Steiger, Philomene 

Geburtsdatum/-ort: 27.04.1896;  Freiburg
Sterbedatum/-ort: 08.09.1985;  Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Geschäftsinhaberin, Kommunalpolitikerin
Kurzbiografie: ca. 1902-1910 Volksschule in Freiburg Herdern, danach Lehre in einem Freiburger Textilfachgeschäft, anschließend als Weißnäherin, dann als Paramentenstickerin bei Rudolf Dischler
1910 Eintritt in den Kirchenchor ihrer Heimatpfarrei St. Urban, dort auch aktiv in der Jungfrauenkongregation und bei der Paramentenbetreuung
1921-1927 Arbeit als Schneiderin/Näherin im Elternhaus in der Ortsmitte von Herdern, im Dritten Reich Distanz von der Partei, entschiedenes Eintreten für den katholischen Glauben
1927-1968 Inhaberin eines kleinen Textilfachgeschäfts mit Kurz-, Weiß- und Wollwaren in Herdern
1920er Jahre Kontakt mit Edith Stein, vermutlich im Zusammenhang mit deren Besuchen in St. Lioba
1945 21. April Intervention bei Generalmajor Bader, den Verzicht auf die Verteidigung Freiburgs betreffend
nach 1945 und früher aktiv im Bürgerverein Herdern (ehemals Lokalverein), im Katholischen Frauenbund, in der Franziskanischen Gemeinschaft, der Hansjakob- und Emil-Gött-Gesellschaft und in der CDU
1946 Mitbegründerin des Deutschen Frauenrings Freiburg
1969-1981 Mitglied des Pfarrgemeinderats St. Urban
1970 Bundesverdienstkreuz
1976 Ehrungen und Presseberichte zum 80. Geburtstag
1979 Silberne Ehrennadel des Herderner Bürgervereins
1980 Ehrung durch den Cäcilienverband des Erzbistums Freiburg für 70 Jahre Kirchenchor
1981 päpstlicher Orden pro bene merenti
1985 Ehrenbürgerin der Stadt Freiburg, zugleich mit Prof. Franz Büchner
1986 Einweihung des Philomene-Steiger-Wegs in Herdern
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Franz Karl Steiger (1864-1930) aus Bombach, Bäcker
Maria Franziska, geb. Löffler (1864-1929), Tochter eines Rebmanns aus Freiburg-Herdern
Geschwister: 6, davon 2 früh verstorben
GND-ID: GND/1012577740

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 443-444

Im Ehrenbürgerbrief vom 12. September 1985 würdigt die Stadt Freiburg die besonderen Verdienste, die sich Steiger am Schluß des Zweiten Weltkriegs um die Rettung der Stadt erworben hat. Gemeint ist die oft beschriebene Szene vom 21. April 1945 im Ausflugslokal Jägerhäusle über Freiburg-Herdern: Steiger verschaffte sich Zutritt zum Kampfkommandanten Generalmajor Rudolf Bader und bat ihn vehement, entgegen der Befehlslage Freiburg nicht gegen die anrückende französische Übermacht zu verteidigen. Es schmälert nicht ihr Verdienst, daß Bader zu dem Zeitpunkt schon entschlossen war, Freiburg aus dem Kampfgeschehen herauszuhalten, so korrigierte Hugo Ott die Fama beim Festakt zur Übergabe des Ehrenbürgerbriefs, den Steiger um wenige Wochen nicht mehr erlebte. Dieses markante Ereignis, dem ähnliche unerschrockene Interventionen bei französischen Besatzungsoffizieren folgten, schmückt wohl die Erinnerung an Steiger, die Achtung, die sie genoß, beruhte jedoch auf ihrem unermüdlichen Eintreten für das Wohl anderer. Sie konnte vielen Menschen einen Halt geben, erinnert sich ihr langjähriger Pfarrer Dr. Franz Kern. Sie lebte als überzeugte Katholikin und war im Dritten Reich offen auf Distanz zur Partei gegangen. Sie besaß einen wachen Intellekt und das Talent, faszinierend erzählen und reden zu können.
Steiger verkörperte den Typ des ledigen Fräuleins. Sie legte Wert auf diesen Titel, auch dann noch, als sich die Anrede „Frau“ allgemein durchgesetzt hatte. Sie verwirklichte in dieser Rolle ein ausgefülltes Frauenleben, allerdings nicht als Alleinstehende. Zwei Schwestern, ebenfalls unverheiratet, lebten mit ihr zusammen im Elternhaus. Margarete Steiger führte den Haushalt, Philomene und Sophie waren berufstätig. Eine klösterliche Gemeinschaft, nannte es Hans Sigmund, der die drei Steiger-Schwestern aus der Pfarreiarbeit gut kannte. Während ihre Schwester Angestellte im Verlag Herder war, führte Philomene Steiger ein kleines Textilgeschäft. Sie war also selbständig und frei, ihren Arbeitstag mit geringem Interesse für finanziellen Gewinn und entsprechend ihrer caritativen Neigung zu gestalten: Ratsuchende kamen zu ihr, viele Wohnungen hat sie vermittelt. Sie kannte die meisten Menschen im Stadtteil persönlich und wuchs wie von selbst in die aktive Mitarbeit beim Herderner Bürgerverein hinein. Daß ihr Kinderspielplätze ein Anliegen waren, spricht für ihre Uneigennützigkeit.
Die Pfarrei St. Urban war für sie nicht nur ein fester Bezugspunkt, sondern etwas Umfassendes, eine Heimat. Über Jahrzehnte kümmerte sie sich um die Herstellung und Pflege der kirchlichen Gewänder, seit ihrem 14. Lebensjahr sang sie im Kirchenchor und trat dank einer schönen Stimme und guter kirchenmusikalischer Kenntnisse auch oft als Solistin auf. Seit der Schaffung des Instituts des Pfarrgemeinderats nach dem Zweiten Vatikanum war sie dort vertreten, gewählt mit der höchsten Stimmenzahl. Bei allen Gremien, denen sie angehörte, war sie eine gesuchte Rednerin. In Herdern sprach sie oft zur Heimatgeschichte, beim Frauenring ermutigte sie ihre Zuhörerinnen, sich im öffentlichen Leben zu engagieren. Was sie vortrug, hatte sie sich als Autodidaktin erarbeitet, zum Beispiel als Gasthörerin an der Universität oder durch Lesen, vor allem in vielen Gesprächen. In ihrer Jugend hatte sie die Volksschule besucht. Ihre Berufsausbildung bestand in verschiedenen Lehren in der Textilbranche. Bis 1921 arbeitete sie als Textilverkäuferin bei der Firma Werner Blust auf der Freiburger Kaiserstraße. Dann nähte sie zu Hause, bis sie 1927 ihr eigenes Geschäft gründete und damit zur Institution in Herdern wurde: „Beichtmutter“, schrieb Hans Schneider 1977 in der Badischen Zeitung. Als Original wurde sie schon bezeichnet. Ganz passen will der Ausdruck aber nicht, da er Schrulligkeit impliziert. Sie war insofern etwas Besonderes, als sie den Mut hatte, ganz sie selbst zu sein, ein individuum absolutum gewissermaßen.
Quellen: Stadtarchiv Freiburg: K 1/62 Philomene Steiger (Ehrenbürgerbrief und Dokumente aus dem Nachlaß), B 1/328 (Chronik Hefele); Privatarchiv Hans Sigmund, darin eine Arbeit von Michael Bothe und Bernd Fischer; Gespräch mit Dr. Franz Kern
Werke: Gedruckt: 100 Jahre Kirchenchor St. Urban. 20.11.1976 Festvortrag. 12 Seiten geheftet (Privatarchiv Sigmund); Vortragsmanuskripte in Stadtarchiv Freiburg K 1/62: Was haben Frauen in vergangenen Jahrhunderten in Freiburg geleistet? (1972); Aus Herderns Vergangenheit (o. J.); Burgen und Schlösser im Breisgau (1977)
Nachweis: Bildnachweise: in Quellen und Literatur, vor allem Bildarchiv Hans Sigmund

Literatur: 500 Jahre Herdern bei Freiburg. Hg. Lokalverein Herdern, Freiburg 1957, 51; Rudolf Bader, 1945 – Freiburgs letzte Kriegstage. Oberst a. D. Bader erinnert sich an die Zeit vor 30 Jahren, in: Freiburger Almanach 1975, 55 mit Bild von Philomene Steiger; Max Bruecher, Freiburg im Breisgau 1945. Eine Dokumentation, 1980, bes. 9-15, hier Philomene Steigers Bericht über die Intervention bei Bader, schriftlich niedergelegt im Juli 1945, im Wortlaut; Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär, Endlich Frieden! Das Kriegsende in Freiburg 1945. Neue Reihe des Stadtarchivs Freiburg, Heft 7/1985, 34; Hugo Ott, Ansprachen zu Ehren der Ehrenbürger der Stadt Freiburg Prof. Dr. Franz Büchner und Fräulein Philomene Steiger †, Privatdruck Freiburg 1985 (in Quellen); Werner Köhler, Freiburg i. Br. 1945-1949. Politisches Leben und Erfahrungen in der Nachkriegszeit, Freiburg 1987, 12; Gerd R. Ueberschär, Freiburg im Luftkrieg 1939-1945, Freiburg/Würzburg 1990, 373 (mit Bild von Philomene Steiger)
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