Levi, Paul 

Geburtsdatum/-ort: 11.03.1883;  Hechingen
Sterbedatum/-ort: 09.02.1930
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt und sozialistischer Politiker
Kurzbiografie: 1889-1896 Königlich-Preußische Volks-und Realschule in Hechingen
1896-1901 Karls-Gymnasium in Stuttgart
1901-1904 Jurastudium an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (ein Zwischensemester in Grenoble); Erstes Staatsexamen
1905 Gerichtsreferendar am Hechinger Landgericht; Dr. jur. (Universität Heidelberg)
1905-1909 Referendar am Landgericht Frankfurt/Main und Limburg/Lahn; Mitarbeit in einem Frankfurter Anwaltsbüro
1909 Zweites Staatsexamen in Berlin; Niederlassung als Rechtsanwalt in Frankfurt/Main; Mitgliedschaft im Sozialdemokratischen Verein Frankfurt/Main
1914 Verteidiger Rosa Luxemburgs in den sogenannten „Luxemburg-Prozessen“ vor dem Frankfurter und Berliner Landgericht
1915-1919 Stadtverordneter in Frankfurt
1915-1916 Kriegsdienst in einem Landwehr-und Infanterieregiment im Elsaß; nach mehreren Hungerstreiks und Lazarettaufenthalten im Mai 1916 als „dienstunbrauchbar“ entlassen
1916-1917 Aufenthalt in der Schweiz; in enger Verbindung zu Lenin und seinem Kreis
1918 Nov. Mitglied in der Führung des neugegründeten Spartakusbundes und in der Redaktion der „Roten Fahne“
1919 Jan. Gründungsmitglied, seit März Führer der KPD
1920 Mitglied des Reichstags (für die KPD); im Dezember vom Vereinigungsparteitag von linker USPD und KPD – zusammen mit Ernst Däumig (USPD) – zum Parteivorsitzenden gewählt
1921 Rücktritt vom Parteivorsitz nach Differenzen mit der Komintern; im Mär. von der Partei ausgeschlossen wegen öffentlicher Kritik Levis an der sogenannten „Märzaktion“; im Sep. Gründungsmitglied der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG)
1922 Übertritt mit der KAG zur USPD und mit dieser zur SPD; Mitglied im Rechtsausschuss des Reichstags und Mitverfasser des „Republikschutzgesetzes“
1924 Mitglied des Reichstags (für die SPD); Herausgeber der Korrespondenz „Sozialistische Politik und Wirtschaft“
1929 Verteidiger im sogenannten „Jorns-Prozess“
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr. (bis 1910, dann konfessionslos)
Eltern: Vater: Jacob Levi (1845-1930), Textilfabrikant, Vorsteher der israelitischen Gemeinde Hechingen
Mutter: Kathie, geb. Heller (1854-1912)
Geschwister: Rosalie (geb. 1877)
Emil (geb. 1879)
Klara (1880-1881)
Jenni (1882-1961)
GND-ID: GND/118572318

Biografie: Ines Mayer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 160-162

In Levis Leben gab es zwei Schwerpunkte, die sich bis in seine Kindheit und Jugend zurückverfolgen lassen: die Justiz und die Politik. Er habe, so erzählte er später gern, bereits als dreizehnjähriger Gymnasiast seine Leidenschaft zur Juristerei entdeckt und Sitzungen des Stuttgarter Landgerichts besucht. Das Interesse an der Politik ist womöglich noch früher erwacht, wurde doch Levi schon im Elternhaus mit politischen Fragen konfrontiert. Der Vater, ein überzeugter Demokrat und Republikaner, nahm regen Anteil am kommunalpolitischen Geschehen und wurde nach der Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts für Juden durch die neue hohenzollerische Gemeindeordnung 1901 in die Hechinger Stadtverordnetenversammlung gewählt. Obwohl die Levis streng gläubig waren, übten sie wohl keinen religiösen Druck auf die Kinder aus – Paul Levi trat 1910 sogar aus der israelitischen Religionsgemeinschaft aus – und bewiesen außerdem ihre weltoffene Gesinnung, indem sie ihren Sohn Paul nicht auf die israelitische Volksschule schickten, sondern auf die staatliche Volks- und Realschule; mit dreizehn kam er dann auf das Karls-Gymnasium nach Stuttgart. Auch wenn er somit sein Elternhaus schon recht früh verlassen hatte, blieb er dennoch seiner Familie und seiner Heimat stets tief verbunden – er soll noch in den Zwanziger Jahren in Berlin bewusst geschwäbelt haben – und umgekehrt standen die Eltern und Geschwister solidarisch zu Levi, obwohl sie sich mit seiner späteren Entwicklung zu Spartakus und KPD nicht identifizieren konnten und wegen seines politischen Engagements in Hechingen zeitweise starken Anfeindungen ausgesetzt waren.
Nach dem Abitur nahm Levi das Studium der Rechtswissenschaft in Berlin auf und legte dort im November 1904 sein Erstes Staatsexamen ab. Danach war er als Gerichtsreferendar am Hechinger Landgericht und verfasste gleichzeitig seine Dissertation über „Das Verhältnis von Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsklage“, die er bei Prof. Jellinek in Heidelberg einreichte. Nach weiteren vier Jahren als Referendar und bestandenem Zweitem Staatsexamen ließ sich Levi 1909 als Rechtsanwalt in Frankfurt a. M. nieder. Schon zu Beginn seiner Anwaltstätigkeit trat sein sozialpolitisches Engagement deutlich zutage; seine ersten Prozesse führte er für Bauern aus der schwäbischen Heimat, die er – im Wissen um ihre prekäre soziale Lage – oft auf Armenrecht verteidigte. Levi hat seinen Beruf von Anfang an immer auch als politische Tätigkeit verstanden und im Laufe der Zeit gelernt, den Gerichtssaal als politisches Forum zu nutzen. Seit der Zabern-Affäre von 1913 verschrieb sich Levi, der noch im Jahr seiner Niederlassung in Frankfurt Mitglied im dortigen Sozialdemokratischen Verein geworden war, dem Kampf gegen den Militarismus. Diesem Einsatz verdankte Levi die nähere Bekanntschaft mit Rosa Luxemburg, die 1914 aufgrund ihrer antimilitaristischen Agitation zweimal vor Gericht gestellt wurde und Paul Levi zu ihrem Verteidiger bestimmte. In dieser Zeit entwickelte sich zwischen den beiden eine Liebesbeziehung, von der damals wenige wussten und die von der Forschung lange Zeit ignoriert oder marginalisiert worden ist. Nach der Levi-Biographin Quack ist die Liebe zu Rosa Luxemburg jedoch ein gar nicht zu überschätzender Faktor in Levis Leben gewesen. „Levis Antriebsfeder, die Quelle seiner politischen Handlungen der nächsten Jahre, vielleicht bis zu seinem Tod, ist diese Beziehung zu Rosa Luxemburg gewesen. War er bis zur Begegnung mit ihr ein begabter Anwalt und ein engagierter, differenziert denkender Politiker gewesen, so entwickelte er sich unter dem Einfluss dieser Beziehung zu einem radikalen Kämpfer, der vorübergehend die Kraft für eine Führerrolle hatte und sie – immer im Namen Rosa Luxemburgs – auch wahrnahm.“
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ sich Levi nicht von der allgemeinen Kriegseuphorie anstecken und hat wie nur wenige eindeutig Stellung bezogen. Im Widerspruch zur Politik seiner Partei hielt er Vorträge gegen den Krieg, bis er dann im April 1915 selbst als Landsturmknecht eingezogen wurde. Durch mehrere Hungerstreiks erzwang er seine Einlieferung in Lazarette und wurde im Mai 1916 als „dienstunbrauchbar“ entlassen. Daraufhin reiste er in die Schweiz, um sich von den Strapazen des Hungerstreiks zu erholen, vor allem aber um Kontakt zu den dort lebenden internationalen Sozialisten, insbesondere zu Lenin und seinem Kreis, aufzunehmen. In der Schweiz erfuhr er dann auch vom Ausbruch der russischen Februarrevolution und war mit daran beteiligt, Lenins Rückreise durch Deutschland zu ermöglichen.
Kurz darauf kehrte Levi nach Deutschland zurück und nahm seine Arbeit in der innerparteilichen Opposition, der sogenannten „Spartakusgruppe“, wieder auf, die sich im November 1918 unter dem Namen „Spartakusbund“ neu konstituierte und von der SPD löste. Levi wurde in die Parteizentrale gewählt und übernahm zusammen mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Redaktion der „Roten Fahne“. Mit diesen beiden trat Levi im Dezember als Redner auf den vom Spartakusbund einberufenen Massenkundgebungen auf – man sprach damals von den drei großen „L“ der Partei. Zur Jahreswende 1918/19 fand der Gründungsparteitag der KPD statt, auf dem sich Levi in einem engagierten Appell für eine Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung aussprach, am Ende jedoch von der Mehrheit der Delegierten überstimmt wurde. Bereits zwei Wochen später wurden die Parteiführer Luxemburg und Liebknecht, im März Leo Jogiches ermordet. Levi übernahm die Führung der Partei und versuchte, das „Erbe“ Rosa Luxemburgs in ihrem Sinne weiterzuführen. Es kam jedoch immer wieder zu Spannungen mit den Linksradikalen in der Partei und mit der Komintern, die 1921 im Ausschluss Levis aus der KPD gipfelten – Anlass war seine öffentliche Kritik an den von der Komintern initiierten und von der KPD durchgeführten Aufständen in Mitteldeutschland, der sogenannten „Märzaktion“. Levi, der sein 1920 für die KPD errungenes Reichstagsmandat beibehielt, gründete zusammen mit seinen Anhängern im September 1921 die KAG, mit der er 1922 zur USPD übertrat; diese vereinigte sich noch im selben Jahr mit der SPD. Levi vertrat dort bis zu seinem Tod den linken Flügel.
Seit den politischen Morden an Luxemburg und Liebknecht, und dann wieder an Erzberger und Rathenau hatte sich Levi für den Schutz der Republik eingesetzt und von Anfang an auf die Gefährdungen durch die alten Eliten in Militär und Justiz und das gemeinschaftliche Band, das „von ihnen bis in die Reihen der bürgerlichen Parteien hinein[gehe]“, hingewiesen. Nach dem Mord an Rathenau arbeitete er im Rechtsausschuss des Reichstags an der Ausarbeitung des Republikschutzgesetzes mit, musste aber in der Folgezeit resigniert mit ansehen, wie dieses von der Justiz zwar hart gegen links, aber allzu nachsichtig gegen rechts angewandt wurde.
Seinen größten Auftritt als Redner hatte Levi zweifellos im sogenannten „Jorns-Prozess“. Josef Bornstein, der verantwortliche Redakteur der Berliner Zeitschrift „Das Tagebuch“, hatte im März 1928 unter dem Titel „Kollege Jorns“ einen Artikel veröffentlicht, in dem er dem Ankläger im Luxemburg/Liebknecht-Prozess, dem damaligen Kriegsgerichtsrat und mittlerweile zum Reichsanwalt avancierten Paul Jorns, vorwarf, die Ermittlungen 1919 verschleppt und die Mörder begünstigt zu haben. Daraufhin reichte Jorns eine Beleidigungsklage ein, und im April 1929 fand der Prozess vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte statt, Bornsteins Verteidiger war Levi. Er nutzte die Gelegenheit, um die Hintergründe an der Ermordung der beiden Spartakusführer aufzudecken und das Versagen der Weimarer Justiz offenzulegen. In seinem fulminanten Schlussplädoyer, einer – wie Ossietzky gesagt hat – Rede von „wahrhaft dantonischem Format“, nannte er den Prozess „eine sittliche, eine staatliche Notwendigkeit“ und fuhr dann fort: „Meine Herren, der Fall Jorns und Liebknecht-Luxemburg, das war das Proton Pseudos, das war der erste Fall, in dem Mörder mordeten und wussten, die Gerichte versagen. Da begann jener schauerliche Zug von Toten, fortgesetzt im März 1919 schon und ging weiter die ganzen Jahre und Jahre, Gemordete und Gemordete; denn vom Fall Liebknecht-Luxemburg und vom Kriegsgericht der Gardekavallerie-Schützendivision und vom Kriegsgerichtsrat Jorns her wusste man, dass Morden noch lange nicht identisch ist mit Bestraftwerden.“ Am Ende erreichte Levi zwar einen Freispruch für seinen Mandanten, der aber am 14. Februar 1930 in der Berufungsinstanz vom Berliner Landgericht wieder aufgehoben wurde. Wenige Tage zuvor hatte sich Levi aus dem Fenster seiner Berliner Dachwohnung gestürzt. Ob es sich dabei um Selbstmord oder einen Unfall handelte – Levi litt zu der Zeit an einer Lungenentzündung und hatte hohes Fieber –, konnte nie eindeutig geklärt werden, dass Levis Tod jedoch ein tragischer und folgenreicher Verlust für die deutsche Arbeiterbewegung wie für die Weimarer Republik überhaupt gewesen ist, darauf hat der Historiker Arthur Rosenberg zu Recht hingewiesen.
Werke: NL im AdSB, Verzeichnis von Levis Reden und Schriften in: Personalbibliographie P. Levi 1883-1930, bearb. von Sibylle Quack und Rüdiger Zimmermann, in: Internationale wiss. Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung (IWK) 22 (1986), 20-62; Sammelband: P. Levi, Zwischen Spartakus und Sozialdemokratie. Schriften, Aufsätze, Reden und Briefe hg. und eingeleitet von Charlotte Beradt 1969.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im AdSB und in Quack (siehe Lit.).

Literatur: Charlotte Beradt, P. Levi. Ein demokratischer Sozialist in der Weimarer Republik 1969; Sibylle Quack, Geistig frei und niemandes Knecht. P. Levi – Rosa Luxemburg. Politische Arbeit und persönliche Beziehung. Mit 50 unveröffentlichten Briefen 1983; dies., P. Levi (1883-1930). Politischer Anwalt und sozialistischer Politiker, in: Kritische Justiz, (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, FS Jürgen Seifert zum 60. Geburtstag 1988, 131-140; Hermann Weber, Levi, in: NDB 14, 397 f.; Ines Mayer, P. Levi, in: Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, hg. von Reinhold Weber/Ines Mayer (SpLBW 33), 2005, 137-146.
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