Fischer, P. Josef 

Geburtsdatum/-ort: 19.03.1858; Quadrath
Sterbedatum/-ort: 26.10.1944;  Schloss Wolfegg
Beruf/Funktion:
  • Jesuit, Pädagoge, Geographie-und Kartographiehistoriker
Kurzbiografie: Gymnasium in Rheine, Westfalen
1878-1881 Studium der Philosophie und Theologie in Münster in Westfalen und München
1881 Eintritt in den Jesuitenorden in Exaeten (Niederlande), erneut Studium der Philosophie und Theologie in Innsbruck, Exaeten (Niederlande) und Ditton Hall (England)
1886-1888 Lehrer am Gymnasium „Stella Matutina“ in Feldkirch
1891 Priesterweihe in Ditton
1892-1895 Studium der Geschichte und Geographie an den Universitäten Wien und Innsbruck
1893/94 Lösung einer historischen Preisaufgabe „Die Beziehungen des Kaisers Rudolf II. zu Erzherzog Matthias“
1896-1934 Gymnasialprof. für Geschichte und Geographie an der „Stella Matutina“ in Feldkirch (Voralberg), am Österreichischen und Deutschen Gymnasium; Vorstand der geographischen, ethnologischen und Münzen-Sammlung
1903/04 und 1909/10 Unterbrechung der Lehrtätigkeit durch kartographische Forschungen in Italien, Frankreich und England
1929 ff. widmete sich ganz seiner Forschungsarbeit
1933 4. Romreise, begleitet von seinem Neffen Eduard, Audienz bei Papst Pius XI.
1935 Dr. phil. h. c. der Universität Innsbruck
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Mitglied der Historischen Kommission für Vorarlberg und Liechtenstein (1917); Korrespondierendes Mitglied der Päpstlichen Archäologischen Akademie in Rom (1924); Korrespondierendes Ehrenmitglied der Royal Geographical Society in London (1925); Päpstliche Goldene Medaille für Wissenschaft (1932); Silberne Rittermedaille der Geographischen Gesellschaft in Berlin (1933); Korrespondierendes Mitglied der historisch-philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Wien (1934); Fellow der American Geographical Society (1935)
Eltern: Vater: Gustav Fischer (1826-1890), Sohn eines Kastellans, Dekorationsmaler und Vergolder in Quadrath
Mutter: Elisabeth, geb. Kürten, Tochter des Müllers Joh. Theodor Kürten von der Weyermühle bei Bensberg (geb. 1819)
Kinder: Neffe: Dr. med. Eduard Fischer (geb. 1889 in Eltville)
GND-ID: GND/116558385

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 80-83

Grundlage für Fischers große Forscherkarriere bildete eine überlange Studienzeit im In- und Ausland; er studierte zweimal Philosophie und Theologie, zuerst außerhalb des Ordens in Münster und München, dann nach Eintritt in den Jesuitenorden in den Studienhäusern des Ordens in Holland und England sowie in Innsbruck; und danach schloss er ein Studium der Geschichte und Geographie in Wien und Innsbruck an. Lehrer wie Hirn, von Ottenthal, Pastor oder von Wieser vermittelten ihm eine hervorragende methodische Schulung. Weitere Auslandsaufenthalte ergänzten sein Wissen.
Fischer trat in seinem ersten Semester der Verbindung Katholischer Deutscher Studenten „Alsatia“ in Münster bei, aus der im Wintersemester 1878/79 die „Saxonia“ im CV wurde; in München schloss er sich der Katholischen Deutschen Studentenverbindung „Aenania“ und in Innsbruck der Akademischen Verbindung „Austria“ an. In der „Alsatia“ erhielt er den Kneipnamen Horsa, vielleicht ein Ausdruck seiner früh geweckten Anglophilie: Das sagenhafte Brüderpaar Horsa und Hengist soll im 5. Jahrhundert die Angelsachsen nach England geführt haben. Fischer liebte auch sonst den geselligen Austausch mit Fachkollegen. So war er u. a. Mitglied der Geographischen Gesellschaft Wien und ordentliches Mitglied des Istituto Austriaco di Studi Storici. Große Verbundenheit zeigte Fischer auch stets mit den Altstellanern, seinen ehemaligen Zöglingen.
Fischer hat sich anfangs als Historiker sehr intensiv um die österreichische Geschichte bemüht. Im Zentrum seines Interesses stand das späte 16. und frühe 17. Jahrhundert: Kaiser Rudolfs II. Erbteilung 1578, die Beziehungen Kaiser Rudolfs II. zum Erzherzog Matthias bis zum Vertrag von Liebau 1608, die Hauptvergleichung der Söhne Ferdinands II. von Tirol von 1578, der Schottwiener Vertrag von 1600, der Linzer Tag von 1605, die blutigen Exzesse bei einer Prager Fronleichnamprozession 1605, die russische Diplomatie im 16. Jahrhundert. Mehrere gewichtige Arbeiten sind von 1894 bis 1900 in Innsbruck, Wien und Feldkirch dieser Thematik gewidmet, auf die er dann später nicht mehr eingegangen ist.
Nachdem Fischer sich in Feldkirch niedergelassen hatte, änderte sich sein Blickfeld und konzentrierte sich mehr und mehr auf die Geschichte der Kartographie und der Geographie. Fischer gelang es hier, in einem Spezialgebiet im Grenzbereich zwischen Geschichte und Geographie, den Ruf eines international anerkannten Fachgelehrten zu erringen. Waren schon seine Studien zur österreichischen Geschichte auffällig an dicht bei einander liegenden Jahreszahlen (1578, 1600, 1605, 1605, 1608) angesiedelt, die um eine engere Epoche kreisten, so begegnen uns auch in seinen mit der Jahrhundertwende einsetzenden kartographischen Studien immer wieder Jahreszahlen wie 1482, 1486, vor 1490, um 1490, 1492, 1498, 1506, 1507, 1508, 1516 usw., Zahlen, die eng bei einander liegen und sich um die Entdeckung Amerikas von 1492 bewegen. Fischer hat seine Forschungen ganz gezielt auf diesen engen Zeitraum angelegt; ihn beschäftigten speziell Persönlichkeiten der Frührenaissance, die in diesen Jahren als Kartographen oder Geographen wirkten und gleichsam die Erweiterung des Welthorizonts, zu der die Entdeckung Amerikas führte, miterlebt hatten: Nikolaus von Kues, Nikolaus Donnus Germanus (Ulmer Ptolemäus 1482, 1486), Martin Behaim, Martin Waldseemüller, Hieronymus Münzer usw. Gelegentlich bezieht er auch die Jahrzehnte vor oder nach dieser Zeitspanne ein, etwa mit dem Dänen Claudius Clavus (frühes 15. Jahrhundert) oder dem Niederländer Jodocus de Hondt (Wende 16./17. Jahrhundert), gleichsam Vorfahren und Nachfahren jener für die Kartographie entscheidenden Epoche. Seit Fischer auf Schloss Wolfegg die älteste Karte mit dem Namen „Amerika“ entdeckt hatte, ließ ihn dieses Thema nicht mehr los. Ihn interessierten ganz besonders die Entdeckungen der Normannen in Nordamerika sowie generell die kartographische Darstellung des europäischen Nordens.
Immer wieder führten ihn diese geographischen und kartographischen Studien auf den griechischen Astronomen und Geographen Claudius Ptolemaeus (ca. 100-160 nach Christus) zurück. Fischer wurde in den Jahren 1894 bis 1932 der bedeutendste Ptolemäusforscher seiner Zeit (H. Hassinger). Fischer war der erste, der umfassende und kritische Untersuchungen über das Leben und das Werk des Ptolemaeus und sein Wirken auf die Nachwelt angestellt hat.
Eine besondere Reverenz erwies Fischer seinem jahrzehntelangen Wirkungsort Feldkirch. So gab er 1910 ein Faksimile und eine Beschreibung der ältesten Karte von Liechtenstein heraus. 1914 untersuchte er auf der Basis neuer archivalischer Quellen Massenas Sturm auf Feldkirch am 23. März 1799. Und er setzte sich 1916/23 in mehreren Artikeln mit dem aus Feldkirch gebürtigen Hieronymus Münzer auseinander, in dem er den „potentiellen Entdecker Amerikas“ gesehen hat. Zuletzt wandte sich Fischer unter dem Einfluss des ihm befreundeten Achille Ratti, 1922/39 Papst Pius XI., dem in Italien höchst aktuellen Thema Abessinien zu.
Sowohl der Bildungsweg Fischers (Studium in England) als auch das Thema Amerika hatten zur Folge, dass seine wichtigsten Forschungsarbeiten ins Englische übersetzt wurden oder überhaupt in englischer Sprache abgefasst wurden. Einzelne Arbeiten erschienen auch auf Spanisch. Durch diese Übersetzungen wurde Fischer über den deutschen Sprachraum hinaus bekannt. Sein internationaler Ruhm spiegelt sich in der Tatsache wieder, dass Fischer auch in fremdsprachigen Enzyklopädien Aufnahme gefunden hat, beispielsweise in der Enciclopedia Universal Ilustrada Europeo-Americana (1924) oder im Lessico Universale Italiana (1971).
Der Kartographiehistoriker Fischer wurde sozusagen im württembergischen Schloss Wolfegg geboren; hier in Schloss Wolfegg, wo ihm Fürst von Waldburg-Wolfegg ein Zuhause gewährt hatte, beschloss Fischer auch am 26. Oktober 1944 sein Leben. Fischer war ein umgänglicher und stets hilfsbereiter Mensch, ein bescheidener Gelehrter, dem freilich berechtigter Entdeckerstolz nicht ganz fremd war. Die Kartographiegeschichte hat nach Fischers Tod einen großen Aufschwung genommen; viele seiner Arbeiten wurden seither durch moderne ersetzt. Bis heute jedoch erzielen einige seiner Pionierarbeiten sowie seine Faksimileausgaben Höchstpreise im internationalen Antiquariatshandel.
Quellen: London, The Warburg Institute, einzelne Briefe 1902/29.
Werke: Die Beziehungen Kaiser Rudolfs II. zum Erzherzog Matthias bis zum Vertrag von Liebau 1608, 1893/94, daraus veröff. einzelne Kapitel wie Die Erbteilung Kaiser Rudolfs II. mit seinen fünf Brüdern vom 10. April 1578, in: Zs. Ferdinandeum (1897); Der Linzer Tag von 1605 in seiner Bedeutung für die österreichische Haus- und Reichsgeschichte, Gymnasial-Programm Stella Matutina 1898; Der Schottwiener Vertrag vom Jahre 1600, Bericht über den 4. internationalen Wiss. Katholikenkongress in Freiburg im Uechtland, 1898; Die Hauptvergleichung über die Erbschaft Ferdinands II. von Tirol und der Philippine Welser, in: Zs. Ferdinandeum (1899); Zur russischen Diplomatie im 16. Jahrhundert, in: Stimmen aus Maria Laach (1899); Blutige Exzesse bei einer Prager Fronleichnamsprozession 1605, in: Mitt. des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen (1900); Die Entdeckungen der Normannen in Amerika, 1902, engl. The discoveries of the Northmen in America with special relation to their early cartographical representation, 1903; Die älteste Karte mit dem Namen Amerika von 1507 und die Carta Marina von 1516 des Martin Waldseemüller (zus. mit Fr. von Wieser), 1903, engl. The Cosmographiae Introductio of Martin Waldseemüller 1507, 1907; Die Weltkarte des Jodocus Hondius von 1611 (zus. mit L. Stevenson), 1907; Die älteste Karte vom Fürstentum Liechtenstein, in: Jb. des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1910), 163-173; Der Deutsche Ptolemäus aus dem Ende des 15. Jhs (um 1490), 1910; Claud Clavus, the First cartographer of America,1911; Die handschriftliche Überlieferung der Ptolemäuskarten, 1912; An important Ptolemy Manuscript, 1913; El valoso manoscrito latino de Ptolemeo de la universidad de Valencia, 1914; Massenas Sturm auf Feldkirch am 23. März 1799, Gymnasial-Programm Stella Matutina 1914; Ptolemäus und Agathodämon, 1916; Dr. Hieronymus Münzer und die Feldkircher St. Nikolaus-Bibliothek, in: Archiv für Geschichte und Landeskunde Vorarlbergs 12 (1916), 25-28; Dr. Hieronymus Münzer und die Feldkicher silberne Monstranz aus dem Jahre 1506, in: Vierteljahrsschrift für Geschichte und Landeskunde Vorarlbergs 1 (1917), 1-5; Papus und die Ptolemäuskarte, 1919; Der Nürnberger Arzt Dr. Hieronymus Münzer (gest. 1508) aus Feldkirch als Mensch und Gelehrter, in: Stimmen der Zeit 96 (1919), 148-168; El Dr. Jerónimo Münzer (Monetario, gest. 1508), in: Razón y Fe 66 (1923), 81-101; Die Karte des Nikolaus von Cusa (vor 1490). Die älteste Karte von Mitteleuropa (Kartographische Denkmäler der Sudetenländer 1), 1930; Claudii Ptolemaei Geographiae Codex Urbinas Graecus, 1-4, 1932; Autobiographie in: Imago Mundi 1 (1933), 58-61; Der Verfasser des „Tractatus pulcherrimus“ und dessen bisher unbekannte Hauptquelle, in: Rendiconti della Pontificia Accademia Romana di archeologia 14 (1938), 187-191; Abessinien auf dem Globus des Martin Behaim von 1492 und in der Reisebeschreibung des Ritters Arnold von Harff um das Jahr 1498, in: Petermanns geographische Mitt. 86 (1940), 371 f. Die Herausgabe der ältesten Karte von Abessinien, sein letztes Werk, konnte Fischer nicht mehr vollenden. Fischer war Mitarbeiter zahlreicher Zeitschriften, u. a.: Stimmen der Zeit; Historical Records; Göttinger Gelehrter Anzeiger; Petermanns geographische Mitt.; Iberica.
Nachweis: Bildnachweise: Stella Matutina 53 (1933), 207; Der Globusfreund 7 (1958) (Einband).

Literatur: H. A. L. Degener, Wer ist's?, 2. Ausg. 1906/07 bis 8. Ausg. 1922; Katholischer Literatur-Kalender 15, 1926, 84 f.; Kosch, Kath. Dtld. I, 770; O. Schlüter, J. Fischers Ptolemäus-Werk, in: Geographische Wochenschrift 1 (1933), 304-307; P. J. Fischer in Rom beim Hl. Vater, in: Aus der Stella Matutina 53 (1933), 206-209; Ph. Dengel, Festrede zur Ehrenpromotion, in: Innsbrucker Zeitung von 18. 10. 1935; Almanach der Ak. d. Wiss. in Wien (1938), 37; L. Koch, in: Jesuitenlexikon, 1943, 1, 558; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 1, 1957, 322; H. Hassinger, in: Almanach der Ak. d. Wiss. in Wien (1945), 239-250; R. Haardt, in: Mitt. der Geographischen Gesellschaft in Wien (1945), 191-193; ders., in: Der Globusfreund 7 (1958), 26-33; Georg Straßenberger SJ, in: NDB 5, 1961, 194 f.
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