Saier, Joseph 

Geburtsdatum/-ort: 25.02.1874;  Kirchzarten
Sterbedatum/-ort: 07.02.1955;  Ötigheim, beigesetzt daselbst am 10.02.1955
Beruf/Funktion:
  • römisch-katholischer Geistlicher; Gründer der Volksschauspiele Ötigheim
Kurzbiografie: 1880-1885 Volksschule Kirchzarten
1885-1886 Lendersche Anstalt Sasbach
1886-1894 Berthold-Gymnasium Freiburg mit Abitur
1894-1898 Studium der katholischen Theologie Freiburg und St. Peter
1898 (05.07.) Priesterweihe St. Peter
1898-1899 Vikar Rastatt
1899-1905 Vikar Karlsruhe (Unsere Liebe Frau)
1905-1953 Pfarrer Ötigheim
1906 (30.09.) Eröffnung der Volksschauspiele Ötigheim
1923 Ehrenbürger Ötigheim
1935 Erzbischöflicher Geistlicher Rat ad honorem
1948 (06.10.) Ehrensenator der Universität Freiburg
1953 Zurruhesetzung; Päpstlicher Geheimkämmerer; Bundesverdienstkreuz
1954 (21.02.) Ehrenbürger Kirchzarten
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Heinrich Saier (1835-1895), Landwirt und Kaufmann
Sophie, geb. Frei (1836-1911)
Geschwister: keine
GND-ID: GND/106939238

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 382-384

Bereits als Kind hatte Saier große Freude am Theaterspiel. Gern beschäftigte er sich mit den vom Vater geschnitzten Krippenfiguren, und im Knabenalter führte er mit seinen Kameraden kleine Theaterstücke in der elterlichen Scheune auf. Doch seine spätere Berufswahl zielte in eine ganz andere Richtung, denn mehr und mehr reifte in ihm der Wunsch, Priester zu werden. Nach fünfjährigem Besuch der Volksschule ging er für ein Jahr an die Lendersche Anstalt und war danach Schüler am Freiburger Berthold-Gymnasium, wo er 1894 das Abitur ablegte. Das theologische Studium absolvierte er in Freiburg und St. Peter. Nach der Priesterweihe und Vikarsjahren in Rastatt und Karlsruhe war er nahezu ein halbes Jahrhundert Pfarrer in Ötigheim.
Kurz nach Übernahme der Pfarrei trat Saier mit einer kleinen Spielschar an die Öffentlichkeit, und in der Tat wurden mit jenen ersten Theateraufführungen in einer Kiesgrube die Anfänge der Ötigheimer Volksschauspiele grundgelegt. Saiers Absicht war zunächst, seinen Pfarrkindern, vornehmlich der Jugend, zu einer frohen Gestaltung der sonntäglichen Mußestunden zu verhelfen; gegen die verflachende Vermassung der industriell-mechanischen Arbeit setzte er die Faszination des Spiels. Sicher war diese sonntägliche Freizeitgestaltung ganz ungewohnter und eigenwilliger Art. Es konnte nicht ausbleiben, daß sie vor allem in kirchlichen Kreisen auf Kritik stieß, denn man hielt es unter der Würde eines Geistlichen, ein Volksschauspiel zu leiten. Argwöhnisch wurde sein Werk betrachtet. Ergötzten sich manche am bloßen Gedanken, Saiers Theaterwerk schon in kurzer Zeit scheitern zu sehen, so hegten nicht wenige den Verdacht, daß der Pfarrer weit mehr dem Bühnenspiel als seinen priesterlichen Aufgaben zugetan sei. Doch seine Kritiker übersahen dabei, daß Saier gerade als „Spielpfarrer“ ein echter Volksseelsorger war, der es in beeindruckender Weise verstand, sein Theater im besten Sinn zu einer moralischen Anstalt und seine Bühne zu einer Kanzel christlicher Glaubensverkündigung zu machen.
Mit dem historischen Drama „Die beiden Tilly“ (A. von Berlichingen) und in Anwesenheit von 1 500 Besuchern begannen 1906 die Ötigheimer Freilichtspiele. Vor etwa 40 000 Zuschauern folgte im Sommer 1910 Schillers Tell, und es sprach für das wachsende Renommee der Bühne, daß bereits in jenem Jahr das Großherzogliche Paar als Theaterbesucher nach Ötigheim kam. Im letzten Friedensjahr 1913 konnten bereits 100 000 Gäste gezählt werden.
Die 1925 erstmals aufgeführten Passionsspiele hatten Ötigheim gelegentlich den Beinamen „Badisches Oberammergau“ eingebracht. Mochte dieser Vergleich hinsichtlich der Thematik sowie der damals noch ausschließlich aus Laien bestehenden Spielgruppe seine Richtigkeit gehabt haben, so blieb Ötigheim zu keiner Zeit nur auf religiöse Stücke beschränkt.
Durch die nationalsozialistische Machtübernahme wurde Saiers Lebenswerk vor große Probleme gestellt, denn auch sein Theater wurde den Maßregelungen der Reichskulturkammer unterworfen. Um arbeitslosen Berufsschauspielern in den Sommermonaten Arbeit und Brot zu verschaffen, mußte die Freilichtbühne für Berufskräfte geöffnet werden; Saier selbst wurde gezwungen, seine bisherige Position als Bühnenleiter einer Fachkraft abzutreten. Es verstand sich von selbst, daß sowohl der Bühnenleiter als auch die Schauspieler Mitglieder der Reichstheaterkammer sein mußten. Auf diese Weise wollte man die Würde des deutschen Theaters vor den Gefahren eines „krassen Dilettantismus“ schützen. Saier, dem der Fortbestand der Volksschauspiele wichtigstes Anliegen war, sah sich genötigt, diesen Forderungen nachzugeben. Aber diesen Auflagen konnte er auch eine positive Seite abgewinnen: Da die Mitwirkung von Berufsschauspielern fast zwangsläufig eine intensivere Schulung der Laienkräfte nach sich zog, war in jenen Jahren die Aufführung neuer Werke möglich geworden (Hebbels „Die Nibelungen“ und „Agnes Bernauer“; Schillers „Die Jungfrau von Orléans“).
Über fünf Jahrzehnte hinweg war es Saier immer wieder gelungen, sein Lebenswerk allen Schwierigkeiten zum Trotz durch die Fährnisse einer oft entbehrungsreichen Zeit zu steuern. Auf der Bühne wagte er das Neue und Ungewohnte, und er nahm dabei auch rückläufige Besucherzahlen in Kauf, um in den darauffolgenden Jahren die finanziellen Einbußen durch die Aufführung besonders volkstümlicher Stücke („Wilhelm Tell“, „Die Passion“) wettzumachen.
Als Seelsorger und Spielpfarrer gleichermaßen geschätzt, war Saier bereits 1923 Ehrenbürger von Ötigheim geworden. Die Universität Freiburg würdigte 1948 den hohen kulturellen Rang der Volksschauspiele, indem sie deren Gründer zum Ehrensenator ernannte. Anläßlich seiner Resignation auf die Pfarrei Ötigheim (1953) wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Den Ehrenbürgerbrief seiner Heimatgemeinde Kirchzarten erhielt er am 80. Geburtstag. Auch die katholische Kirche stand nicht nach, das außergewöhnliche seelsorgerliche Wirken Saiers zu würdigen: 1935 wurde er zum Geistlichen Rat und 1953 zum päpstlichen Geheimkämmerer (Monsignore) ernannt. Aber mehr als jede persönliche Ehrung war es Saier eine große Genugtuung, daß nach dem Zweiten Weltkrieg „in Anerkennung des Ötigheimer Freilichttheaters als einer herausragenden Pflegestätte der Kultur“ die notwendigen staatlichen Mittel bewilligt wurden, um die Neugestaltung des Zuschauerraums zu ermöglichen.
Mit seinen Volksschauspielen auf Deutschlands schönster Naturbühne hat Saier einen bleibenden kulturellen Wert geschaffen und Ötigheim weit über die badischen Landesgrenzen hinaus berühmt gemacht. Trotz gewaltiger gesellschaftlicher Veränderungen und eines starken Wandels im kunstästhetischen und religiösen Empfinden erfreut sich diese Bühne auch heute noch einer ungebrochenen Akzeptanz (1991: 25 Vorstellungen mit insgesamt 70 500 Besuchern). Unlösbar mit der Bedeutung dieses einzigartigen Freilichttheaters ist auch Saiers überregionaler Bekanntheitsgrad begründet.
Quellen: EAF Personalakte Joseph Saier
Nachweis: Bildnachweise: Foto StAF, Bildnissammlung; ferner in: Ötigheim im Wandel der Zeiten, 78-79; 455. Totenmaske von Erich Lipp, Archiv der Volksschauspiele Ötigheim; Statue (Beton) von Emil Sutor (1957), Areal der Volksschauspiele Ötigheim; Bronzetafel (Kopfrelief) von Frido Lehr (1995), Pfarrkirche Ötigheim (1995)

Literatur: W. M. Mund, Volk spielt fürs Volk. Vom Werden, Wesen und Wirken des Volksschauspiels Ötigheim, in: BH, 24. Jg., Jahresheft 1937, 407-421; A. Krautheimer, Ein badischer Volksmann ist gestorben. Zum Heimgang von Pfarrer Saier, in: Konradsblatt, 35. Jg., Nr. 8, 127, 1955; H. Ginter, Joseph Saier, in: Necrologium Friburgense 1955, FDA 77 (3. Folge Bd. 9), 266-267, 1957; H. L., 50 Jahre Volksschauspiele Ötigheim, in: Konradsblatt 41. Jg., Nr. 32, 712-713, 1957; J. Hog, Joseph Saier, der Theaterpfarrer von Ötigheim (1874-1955), in: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit, H. 11, 420, 1979; E. Reuter, Geistlicher Rat und Prälat Joseph Saier, in: Ötigheim im Wandel der Zeiten, Hg. Gemeinde Ötigheim, 81, 1987; K. Wagner, Erstmals wurde am 30. September 1906 gespielt, a. a. O., 423-427; M. Heid, Die bauliche Entwicklung der Volksschauspiele, a. a. O., 429-445; K. Wagner, Volksschauspiele Ötigheim. Chronik der Spiele, a. a. O., 448-449; G. F. Brucker, Joseph Saier und der Tellplatz, a. a. O., 451-477; N. N., „Moses“ soll zum Höhepunkt werden. Die mittelbadischen Volksschauspiele Ötigheim 1992, in: Konradsblatt, 76. Jg., Nr. 5, 30, 1992; Ch. Renzikowski, Kein „Theater“, sondern Verkündigung. 1906 gründete Pfarrer Joseph Saier in Ötigheim Deutschlands größte Freilichtspiele, in: Konradsblatt, 80. Jg., Nr. 34, 7, 1996
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