Glaser, Carl Andreas 

Geburtsdatum/-ort: 27.06.1841; Kirchheimbolanden, Pfalz
Sterbedatum/-ort: 25.07.1935;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Chemiker und Industrieller
Kurzbiografie: Bis 1855 Lateinschule Kirchheimbolanden
1855–1858 Gewerbeschule in Kaiserslautern mit Abschluss
1858–1862 Studium an den Polytechnischen Schulen in Nürnberg u. München
1862–1864 Studium d. Chemie an den Univ. Erlangen, WS 1862/63 bis WS 1863/64, u. Tübingen, SS 1864
1864 VIII. 17 Promotion in Tübingen: „Über die Verbindungen des Naphtalins mit Brom“
1864 X.–1869 VIII. Assistent bei A. Kekulé (1829–1896) in Gent u. Bonn
1869 IV. 30 Habilitation an d. Univ. Bonn aufgrund seiner Publikationen über Derivate d. Zimtsäure
1869 VIII. 15 Arbeitsbeginn bei d. BASF
1872–1879 Leiter d. Alizarinabteilung
1879 II. Stellvertr. Direktor mit Prokura
1884 I.–1895 V. Direktor d. BASF
1895 V.–1920 V. Mitglied, ab 1912 Vorsitzender des Aufsichtsrats d. BASF
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 1874 (Zweibrücken) Anna Jakobine (Bina), geb. Doflein (1843–1883); 2. 1885 (Karlsruhe) Elisabeth Frederike Adolphine (1857–1941)
Eltern: Vater: Friedrich Heinrich Wilhelm (1814 –1849), Dr. med., prakt. Arzt
Mutter: Regine Luise, geb. Gießen (1818–1956)
Geschwister: 5; Luise Maria (1842–1931), Heinrich Adolph (*/† 1844), Therese Katharina (1845–1864), Caroline (Lina, 1846–1881) u. Ernst Ludwig (1848–1849).
Kinder: 6; aus 1. 4, Heinrich (1875–1882), Friedrich Ludwig Franz (1879– nach 1934), Jurist u. Publizist, Luise Dorothea (1880– 1969), verh. Michel u. Ernst Ludwig (1882–1904); 2 aus 2., Marianne (1886–1964), verh. Ligniez, u. Paul Ludwig (1890– nach 1934), Kaufmann
GND-ID: GND/116653604

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 140-143

Glaser wurde als erstes Kind des Arztes von Kirchheimbolanden geboren. Sein Vater starb als Glaser im siebenten Lebensjahr stand, und die Mutter erzog ihre fünf Kinder „in den kümmerlichsten Verhältnissen“, wie er selbst bekannte. Mit 13 Jahren wurde Glaser Vollwaise. Sein Vormund, ein Onkel, bestimmte ihn für die Gewerbeschule in Kaiserslautern, wo er keine Neigung zu den Sprachen zeigte, dagegen großes Interesse für Naturwissenschaften, besonders Chemie: Schon als 10-jähriger experimentierte er mit Lösungen von Arzneimitteln. Das Studium der Chemie wurde Glaser zuerst nicht erlaubt, weil der Vormund darin „eine brotlose Kunst“ sah. Glaser sollte sich für ein Ingenieursstudium in den polytechnischen Schulen Nürnberg und München vorbereiten. Trotzdem betrieb er „immer nebenbei mit Vorliebe chemische Studien“. 1861 hörte er in München Vorlesungen von Justus Liebig. Als er mit der Note „würdig“ die Münchener Polytechnische Schule absolviert hatte, gab der Vormund endlich seine Zustimmung und Glaser durfte auch Chemie studieren. Während drei Semestern in Erlangen absolvierte Glaser rasch die Lehrgänge der qualitativen und quantitativen Analyse und laborierte über Chlorderivate des Naphtalins. Durch das 1861 erschienene „Lehrbuch der organischen Chemie“ von August Kekulé stark beeindruckt wechselte Glaser nach Tübingen, wo Adolph Strecker (1822–1871) lehrte, der gerade über solche Verbindungen publizierte. Glaser hoffte, dort im Sinne Kekulés eine Synthese von Alizarin aus Naphtalin durchzuführen. Dies gelang ihm nicht, aber er synthetisierte eine Reihe neuer Bromderivate von Naphtalin und promovierte mit dieser Arbeit. Bezeichnend für seine Persönlichkeit ist nun, dass Glaser seine Dissertation seinem Vormund aus Dankbarkeit widmete. Strecker hatte ihn August Kekulé, damals in Gent, als Privatassistenten empfohlen. Die Jahre bei dem großen Chemiker, der damals in seinen Sternstunden die Struktur des Benzols erschlossen hatte, hielt Glaser im Alter für die schönsten seines Lebens.
Noch in Gent erhielt Glaser die Stelle des Unterrichtsassistenten und so auch Möglichkeiten für selbständige Forschungen. Besonders bedeutend waren seine „Untersuchungen über einige Derivate der Zimtsäure“, die er drei Jahre lang durchführte. Als Kekulé 1867 nach Bonn berufen wurde, folgte ihm Glaser, obwohl er bereits verlockende Aussichten in Belgien hatte, und half, das Bonner Institut einzurichten und in Gang zu bringen. Gleichzeitig beendete er seine Untersuchungen über Derivate der Zimtsäure, die durch die Entdeckung der Phenylpropiolsäure gekrönt wurden. Im April 1869 wurde er mit diesen Untersuchungen habilitiert. In seinem Gutachten hielt sie Kekulé „für eine der wichtigsten Arbeiten […], die in neuerer Zeit in der reinen Chemie ausgeführt worden sind“ und glaubte, Glaser werde bald als Kandidat bei der Besetzung „der besseren Professuren“ benannt. Glaser hatte bereits ein Dutzend guter Arbeiten in deutschen, französischen und belgischen Zeitschriften veröffentlicht, zuletzt über einen neuen Gasofen für die Elementaranalyse – ein bedeutender methodischer Fortschritt.
Ohne Zweifel, hätte Glaser eine erfolgreiche akademische Laufbahn erreichen können, er wechselte jedoch in die chemische Industrie. Am Anfang stand 1867 seine Bekanntschaft mit Carl Graebe (1841–1927), der durch die Entdeckung der Alizarinsynthese berühmt wurde. Anlässlich eines Ferienbesuchs seiner Schwester in Mannheim traf Glaser auf Graebe, der sich damals bei der BASF mit der Ausarbeitung seiner Synthese befasste und über ihn lernte er den Fabrikleiter der BASF, Friedrich Engelhorn (1821–1902), kennen, der Glaser überredete, über das künstliche Alizarin – „ein Traum meiner Jugend“, so Glaser, – bei der BASF zu arbeiten. Sein Entschluss, die angebotene Stellung anzunehmen, wurde noch dadurch erleichtert, dass auf seinen Vorschlag hin auch sein Freund Heinrich Brunck (vgl. S. 47) angenommen wurde.
Von Anfang an unterstützte Glaser seinen sechs Jahre jüngeren Freund in dessen ersten Schritten im Unternehmen. Die Wirklichkeit zeigte sich viel härter, als Engelhorn sie ausgemalt hatte. Die leitenden Persönlichkeiten der Firma erwiesen sich als wenig zuverlässig und standen untereinander in keinem guten Verhältnis; wie sich bald zeigen sollte, hielten sie alleine finanzielle Interessen zusammen. Das wirkte auf die Entwicklung des Unternehmens genauso negativ wie auf das Betriebsklima.
Zunächst sollte Glaser sich mit der Fabrikation der Farben Palatin-Orange und Indulin in der Mannheimer Abteilung im Jungbusch beschäftigen, um sich in die technischen Kenntnisse als Betriebsführer einzuarbeiten. Nach einigen Monaten konnte Glaser diese Farben tonnenweise gewinnen. Die Hoffnungen auf den großen Erfolg dieser Farben erschienen jedoch trügerisch. Die Fabrik auf dem Jungbusch wurde im Frühjahr 1870 verkauft. Nun setzte man Glaser auf das Problem der fabrikmäßigen Herstellung des synthetischen Alizarins an, wobei aber enorme Schwierigkeiten auftraten: rein chemischer wie organisatorischer Art, einschließlich der Beschäftigung von Arbeitern, die keinerlei berufliche Vorbildung hatten. Glaser, allein verantwortlich für die gesamten Betriebs- und Laboraufgaben in verschiedenen Gebäuden, fand sich durch die Fabrikleitung zu wenig unterstützt. Pflichtgefühl, Zielstrebigkeit, nicht zuletzt die Freundschaft mit Brunck halfen ihm durchzuhalten. Ein Hauptproblem war die Reinheit des Ausgangsstoffs Anthracen. Nach vielen Bemühungen war ein Verfahren ausgearbeitet, das einigermaßen befriedigende Ergebnisse zeitigte.
Die weitere Entwicklungsarbeit wurde ab 1872 in der neugegründeten und von Glaser geleiteten Alizarinabteilung konzentriert. Schon Ende 1871 teilte Glaser Graebe mit, dass Alizarin trotz gesteigerter Produktion „immer auf Monate voraus verkauft“ sei. Dennoch blieben ernste Verfahrensmängel, und die Situation verschärfte sich durch aufkommende Konkurrenz. Erst nach sechs Jahren allmählicher Verbesserungen konnte die sogenannte Druckschmelze unter Zusatz von Kaliumchlorat in den von Glaser konstruierten großen Rührkesseln als einwandfreies Verfahren aufgenommen werden. Das Ergebnis war ein tadelloses Produkt, das jede Konkurrenz bestehen konnte.
Bei diesen Arbeiten entdeckte Glaser im rohen Anthrazen zwei neue Stoffe: Phenanthren und Carbazol, deren Erforschung er Graebe überlassen sollte, da er mit der laufenden Arbeit überlastet war. Den ersten Urlaub hatte er nicht ohne Kampf mit Engelhorn nach fast fünf Jahren für eine zehntägige Hochzeitsreise erhalten.
Die Entwicklung der technisch und wirtschaftlich vorbildlichen Alizarin-Produktion macht den größten Erfolg Glasers bei der BASF aus. 1876 organisierte Glaser seine Abteilung neu und verschaffte dabei auch seinem Freund Brunck ein angemessenes Arbeitsfeld: die Fabrikation für Anthracen und Anthrachinon. Glaser selbst konzentrierte sich auf die Herstellung von Dichloranthrachinon, der Sulfosäuren und der Alizarinfarbstoffe. 1877 gelang Glaser die Entdeckung von Alizarinblau – eines neuen aussichtsreichen Farbstoffs. Da er aber eine auswärtige Aufgabe bekommen hatte, übergab er Brunck die Weiterbearbeitung dieser Entdeckung und machte nie Ansprüche darauf geltend. Auch die auswärtige Aufgabe löste Glaser: Während zwei Russlandreisen von Juli bis August 1877 und im August und September 1878 wurde eine alte Seifensiederei in Butirki, einem Moskauer Vorort, gekauft, wo bald erfolgreich Alizarin produziert wurde.
Offensichtlich war die Position Glasers bis 1879 so gestärkt, dass man ihn zusammen mit Brunck in den Vorstand der Firma berief. Dass dies nicht ganz reibungslos vonstatten ging, räumte Glaser später ein. Nur „im stetigen Kampfe ums Dasein“ sei es ihm stückchenweise gelungen, sich „größeren Einfluss auf die Geschäfte zu verschaffen“. Die verbesserte Finanzlage ermöglichte Glaser die Übersiedlung nach Mannheim, wo die Luft für seine kranke Frau und seine Kinder besser erschien. Bald ließ er sich dort ein eigenes Haus bauen und lebte dort bis zu seinem Umzug nach Heidelberg 1901.
Unterdessen war die weitere Entwicklung der Firma durch Gegensätze im Vorstand behindert: Die notwendigerweise langfristig angelegten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten kollidierten mit dem Ziel Engelhorns, schnellstmöglich Gewinne zu erzielen. Nach schweren Kämpfen wechselte die Leitung der Firma 1884. Fast alle alten Direktoren resignierten, bis auf Heinrich Caro, und dem neuen Vorstand gehörten neben Glaser nun Heinrich Brunck, August Hanser (1851–1895) und Gustav Siegle (1840– 1905) an, wobei die Freunde Brunck und Glaser das Führungsduo darstellten, so dass dieser Abschnitt als „Ära Brunck-Glaser“ in die Fabrikgeschichte einging. Beide ergänzten einander in vorzüglicher Weise. Glaser trat dabei bewusst hinter Brunck in die zweite Linie zurück: „für das Wohl des Ganzen“, wie er später schrieb. Er übernahm die Leitung der Anilinabteilung, der auch die Produktion der Azofarbstoffe angegliedert war, sowie die Überführung der zahlreichen aus den Laboratorien kommenden Produkte in den Großbetrieb und gliederte dazu seinem Bereich ein technisches Versuchslaboratorium an. Für das 1887 begründete Hauptlaboratorium, das A. Bernthsen (➝ V 15) leitete, wirkte Glaser als direkter Vorgesetzter. Schließlich unterstanden ihm die Fabrikationsfilialen in Russland und Frankreich.
Nach einem Jahrzehnt zwangen gesundheitliche Probleme, diese anstrengende Tätigkeit zu beenden. Ab Mitte 1895 wurde Glaser Mitglied des Aufsichtsrats der BASF und nach dem Tod Bruncks dessen Vorsitzender. 1920 ging er endgültig in den Ruhestand. Auf Bitten der BASF-Direktion verfasste er seine Erinnerungen, die mit 1884 enden. Der täglichen Anstrengungen entledigt erreichte er das damals ungemein hohe Lebensalter von 94 Jahren.
Quellen: UA Tübingen 40/70, 90, Studentenakten, 136/1, 136/140 sowie136/150, Promotionsakten; UnternehmensA d. BASF W1, Glaser, u. C112 Aufsichtsrat – Sitzungsprotokolle 1885–1925; Auskünfte des UA Bonn vom 14. 3. 2008, StadtA Mannheim vom 10. 4. 2008 u. des StadtA Heidelberg vom 9.4.2008.
Werke: Über die Verbindungen des Naphtalins mit Brom, in: Ann. d. Chemie u. Pharmacie 135, 1865, 40–49; Über die Umwandlung des Anilins zu Azobenzol, ebd. 142, 1867, 364 –369; Untersuchungen über einige Derivate d. Zimtsäure, ebd. 143, 1867, 325–346, 147, 1868, 78-107 sowie 154, 1870, 137–171; Über einen neuen Gasofen zur Elementaranalyse, ebd. VII. Suppl. Bd. 1870, 213–217; (mit C. Graebe), Über Carbazol, ebd. 163, 1872, 343–360; August Hanser †, in: Die chemische Industrie 18, 1895, 397; Festrede bei d. Enthüllungs-Feier des Kekulé-Denkmals in Bonn, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 36, 1903, 4627–4629; Gustav Siegle †, in: Die chemische Industrie 28, 1905, 641–643; Heinrich von Brunck, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 46, 1913, 353–389; Erlebnisse u. Erinnerungen nach meinem Eintritt in die Bad. Anilin-&Soda-Fabrik im Jahre 1869. Typoskript, 1921, (147 S.) in: UnternehmensA d. BASF W1, Akten Glaser.
Nachweis: Bildnachweise: UnternehmensA d. BASF, Bildersammlung; Gruppenfoto von 1866, in: Kekulé u. seine Benzolformel: Vier Vorträge, 1966, 53; Viktor Carl, Lexikon Pfälzer Persönlichkeiten, ²1998, 221; Ölgemälde von O. Propheter, 1911, u. W. Firle, 1926, im Familienbesitz.

Literatur: Poggendorffs biogr.-literar. Handwörterb. III, 1898, 526, IV, 1904, 503, VI, Teil 2, 1937, 901 u. VII a, Teil 2, 1958, 210; R. Anschütz u. C. Müller, Zu Carl Glasers 85. Geburtstag, in: Zs. für angewandte Chemie 40, 1927, 273–281 (mit Bildnachweis); M. A. Kunz, Carl Glaser †, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 68, A, 1935, 166–168; C. Schuster, Glaser, in: NDB 6, 1964, 432; E. Vaupel, Carl Graebe (1841–1927): Leben, Werk u. Wirken im Spiegel seines brieflichen Nachlasses. Diss. rer. nat. München, 1987, 158 f., 168–170, 222–229, 622 u. Quellenband 20 f., 177 f., 218–221, 305–391, 412; Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, 170; C. Reinhardt, Forschung in d. chemischen Industrie: die Entwicklung synthetischer Farbstoffe bei BASF u. Hoechst, 1863 bis 1914, 1997, 62 f., 75, 98–101, 140 f., 156 f.; W. Abelshauser (Hg.), Die BASF: Eine Unternehmensgeschichte, 2002, 37–115.
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