Wolf, Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 23.12.1888; Neuwied
Sterbedatum/-ort: 05.10.1953; Lehnitz bei Berlin
Beruf/Funktion:
  • Arzt und Schriftsteller
Kurzbiografie: 1899-1906 Gymnasium Neuwied
1906-1912 Studium in Heidelberg (Medizin), unterbrochen durch Militärdienst (Pionierunteroffizier), München (Kunstgeschichte), Tübingen, Bonn und Berlin (Medizin, Philosophie), Staatsexamen
1908 Reise (weitgehend Fußwanderung) nach Italien von München über Venedig bis Rom
1913 Dr. med. „Die multiple Sklerose im Kindesalter“, Approbation, Assistenzarzt in Meißen, Dresden und Bonn
1914-1918 Schiffsarzt, mit Kriegsausbruch als Truppenarzt eingezogen, 1916 verwundet, Dezember 1916 Lazarettarzt in Arnsdorf bei Dresden, Frühjahr 1917 Westfront, 1918 zeitweise Ostfront, danach wieder im Westen, nach pazifistischen Aktionen Lazaretteinweisung nach Kipsdorf, bald wieder dort als Arzt, aktive Teilnahme an der Novemberrevolution, Eintritt in die USPD
1919 Kurzzeitige Verhaftung wegen Teilnahme an der Rosa Luxemburg/Karl Liebknecht-Demonstration
1920-1921 Stadtarzt in Remscheid, wo Wolf als erster in Deutschland ein klinisch organisiertes Fürsorgewesen für Mütter und Kleinkinder aufbaut
1920 Teilnahme an den Ruhrkämpfen gegen den Kapp-Putsch
1921-1927 Nach zeitweisem Aufenthalt in der Siedlungsgemeinschaft „Barkenhof“ Heinrich Vogelers (in Worpswede bei Bremen), Kassenarzt in Hechingen
1927 Umzug nach Höllsteig/Bodensee
1927-1933 Übersiedlung nach Stuttgart, Tätigkeit als Kassenarzt (mit homöopathischer Ausrichtung)
1928 Eintritt in die KPD
1931 Verhaftung wegen angeblichen Verstoßes gegen § 218. Massenproteste erzwingen Freilassung. Kleist-Preis für das Revolutionsstück „Die Matrosen von Cattaro“
1932 Umfangreiche Vortrags- und politische Agitationstätigkeit mit Arbeitertheater in ganz Südwestdeutschland; Besuch in der Sowjetunion
1933 III.01. Emigration über Österreich, Schweiz und Frankreich in die Sowjetunion (bis 1945)
1934 Reise nach Warschau
1935 VI.11. Ausbürgerung aus Deutschland; Einladung in die USA, Vortragsreise, Teilnahme am 1. Amerikanischen Schriftstellerkongreß in New York
1936 Vortragsreise nach Skandinavien
1938 Reise nach Frankreich, um am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen, was nicht mehr gelingt. Weiterer Aufenthalt in Paris und Sanary-sur-Mère
1939 Bei Kriegsausbruch Internierung im Lager Le Vernet, später Carpiagne und Les Milles, 1941-1945 Flucht, Rückkehr (über Italien und Ungarn) in die Sowjetunion. Bis 1945 Kriegsteilnahme auf sowjetischer Seite, vorwiegend als Propagandist an der Front und in Gefangenenlagern, 1943 Mitbegründer des „Nationalkomitees Freies Deutschland“
1945 IX Rückkehr nach Deutschland, kulturpolitisches Engagement in Kulturbund, Rundfunk und Theater
1946 Mitbegründer der DEFA
1948 Übersiedlung nach Lehnitz bei Berlin, Herausgeber der Zeitschrift „Volk und Kunst“
1949 Botschafter der DDR in Polen (bis 1951)
1953 Stirbt an seinem Wohnort Lehnitz (Herzinfarkt)
Weitere Angaben zur Person: Religion: israelitisch
Verheiratet: 1. 1914 Koblenz, Kaethe, geb. Gumpold, gesch. 1921
2. 1922 Else, geb. Dreibholz (geb. 1898)
Eltern: Max (1860-1919), Kaufmann
Ida, geb. Meyer (1866-1926)
Geschwister: keine
Kinder: aus 1. Ehe Johanna (geb. 1915), Lukas Friedemann (geb. 1919)
aus 2. Ehe Markus (geb. 1923), Konrad (1925-1982)
GND-ID: GND/118634674

Biografie: Erich Kleinschmidt (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 464-466

Wolfs Biographie und sein Werk sind von großem sozialen Engagement geprägt, allerdings auch nicht frei von politischen Orientierungsproblemen. Aufgewachsen in einem jüdischen Milieu, das Wolf auch später nie verleugnete und das er sich auch durch eine populäre Bearbeitung alttestamentlicher Stoffe („Das Heldenepos des Alten Bundes“ 1925) darstellerisch erschloß, setzt früh die Beschäftigung mit Literatur ein (erste eigene Schreibversuche ab 1906, Eigendrucke ab 1910, Veröffentlichungen in Zeitschriften ab 1912). Der Kontakt mit der Jugendbewegung, der seinen Vorbehalten gegen bürgerliche Konventionen entgegenkam, prägt ihn lebensreformerisch. Die Teilnahme am I. Weltkrieg erfolgt zunächst mit positiver Einstellung, die sich ab 1916 zu entschiedener Kriegsgegnerschaft wandelt. Daraus resultieren erste ernsthafte Dramatik („Mohamed“ 1917, Druck 1924 als „Oratorium“) sowie zunächst unpublizierte Erzählungen und Skizzen (u. a. „Langemarck“ 1917). Das expressionistische Theater beeinflußt sein erstes veröffentlichtes und gespieltes Stück „Das bist Du“ (1919). Durch die Erfahrung der Revolution 1918/19 geprägt, schreibt Wolf fortan engagierte politische Dramatik und Prosa im Sinn der programmatischen Politformel „Kunst ist Waffe“ (1928), um einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten. Bestimmen ihn dabei zunächst noch ein sozialistischer Utopismus („Die schwarze Sonne“ 1921) und expressionistische Ästhetik („Tamar“ 1919), so wendet er sich bald historischen Stoffen zu. Der Bauernkrieg dient ihm als Modell zur Darstellung revolutionärer Bewegungen. „Der arme Konrad“ (1924) bedeutet für ihn den Durchbruch als Dramatiker, den das Zeitstück „Kolonne Hund“ (1926) fortsetzt. Daneben entstehen zivilisationskritische Arbeiten wie der Zeitroman „Kreatur“ (1926) und der (eigene Erfahrungen der Ruhrkonflikte reflektierende) Novellenband „Kampf im Kohlenpott“ (1928), vor allem aber auch medizinische und sozialhygienische Lehrschriften mit volkserzieherischer Zielsetzung, darunter das Hauptwerk „Die Natur als Arzt und Helfer“ (1928). Der Eintritt in die KPD (1928) und die Zugehörigkeit zum „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ (1929) radikalisiert seine Theaterarbeit, deren wirksamstes Stück um den Abtreibungsparagraphen 218 „Cyankali“ ist (1929, 1930 verfilmt).
Wolf gewinnt mit dieser Tragödie aber auch künstlerische Form, die auch seine experimentellen, für die Berliner Piscator-Bühne konzipierten Revolutionsstücke „Die Matrosen von Cattaro“ (1930) und „Tai Yang erwacht“ (1930) aufweisen. Dem neuen Medium Rundfunk widmet er sich ebenso aufgeschlossen („Hörspiele“ 1930). Seine Dramaturgie orientiert sich zwar an Prinzipien des sozialistischen Klassenkampfes, vermag diese Konstellation aber ästhetisch wirksam zu gestalten, was die Dramen bis heute spielbar macht. Wolfs Stücke zählen, wenn auch nicht immer auf gleicher Höhe, deshalb zu den überzeugenden Beispielen eines politischen Theaters der Weimarer Republik (mit zum Teil deutlichem Agitationscharakter wie „Bauer Baetz“ 1932), dessen Summe sein heute schon klassisch zu nennendes, den deutschen Antisemitismus und die „Tragödie der westlichen Demokratie“ (Untertitel) thematisierendes Drama „Professor Mamlock“ (1933) markiert. Es ist, unmittelbar nach der Machtergreifung entstanden, das meistgespielte Theaterstück des Exils gewesen (22 Inszenierungen bis 1945; Verfilmung schon Moskau 1938, dann nochmals durch den Sohn Konrad Wolf bei der DEFA 1961). Ein ähnlich die unmittelbaren politischen Zeitereignisse aufgreifendes Theater ist dann noch „Floridsdorf (1934, Druck 1935), „ein Schauspiel von den Februarkämpfen der Wiener Arbeiter“ (Untertitel).
In der Emigration, in der er auch als Publizist zu wirken versucht, verflachten dann vor allem unter den Moskauer Schreibbedingungen, aber auch denen der Internierung in Frankreich Qualität und Schärfe der Dramatik („Von New York bis Shanghai“ 1936, „Das Schiff auf der Donau“, entstanden 1938/39, „Beaumarchais oder die Geburt des Figaro“ 1941, „Dr. Wanner“, entstanden 1944), und Wolf wendet sich der zeitbezogenen Prosa zu (u. a. der Emigrantenroman „Zwei an der Grenze“ 1938, die Erzählungen „Der Russenpelz“ 1942, „Heimkehr der Söhne“ 1944, „Lucie und der Angler“ 1946).
Nach der Rückkehr in die DDR entstehen zwar noch von Wolf selbst problematisch eingeschätzte Dramen („Bürgermeister Anna“ 1950, „Thomas Münzer“ 1952), Romane („Die Unverlorenen“ 1951, „Menetekel“ 1952), Erzählungen und (zumindest in der DDR sehr erfolgreiche) Texte für Kinder (darunter als bekannteste „Bummi“ und „Weihnachtsgans Auguste“), doch gelingt der Anschluß an das Niveau, aber auch an die Wirkung der 1920er Jahre nicht mehr. Wolfs Rezeption blieb trotz offizieller Anerkennung durch die DDR insgesamt begrenzt. In Westdeutschland wurde Wolf nach einer kurzen Phase (1945-1947), wo man noch das „Mamlock“-Drama überall spielte, weitgehend vergessen. Dieser Rezeptionssituation folgt die wenig profilierte und differenzierte Forschungslage, die nach 1989 stagniert.
Quellen: Nachlaß: Friedrich-Wolf-Archiv, in: Stiftung Archiv der Deutschen Akademie der Künste, Berlin; Zum Bestand Gertrude Albrecht/W. Pollatschek, Zum Nachlaß Friedrich Wolfs, in: Sinn und Form 20 (1968), 1310-1338
Werke: Bibliographische Erfassung der Erstdrucke bei P. Raabe (Hg.), Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus, 1985 bzw. 2. Aufl. 1992, Nr. 334. Das Werk Wolfs liegt in einer umfangreichen (noch von Wolf mitkonzipierten) Werkauswahl (14 Bde., hg. Else Wolf/W. Pollatschek, 1951-1960) sowie in einer verbesserten Edition „Gesammelte Werke“ (16 Bde. ebd. 1960-1967) vor. Ergänzend dazu ist das Frühwerk (einschließlich unveröffentlichter Nachlaßtexte) des jungen Wolf (bis 1919), hg. von Emmi Wolf/Brigitte Struzyk, 1988 erschienen. Zur Filmarbeit Wolfs Ruth Herlinghaus (Hg.), Friedrich Wolf und der Film. Aufsätze und Briefe 1920-1953, 1988; Dokumente zur Lebensgeschichte bei H. Müller, Friedrich Wolf. Weltbürger aus Neuwied, 1988; Material zur Stuttgarter Lebensphase bei M. Kienzle, Friedrich Wolf. Die Jahre in Stuttgart 1927-1933 (Katalog), 1983
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Berliner Nachlaß, davon viele in den oben angegebenen Dokumentationen

Literatur: W. Pollatschek, Friedrich Wolf, 1963; W. Jehser, Friedrich Wolf. Leben und Werk, 1965 u. ö.; Cecylia Zalubska, Der literaturtheoretische Werdegang Friedrich Wolfs im Spiegel seiner Dichtung, 1968; U. R. Sacksofsky, Friedrich Wolfs Dramatik von 1924-1931 und ihre Beurteilung in der Kritik (Dissertation Köln) 1971; Emmi Wolf/K. Hammer (Hgg.), Cyankali von Friedrich Wolf. Eine Dokumentation, 1978; W. Jehser, Friedrich Wolf. Leben und Werk, 1982; M. Schnabel, Autorenporträt Friedrich Wolf zum 100. Geburtstag, 1988; K. Hammer, Weltanschauliche Entwicklung und ästhetische Konzeption Friedrich Wolfs von den Anfängen bis 1929 (Habilitationsschrift Jena) 1984; Lew Hohmann, Friedrich Wolf. Bilder seiner deutschen Biographie, 1988; H. Müller, Wer war Friedrich Wolf? Friedrich Wolf (1888-1953) in Selbstzeugnissen, Bilddokumenten und Erinnerungen, 1988; ders., Der frühe Friedrich Wolf. Kindheitsmuster und Lebenslinien (Habilitationsschrift Berlin) 1989 (Abstract in: Weimarer Beiträge 36, 1990, 823-836); ders., Als deutscher Jude, Schriftsteller und Journalist. Jüdische Traditionslinien bei Friedrich Wolf, 1990; Manfred Bosch, Bohème am Bodensee 1997, darin Friedrich Wolf 133-137
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