Lender, Franz Xaver Leopold 

Geburtsdatum/-ort: 20.11.1830;  Konstanz
Sterbedatum/-ort: 29.07.1913;  Sasbach
Beruf/Funktion:
  • Priester und Zentrumspolitiker
Kurzbiografie: 1837-1842 Volks- und Höhere Bürgerschule Konstanz
1842-1848 Gymnasium Konstanz
1848-1850 Besuch theologischer und philosophischer Vorlesungen München
1849 Schulfremdenabitur Freiburg
1850-1852 Studium der Theologie Freiburg
1852-1853 Priesterseminar St. Peter
1853 Priesterweihe St. Peter
1853-1856 Vikar Gengenbach und Offenburg
1856-1862 Pfarrverweser Schwarzach
1862-1872 Pfarrer Schwarzach
1865-1913 Mitglied der Kreisversammlung (Kreis Baden)
1866-1913 Dekan des Kapitels Ottersweier
1869-1886 Mitglied der 2. Badischen Kammer (Katholische Volkspartei)
1871-1913 Mitglied des Reichstages (Zentrum)
1872-1913 Pfarrer Sasbach
1884-1913 Mitglied des Kreisausschusses (Kreis Baden)
1898 Dr. theol. h. c. Freiburg
1900-1913 Vorsitzender des Kreisausschusses (Kreis Baden)
1901 Päpstlicher Hausprälat
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Jakob Lender, Metzgermeister
Mutter: Agathe, geb. Hahn
Geschwister: 2 Schwestern (2 weitere Geschwister früh verstorben)
GND-ID: GND/118727397

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 187-190

Lender war eine rastlose Natur, ein Mensch voller Tatendrang und der raschen Entschlüsse. In seinem langen Leben hat er zahlreiche Initiativen entfaltet. Hinter allen stand immer der selbstlose Dienst des Priesters an der Kirche und den Mitmenschen; seine eigene Ehre hat er dabei nie gesucht.
Die Grundlagen für seinen beruflichen Werdegang waren schon im katholischen Elternhaus gelegt worden, doch ging der entscheidende Anstoß, dem begabten Jungen eine höhere Schulbildung zukommen zu lassen, von seinem Onkel aus, der Geistlicher und zugleich Direktor des Konstanzer Lyzeums war. Bereits kurz vor dem Abitur stehend, wurde Lender im Frühjahr 1848 wegen seiner Beteiligung an der revolutionären Bewegung relegiert. Dabei war er nicht nur Mitläufer; dank seiner intellektuellen und rhetorischen Begabung stellte er sich mit Wort und Schrift in den Dienst der Revolution. Wie vielen anderen wies auch ihm der Ausgang des „tollen Jahres“ das Los des politischen Flüchtlings zu.
Zunächst in Zürich, ging er, wenig später amnestiert, nach München. Obwohl noch ohne Schulabschluß, hörte er an der Universität theologische und philosophische Vorlesungen. Auf Drängen seines Onkels holte er im Spätjahr 1849 als Schulfremder das Abitur nach, und nach nochmaliger Bedenkzeit, die ihn auch für kurze Zeit zu den Jesuiten ins Elsaß führte, entschied er sich endgültig für das Studium der Theologie. Schon 1853 wurde er zum Priester geweiht.
Hatte Lender zuerst lange mit sich selbst um die richtige Standeswahl gerungen, so bekannte er sich nun umso mehr vorbehaltlos zu seiner Berufung. Mit besonderen Gaben des Verstandes ausgestattet, war er nicht weniger von tiefer Frömmigkeit geprägt. Wohl wissend, daß er als Priester vor allem ein guter Seelsorger sein müsse, lag ihm viel daran, die Belange seiner Kirche auch in der Politik und Gesellschaft mutig zu vertreten. Seine Zeit gab ihm hierzu hinreichend Gelegenheit.
Soziales Engagement im Geiste christlicher Caritas gehörte zu Lenders herausragenden Tugenden. Seit 1856 Pfarrverweser in Schwarzach, richtete er eine Anstalt für Waisen und verwahrloste Kinder ein. Hinter seinem Werk stand kein ausgereifter Plan, sondern die spontane Idee zu rascher und wirksamer Hilfe, nachdem innerhalb kurzer Zeit die Elternpaare zweier großer in Armut lebender Familien gestorben waren. Auf sein eigenes Risiko hin hatte er ein Haus gekauft. War für ein solches Projekt Lenders Entschlußfreudigkeit überaus vorteilhaft, so war es noch wichtiger, daß er sich nicht damit begnügte, nur für das leiblich-körperliche Wohl der ihm anvertrauten Kinder zu sorgen, sondern daß er in seine Überlegungen auch deren geistig-schulische Ausbildung einbezog.
Das politische Talent schien Lender bereits in die Wiege gelegt zu sein. Wie schon am Gymnasium, fühlte er sich auch an der Universität zur politischen Betätigung hingezogen, zunächst in München, wo die freiheitlich gesinnte Studentenschaft noch ganz im Banne von J. Görres stand, später in Freiburg, wo er Mitbegründer des Theologischen Vereins wurde und recht bald zum geistigen Führer seiner Kommilitonen aufstieg. In Offenburg machte der junge Vikar Lender von sich reden, als er von der Kanzel einen mit der staatlichen Zensur belegten Hirtenbrief verlas, den er, im Stiefel versteckt, aus Freiburg mitgebracht hatte.
Die heftiger werdende Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat hatte 1869 zur Gründung der Katholischen Volkspartei geführt. Zusammen mit drei Gesinnungsgenossen bildete Lender in der 2. Kammer das oppositionelle „Festungsviereck“. 1871 zum Fraktionschef gewählt, war er dank seiner Überzeugungskraft und seines diplomatischen Geschicks gemeinhin als der Parteivorsitzende anerkannt, wenn auch die KVP damals noch eine Gruppierung ohne Organisationsstatut und ohne einen landesweit durchorganisierten Parteiapparat war. Bei seiner temperamentvollen, zuweilen ungestümen Natur mag es überraschen, daß er auf der politischen Bühne zu einer eher abwartenden Haltung neigte; sie wurde ihm in den eigenen Reihen als Schwäche ausgelegt. Tatsächlich konnte Lender, der im Grundsätzlichen durchaus konsequent war, in taktischen Fragen erstaunlich wandlungs- und anpassungsfähig sein. Von der Aussöhnung zwischen Bismarck und Leo XIII. erhoffte er sich auch für Baden den ersehnten Umschwung. Der Verzicht auf parlamentarische Initiativen schien ihm daher auf lange Sicht der richtigere Weg zu sein als der parlamentarische Kampf, um die Regierung für den allmählichen Abbau der Kulturkampfgesetzgebung zu erwärmen. Wohl hatte er zunächst noch die große Mehrheit der Fraktion hinter sich; aber in Theodor Wacker erwuchs ihm alsbald ein Rivale, der hinsichtlich des taktischen Vorgehens genau vom Gegenteil überzeugt war. Es war für Lender eine bittere Enttäuschung, daß seine politische Rechnung nicht aufging. Verdächtigungen und parteiinterne Angriffe waren kaum noch vermeidbar. Der zunehmend offen ausgetragene Streit schwächte die Position der Volkspartei empfindlich, die merklich an Stimmen verlor, bis Lender selbst nicht mehr kandidierte, aus der Landespartei austrat (1887) und an seiner Stelle Wacker zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde (1888). Es zeugt von der charakterlichen Größe Lenders, daß er die ihm zugefügten Demütigungen und Kränkungen ohne Groll ertrug. Noch war ihm ja sein Mandat im Reichstag verblieben, wo er sich schon 1871 dem Zentrum unter Windthorsts Führung angeschlossen hatte. Da er sich auch im Reich für die Beilegung des Kulturkampfes einsetzte, kamen der dort zwischen Staat und Kirche erreichte Ausgleich und das faire Angebot, das Bismarck dem Zentrum zur Mitarbeit machte, seinem friedfertigen Charakter entgegen.
Unabhängig davon suchte Lender auch im Reichstag nicht selten den politischen Alleingang. Sehr dezidiert tat er es zugunsten der Heeresvorlage (1893). Von der eigenen Partei nicht mehr nominiert, betrieb er seine Selbstaufstellung und geriet so in offenen Gegensatz zur Mehrheitsfraktion. Mit zunehmendem Alter mehrten sich die Anzeichen für eine immer starrer werdende Haltung, und so konnte es nicht ausbleiben, daß er mehr und mehr in die politische Vereinsamung gedrängt wurde. Daß er später dennoch immer wieder als Kandidat aufgestellt wurde, kann wohl als eine versöhnliche Geste Wackers gegenüber einem verdienstvollen Politiker gedeutet werden, der jedoch in mancher Hinsicht von der Zeit überholt worden war.
Noch auf einer dritten Ebene hatte sich Lender jahrzehntelang politisch betätigt, nachdem 1865 im Großherzogtum die Kreisverwaltung eingerichtet worden war. Als Pfarrer von Schwarzach in die erste Kreisversammlung gewählt, gehörte er auch ihr bis zu seinem Tode an. Er selbst sah in dieser Form der Selbstverwaltung ein ideales karitatives und soziales Aktionsfeld. Beispielhaft hierfür steht die von ihm angeregte Kreishaushaltungsschule in Sinzheim (1888), die jedoch später nach Bühl verlegt wurde (1897). Die hohe Wertschätzung Lenders durch seine Amtskollegen kam mehrfach zum Ausdruck. So wurde er 1884 in den Kreisausschuß und 1900 zum Kreisvorsitzenden gewählt. An seinem 80. Geburtstag feierten ihn die elf badischen Kreise als den verdienstvollsten Mann der Großherzoglichen Kreisverwaltung.
Lender lebte ein überzeugendes Christentum der Tat; sein Pfarrhaus stand den Notleidenden jederzeit offen. Doch um den bedürftigen Mitmenschen zu helfen, schien ihm die Anleitung zur Selbsthilfe ein noch wirksameres Mittel. Wiederum reagierte er spontan, als einige Sasbacher Bürger plötzlich verschuldeten. Lender rief einen Vorschußverein ins Leben (1872), mit dessen Einlagen den Mitgliedern geholfen werden sollte, wenn sie schuldlos in Not gerieten. Einige Jahre lang hat er selbst das Amt des Geschäftsführers der „Vorschußkasse“ bekleidet und so sein persönliches Interesse an dieser vorbildlichen Sozialeinrichtung dokumentiert.
Weit mehr als seine seelsorgerliche und politische Tätigkeit hat jedoch die Sasbacher Lehranstalt den Namen Lenders weit über die Grenzen der engeren Heimat hinausgetragen. Wie schon der in Schwarzach gemachte Anlauf, einigen begabten aber bedürftigen Schülern Unterricht zu erteilen, war auch dieses Projekt zunächst nicht das Ergebnis weitschauender Überlegung und planmäßiger Entfaltung. Doch bekam es bald eine andere Dimension, nachdem im Zuge des Kulturkampfes die kirchlichen Lehranstalten geschlossen wurden und daher der Klerus in absehbarer Zeit mit erheblichen personellen Einbußen rechnen mußte. Da Lender in der Ausbildung junger Katholiken eine wirksame geistige Waffe sah, war er auch davon überzeugt, mit ihr den politischen und sozialen Mißständen seiner Zeit am nachdrücklichsten entgegenwirken zu können.
Jeder persönlichen Feindschaft abhold, war Lender trotz mancher Meinungsunterschiede im Grundsätzlichen doch stets der lautere, zur Versöhnung bereite Priester geblieben. Das haben auch seine politischen und innerkirchlichen Gegner an ihm geschätzt. Wiederholte Ordensverleihungen durch den Großherzog zeugen für die politischen Verdienste, die sich Lender erworben hatte. Auch bei seinen geistlichen Mitbrüdern stand er in hohem Ansehen; nur so erklärt es sich, daß er, bereits in jungen Jahren zum Dekan des Kapitels Ottersweier gewählt, dieses Amt nahezu ein halbes Jahrhundert innehatte. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Freiburger Theologische Fakultät (1898) erfolgte in Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen seiner Lehranstalt bei der Heranbildung der studierenden Jugend. Daß Lender 1886 zu den dem Staatsministerium genehmen Kandidaten für die Wiederbesetzung des Erzbischöflichen Stuhles gehörte, spricht abermals dafür, wie sehr man ihn bei der Regierung als einen Mann des Ausgleichs schätzte. Daß ihn das Domkapitel nicht zum Erzbischof wählte, wird indessen leicht begreiflich, wenn man sich daran erinnert, daß seine Parlamentspolitik des taktischen Zuwartens keineswegs die ungeteilte Zustimmung des Diözesanklerus gefunden hatte.
Lender war eine gläubige Priestergestalt, ein warmherziger Freund der Jugend. Das schätzten vor allem diejenigen, die durch seine Schule gegangen waren. Viele hatten sich am 29. Juli 1913 in Sasbach eingefunden, nicht nur um das 40jährige Bestehen der Lender'schen Anstalt zu feiern, sondern auch um ihren geistlichen Leiter anläßlich seines Diamantenen Priesterjubiläums zu ehren. Man darf es als eine höhere Fügung ansehen, daß dieser Festtag Lenders Sterbetag wurde. Noch einmal wurde dem überaus aktiven, selbstlosen, an menschlichen Unzulänglichkeiten reichen aber doch stets um Vollkommenheit bemühten Priester und Politiker die ihm gebührende Würdigung zuteil, und nicht wenige von denen, gegen die er einst gestritten, kamen zu seiner Beisetzung, um ihm über das Grab hinweg ihre Hochachtung entgegenzubringen.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos StAF, Bildnissammlung; Büste (Robert Neukum) Heimschule Lender Sasbach.

Literatur: Festblatt zum fünfzigjährigen Priester-Jubiläum des Hochwürdigsten Herrn Prälaten Dr. F. X. Lender am 10. August 1903, hg. von der Heimschule Lender, Bühl 1903; Zur Erinnerung an Prälat Dr. F. X. Lender, hg. von der Heimschule Lender, Bühl 1913; Franz Dufner, Sasbach und die Lendersche Anstalt. Ein Blatt der Erinnerung an Prälat Lender, in: Badner Land 26, Freiburg 1914, 67 f.; Julius Mayer, F. X. L. Lender, in: Necrologium Friburgense 1913, FDA 44 (NF 17), 1916,33 f.; Franz Dor, F. X. L. Lender, in: BJ 18, 1913, 40 f.; ders., Prälat Dr. F. X. Lender. Ein Lebensbild, Bühl 1918; Prälat Dr. F. X. Lender. Blätter der Erinnerung, hg. zur Feier des 100. Geburtstages, Hg. Heimschule Lender, Karlsruhe 1930; 75 Jahre Heimschule Lender, hg. von der Heimschule Lender, Bühl 1950; Werner Guldenfels u. a., Das Erbe F. X. Lenders. Zur 50. Wiederkehr seines Todestages, in: Konradsblatt Jg. 47, 1963, Nr. 30, 8-9; Heinz Bischof, F. X. L. Lender. Ernste Historie und heitere Histörchen um einen großen Schulmann, in: Der Merkur. Heimatkalender für die Kreise Rastatt und Bühl und für die Kurstadt Baden-Baden, hg. von Rolf Gustav Haebler, Jg. 2, 1964, 67 f.; Werner Guldenfels, F. X. Lender, in: Der Sasbacher, hg. von der Heimschule Lender, Bühl 1964, 14 f.; Karlheinz Rebel, Prälat Dr. F. X. Lender, in: Neue Sammlung, Göttinger Blätter für Kultur und Erziehung, Jg. 4, 1964, 83 f.; Emil Baader, Anekdoten um F. X. Lender, in: Ekkhart 1965, 222 f.; Leopold Rothermel und Emil Zinsmayer, Lender-Anekdoten, in: Konradskalender 43, 1967, 74 f.; Manfred Stadelhofer, Der Abbau der Kulturkampfgesetzgebung im Großherzogtum Baden 1878-1918, Mainz 1969; Werner Guldenfels, F. X. Lender, in: Heimschule Lender 1875-1975, Hg. Heimschule Lender, Bühl 1975, 11 f.; ders., Hundert Jahre Heimschule Lender, Bühl 1975; Hans-Jürgen Kremer (Bearb.), Mit Gott für Wahrheit, Freiheit und Recht. Quellen zur Organisation und Politik der Zentrumspartei und des politischen Katholizismus in Baden 1888-1914, Stuttgart 1983; Max Oberhuber, Das Leben des F. X. L. Lender, Karlsruhe 1984.
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