Rieser, Ferdinand 

Geburtsdatum/-ort: 17.12.1874;  Konstanz
Sterbedatum/-ort: 10.03.1944; Masseube, Département Gers, Frankreich
Beruf/Funktion:
  • Bibliothekar, Opfer des NS-Regimes
Kurzbiografie: Bis 1893 Volksschule in Heidelsheim, nach drei Jahren Gymnasium in Bruchsal bis Abitur
1893-1897 Jurastudium, dann neuere Philologie in Freiburg i. Br., Heidelberg, Berlin und Straßburg
1898 Prüfung für das höhere Lehramt an Mittelschulen, Staatsexamen, Lehramtspraktikant im Probejahr am Heidelberger Gymnasium, dann Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe
1903 titulierter Kustos der Landesbibliothek
1904 Anstellung als großherzoglicher Bibliothekar
1906 Doktorprüfung in Germanistik an der Universität Heidelberg
1915-1916 Heeresdienst beim 2. Badischen Landsturmbataillon („immobil“)
1917 Ernennung zum Professor
1920 Oberbibliothekar
1932 Direktor der Badischen Landesbibliothek
1933 Beurlaubung aufgrund einer Verfügung des Reichsstatthalters Wagner
1940-1944 Abschiebung des Ehepaars Rieser ins Lager Gurs, Verlegung in weitere französische Lager
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1913 Adele, geb. Behr (1883-1943 Masseube)
Eltern: Vater: Salomon (gest. 1879), Religionslehrer in Konstanz
Mutter: Johanna, geb. Scheuer
Kinder: 2:
Eugen (1916-1941, ermordet im Rahmen des Euthanasieprogramms)
Eva (geb. 1920), 1939 nach Israel ausgewandert, verheiratete Maurice
GND-ID: GND/116545062

Biografie: Rainer Fürst (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 239-240

Am 20. Juli 1893 mit dem Zeugnis der Reife aus dem Gymnasium in Bruchsal entlassen, nahm Rieser im WS das Studium auf. Im März 1898 unterzog er sich der Prüfung für das Lehramt und bestand sein Staatsexamen für Neuphilologen. Danach volontierte er am Heidelberger Gymnasium in den Fächern Deutsch und Geographie. Doch dem Lehrerberuf galt nicht seine Neigung, und schon am 10. August begann er seinen Dienst an der Landesbibliothek in Karlsruhe unter ihrem Direktor Wilhelm Brambach. Nach Bestehen des mit cum laude bewerteten Rigorosums nahm die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg am 10. Mai 1907 die gedruckte Dissertation an. Sein Doktorvater war außerordentlicher Prof. Dr. phil. Max Freiherr von Waldberg, der 1933 „auf eigenen Antrag“ auf seine Lehrtätigkeit verzichtete. 1908 erschien die vollständige, um das Zehnfache erweiterte Fassung im Buchhandel: „Des Knaben Wunderhorn und seine Quellen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Volksliedes und der Romantik.“ In wichtigen Fachzeitschriften wurde die Arbeit anerkennend rezensiert.
Nach der Entlassung aus dem Heeresdienst am 21. August 1916 trat Rieser am selben Tag seinen Dienst in der Bibliothek als Urlaubsvertretung des Direktors Theodor Längin an. Unter schwierigen Verhältnissen sorgte er dann jahrelang für die Aufrechterhaltung des Bibliotheksbetriebs. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Akzessionierung, der Katalogisierung und der Zugänglichmachung der Bücher für die Benutzer, während sein Vorgesetzter die Erwerbungspolitik dominierte und neben der praktischen auch die wissenschaftliche Seite des Berufs verfolgte. Beide kämpften 1931 erfolgreich um den Erhalt der Landesbibliothek und ihres achtzehnköpfigen Mitarbeiterstabes, als die Sparkommission des Landtags die Aufhebung der Anstalt forderte. Riesers Engagement galt daneben dem Jüdischen Kulturbund Karlsruhes, dessen Vorsitz er bis 1933 innehatte. Ein Ausschuss unter seiner Leitung machte es möglich, dass ein „Gedenkbuch zum hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehen des Oberrats der Israeliten Badens“ 1934 herausgegeben werden konnte. Mit eigenen Publikationen trat er nur selten an die Öffentlichkeit – im auffallenden Gegensatz zu seinen Kollegen Karl Preisendanz und Wilhelm E. Oeftering, die zusammen mit ihm auf Initiative von Großherzog Friedrich II. am 28. Dezember 1917 zu Professoren ernannt worden waren. Er stellte das jährlich gedruckte „Zugangsverzeichnis“ der Landesbibliothek zusammen und verzeichnete die „Badische Geschichtsliteratur“ für die Jahre 1916 bis 1924 in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. In zwei kurzen Beiträgen über den Karlsruher Maler August Gebhard tritt Riesers deutschnationale Gesinnung hervor. Nachdem Theodor Längin 1932 in den Ruhestand getreten war, wurde Rieser als dienstältester Oberbibliothekar zu dessen Nachfolger ernannt.
Am 5. April 1933 verfügte Gauleiter Robert Wagner „im Interesse der in Baden lebenden Juden“ die Beurlaubung sämtlicher Juden im öffentlichen Dienst. Dies betraf an der Landesbibliothek nur den Direktor, der daraufhin den Dienst niederlegte und seine Stellvertretung in Abwesenheit Oefterings an Preisendanz übertrug. Seine Bitten um weitere Verwendung an zurückgezogener Stelle wurden abgeschlagen. Aus formalen Gründen konnte die Beurlaubung nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwar nur eine vorläufige sein, dennoch sollte Rieser infolge der Machenschaften der NS-Bürokratie nie wieder in ein Amt zurückkehren. Nach Kriegsbeginn bot er sich dem Kultusministerium noch einmal für jede Art von Bibliotheksarbeit an, bekam jedoch keine Antwort mehr.
Am 22. Oktober 1940 wurden Ferdinand und Adele Rieser mit der Massendeportation der Juden aus den Gauen Baden und Saarpfalz in das unbesetzte Frankreich abgeschoben. In den Lagern Gurs, Recébédou, Nexon und Masseube erlitten sie das Schicksal der Internierten. Trotz Hunger und Krankheit versuchten sie, für die Lagerinsassen Kurse zu geben und einen Bibliotheksbetrieb zu organisieren. Adele Rieser starb nach schmerzvollem Krankenlager am 23. Oktober 1943. Viereinhalb Monate später erlag ihr Mann den Strapazen des Lagerlebens.
Quellen: GLA Karlsruhe 235/6917 u. 466/14592.
Werke: Des Knaben Wunderhorn u. seine Quellen. Einleitung u. allgemeiner Teil, 1907; „Des Knaben Wunderhorn“ u. seine Quellen. Ein Beitrag zur Geschichte des dt. Volksliedes u. d. Romantik, 1908, Nachdr. 1983; Raubritter. Nach alten dt. Liedern u. Chroniken. In: Zeiten u. Völker 1911, 62-66, 85-91; Ausstellung August Gebhard, Karlsruhe 1918; Der Bibliothekar, in: Die Pyramide. Wochenschrift zum Karlsruher Tagblatt 1919, 157 f.; Das Tannhäuserlied. Geschichte eines Volksliedes, ebd. 1920, 225-228; August Gebhard, ein junger bad. Maler, in: Ekkhart 1, 1920, 37-45.
Nachweis: Bildnachweise: in Werner, 49 (vgl. Lit.).

Literatur: Josef Werner, Hakenkreuz u. Judenstern. Das Schicksal d. Karlsruher Juden im Dritten Reich. 2. überarb. u. erw. Aufl. 1990.
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