Geiler, Karl Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 10.08.1878;  Schönau/Schwarzwald
Sterbedatum/-ort: 14.09.1953;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Anwalt, Rechtslehrer, Hessischer Ministerpräsident
Kurzbiografie: Gymnasium Freiburg und Mannheim
1896-1900 Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg, Berlin, Heidelberg
1900 Erstes Juristisches Staatsexamen
1903 Zweites Juristisches Staatsexamen
1904 Rechtsanwalt in Mannheim
Vorlesungen an der Handelshochschule Mannheim über Gesellschafts-und Wirtschaftsrecht; Mitarbeit am Kommentar Düringer-Hachenburg zum Handelsgesetzbuch
1910 Promotion Dr. jur. Universität Heidelberg
1914-1918 Teilnahme am ersten Weltkrieg, 1915 Ritterkreuz II. Klasse mit Eichenlaub und Schwertern des Ordens vom Zähringer Löwen
1921-1939 Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg als Privatdozent und Prof.
1939 Entzug der Lehrerlaubnis
1932/33 und 1947-1953 Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, nach 1949 auch dessen Geschäftsführenden Ausschusses
1945 Okt.-1947 Jan. Ministerpräsident des Staates Großhessen auf Grund Ernennung der US-Militärregierung
1946 Feb. Vorsitzender des Verfassungsausschusses (Vorbereitende Verfassungskommission) zur Erarbeitung eines Verfassungsentwurfs
1947 Persönlicher Ordinarius für Internationales Recht an der Universität Heidelberg
1948/49 Rektor der Universität Heidelberg; Präsident der Deutschen Europa-Akademie und der Deutsch-Französischen Gesellschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1904 Charlotte, geb. Hirsch
Eltern: Vater: Karl Geiler, Amtsrichter, später Oberstaatsanwalt und Mitglied des Justizministeriums
Mutter: Anna, geb. Piristi
Geschwister: nicht bekannt
Kinder: 2 Töchter
GND-ID: GND/102038015

Biografie: Paul Feuchte (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 99-103

Ein Jurist, der nicht mehr ist als ein Jurist, ist ein dumm Ding. Dieses Wort Martin Luthers könnte das Leitmotiv Geilers. gewesen sein, der es gelegentlich zitierte. Geiler, der sich schon in jungen Jahren durch eine reiche Fülle juristischer Schriften hervortat, strebte stets über das Fachliche hinaus, erweiterte auch den fachlichen Horizont durch den Blick auf weitere Zusammenhänge. Er diente dem Recht als Praktiker und als Gelehrter und er versagte sich, 67jährig, nicht, als es nach dem Zweiten Weltkrieg darum ging, Erkenntnis und Erfahrung in den Dienst praktischer Politik zu stellen. In Würdigungen erscheint seine starke Persönlichkeit, seine umfassende Bildung und die Fähigkeit zu lebensnaher, amüsanter Darstellung im Vortrag. Der mit einer großen Initiale ansetzende Namenszug zeigt Sicherheit, Klarheit, Selbstvertrauen. Ein zeitgenössisches Charakterbild findet man schwer. Eines stammt aus der Feder von Heinrich Kronstein, dem hervorragenden deutsch-amerikanischen Wirtschaftsrechtler: „Er war sozusagen zum Aufsichtsratsmitglied und Herrn geboren, stammte er doch aus alter badischer Beamtenfamilie ... Er war ein Herr. Er analysierte nicht Menschen, sondern Tatbestände. Er gebrauchte seine immensen Kenntnisse ... mit Eleganz und Sicherheit ... er war ein großer Jurist, wenn er auch – und diese Eigenschaft teilte er mit vielen sonst hervorragenden Zeitgenossen der zwanziger Jahre – kein großer Kämpfer war.“ Kronstein war in den zwanziger Jahren in der bedeutenden Mannheimer Anwaltspraxis mit Geiler zusammengekommen und er berichtet, wer damals mit diesem arbeitete, sei eigentlich mit allen größeren Schwierigkeiten in der deutschen Industrie und Wirtschaft in Berührung gekommen. Konrad Duden rühmt seine reiche Erfahrung, Vielseitigkeit, Menschenkenntnis und Bildung, Tatkraft, Gewandtheit und Fähigkeit zu begeistern. Als Handels- Wirtschafts- und Steuerrechtler vertrat Geiler die rechtssoziologische Methode, die den starren Rechtspositivismus ablehnt, das Recht als lebendige Ordnung auffaßt und daher, besonders auch vom Richter, Kenntnis der Lebensverhältnisse und der Rechtswirklichkeit verlangt. Seine Anwendung der Methode auf das Wirtschaftsrecht war Ausfluß einer viel breiteren Erkenntnisbewegung, die, wie eine Reihe anderer Einzelwissenschaften, so auch die Rechtswissenschaft ergriffen hatte, nämlich der soziologischen Durchdringung der verschiedenen Lebensgebiete. Verknüpfungen zwischen der Welt des Seins und der Sphäre des rechtlichen Sollens sah Geiler in besonderem Maße in seinem Fachbereich, dem Recht der gesellschaftlichen Zusammenschlüsse, das mehr als andere Rechtsgebiete auf außerrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen basiere und darum auch besonders der Einwirkung dieser außerrechtlichen Seinselemente ausgesetzt sei, in fortgesetzter Umbildung und Neubildung.
Schon 1908 trat er mit den Mannheimer Kollegen Düringer und Hachenburg mit der Mitarbeit im Kommentar zum Handelsgesetzbuch hervor – diese auch die Basis seiner Heidelberger Dissertation –, die er in weiteren Auflagen fortsetzte. Dem folgte später seine Bearbeitung des Gesellschaftsrechts im Staudinger-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Als eine der wichtigsten Gegenwartsaufgaben von Wissenschaft und Praxis nach dem ersten Weltkrieg griff er 1922 die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts auf, bei deren rechtlicher Behandlung ein starkes Eingehen auf die wirtschaftliche und soziologische Seite des Problems die Fruchtbarkeit dieser „wirtschaftsrechtlichen“ Methode erwies. Die Auswirkungen in staats-, volks- und privatwirtschaftlicher Sicht zu beachten, war ihm wesentlich. Für den Zeitraum vor der Stabilisierung der Währung empfahl er, in Gestalt der „Neumark“ dem Verkehr einen als abstrakte Rechnungseinheit zu schaffenden konstanten Wertmaßstab zur fakultativen, keineswegs zwangsweisen Benutzung zur Verfügung zu stellen. Im Streit zwischen nominalistischer und metallistischer Geldtheorie bezog er eine mittlere Position. Trotz Anerkennung des staatlichen Machtanspruchs auf nominale Definition des Geldes wollte er die Beziehung des Geldes zu den Wirtschaftgütern – Menge des Geldes und Menge der Waren und des Sozialprodukts – nicht vernachlässigt wissen. Als Schutz gegen die Geldentwertung zog er neben der „Selbsthilfe“, wie Vereinbarung von Naturalleistungen oder einer ausländischen Währung, und einzelnen gesetzgeberischen Teilhilfen, besonders auch die richterliche Hilfe in Betracht, unter Zubilligung einer gewissen rechtsschöpferischen Macht an den Richter. In rascher Folge schlössen Schriften, Vorträge und Gutachten sich an, aus der Praxis schöpfend, klärend, systematisierend. Diese Publikationen erstrecken sich über mehr als vier Jahrzehnte, seit 1921 verbunden mit Vorlesungen an der Universität Heidelberg, zum Teil auch gleichzeitig an der Handelshochschule Mannheim. Gewisse Pausen markieren die Zeit des ersten Weltkriegs und die Zeit des Nationalsozialismus, der 1939 gegen ein einmütiges Votum der Fakultät wegen der Abstammung der Ehefrau ein Lehrverbot erzwang. 1947 konnte er als persönlicher Ordinarius für Internationales Recht an die Universität Heidelberg zurückkehren, deren Rektor er bald wurde. Aber zuvor war ihm eine einzigartige andere Aufgabe gestellt. Am 16. Oktober 1945 berief ihn die amerikanische Besatzungsmacht zum Ministerpräsidenten des von ihr ins Leben gerufenen Landes Hessen (damals „Großhessen“ genannt.) Eine demokratische Legitimation besaß weder er selbst noch die Regierung, die er alsbald bildete. Ihm stand die Vertretung des Staates nach außen, insbesondere gegenüber der Militärregierung zu. Ihm stand auch die Gesetzgebungsbefugnis zu, jedoch waren alle Gesetze und Verordnungen vor ihrer Verkündung der Militärregierung vorzulegen. Auch die alsbald in Angriff genommene Verfassungsarbeit fand ihre Grundlage und starke sachliche und terminliche Zwänge im Verlangen der Militärregierung; dem entsprach aber die Bereitschaft der Parteien zur raschen Ordnung des demokratischen Lebens. Die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht verlief nicht immer reibungslos. Ein Konflikt über bildungs- und hochschulpolitische Anordnungen führte bereits am 16. Februar 1946 zum Rücktritt des Kultusministers Franz Böhm. Aber im Ganzen entwickelte das Verhältnis sich gut, Verständigungsbereitschaft war auf beiden Seiten vorhanden. Gewiß war seine Stellung darüber hinaus durch die notwendige Rücksichtnahme auf die politischen Kräfte, die sich in den neugegründeten Parteien manifestierten, und durch den Länderrat der amerikanischen Zone, wo Reinhold Maier und Wilhelm Hoegner seine Partner waren, beschränkt. Wenn er sich auch zur kollegialen Beratung in der Regierung bereit fand, so bestand er doch auf dem ihm zustehenden Entscheidungsrecht und seiner Verantwortung gegenüber der Militärregierung. Die Berufung des 67jährigen profilierten Juristen aus Baden ging auf das Betreiben der Civil Administration Division zurück, die – in nicht abschließend geklärter Weise – sicherlich auch von deutschen Persönlichkeiten beeinflußt war. Die Berufung eines parteilosen Ministerpräsidenten mochte sich für eine umfassende Koalitionsregierung (SPD, CDU, Liberaldemokratische Partei, KPD und Parteilose), wie sie nach dem Kriege weit verbreitet waren, zwar angeboten haben; sie war aber – wie die Beispiele von Württemberg-Baden und Bayern zeigen – im amerikanischen Verständnis der Deutschlandpolitik keineswegs grundsätzlich angelegt. Im „Staatsgrundgesetz“ vom 22. November 1945, bezeichnete sich die Regierung Geiler als Treuhänderin des hessischen Volkes, mit dem Versprechen, eine demokratische Verfassung vorzubereiten. Als Vorläufer des künftigen Parlaments wurde ein vom Ministerpräsidenten zu berufender Landesausschuß eingesetzt, der vor Erlaß wichtiger Gesetze und zum Haushaltsplan gehört werden sollte. Die unter seinem Vorsitz tagende vorbereitende Verfassungskommission konnte ihren Bericht am 15. Juli 1946 an die Verfassungberatende Landesversammlung als gedankliche Vorarbeit und Materialsammlung vorlegen. Die Landesregierung war an den Beratungen dieser Versammlung offiziell nicht beteiligt; Regierungsvertreter wurden sogar grundsätzlich ausgeschlossen, wenn auch gelegentlich als Sachverständige zugezogen. Nachdem mit der vom Volke beschlossenen Verfassung und der Wahl eines Landtags die Voraussetzungen für die Bildung einer Regierung auf demokratischer Grundlage geschaffen waren, trat im Januar 1947 an die Stelle des parteilosen Regierungschefs nun der CDU-Ministerpräsident Christian Stock, der ein Kabinett aus CDU und SPD-Ministern präsentierte, zum Teil aus dem Kabinett Geiler übernommen. In seiner Rundfunkansprache und im abschließenden Bericht vor dem Landtag im Januar 1947 verwahrte Geiler sich gegen den Vorhalt, er habe „zu selbständig regiert“. Niemals habe er eine wichtige Entscheidung getroffen, hinter der nicht die einstimmige oder doch starke mehrheitsmäßige Zustimung des Kabinetts gestanden hätte. Würdevolle Loyalität gegenüber der Besatzungsmacht, die zu gegenseitigem Vertrauen führt, und männliche Offenheit habe er praktiziert. Dem Spiel der sich entfaltenden, auf eigene Gestaltung drängenden innenpolitischen Kräfte dürfte der Außenseiter, den manche als „Patrizier“ sahen, souverän, zumindest unbeirrt im Handeln gegenübergestanden sein. Für den Gedanken an eine neue Berufung zum Ministerpräsidenten auf demokratischer Grundlage scheint in diesem Feld kein Platz gewesen zu sein, für Geiler eine herbe Enttäuschung, aber auch die Chance für erneute Hinwendung zur Wissenschaft und zur akademischen Jugend. Die Sorge der Regierung Geiler mußte sich in erster Linie den dringendsten materiellen Nöten zuwenden, der Versorgung der Bevölkerung, dem Wiederaufbau, der Aufnahme von Flüchtlingen, sodaß für große konzeptionelle Entscheidungen die Zeit noch nicht gekommen war. Grundsätzliches über seine weltanschauliche und politische Haltung sagte Geiler in seinen Reden aus. Den Zusammenschluß der hessischen Landesteile, die lange Zeit, nicht zuletzt aus dynastischen Gründen, verschiedene Schicksale gehabt hatten, zu einem einheitlichen lebensfähigen Land bejahte er als eines der Fundamente, über denen sich, wie er hoffte, wieder die Kuppel eines einheitlichen, wenn auch kleineren Deutschlands wölben werde. Das neu erwachte religiöse Gefühl des Volkes wollte er gepflegt wissen in enger Gemeinschaft mit der Kirche und den religiösen Gemeinschaften. Er scheute sich nicht, eine geistig-seelische Umformung des Volkes, ja einen „neuen Menschentypus zu fordern“. In den Grundsätzen Pestalozzis erkannte er das, was dafür nötig sei, besonders auch die Anerkennung der Familie als der kleinsten naturgemäßen Zelle und die Rückgabe der Erziehung an Vater und Mutter, auszuüben in einem menschenfreundlichen werktätigen Gottesglauben.
Die im abendländischen Freiheitsbegriff wurzelnde Idee der Universität verteidigte er in den Grundfreiheiten des Forschens, Lehrens und Lernens gegen jeden Versuch einer Beschränkung. Dem konservativen Element innerhalb der Universitäten, das zu einer gewissen Erstarrung geführt habe, begegnete er mit der Forderung nach einer lebendigen Fortentwicklung, in der Verständnis für das politische Leben und seine Dynamik bei den Studenten wachgerufen werden muß. So begrüßte er (1948) eine Resolution der Heidelberger Studentenschaft zur Einbeziehung der Pfalz in einen Zusammenschluß von Baden und Württemberg. Die Erziehung zum Universalen, über das Fachliche hinaus, betonte er ebenso wie die Notwendigkeit, frei von akademischem Hochmut, eine Elite heranzubilden.
Wenn Geiler für die deutschen Parteien mit ihrem Weltanschauungscharakter eine bedenkliche Entpersönlichung beklagte, so ging er doch von ihnen als realen Grundelementen des politischen Lebens aus. Politik sah er ihrem Wesen nach als undogmatisch an. Beim Wahlrecht bekannte er sich zu einem starken Personalismus und daher zum Personen- und Mehrheitsstimmrecht unter Ablehnung des Verhältniswahlrechts, insbesondere der Listenwahl. Auch in der Frage der Sozialisierung bestimmter Unternehmen sah er die Gefahr, daß über einem sozialistischen Zentralismus das gerade für den Arbeiter so wichtige personale Element verloren gehe. Er schlug eine dezentralisierte Sozialisierungsform vor, welche die im Unternehmen beschäftigten Leiter, Angestellten und Arbeiter in der Rechtsform von Sozialvereinen selbst zu Trägern des Unternehmens macht. Das sozialistische Unternehmen sollte nicht auf Gewinnerziehung im kapitalistischen Sinne gerichtet sein, sondern dem Gemeinwohl dienen, insbesondere zur Erreichung einer möglichst hohen Produktionsleistung. Die erzielten Überschüsse sollten zur inneren Kräftigung des Unternehmens und zur Sicherung der Existenz des in ihm zur gemeinsamen Arbeitsleistung vereinigten Personenkreises dienen. Damit werde das von ihm gewiesene Hauptziel eines wirklichen Sozialismus erreicht: Verpersönlichung der Arbeit, Entmassung und Entproletarisierung des arbeitenden Menschen. In der Sozialpolitik ging es ihm darum, das westliche Freiheitsprinzip, die Erhaltung der individuellen Persönlichkeit, gerade auch im Unternehmertum, und die sozialistische These in einen schöpferisch neuen Einklang mit einander zu bringen. Einem „neuen asozialen Kapitalismus“ trat er energisch entgegen. Verbindungen zur Ostzone aufzunehmen, ergriff er frühzeitig Initiativen. Die geschichtliche Mission Deutschlands sah er darin, Mittler und Brücke zwischen Ost und West zu sein und eine Synthese zwischen den weltanschaulichen Gegensätzen zu schaffen. Mit den mit großer Mehrheit beschlossenen Sozialisierungsartikeln der Verfassung für Grundstoff- und Schlüsselindustrien ging Hessen weiter als alle anderen Länder, die damals Verfassungen erließen. Aber dieser Weg führte nicht zum Erfolg. Die Realisierung scheiterte nach langen Verhandlungen, wobei nicht nur die amerikanische Besatzungsmacht den Handlungsspielraum einengte, sondern auch die mit der marktwirtschaftlichen Entwicklung zunehmenden Erfolge in Westdeutschland den Willen der politischen Kräfte im Lande auf andere Ziele lenkten. So scheiterte das Ausführungsgesetz 1950 in einer veränderten staatsrechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Situation. Nur wenige Unternehmen wurden sozialisiert, das größte von ihnen später reprivatisiert. Wiewohl kein Spezialist des Völkerrechts, befaßte Geiler sich doch mit der existentiellen Frage der völkerrechtlichen Lage Deutschlands nach dem Kriege, auch mit der Notwendigkeit eines Besatzungsstatuts. Das bisherige, auf freien Rivalitäten nebeneinander bestehender Staaten beruhende System der Geschichte sah er dem Ende entgegengehen, ein neues Weltbild und Geschichtsbild in der Entstehung begriffen, wo die nationalen Souveränitäten zugunsten übernationaler Gebilde und Formen zurücktreten, mit Briand-Kellogg-Pakt (1928) Atlantic Charter (1941) und der gerade jetzt erfolgten Errichtung der Vereinten Nationen (1945) als Marksteinen. Aber für die übernationalen Machtgebilde verlangte er eine Legitimation; „Es muß gute Macht sein, die sie entfalten,“ fähig, die Neuordnung in der Realität zu schaffen. In der umstrittenen Frage, ob das Deutsche Reich fortbesteht, entschied er sich – gegen Kelsen – mit der überwiegenden Auffassung, der später auch das Bundesverfassungsgericht folgte, für den Fortbestand Deutschlands als Staat, da er weder durch innen- noch durch außenpolitische Ereignisse untergegangen sei. Im Zustand der occupatio bellica sei seine Staatsgewalt völkerrechtlich suspendiert. Völkerrechtliches Unrecht“, auch nicht legitimiert durch zuvor begangenes Unrecht, erkannte er vor allem in der Austreibung von 14 Millionen Deutschen aus ihrer tausendjährigen Heimat in Ostdeutschland und Deutschböhmen. Die Ausweitung völkerrechtlicher Grundsätze – wie die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit – begrüßte er unter der Voraussetzung, daß die neuen Regeln vom Grundsatz der Gleichheit beherrscht werden, nicht als leges imperfectae bald angewendet, bald nicht angewendet werden. Das entsprach seinem Verständnis vom Verhältnis vom Recht zur Macht, ohne die wirksames Recht zwar nicht bestehen kann, das aber neben Religion und Moral das große Gegenprinzip der Ingewaltnahme der Macht durch das Böse ist. Geilers Reden in der neu entstehenden Demokratie, lebensnah und nicht ohne Pathos, sind getragen von Hoffnung und Zuversicht. Den Studenten sprach der 70jährige Rektor der Ruperto-Carola Mut zu, Unrecht, Lüge und Gewalt zu bekämpfen und für die eigene Überzeugung einzutreten. Gegen engstirnigen Nationalismus setzte er die Vaterlandsliebe in innerer Verbundenheit mit der deutschen Kultur und Landschaft. Eine Rückkehr des zusammengebrochenen nationalsozialistischen Systems befürchtete er nicht, weil es keinerlei Kräfte für eine Regeneration habe. Die Geistesmacht nach der religiösen Seite hin zu vertiefen, Philosophie und Offenbarung miteinander zu versöhnen, dieses Anliegen Schellings machte er sich zu eigen. Die Rückkehr des Geistes nach dem Ende der Schreckensherrschaft feierte er mit Tacitus: „Nunc demum redit animus.“
Werke: Das Anwendungsgebiet des Handelsrechts und die güterrechtliche Stellung der Handelsfrau, Mannheim 1910, Heidelberg Diss. jur.; Das neue Körperschaftssteuergesetz. Systematisch erläutert, Mannheim 1921; Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, zugleich ein Vorschlag zur Einführung der Neumark, Mannheim 1922; Die wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht. Sonderabdruck aus „Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts“, 68. Jg. Berlin 1927; Die wirtschaftlichen Strukturwandlungen und die Reform des Aktienrechts, Berlin 1927; Die Einwirkung des Steuerrechts, insbesondere der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs auf das Recht der Personalgesellschaften, 1928, in: Zehn Jahre Reichsfinanzhof. Eine Festgabe der Zs. „Steuer und Wirtschaft“, Stuttgart 1928, Sp. 1009-1032.
Bearbeiter: Staudinger, Julius von: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Einführungsgesetz. 9. Aufl. Bd. 2, 3, 1929. 11. Aufl. 1958 (Geiler-Keßler); Die rechtliche Natur der Elektrizitätsversorgungsverträge und ihre Behandlung im Konkurs des Abnehmers, Erfurt 1930; Die Konkretisierung des Rechtsgebots der guten Sitten im modernen Wirtschaftsrecht, 1932 in: FS Albert Pimer, Gewidmet vom Deutschen Anwaltsverein, Berlin, Leipzig 1932, S. 254-279; Düringer, Albert: Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 ... auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 3. Aufl. 1.1930, 2.1.1932; Beiträge zum modernen Recht. Aufsätze und Vorträge. Mannheim u. a. 1933; Zum Genossenschafts- und Sozialisierungsproblem, 1947 in: FS Wilhelm Kiesselbach, hg. von seinen Mitarbeitern im Justizamt für die Britische Zone, Hamburg 1947, 99-124; Pestalozzi als Erzieher- und Staatsdenker, Ansprachen des Ministerpräsidenten und des Kultusministers von Gross-Hessen bei der Gedenkfeier am 8. Februar 1946, Wiesbaden o. J.; Bericht des Herrn Ministerpräsidenten Prof. Dr. Geiler über die Tätigkeit der bisherigen Regierung, in: Stenographischer Bericht über die 3. Sitzung, Wiesbaden, 6. Januar 1947, Hessischer Landtag I. Wahlperiode; Die gegenwärtige völkerrechtliche Lage Deutschlands, Vortrag gehalten in der Wittheit zu Bremen am 28.3.1947, in: Abhandlungen und Vorträge hg. von der Wittheit zu Bremen Band 17, Heft 1; Geistige Freiheit und soziale Gerechtigkeit im neuen Deutschland, Wiesbaden 1947; Personalismus, Sozialismus, Völkerfrieden, Wiesbaden 1948; Macht und Recht – Rektoratsrede 1948, Berlin, (Göttingen, Heidelberg) 1949 (Heidelberger Universitätsreden Heft 1); D-Markbilanzgesetz. Kommentar Karl Geiler, Arnold Stehlik, Hans J. Veith, München 1950.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: UA Heidelberg, Bildnissammlung, UB Heidelberg, Graphische Sammlung sowie bei E. Stein (vgl. L) und Max Hachenburg, Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der Emigration, 1978.

Literatur: Friedrich H. Caspary, Vom Werden der Verfassung in Hessen, Aus den Verhandlungen der Verfassungsberatenden Landesversammlung Groß-Hessen, Offenbach a. M. 1946. (Caspary war Abg. der SPD und Vorsitzender des innerhalb der SPD gebildeten Verfassungsausschusses); Adolf Arndt, Rechtsformen der Sozialisierung, in: Deutsche Rechtszeitschrift 1947, 37 ff.; Ernst Wolff, K. Geiler zum 75. Geburtstag, in: Juristenzeitung 1953, A. 518 f. daselbst S. 646: Heinz Kleine, K. Geiler, † Frank Thieß, K. Geiler zum Gedächtnis, in: Ruperto-Carola 5 (1953) Nr. 11/12, 19-20, ebda. 21-22: Weber, Friedrich, K. Geiler; Wiltraut von Brünneck, Die Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946, in: Jb. d. Öffentl. Rechts d. Gegenwart NF, Band 3 1954, 213-270. (Tübingen); Ludwig Bergsträßer, Zeugnisse zur Entstehungsgeschichte des Landes Hessen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1957, 397 ff.; Konrad Duden, K. Geiler in: NDB 6,151; Heinrich Kronstein, Briefe an einen jungen Deutschen, München 1968; S-L. Wahrhaftig, In jenen Tagen Marginalien zur Frühgeschichte eines deutschen Bundeslandes (Hessen), in: Frankfurter Hefte 1970, 785-792 und 863-870 sowie 1971, 93-104; Alfred Dörr, Restauration oder Demokratisierung? Zur Verfassungspolitik in Hessen 1945-1949, in: Zs. für Parlamentsfragen 1971, 99 ff.; Erwin Stein, (Hg.) 30 Jahre hessische Verfassung 1946-1976, Wiesbaden 1976. Bild nach S. 22; Konrad Duden, K. Geiler zum Gedächtnis, in: Ruperto-Carola 61 (1978), 126-128; Birgit Vezina, Die Gleichschaltung d. Univ. Heidelberg im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung (Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen: NF Abh. 32), 1982, 110-112; Walter Mülhausen, Hessen 1945-1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit, Frankfurt a. M. 1985; Jochen Lengemann, Das Hessen-Parlament 1946-1986, Biographisches Handbuch, hg. vom Präsidenten des Hessischen Landtags, Frankfurt a. M. 1986.
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