Bütschli, Otto Johann Adam 

Geburtsdatum/-ort: 03.05.1848; Frankfurt a. M.
Sterbedatum/-ort: 02.02.1920;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Zoologe, Zytologe
Kurzbiografie: 1864 Studium der Mineralogie, Chemie und Paläontologie an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1865-1866 Assistent bei dem Geologen und Paläontologen Carl A. Zittel
1866 Studium der Mineralogie, Chemie und Paläontologie in Heidelberg
1867 Promotion: Mineralogie, Chemie, Zoologie
1868-1869 Einjährig-freiwilliger Militärdienst in Pommern
1869-1870 Studium der Zoologie bei Rudolf Leuckart, Leipzig
1870-1871 Reserveleutnant im Deutsch-Französischen Krieg
1872-1873 Zoologische Privatstudien in Frankfurt a. M.
1873-1874 Assistent bei Carl Möbius, Kiel
1874-1876 Zoologische Privatstudien in Frankfurt a. M.
1876 Habilitation an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1876-1878 Privatdozent in Karlsruhe
1878-1919 Ordinarius für Zoologie an der Universität Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. Hedwig Sophie, geb. Wilhelm (1856-1879)
2. Mathilde, geb. Lange
Eltern: Vater: Friedrich (1806-1863), Konditor
Mutter: Phil. Caroline (1812-1880)
Kinder: 3 Töchter (eine aus 1., zwei aus 2. Ehe)
GND-ID: GND/117144932

Biografie: Peter E. Fäßler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 42-44

Bütschli fand verhältnismäßig spät im Jahre 1867 zur Zoologie. Zuvor hatte er an einer modern ausgerichteten Frankfurter Musterschule mit Naturwissenschaften und modernen Fremdsprachen als Unterrichtsschwerpunkten sich eine gute Ausgangsbasis für ein naturwissenschaftliches Studium verschafft. Dieses nahm er im Jahre 1864 am Polytechnikum in Karlsruhe auf und belegte dort die Fächer Mineralogie, Chemie und Zoologie. Nebenher arbeitete er als Assistent bei dem bedeutenden Geologen und Paläontologen Carl A. Zittel. Sein Weg schien daher in diese Fachrichtung vorgezeichnet zu sein, zumal er auch das nachfolgende Hauptstudium in Heidelberg mit einer Promotion im Hauptfach Mineralogie und den Nebenfächern Chemie und Zoologie abschloss. Bütschli musste keine Doktorarbeit anfertigen. Im Anschluss an die Promotion ging er zu dem renommierten Begründer der modernen Parasitologie Rudolf Leuckart nach Leipzig, um bei ihm seine zoologischen Kenntnisse zu vertiefen. Das Wintersemester dort war für Bütschli allerdings sehr unbefriedigend, weshalb er nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870–1871, an dem er als Reserveleutnant teilnahm, nicht wieder nach Leipzig zurückkehrte. Die Ergebnisse seiner bei Leuckart durchgeführten Untersuchung veröffentlichte er 1870 in seiner ersten zoologischen Arbeit „Zur Entwicklungsgeschichte der Biene“. Ein weiteres Manuskript über den Bau und die Entwicklung der Samenfäden bei Insekten und Krustentieren hatte er noch während des Krieges niedergeschrieben und im Jahre 1871 publiziert.
Als Autodidakt arbeitete Bütschli in den Folgejahren mit einer Unterbrechung, als er bei dem Kieler Taxonomen Carl Möbius studierte, in seiner Heimatstadt Frankfurt a. M. Die Forschungen über Nematoden (Fadenwürmer) fasste er in einer bedeutenden morphologisch-systematischen Monographie zusammen. Darin beschrieb er auch den Besamungsablauf und die sich anschließenden Vorgänge am lebenden, durchsichtigen Ei. Damit hatte er sich einen wissenschaftlichen Namen innerhalb der Zoologie erarbeitet. In jene Zeit fällt ebenfalls die wichtige Arbeit über das Phänomen der Konjugation bei Infusorien, welche er als einen Befruchtungsvorgang richtig erkannte. Seine 1876 veröffentlichten „Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle, die Zellteilung und die Konjugation der Infusorien“ erwarben ihm gemeinsam mit dem Botaniker Eduard Strasburger und dem Zytologen Oskar Hertwig den Ruf, einer der Väter der neueren Zellen- und Befruchtungslehre zu sein. Diese Studie wurde von der Karlsruher Polytechnischen Hochschule als Habilitationsschrift akzeptiert, und Bütschli lehrte dort in den folgenden zwei Jahren als Privatdozent. Im Jahre 1878 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Zoologie und Paläontologie an der Universität Heidelberg als Nachfolger Alexander Pagenstechers an, den er trotz mehrerer Lehrstuhlangebote aus Königsberg, München und Straßburg vierzig Jahre lang innehaben sollte. In diese Zeit fallen seine bedeutenden Beiträge zur modernen Biologie, insbesondere sein Kapitel über die Protozoen-Systematik in dem Standardwerk „Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreiches“. Darin vertrat Bütschli die taxonomische Separierung der Volvocales von den eigentlichen Grünalgen, eine Einteilung, die bis heute Gültigkeit hat. Ebenso erkannte er die Sonderstellung der Dinoflagellaten (Kieselalgen).
Bütschli verstand es, seine hervorragenden Kenntnisse der Mineralogie und Chemie für die biologische Forschung zu nutzen. Da Ende des 19. Jahrhunderts die Mikroskopie immer noch einen nur unzureichenden Zugang zu den Zellstrukturen gewährte, suchte er andere Wege, um diese zu erforschen. So entwickelte Bütschli Modellvorstellungen über die Beschaffenheit des Protoplasmas. Die Zweiphasigkeit dieser Substanz versuchte er mit Öl-Seifen-Schäumen zu imitieren, um so durch Analogieschluss Aufschlüsse über die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Protoplasmas zu gewinnen. Wenngleich die von Zeitgenossen mit Unverständnis begleiteten Experimente keinen durchschlagenden Erfolg erzielten, zeigte sich doch, dass Bütschli prinzipiell richtige Wege gewiesen hatte. Seinem Buch „Über mikroskopische Schäume und das Protoplasma“ (1892) waren Mikrophotographien beigefügt, ein für die damalige Zeit sehr fortschrittliches Hilfsmittel. In seinen späteren Jahren ging er von diesen Versuchen wieder ab und wandte sich der vergleichenden Anatomie zu, über die er ein zweibändiges Lehrbuch schrieb, welches unter didaktischen und inhaltlichen Gesichtspunkten ein Meisterwerk darstellt. Bütschli hat die Fülle seiner experimentellen bzw. deskriptiven Resultate nicht isoliert angehäuft, vielmehr integrierte er sie gemeinsam mit allgemeinen biologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in ein theoretisches Gesamtkonzept. Die von ihm nachgewiesene Ableitung der pentameren Echinodermen (fünfstrahligen Stachelhäuter) aus bilateralen Urformen war ein wesentlicher Beitrag zur Klärung eines zentralen stammesgeschichtlichen Problems. Auch seine phylogenetische Erklärung der Asymmetrie im Nervensystem der Prosobranchiata (Vorderkiemer; Schnecken) und die Formulierung der Placulatheorie belegt Bütschlis theoretisches Interesse und Verständnis. Bereits im Jahre 1875, also zwölf Jahre vor Weismanns epochalem Werk „Das Kleinplasma“, hatte er die Idee der Keimplasmakontinuität in einem Vortrag entwickelt und damit den Neodarwinismus geistig vorweggenommen. Mehrere naturphilosophische Schriften legen Zeugnis über seine geistige Vielseitigkeit ab. Insbesondere der Vortrag über „Mechanismus und Vitalismus“, gehalten im Jahre 1901 auf dem Internationalen Zoologenkongress in Berlin, verdeutlichte die Hinfälligkeit eines für Biologen jener Zeit vermeintlich unüberwindbaren Gegensatzes. Bütschli sah die Aufgabe des Naturwissenschaftlers in der Entschlüsselung der physikalisch-chemischen Grundlagen des Phänomens Leben. Somit ist für ihn der Biologe aufgrund seines methodologischen Ansatzes notwendigerweise dem Mechanismus verpflichtet. Zugleich machte Bütschli aber deutlich, dass dem naturwissenschaftlichen Erklärungsansatz des Phänomens Leben Grenzen gesetzt sind, weshalb ein Naturwissenschaftler durchaus im philosophischen Sinnen dem Vitalismus nahe stehen kann.
Quellen: GLA Karlsruhe Personal- u. Versorgungsakte; UA Heidelberg Personalakte u. Nachlass.
Werke: Zur Entwicklungsgeschichte d. Biene, in: Zs. für wiss. Zoologie 20, 1870, 519-564; Vorläufige Mittheilung über Bau u. Entwicklung d. Samenfäden bei Insecten u. Crustaceen. In: Zs. für wiss. Zoologie 21, 1871, 402-415; Beiträge zur Kenntnis d. freilebenden Nematoden, in: Verh. d. Kaiserl. Leopoldinisch-Carolinischen Akad. d. Naturforscher 36, Nr. 5, 1873, 1-124; Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge d. Eizelle, die Zelltheilung u. die Conjugation d. Infusorien, in: Abhandl. hg. von d. Senckenberg. Naturforsch. Ges. 10, 1876, 215-452; Protozoa. Abt. 1-3, in: Bronn’s Klassen u. Ordnungen des Thier-Reichs 1, 1880-1889; Über mikroskopische Schäume u. das Protoplasma. Mit Atlas mit 19 Mikrophotographien, 1892; Mechanismus u. Vitalismus, in: Verhandlungen des Internat. Zoologen-Congresses zu Berlin 5, 1902, 12-235; Das Lebenswerk O. Bütschlis. (Aufzeichnungen des Verstorbenen) vorgel. v. A. Kossel (mit Anhang: Die Arbeiten O. Bütschlis. Zus.gest. v. Clara Hamburger), 1920.
Nachweis: Bildnachweise: Merton, 1921; Willer, 1967 (vgl. Lit.).

Literatur: H. Merton, O. Bütschli, geb. 3. Mai 1848, gest. 2. Febr. 1920, in: Bericht d. Senckenberg. Naturforsch. Ges. in Frankfurt a. M. 51, 1921, 104-110. Richard Goldschmidt et al., O. Bütschli, in: Naturwissenschaften 8, 1953, 542-570; ders., O. Bütschli, Pioneer of Cytology (1848-1920), in: Science, Medicine and History. Essays on the Evolution of Scientific Thought and Medical Practice. Written in Honour of Charles Singer (Cunberledge G. Hg.) 1953; M. Novikoff, O. Bütschli, 1954; Hermann Ziegenspeck, O. Bütschli, in: NDB 1957, 6; C. C. Gillespie, Dictionary of Scientific Biography II, 625-628; Winfried Willer, O. Bütschli, in: Ruperto Carola 19, 1967, 329-333.
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