Sander, Ernst Leo Emil 

Geburtsdatum/-ort: 16.06.1898; Braunschweig
Sterbedatum/-ort: 01.07.1976;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Schriftsteller, Übersetzer
Kurzbiografie: 1904-1908 Volksschule Braunschweig
1908-1916 Herzog-Johann-Albrecht-Oberrealschule (heute Hoffmann-von-Fallersleben-Schule) Braunschweig, mit Notabitur (November 1916)
1917-1918 Kriegsteilnehmer Frankreich
1919-1920 Studium TH Braunschweig (Neuere Sprachen und Kunst)
1920-1922 Studium Universität Berlin (Germanistik, Klassische Archäologie, Musikwissenschaft)
1921 Studium Universität Rostock und Promotion Dr. phil. Thema der Dissertation „Johannes Schlaf und das naturalistische Drama“
1923-1924 Redaktionsvolontär Braunschweig; danach Verlagslektor Berlin
1924-1929 Redakteur Reclam-Verlag Leipzig
1929-1932 freier Schriftsteller Braunschweig; danach Hamburg
1931 Mitglied des PEN-Clubs
1932-1939 Kritiker und Feuilletonist „Hamburger Nachrichten“ und „Hamburger Fremdenblatt“
1939-1942 Kriegsteilnehmer Frankreich und Rußland
1942-1943 literarische Tätigkeit Hamburg
1943-1944 Schütze am Nordabschnitt der Ostfront
1948-1960 Wohnsitz Badenweiler
1953 Wiederwahl in den neugegründeten deutschen PEN-Club
1960 Wohnsitz Magliasina (Tessin)
1960-1976 Wohnsitz Freiburg
1963 Officier de l’Ordre des Palmes Académiques; Gleim-Becher
1965-1971 Erscheinen der 1. vollständigen und ungekürzten deutschen Gesamtausgabe der „Comédie humaine“ von Balzac
1970 Professor-Titel des Landes Baden-Württemberg
1974 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: konfessionslos
Verheiratet: 1. Gertraud, geb. Onnasch (1934-1946)
2. Ruth, geb. Stubbe (1946-1960)
3. Dr. Irma, geb. Schauber (1961)
Eltern: Vater: Emil Sander, Kaufmann
Mutter: Margarete, geb. Wöhlert
Geschwister: 1 Schwester
Kinder: 2 aus 1. Ehe
GND-ID: GND/118605372

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 311-321

Kindheit und Jugend verbrachte Sander in Braunschweig. Nach dem Abitur wurde er als Fernmelder einer badischen Nachrichtenabteilung an die Westfront eingezogen. Es war für ihn die erste Begegnung mit dem Land, durch das er eine nachhaltige geistige Formung erhalten sollte.
Früh schon hatte Sander seine literarische Neigung entdeckt. Daher faßte er nach Kriegsende einen philologischen Studiengang ins Auge. Für seine intellektuelle Vielseitigkeit spricht, daß er nicht das übliche Spezialstudium ansteuerte. Im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals erstrebte er eher ein durch interdisziplinäre Querverbindungen angereichertes Allgemeinwissen. Als Ergebnis seiner „summa cum laude“ erfolgten Promotion ermunterte ihn sein Doktorvater zur Habilitation. Sander schlug dieses ehrenvolle Angebot aus. Mag für ihn vordergründig die besondere wirtschaftliche Situation der Inflationsjahre ausschlaggebend gewesen sein, so spricht doch einiges dafür, daß er sich in seinem Innersten zu einer freiberuflichen Tätigkeit als Schriftsteller hingezogen fühlte.
Die nach Abschluß des Studiums eingeschlagene Laufbahn als Redakteur führte zur Anstellung beim Reclam-Verlag. Neben der Besorgung mehrerer Ausgaben erwarb sich Sander besondere Verdienste durch die Betreuung der Verlagsreihe „Junge Deutsche“. Mehreren jungen Autoren (E. Penzoldt, M. Hausmann, O. Heuschele, E. Ebermayer u. a.) konnte er so zum Durchbruch verhelfen. Seine Leipziger Verlagstätigkeit brachte ihm aber auch die persönliche Bekanntschaft mit einigen großen Autoren des 20. Jahrhunderts ein (St. Zweig, H. von Hofmannsthal, G. Hauptmann, Th. Mann und R. Huch). Sander selbst erwies sich bereits in jenen Jahren als erfolgreicher Schriftsteller. Daher verließ er 1929 den Reclam-Verlag, um sich künftig nur noch freiberuflich zu betätigen. Jedoch zwang ihn die wirtschaftliche Notlage der beginnenden Dreißigerjahre, erneut als Journalist zu arbeiten. In Hamburg schrieb er als Kunstkritiker für zwei angesehene Zeitungen, deren Schriftleiter er zeitweilig war.
Obwohl Sander nach 1933 nicht in die politischen Auseinandersetzungen eingriff, galt er den neuen Machthabern als mißliebig, da mehrere seiner Bücher bei dem jüdischen Verleger Kurt Enoch erschienen waren. Sein Nachruf auf Jacob Wassermann in den Hamburger Nachrichten (1934) führte zu zwei Hausdurchsuchungen. Es lag in der Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie, daß anläßlich der Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst“ in München (1937) auch Sander als „entarteter Kunstkritiker“ angeprangert wurde.
Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges als Reserveoffizier eingezogen, brachten ihm seine kritischen Äußerungen gegenüber Partei und Staat Denunziation, Haft und Degradierung ein. Seine „politische Unzuverlässigkeit“ bewirkte, daß er in der Folge des 20. Juli 1944 endgültig aus dem Heer ausgestoßen wurde. Bis zum Einrücken der Engländer konnte er auf einem holsteinischen Gut bei Freunden untertauchen.
Die wohl fruchtbarste Schaffensperiode im Leben Sanders setzte nach dem 2. Weltkrieg ein. Rein äußerlich war sie gekennzeichnet durch seine Übersiedlung nach Badenweiler (1948) und danach nach Freiburg (1960). Sander, bereits seit langem mit dem französischen Kultur- und Geistesleben vertraut, schien mit seinem neuen Wohnsitz am Oberrhein auch die räumliche Nähe zu Frankreich zu suchen. Als seine wohl bedeutendsten Werke entstanden in rascher Folge die Romane „Das dalmatinische Abenteuer“ (1952), „Ein junger Herr aus Frankreich“ (1958), in dem sich starke autobiographische Züge wiederfinden; 1959 erschienen „Die Schwestern Napoleons“ sowie der Anekdotenband „Eine Nuß und sieben Millionen“.
Obwohl seiner inneren Veranlagung nach ein gemütvoller und phantasiebegabter Mensch, war Sander auffallend stark vom rationalistischen Denken der französischen Aufklärung geprägt; in ihr sah er seine eigentliche geistige Heimat. Wie die Philosophen des 18. Jahrhunderts begriff auch er die Literatur als ein immer lebendiges Experimentierfeld des menschlichen Geistes. Durch sein umfangreiches schriftstellerisches Werk aber hat er seiner Zeit auch ein grundlegendes humanistisches Denken vermittelt, das der Menschheit durch zwei Weltkriege und die Jahre der Diktatur entfremdet zu werden drohte.
Einen markanten Schwerpunkt in Sanders literarischem Schaffen bildete seine herausragende Tätigkeit als einfühlsamer Übersetzer einer Reihe bedeutender französischer Autoren (Balzac, Flaubert, Maupassant, Montherlant, Romains u. a.). Da er der französischen Sprache in sämtlichen Nuancen mächtig war, hat er mit seinen Übertragungen literarische Kostbarkeiten hervorgebracht, die den Originalwerken durchaus ebenbürtig sind. Im ganzen umfaßt Sanders Übersetzungswerk etwa 350 Bände; darunter finden sich auch zahlreiche klassische und zeitgenössische Werke der italienischen, englischen und amerikanischen Literatur. Zahlreich sind auch die Ehrungen, die Sander als Schriftsteller und Übersetzer zuteil wurden. Schon 1931 wurde er in den PEN-Club aufgenommen; auf Empfehlung von Erich Kästner erfolgte 1953 seine Wiederwahl. Anläßlich seines 65. Geburtstages verlieh ihm die Französische Republik wegen seiner herausragenden Verdienste als Kulturvermittler zwischen dem deutschen und französischen Volk die Offiziersklasse des Ordens „Palmes Académiques“; der niedersächsische Schriftsteller und Jugendfreund Ludwig Bäte überreichte ihm in Osnabrück den silbernen Trinkbecher des anakreontischen Dichters J. W. Ludwig Gleim, der ebenfalls für völkerverbindende Leistungen als Wanderpokal weitergegeben wird. 1970 erhielt er den Professorentitel des Landes Baden-Württemberg, und auf Vorschlag von Hilda Heinemann wurde er Stipendiat der Theodor-Heuss-Stiftung. Zusammen mit seiner Gattin weilte er im Studienjahr 1972/73 als Ehrengast in der Villa Massimo, dem Sitz der Deutschen Akademie in Rom. Seit 1974 war Sander Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Werke: Bibliographie Ernst Sander, zusammengestellt von H.-A. Koch und U. Koch, in: Sprachkunst und Übersetzung. Gedenkschrift Ernst Sander, hg. von H.-A. Koch, Bern 1983, 169-201; Richard Moderhack, Die Sammlung Ernst Sander im Stadtarchiv und in der Stadtbibliothek Braunschweig, a. a. O., S. 153-168
Nachweis: Bildnachweise: Fotos StAF, Bildnissammlung

Literatur: Jürgen von Stackelberg, Weltliteratur in deutscher Übersetzung. Vergleichende Analysen, München 1978, 184-203; Veröffentlichungen über Ernst Sander, in: Sprachkunst und Übersetzung. Gedenkschrift Ernst Sander, hg. von H.-A. Koch, S. 198-200 (ca. 30 Titel), Bern 1983; R. Moderhack, Ernst Sander zum Gedenken, in: Kleine Schriften des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Braunschweig, Nr. 9, Braunschweig 1983; Das literarische Werk Ernst Sanders, hg. von M. Garzmann, in: Kleine Schriften des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Braunschweig, Nr. 17, Braunschweig 1988
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