Bartning, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 12.04.1883;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 20.02.1959; Darmstadt
Beruf/Funktion:
  • Architekt
Kurzbiografie: Humanistisches Gymnasium Karlsruhe
1902-1903 Weltreise auf einem Segelschiff
1902-1906 Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Berlin und Karlsruhe
1906 Erster Auftrag für einen Kirchenbau (Peggau/Steiermark)
1918 Mitglied im Berliner Arbeitsrat für Kunst
1924 Theologischer Ehrendoktor der Universität Königsberg
1925 Beitritt zum Deutschen Werkbund
1925-1933 Mitglied der Berliner Architektenvereinigung „Der Ring“
1926-1930 Direktor der Staatlichen Bauhochschule in Weimar
1943 Freischaffender Architekt in Neckarsteinach und Heidelberg
1946 Präsidiumsmitglied des wiedergegründeten Deutschen Werkbundes
1948 Übernahme der Bauabteilung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland und Entwicklung eines Notkirchenprogrammes
1951 Präsident des Bundes Deutscher Architekten (BDA)
1952 Ehrendoktor der Ingenieurwissenschaften der Technischen Hochschule Aachen
1953 Gründung der „Otto Bartning-Stiftung“ in Darmstadt; Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
1955 Städtebaulicher Berater des Berliner Senates und Ausschußvorsitzender der Internationalen Bauausstellung (INTERBAU)
1958 Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt a. M., Stern zum Großen Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, Ernst-Reuter-Medaille in Silber der Stadt Berlin, Silberne Verdienstmedaille der Stadt Darmstadt
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1909 Clara, geb. Fuchs
Eltern: Vater: Otto Bartning (1837-1911), Kaufmann
Mutter: Jenny, geb. Doll (1853-1935)
Geschwister: 5
Kinder: 3
GND-ID: GND/118506897

Biografie: Michael Koch und Hans Leopold Zollner (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 14-16

Mit seinen Generationsgenossen Walter Gropius, Bruno Taut, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe zählt Bartning zu den bedeutendsten Architekten des deutschen Expressionismus und des Neuen Bauens. Er ist insbesondere einer der maßgebenden praktischen und theoretischen Wegbereiter der protestantischen Sakralarchitektur des 20. Jahrhunderts mit Wirkungen weit über nationale und epochale Grenzen hinaus.
Bartnings frühe Neigung zur sakralen Bauaufgabe wie auch zu theologisch-liturgischen Fragestellungen hat ihre Wurzel in familiären Traditionen: Der Großvater, ein Schüler Karl Friedrich Schinkels, war Kirchenbaumeister, die Mutter entstammte dem Hause eines badischen Pfarrers und Kirchenpräsidenten. Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium seiner Geburtsstadt begann Bartning an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg das Studium der Architektur, das er – von einer Weltreise auf einem Segelschiff unterbrochen – in Karlsruhe fortsetzte, jedoch nie zum Abschluß führte. Den Beginn seiner umfangreichen Bautätigkeit markiert die durch einen Freund veranlaßte Errichtung der evangelischen Friedenskirche in Peggau/Steiermark im Jahr 1906. Das hier exemplarisch verwirklichte Programm der organischen Durchdringung von Kirche, Gemeindesaal und Pfarrhaus in einer kostengünstigen technischen Ausführung brachte Bartning weitere Bauaufträge für rund sechzehn Kirchen und Betsäle von Diasporagemeinden der Los-von-Rom-Bewegung in Österreich und Rumänien.
Seit 1906 lebte Bartning als freischaffender Architekt in Berlin, wo er sich im November 1918 mit Gropius, B. Taut u. a. dem „Arbeitsrat für Kunst“ anschloß, der mit revolutionärem Pathos grundlegende Reformen auf allen künstlerischen und kunstpolitischen Ebenen forderte. Als Vorsitzender des Unterrichtsausschusses verfaßte Bartning die Flugschrift „Ein Unterrichts-Plan für Architektur und bildende Künste“, die in wesentlichen Punkten mit dem von Gropius entwickelten Ausbildungsprogramm des Weimarer Bauhauses übereinstimmte.
Im selben Jahr 1919, als Karl Barths „Römerbriefe“ eine folgenreiche Neuorientierung in der protestantischen Theologie einleiteten, veröffentlichte Bartning mit seiner vieldiskutierten Schrift „Vom neuen Kirchbau“ einen der grundlegenden Beiträge zur Architekturtheorie in der Weimarer Republik. Den kritischen Rückblick sowohl auf die jüngere protestantische Sakralarchitektur wie auch auf seine eigenen, primär als zweckmäßige Gehäuse für Gemeindeversammlungen konzipierten Kirchenbauten verband Bartning mit einem wagemutigen Entwurf für den zeitgemäßen evangelischen Kultbau. Das lange Zeit divergierende, die Stellung von Kanzel und Altar räumlich jeweils bestimmende Verhältnis von Verkündigung der biblischen Botschaft und Sakrament sollte durch die gleichgewichtige Scheidung in eine Predigt- und eine Feierkirche unter einer zentrierenden architektonischen Gesamtordnung ausgeglichen werden. Als praktische Konsequenz dieser Vision einer liturgisch und baulich vereinheitlichten „Raumform der Gemeinschaft“ legte Bartning 1922 seinen berühmten Entwurf der „Sternkirche“ vor, der – obwohl nie ausgeführt – zu den Marksteinen der modernen Sakralarchitektur gehört. Über sternförmig polygonalem Grundriß erhebt sich ein Zentralbau mit konzentrisch ansteigenden Bankreihen. Die Kanzel und der nach zwei Seiten orientierte Altar stehen in der geistigen und architektonischen Mitte des Raumes im Schnittpunkt aller Sehachsen, doch ist der Altar einem erhöhten, als Feierkirche ausgewiesenen Segment zugeordnet. Die offene Konstruktion aus spitzbogigen Holzbindern überspannt Predigt- wie Feierkirche und faßt beide Teile zur liturgischen und räumlichen Einheit zusammen. In der zeitgenössischen kirchlichen Publizistik heftig umstritten, fand Bartnings Projekt keinen Bauherrn, zumal die expressionistische Grundrißlösung und äußere Gestalt der Sternkirche dem konservativen Kunstverständnis weiter protestantischer Kreise zuwiderliefen. Mit dem kreisrunden, betonummantelten Stahlskelettbau der Auferstehungskirche in Essen konnte Bartning 1930 wenigstens eine modifizierte Variante seines Sternkirchenentwurfs verwirklichen.
War die Sternkirche als konsequenter Zentralbau, gleichsam als architektonisches Sinnbild des Kosmos konzipiert, so wählte Bartning für sein zweites bahnbrechendes Sakralbauprojekt, die 1928 auf der Kölner „Pressa“-Ausstellung gezeigte „Stahlkirche“, einen parabolischen Langraum als Grundrißform. Nach nur drei Monaten in Montagebauweise fertiggestellt, wurde die 1931 in Essen wiedererrichtete, lediglich aus Stahl, Glas, kupfer- und holzverkleideten Platten konstruierte Kirche zu einem Manifest modernster Bautechnologie und zu einem Dokument der spirituellen Ausdrucksqualitäten „profaner“ Werkstoffe. Auf der Grundlage dieses bedeutendsten evangelischen Kirchenbaues in der Weimarer Republik entstanden die Markuskirche in Karlsruhe (1934-35) und vor allem die Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Charlottenburg (1932-1934; nach Kriegszerstörung 1951 wieder aufgebaut), deren fächerartiger Grundriß aus der Parabelform der Stahlkirche entwickelt wurde. Die konzentrische Ausrichtung der Gemeinde auf Kanzel und Altar verband Bartning mit einer expressiven rhythmischen Raumstaffelung zu jener Harmonie von liturgischer und architektonischer Spannung, die das Hauptziel seines Wirkens als Kirchenbaumeister bildete.
Zwar liegt Bartnings Bedeutung vorwiegend in seinen Beiträgen zum modernen evangelischen Sakralbau, doch ist die Spannweite seines architektonischen Schaffens damit nicht ausgemessen. Nachdem er bereits vor dem Ersten Weltkrieg Wohn- und Geschäftshäuser in Hamburg, Düsseldorf und Berlin errichtet hatte, trat er nach 1919 mit zahlreichen Projekten für Industrieanlagen, Verwaltungsbauten, Krankenhäuser, Wohnsiedlungen usw. hervor, von denen jedoch einige – wie die Entwürfe für die Handwerkersiedlung Gildenhall am Ruppiner See (1924-25) oder für das Südgelände in Berlin-Schöneberg (1926-27) – nicht zur Ausführung gelangten. Einer der markantesten Profanbauten Bartnings und zugleich ein exemplarisches Werk der expressionistischen Architektur ist das Wohnhaus Schuster in Wylerberg bei Cleve (1921-24; im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt), das er auf einer ehemaligen Düne hoch über der niederrheinischen Ebene als kristallinen Baukörper mit spitzwinklig gefalteten Fassaden und Dächern gestaltete.
Hatte Bartning Anfang der zwanziger Jahre auch seine Profanbauten dem expressionistischen Raumbild der Sternkirche angenähert (vgl. Wasserturm in Zeipau/Schlesien), so setzte er sich ab etwa 1926 – wohl unter dem Einfluß der progressiven Berliner Architektenvereinigung „Der Ring“ und als Lehrer an der Weimarer Bauhochschule – zunehmend mit dem sachlich-funktionalen Formenvokabular des Neuen Bauens auseinander. Beispielhafte Zeugnisse dieses Wandels zu einer nüchtern-zweckorientierten, gleichwohl ästhetisch durchgestalteten Architektur sind sein geschwungener Baublock für die von Hans Scharoun und Martin Wagner konzipierte Großsiedlung Jungfernheide in Berlin-Siemensstadt (1930) und die Klinik des Vaterländischen Frauenvereins in Berlin-Wilmersdorf (1931). Der unter der Bezeichnung „Landhausklinik“ bekannt gewordene Krankenhausbau gilt als der erste deutsche Versuch einer integrierten Heilstätte mit Behandlungsbau, Ärzte- und Schwesternhaus nach amerikanischem Vorbild.
Schon 1930 auf Druck des reaktionären Kampfbundes für Deutsche Kultur durch die thüringische Regierung aus seinem Weimarer Amt entlassen, widmete sich Bartning während des Dritten Reiches vorwiegend schriftstellerischen Tätigkeiten und verwirklichte nur vereinzelte Bauprojekte. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein großer Teil seines Lebenswerks zerstört. Die herausragende architektonische Leistung Bartnings nach 1945 war die Entwicklung und Durchführung des Notkirchenprogramms, mit dem das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland den kriegsbedingten Mangel an Gotteshäusern zu lindern versuchte. Auf der Grundlage des Montageprinzips der Stahlkirche entwarf Bartning gemeinsam mit Hermann Hampe, Alfred Oswalt, Otto Dörzbach u. a. ein Typenprogramm, dessen rasche und kostengünstige Verwirklichung durch die Kombination serienmäßig vorgefertigter Konstruktionselemente mit örtlich vorhandenen Trümmermaterialien ermöglicht wurde. Als erste Musterausführung entstand 1948 die Auferstehungskirche in Pforzheim, weitere 47 Notkirchen konnten bis 1951 fertiggestellt werden. Mit der beispielhaften Lösung dieser schwierigen Bauaufgabe der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte Bartning seinen Ruf als führender Architekt des evangelischen Sakralbaues in Deutschland erneuert und bekräftigt. Die Ernennung zum Präsidenten des Bundes Deutscher Architekten (1951) und die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Technische Hochschule Aachen belegen seine hohe öffentliche Wertschätzung ebenso wie die Berufung zum Ausschußvorsitzenden der berühmt gewordenen Internationalen Bauausstellung in Berlin (1955) und zahlreiche weitere nationale wie internationale Auszeichnungen. Sein aktuell gebliebenes Wirken in Theorie und Praxis der Architektur vom Expressionismus und Funktionalismus bis hin zum Internationalen Stil sichern Bartning einen bleibenden Rang unter den herausragenden Baumeistern des 20. Jahrhunderts.
Werke: Vom neuen Kirchbau, Berlin 1919; Der evangelische Kultbau, in: Curt Hörn, Kultus und Kunst. Beiträge zur Klärung des evangelischen Kultusproblems, Berlin 1925, 47 ff.; Erdball, Oberursel 1947; Erde Geliebte. Spätes Tagebuch einer frühen Reise, Hamburg 1956; Spannweite. Aus Schriften und Reden ausgewählt und eingeleitet von Alfred Siemon, Bramsche 1958 (Baukunst des 20. Jh., Bd. 1); Vom Raum der Kirche. Aus Schriften und Reden ausgewählt und eingeleitet von Alfred Siemon, Bramsche 1958 (Baukunst des 20. Jh., Bd. 2); Entzückte Meerfahrt, Hamburg 1958; Der Geschändete, Darmstadt 1959.
Nachweis: Bildnachweise: Foto StAF, Bildnissammlung.

Literatur: Ernst Pollak, Der Baumeister O. Bartning Unser Lebensgefühl gestaltet in seinem Werk, Bonn 1926 (Monographien der Schaffenden, Bd. 1); O. Bartning/Ernst Neufert, Staatliche Bauhochschule Weimar. Aufbau und Ziel, Weimar 1927; Paul Girkon, Die Stahlkirche, Berlin 1928; Herbert Krimm, Die 48 Notkirchen. Entwurf und Leitung; Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland. Bauabteilung Neckarsteinach O. Bartning mit O. Dörzbach und A. Wechssler, Heidelberg 1949; Hans K. F. Mayer, Der Baumeister O. Bartning und die Wiederentdeckung des Raumes, Heidelberg 1951 1. Aufl. Darmstadt 1958 2. Aufl.; Jürgen Bredow/Helmut Lerch, Materialien zum Werk des Architekten O. Bartning, Darmstadt 1983.
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