vorrückten, pries Moraller die „Vorteile der inneren Linie der Verteidigung“ und rief unter der Überschrift „Tod den Verrätern!“ zum „totalen Widerstand“ gegen die alliierten Heerscharen auf. Aber diese Propaganda stieß bei der Bevölkerung auf wachsende Ablehnung; der SD berichtete, daß Volkes Stimme die Situation so beschrieb: „Wenn Reden den Krieg gewinnen würden, würden wir sicher gewinnen.“ Man darf annehmen, daß in den letzten Kriegswochen Morallers unverrückbarer Glaube an den Endsieg brüchig wurde: als er selbst es mit „Verrätern“ zu tun bekam, als Beisitzer in einem Standgericht gegen fünf Elsässer aus Weißenburg, die sich geweigert hatten, dem deutschen Gestellungsbefehl zu folgen, stimmte er gegen die Todesstrafe, der sie denn auch entgingen. Und in seiner letzten Funktion im „Dritten Reich“, als Führer einer großspurig „Panzerjagdzug“ genannten Einheit, die nach der Eroberung Karlsruhes am 4.4.1945 nach Ebersteinburg retiriert war, soll er sich, wie berichtet wird, „bedrückt und ziemlich einsilbig“ verhalten haben; der „Jagdzug“ bestand freilich auch nur aus 20 bis 25 HJ-Buben.
Im Gegensatz zu anderen, die davonliefen, stellte er sich den Franzosen freiwillig und wurde sofort verhaftet. Am 26.5.1950 wurde nach fünfjähriger Haft Anklage gegen ihn erhoben. Er sei hinreichend verdächtig, „sich in Zeitungsartikeln der Beihilfe zum Verbrechen der Einberufung von Franzosen zugunsten Deutschlands, das sich mit Frankreich im Kriegszustand befunden habe, schuldig gemacht zu haben“. Moraller legte gegen diese Anklage Berufung beim Pariser Kassationshof ein. Im Mai 1953 wurde er von den französischen Behörden „auf Widerruf“ entlassen, und am 17.5.1956 beschloß der Kassationshof in Paris, das Verfahren einzustellen. Moraller saß 2954 Tage im Internierungslager und im Metzer Gefängnis.
Nach einigen schwierigen Jahren des Neubeginns gelang dem Fünfundfünfzigjährigen am 1. Juli 1958 der Einstieg ins Berufsleben: die Bertelsmann-Verlagsgruppe in Gütersloh bot ihm Gelegenheit, seine redaktionellen Fähigkeiten nutzbringend einzusetzen. 1968 trat er in den Ruhestand und kehrte nach Karlsruhe zurück.
Nach 1953 verschwand Moraller praktisch aus der Öffentlichkeit und lebte zurückgezogen. Kurz vor seiner Entlassung schrieb er seinem Sohn einen Brief, der in die Öffentlichkeit gelangte. Dort heißt es: „Wenn es nämlich tatsächlich ein Kriegsverbrechen wäre, daß ein Journalist während eines Krieges den Standpunkt der Regierung seines eigenen Landes vertritt, dann dürfte ... wohl kaum ein einziger Zeitungsmann frei draußen herumlaufen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte Moraller noch nicht eingesehen, daß die Regierung, der er diente, nicht eine Regierung wie jede andere war, sondern die Kommandozentrale eines verbrecherischen Systems.
Quellen: Mitteilungen der Herren Josef Werner, Ettlingen, und Hubert Doerrschuck, Karlsruhe; NSDAP-Akten Franz Moraller im BDC; Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich, Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, Bde. 2 und 5, 1984
Nachweis: Bildnachweise: in: NSDAP-Akten Franz Moraller im BA-BZ

Literatur: Kurzberichte über den Verfahrensstand des „Falles Moraller“ in: BNN vom 09.06.1950, 04.07.1950, 20.07.1950, 31.10.1950, 20.03.1952, 06.05.1952, 26.05.1953, 02.05.1955, 26.05.1956; Kurt Pinthus, Ernst Rowohlt und sein Verlag, in: Rowohlt Almanach 1908-1962, hg. von Mara Hintermeier und Fritz L. Raddatz, 1962; Horst Rehberger, Die Gleichschaltung des Landes Baden 1932/33, 1966; Joseph Wulf, Kultur im Dritten Reich, Bd. 1 Presse und Funk, Bd. 2 Literatur und Dichtung, Bd. 3 Die Bildenden Künste, Bd. 4 Theater und Film, Bd. 5 Musik, 1982; Johnpeter Horst Grill, The Nazi Movement in Baden 1920-1945, 1983; Josef Werner, Karlsruhe 1945, 1983; Horst Ferdinand, Die Misere der totalen Dienstbarkeit: Robert Wagner (1895-1945), NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter von Baden, Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, in: Eberbacher Geschichtsblatt 1992, 97-209; ders., Nachlese zu: Die Misere der totalen Dienstbarkeit ..., in: Eberbacher Geschichtsblatt 1993, 208-222; Munzinger Archiv 51/1953
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