Künßberg, Eberhard Freiherr von 

Geburtsdatum/-ort: 28.02.1881; Porohy (Galizien)
Sterbedatum/-ort: 03.05.1941;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Rechtshistoriker
Kurzbiografie: 1899 Abitur in Graz
1899-1904 Studium der Rechtswissenschaften in Wien u. a. bei von Schwind und von Zallinger
1904 Promotion zum Dr. iur.; Akademische Preisarbeit: „Der Wald im deutschen Bergrecht“
1904-1905 Studienaufenthalt in München, Schüler Karl von Amiras
1905 Assistent Richard Schröders in Heidelberg; erste Mitarbeit am „Deutschen Rechtswörterbuch“
1910 Habilitation über ein rechtshistorisch-positivistisches Thema: „Acht, eine Studie zur älteren deutschen Rechtssprache“; Erwerb der badischen Staatsangehörigkeit
1911 Eintritt in das Deutsche Rechtswörterbuch zu Heidelberg
1916 Titularprof.
1917 Nachfolger R. Schröders als Leiter des Deutschen Rechtswörterbuchs
1924 Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
1928 Prof. an der Preußischen Akademie der Wissenschaften
1929 ordentlicher Honorarprof.
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: Berlin 1910 Katharina (1883-1978), Dr. phil., Tochter des Fabrikanten Samson
Eltern: Vater: Ulrich (1847-1923), Forstmeister, Sohn des Uso (1810-75), Dr. iur., und der Thekla Freiin von Crailsheim
Mutter: Julie Thekla (1855-85, rk.), Tochter des Gutsbesitzers Stanislaus Mrozowski in Kenty und der Julie Heß
Kinder: 2 Söhne
3 Töchter
GND-ID: GND/116591552

Biografie: Adolf Laufs (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 163-166

Der vielseitige Rechtsgelehrte entstammte einem einst zur fränkischen Reichsritterschaft zählenden Geschlecht, das es bis an die äußerste Grenze der habsburgischen Monarchie, in das damals österreichische Galizien, verschlagen hatte. Wenn von Künßberg auch den weitaus größten Teil seines Lebens in seiner Wahlheimat Baden zubrachte, so blieb er der fränkischen Abkunft stets eng verpflichtet; Zeugnis dafür sind seine Bewunderung für den fränkischen Rechtsdenker Johann Freiherr von Schwarzenberg, den Urheber der Constitutio Criminalis Carolina, seine Freundschaft mit Erich Freiherr von Guttenberg, dem bedeutenden fränkischen Landesgeschichtsforscher, schließlich auch der Umstand, daß er auf der Künßbergischen Besitzung Wernstein in Franken seine letzte Ruhestätte fand. Trotz der eher beengten Verhältnisse, in denen er als Sproß einer kinderreichen Familie aufwuchs, kann seine Kindheit, die er in den Wäldern und Ortschaften seiner slavischen Heimat verbrachte, wohl als glücklich gelten. Aus dieser Zeit seines Heranwachsens im Vielvölkerstaat mag seine Vorliebe für alles Altüberlieferte und Volkstümliche, seine schon früh einsetzende Hinwendung zur Kulturraum- und Sprachforschung herrühren. Zum herausragenden Bildungserlebnis wurde ihm sein Studienaufenthalt in München, wo er als schon promovierter Jurist in den Bann Karl von Amiras geriet, des Begründers der Rechtsarchäologie und Erforschers der nordgermanischen Rechtsgeschichte. Die entscheidende Wende führte 1905 der Wechsel nach Heidelberg herbei, wo der junge Wissenschaftler auf Veranlassung Schröders als Assistent in das Archiv des 1894/96 begonnenen Rechtswörterbuchs eintrat. Als Assistent wirkte er sieben, als Schriftleiter des DRWB und als Mitglied der Wörterbuchkommission weitere volle dreißig Jahre „im Dienst dieses minutiöse Arbeit und unendliche Entsagung fordernden Unternehmens“ (K. S. Bader). Aus der Mitarbeit am Deutschen Rechtswörterbuch erwuchs dann auch der größte Teil der germanistisch-juristischen Arbeiten. Von Künßberg heiratete 1910 in Berlin Katharina Samson, die als eine der ersten Frauen im Reich 1908 über ein naturwissenschaftliches Thema promoviert hatte. In ihren Erinnerungen schreibt sie, die sich um den Deutschen Akademikerinnenbund verdient gemacht hat: „Als ich nach Heidelberg kam, gab es bereits einen Studentinnenverein, dem ich mein Interesse zuwandte. Mein Mann teilte mein Interesse. Er hat beim Rechtswörterbuch zur wissenschaftlichen Mitarbeit hauptsächlich Frauen herangezogen.“
Von der aktiven Teilnahme am ersten Weltkrieg blieb von Künßberg verschont. Stattdessen half er, das Kriegsleid zu lindern, indem er die erste deutsche Einarm-Schule gründete und eine Fibel für Einarmige verfaßte, die mehrere Auflagen erreichte und nach dem zweiten Weltkrieg erneut herauskam. Weil er die österreichischen und nicht die deutschen Staatsexamina abgelegt hatte, nahm seine akademische Laufbahn nur langsam ihren Gang. So wurde er erst 1916 Titularprofessor an der Heidelberger Juristenfakultät. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über Deutschland zwang seine jüdische Ehefrau und die fünf Kinder in die Emigration, zunächst nach England, dann in die USA, nach Kanada und Neuseeland.
Von Künßberg, der in Heidelberg rechtsgeschichtliche, gelegentlich auch modernrechtliche Vorlesungen hielt, führte in seiner wissenschaftlichen Arbeit zunächst die rechtsarchäologische Tradition fort, die sich auf bildliche Überlieferungen, rechtstatsächliche Zeugnisse und Weistümer stützte. Später baute er sein Forschungsgebiet weiter aus und begründete die „rechtliche Volkskunde“, eine neue wissenschaftliche Richtung, die er in seiner programmatisch wirkenden Schrift „Rechtsgeschichte und Volkskunde“ vorstellte. Aufgabe der rechtsgeschichtlichen Volkskunde sei es, „zu untersuchen, welche Erinnerungen an das vergangene Recht im Volksbewußtsein fortleben“. Auch die Untersuchung der kleinen und unscheinbaren Dinge der Vergangenheit erlauben uns, so der Autor mit Grund, große Zusammenhänge und Entwicklungslinien aufzudecken. Die Messerbräuche beispielsweise zeigen insbesondere das Verflochtensein von Rechtsbrauch und Volksbrauch, von Aberglaube und Spiel: „Solange das Recht nur mündlich überliefert wird, herrscht das Symbol, die Schrift verengt sein Gebiet, es flüchtet sich in den Volksbrauch und schließlich in das Spiel“. „Auf Schritt und Tritt begegnet man in den Rechtsquellen dem Aberglauben, und mit tausend Fäden hängt er mit dem Recht zusammen“. Unserer entzauberten, versachlichten, nüchternen und symbolarmen Welt der rotierenden Gesetzgebungsmaschine stellte von Künßberg immer wieder die plastischen und anschaulichen Rechtsbräuche und das farbige Rechtsleben des Mittelalters gegenüber. Seinen Studenten prägte er ein, daß die vielbeklagte Kluft zwischen Volk und Recht oder genauer zwischen lebendem Volksrecht und Juristenrecht nur überbrückt werden könne, wenn der praktische Jurist den Äußerungen der Volksseele verständnisvoll gegenüberstehe. Er selbst gehörte zu den deutschen Rechtsgelehrten, die der Rezeption des römischen Rechts kritisch gegenüberstanden und die vom römischen Recht herbeigeführte „Verschandelung“ und „Verarmung“ der deutschen Sprache beklagten. Das fremde Recht hatte grundlegenden Anteil an der Verdrängung der einheimischen Rechtssatzungen und -gewohnheiten und darüber hinaus „der Mundart durch die Schriftsprache, an dem Eindringen der hochdeutschen Schriftsprache ins niederdeutsche Gebiet“, so der Autor in seiner bahnbrechenden Abhandlung „Rechtssprachgeographie“, mit der er einen neuen Zweig der historischen Geographie begründete. Die Sprache erschien ihm als „das Kleid des Rechts“. Er zeigte, wie sich Sprach- und Rechtsgrenzen im ganzen decken, „weil mundartbildend vor allem der Verkehr des täglichen Lebens, dieser jedoch größtenteils Rechtsverkehr ist“. Ein Beispiel für Einheit der Rechtssprache bei Spaltung der Mundart sah er im Land Baden, auf das er sich je und je bezog.
„Vor über hundert Jahren ist es (Baden) durch äußeren Anstoß aus Teilen verschiedener Mundartgebiete zusammengekommen. Es zerfällt heute noch in zwei Hauptteile. Die Rechtssprache aber ist, dank der einheitlichen Gesetzgebung, einheitlich im Ausdruck. Ja, infolge des einheitlichen Beamtenkörpers neigt sie auch in der Aussprache zu einer Annäherung. Die Rechtssprache ist auf diese Weise sozusagen der Grundstock der badischen Sprache“ (Rechtssprachgeographie, S. 22).
In Heidelberg verbanden den Forscher herzliche Freundschaften mit Richard Schröder, dessen „Deutsche Rechtsgeschichte“ er für die letzten beiden Auflagen betreute, mit Hans Fehr und Heinrich Mitteis. Er „verstand es, von den Grenzgebieten der Rechtswissenschaften aus, von der Rechtssprache und den Rechtsaltertümern Brücken zu den benachbarten Disziplinen, vor allem zur deutschen Philologie und zur Volkskunde zu schlagen“ (R. Schmidt-Wiegand). Der in der Akademie und in der Arbeitsstelle des Rechtswörterbuchs zu Heidelberg überaus fruchtbar wirkende Schriftsteller ergründete immer wieder die Symbolik im Recht. Sein künstlerischer Wesenszug folgte feinsinnig auch der Poesie („Rechtsverse“, in: Neue Heidelberger Jahrbücher 1933) und der Malerei (Der Sachsenspiegel. Bilder aus der Heidelberger Handschrift, 1934) in den Rechtsquellen. Seine Liebe zur Rechtsplastik fand in den mittelalterlichen Quellen vornehmlich des bäuerlichen Lebenskreises reichen Stoff (Deutsche Bauernweistümer, 1926). Er sah das Recht immer als Element der Gesamtkultur.
Um sich ganz der Rechtsgeschichte und der Arbeit am Rechtswörterbuch widmen zu können, lehnte von Künßberg einen ordentlichen Lehrstuhl ebenso wie Berufungen ins Ausland ab. Das noch immer produktive Jahrhundertunternehmen des Deutschen Rechtswörterbuchs bleibt ihm verpflichtet. Er starb 1941, kurz nach seiner vorzeitigen Pensionierung, in großer Sorge um Familie und Vaterland. Sein auf unentwegter Sammlertätigkeit beruhendes kulturgeschichtliches Gesamtwerk hat heute selbst hohen Quellenwert.
Werke: (Auswahl) Über die Strafe des Steintragens, 1907; Acht. Eine Studie zur älteren deutschen Rechtssprache, 1910; Rechtsbrauch u. Kinderspiel, SBAK Heidelberg, Phil.-hist. Kl. 1920, 7. Abh., 2. Aufl. 1952, besorgt v. K. S. Bader und H. Müller; Rechtsgesch. u. Volkskde., Jb. f. hist. Volkskde. 1, 1925, S. 69-125, 1965 bearb. v. P. Tzermias, mit Nachwort v. K. S. Bader;
Rechtssprachgeographie, SBAK Heidelberg, Phil.-hist. Kl. 1926/27, 1. Abh.; Der Wortschatz d. österr. ABGB, 1930; mit R. Schröder, Lehrb. d. dt. Rechtsgesch., 7. Aufl. 1932; Rechtsbrauch u. Volksbrauch, in: Hdb. d. dt. Volkskde. hg. v. W. Peßler I, 1935, 286-315; Volkskde. u. Recht, in: Die dt. Volkskde., hg. v. A. Spamer 1, 1934, 552-558; Rechtl. Volkskde. (Grundriß d. dt. Volkskde, hg. v. K. Wagner, III), 1936; Geheime Grenzzeugen, in: Grenzrecht und Grenzzeichen (Das Rechtswahrzeichen, hg. v. K. S. Bader, II), 1940, 68-83; Messerbräuche, Stud. z. Rechtsgesch. u. Volkskde., SBAK Heidelberg, Phil.-hist. Kl. 1940/41, 3. Abh.; Schwurgebärde und Schwurfingerdeutung, 1941; Fibel für Einarmige und Ohnhänder, 1946 5. Aufl.
Nachweis: Bildnachweise: Heidelb. Jbb. 26, 1982, 53.

Literatur: (Auswahl) K. S. Bader, in: HJb 61, 1941, 475-77; H. Fehr, in: ZRG (GA) 62, 1942, XUII-LVIII; R. Klauser, in: Ruperto Carola 29, 1961, 98 f.; A. Laufs, in: NDB, 13, 1982, 226 f.; R. Schmidt-Wiegand, Aus d. Werkstatt E. Frhr. v. Künßbergs, Entwürfe u. Skizzen zu Rechtssprachkarten im Archiv d. Dt. Rechtswb., in: Heidelberger Jbb. 12, 1968, 93-111; dies, über von Künßberg, in: Hdwb. z. dt. Rechtsgesch. II, 1978, 1264-67; dies., in: Heidelberger Jbb. 26, 1982, 51-67; H. Blesken, Aus d. Arb. d. Heidelberger Ak. d. Wiss., Das Dt. Rechtswb., Wb. d. älteren dt. Rechtssprache, Heidelberger Jbb. 14, 1970, 171-99.
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