Beling, Ernst von 

Geburtsdatum/-ort: 19.06.1866; Glogau/Schlesien
Sterbedatum/-ort: 18.05.1932; München
Beruf/Funktion:
  • Prof. der Rechtswissenschaft an der Universität Tübingen
Kurzbiografie: 1885 Reifeprüfung am Johannesgymnasium in Breslau
1885-1888 Rechtswissenschaftliches Studium, zunächst 3 Semester in Leipzig, dann in Breslau. Durch K. Binding wurde das Interesse am Strafrecht geweckt
1890 Promotion an der juristischen Fakultät der Universität Breslau
1893 Große juristische Staatsprüfung in Berlin
1893 Habilitation an der Universität Breslau bei Hans Bennecke für Strafrecht, Strafprozess-, Zivilprozess-und Völkerrecht. Die Habilitationsschrift erschien 1894 unter dem Titel „Retorsion und Kompensation von Beleidigungen und Körperverletzungen. Teil I: Geschichtliche Entwicklung“
1897 Extraordinariat an der Universität Breslau für Strafrecht, Strafprozessrecht, Völkerrecht, internationales Privat-und Strafrecht und Einführung in die Rechtswissenschaft
1898 ordentlicher Prof. an der Universität Breslau als Nachfolger von Hans Bennecke
1900 Wechsel an die Universität Gießen (Lehrstuhl Reinhard Frank)
1902 Berufung an die Universität Tübingen auf den durch den Tod Hugo Meyers freigewordenen Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
1913 Übernahme des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität München (Nachfolger Birkmeyers)
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrenkreuz des Ordens der württembergischen Krone, verbunden mit dem persönlichen Adel (1912); entsprechend seiner schlichten und bescheidenen Art hat Beling von dem Adelsprädikat keinen Gebrauch gemacht. Verleihung des Titels und Ranges eines Königlichen Geheimen Hofrates (1918); Verleihung des Titels Geheimer Rat (1926)
Verheiratet: Toni, geb. Helm
Eltern: Vater: Oskar Beling, Geheimer Justizrat und Landgerichtsdirektor
Mutter: Hedwig, geb. Paul
Geschwister: 1 Schwester
Kinder: 1 Sohn
2 Töchter
GND-ID: GND/118655086

Biografie: Hartwig Plate (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 13-15

Beling entstammte einer preußischen Beamten- und Juristenfamilie. Sein Elternhaus gab ihm – wie er in seiner Autobiographie gesagt hat – ein greifbares Vorbild für grundsatzfeste, auf Bescheidenheit, Pflichterfüllung und rechtlichen Sinn gerichtete Lebensführung (Planitz, 1). Die Tübinger Zeit brachte seinen wissenschaftlichen Rang. Mit seiner Monographie „Die Lehre vom Verbrechen“ aus dem Jahre 1906 wurde er zum eigentlichen Begründer der strafrechtlichen Tatbestandslehre, indem er den Terminus „Tatbestand“, der in sehr vielfältiger und unterschiedlicher Art benutzt wurde, als dogmatischen Grundbegriff erkannte und herausarbeitete. In seiner 1908 erschienenen Arbeit „Die Vergeltungsidee und ihre Bedeutung für das Strafrecht“ bezog Beling sodann Stellung in dem sogenannten Schulenstreit zwischen der „soziologischen Schule“ Liszts und der „klassischen Schule“ Bindings sowie Birkmeyers und wurde zu einem der Führer der klassischen Richtung. Grundlegend beteiligte sich Beling auch an der wissenschaftlichen Diskussion über die ersten Versuche einer Strafrechtsreform, insbesondere der Schuldlehre des Vorentwurfs von 1909. In den Amtsperioden 1905/1906 und 1910/1911 war Beling Dekan der Juristischen Fakultät. Für das Rektoratsjahr 1912/1913, in das die Einweihung der neuen Universitätsbibliothek fiel, wurde er zum Rektor gewählt.
Den Wechsel nach München vollzog Beling trotz aller beruflichen Befriedigung und Anerkennung, die er in Tübingen gefunden hatte. Entscheidend für seinen Entschluss dürfte gewesen sein, dass der Münchner Lehrstuhl neben Straf- und Strafprozessrecht auch Rechtsphilosophie umfasste. Belings Denken war schon früh geprägt von neukantianischem Gedankengut. Diese rechtsphilosophische Grundeinstellung bestimmte bereits die Grundlinien seiner Strafrechtsdogmatik, wie er sie in dem Tübinger Jahrzehnt festgelegt hatte. Es drängte ihn, sich nun auch der Rechtsphilosophie grundlegend zu widmen. So war der Wechsel von Tübingen nach München ein notwendiger und konsequenter Schritt für Belings volle Entfaltung. Schon seine Antrittsvorlesung hatte das Thema „Strafrecht und Rechtsphilosophie“ zum Gegenstand. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen mit rechtsphilosophischen Themen. Seine intensive Beteiligung an der wissenschaftlichen Diskussion auf diesem Feld spiegelt sich auch wider in der großen Zahl von ausführlichen Besprechungen rechtsphilosophischer Schriften in der Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, deren Mitherausgeber er seit 1919 war. Belings Münchner Zeit war zunächst überschattet von dem Ersten Weltkrieg. Später, in der Weimarer Republik, nahm er durch wissenschaftliche Beiträge auch am politischen Tagesgeschehen teil. So erstattete er in mehreren politischen Prozessen, z. B. im Marburger Studentenprozess, im Ludendorffprozess, Ebertprozess und Köllingprozess, Gutachten und nahm – zum Teil auch in der Tagespresse – zu aktuellen Fragen wie Ausnahmegerichtsbarkeit oder Todesstrafe Stellung.
Belings Bedeutung als Wissenschaftler liegt in seiner konsequenten Begriffs- und Systembildung. Er schuf das Leitbild einer auf das Ganze gerichteten Strafrechtsdogmatik, das bis heute seine Leuchtkraft behalten hat. Sein Werk stellt sich als eine ganz eigenständige und individuelle Art des Zuendedenkens neukantianischer Grundgedanken auf dem Gebiet des Strafrechts dar. In Anlehnung an die kritische Wertlehre von Windelband, Rickert, Lask suchte Beling das Recht als etwas empirisch Wahrnehmbares zu erfassen, und zwar als eine „massenpsychologische Tatsächlichkeit“, welche er darin sah, dass in jedem Verbande eine „tonangebende Schicht“ von Menschen vorhanden sei, bei denen bestimmte Vorstellungen darüber herrschten, in welchen Bahnen sich das gesellschaftliche Leben bewegen solle. Indem er aber das Recht nur als eine faktische Ansammlung von wertenden Vorstellungen begriff, musste es ihm als ein gestaltloser Stoff erscheinen, der erst durch die „formende Verstandestätigkeit“ Strukturen erhielt. Dementsprechend sah er seine Aufgabe als Systematiker darin, die „denknotwendigen Sinnzusammenhänge“ des Strafrechts aufzudecken. Die „Grundbegriffe“, auf die er hierbei stieß, waren ihm „rechtserkenntnistheoretische Kategorien“, „rationale Denkformen“, die die doppelte Funktion der Problemstellung und des Ordnens hatten. Der Grundbegriff des Tatbestandes hatte für Beling die Funktion, das „charakterisierende“ oder „individualisierende“ Moment zum Ausdruck zu bringen, das dem Strafrecht dadurch anhafte, dass der Strafgesetzgeber aus dem Gesamtbereich des schuldhaft – rechtswidrigen und strafwürdigen Tuns einzelne menschliche Verhaltensweisen in ihrer „Solchartigkeit“ „charakterisiere“.
hohes Ethos und sein besonderes Interesse am Logisch-Methodischen machten ihn zu einem berufenen akademischen Lehrer. Aus dem Kreis seiner Schüler stammen verschiedene spätere Strafrechtslehrer, insbesondere Freudenthal, Mezger, Baumgarten, Kern, Foltin und Engisch. Belings geistiger Einfluss war auch im Ausland erheblich. Das Fragen nach dem Denkverfahren, das Beling in seiner Strafrechtsdogmatik so konsequent durchgeführt hat, erwies sich in seinen Übungen – neben Strafrechtsübungen hielt er auch regelmäßig Übungen im Strafprozessrecht ab – als außerordentlich fruchtbar; ist doch eine Systematik nach dem Denkverfahren, ein System allgemeiner „Grundbegriffe“ unbestreitbar Voraussetzung für eine berechenbare und gleichmäßige Rechtsanwendung im Wege der sogenannten Subsumtion, unabhängig davon, dass nach unserer heutigen Meinung die Systematik hierüber hinaus noch die Aufgabe hat, die dem Recht immanenten Prinzipien zum Zwecke eines tieferen Sinnverständnisses sichtbar zu machen.
Quellen: PA und Lehrstuhlakte im UA Tübingen; PA im UA München.
Werke: (Auswahl) Grundzüge des Strafrechts, 1. Aufl. 1899, 11. Aufl. 1930; Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitsfindung im Strafprozess, 1903 (Tübinger Antrittsvorlesung), ND 1968; Die Lehre vom Verbrechen, 1906; Die Vergeltungsidee und ihre Bedeutung für das Strafrecht, in: Kritische Beiträge zur Strafrechtsreform, Bd. 1-4, 1908, 160, ND 1978; Unschuld, Schuld und Schuldstufen im Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1910, ND 1971; Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht in der Ausübung der deutschen Strafrechtspflege (Tübinger Rektoratsrede), 1913; Versailler Friede und deutsche Rechtspflege, in: FG für O. Liebmann, 1920, 15ff.; Methodik der Gesetzgebung, insbesondere der Strafgesetzgebung, 1922; Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 1923; Revolution und Recht, 1923; Autobiographie in: Hans Planitz, Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 2, 1925, 1 ff., Schriftenverzeichnis (Auswahl) 25 f.; Deutsches Reichsstrafprozessrecht mit Einschluss des Strafgerichtsverfassungsrechts, 1928; Die Lehre vom Tatbestand, 1930; Apriorität des Rechtsbegriffs? in: Studi filosofico-giuridici dedicati a Giorgio del Vecchio, vol. I, 1930, 26 ff.; Vom Positivismus zum Naturrecht und zurück, in: FG für Philipp Heck, Max Rümelin, Arthur Benno Schmidt, 1931, 1 ff.
Nachweis: Bildnachweise: Foto UB Tübingen L XV 483 Nr. 186 (Album der Tübinger Dienstagsgesellschaft), abgedruckt in: Ferdinand Elsener, Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät, 1977, Abb. 6; Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 2. Aufl., 1959, nach 160; Hans Planitz, Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 2, 1925, vor 1.

Literatur: Eduard Kern, E. Beling. Ein Nachruf, in: Der Gerichtssaal, Bd. 103, 1933, 64 ff.; Dietrich Lang-Hinrichsen, E. Beling, in: NDB, 2, 28 f.; Hartwig Plate, E. Beling als Strafrechtsdogmatiker. Seine Lehren zur Begriffs- und Systembildung, 1966; ders., E. Beling als Strafrechtsdogmatiker. Eine Betrachtung zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages, in: Juristenzeitung (1966), 393 ff.; ders., E. Beling, Strafrechtslehrer in Tübingen von 1902-1913, in: Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät, 1977, 121 ff.; Wolfgang Schild, Die Aktualität E. Belings, in: Juristische Blätter 97 (1975), 281 ff.
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