Schrempf, Christoph Georg 

Geburtsdatum/-ort: 28.04.1860;  Besigheim
Sterbedatum/-ort: 13.02.1944;  Stuttgart-Degerloch
Beruf/Funktion:
  • evangelischer Pfarrer, später Privatdozent und außerordentlicher Prof. für Philosophie, religionsphilosophischer Schriftsteller und Redner, Privatgelehrter
Kurzbiografie: 1879-1883 Studium der evangelischen Theologie und der Philosophie in Tübingen (Stipendiat im Evangelischen Stift)
1883 Vikar in Nötzingen
1884 Pfarrverweser in Untergröningen, Diakonatsverweser in Leonberg
1885 Repetent in Blaubeuren
1885-1886 Repetent am Evangelischen Stift in Tübingen
1886-1892 Pfarrer in Leuzendorf (Oberamt Gerabronn, Dekanat Blaufelden)
1890 Lic. theol. in Tübingen
1892 3. Jun. fristlose Entlassung aus dem Kirchendienst; seither freier Schriftsteller und Redner mit Wirkungsort Stuttgart
1893-1898 Herausgeber der Zeitschrift „Die Wahrheit“
1897-1906 Lehrer für deutsche Sprache, Literatur und Mathematik an der Knospschen Schule (einer privaten Höheren Handelsschule) in Stuttgart
1899 Titel Prof.
1909-1922 Herausgabe und Übersetzung (mit Hermann Gottsched) der Gesammelten Werke von Sören Kierkegaard in 12 Bänden, beim Verlag Eugen Diederichs (Jena)
1922-1925 alleiniger Herausgeber und Übersetzer der 2. Auflage
1906 Habilitation für Philosophie an der Technischen Hochschule Stuttgart; Dr. phil. in Stuttgart
1906-1921 (unbesoldeter) Privatdozent für Philosophie und Literatur an der Technischen Hochschule Stuttgart
ab 1919 auch (titulierter) außerordentlicher Prof.
1930-1940 „Gesammelte Werke“ in 16 Bänden (im Verlag Friedrich Frommann in Stuttgart). Die Ergänzungsbände 14-16, herausgegeben von seinem Freund Otto Engel (1888-1967)
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev. (bis 1909)
Verheiratet: 1. 1886 Elisabeth, geb. Grunsky (25.11.1864-17.5.1907)
2. Elise, geb. Staub (gest. 1935)
3. 1936 Elisabeth, geb. Werner (23.7.1890-1948)
Eltern: Vater: Christian Schrempf (1831-1889), Schuhmacher in Besigheim
Mutter: Luise Margarethe, geb. Häusler (1829-1898)
Geschwister: Christian Friedrich (1849-1912), Lehrer am Knabeninstitut Korntal, Redakteur der „Deutschen Reichspost“, 1895-1900 Landtagsabgeordneter
Gustav Adolf (geb. 1864), Lehrer in Stuttgart-Gablenberg
Kinder: Hilde, verheiratete Klein (1887-1920)
Gertrud, verheiratete Huppenbauer (1888-1961)
Erich (1890-1940)
Edith (1893-1913)
Gerhardt (1895-1916)
GND-ID: GND/118761722

Biografie: Andreas Rössler (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 252-254

Christoph Schrempf arbeitete sich aus einfachsten Verhältnissen hoch. Der Vater war Trinker. Die Mutter trennte sich mit den Kindern 1865 von ihm. Die mütterliche Familie war pietistisch eingestellt. Schrempf war bis 1879 Pietist. In Tübingen war er Schüler von Carl Heinrich von Weizsäcker (1822-1899). Am 30. 4. 1884 erhielt er von der Evangelischen theologischen Fakultät der Universität Tübingen den Preis für seine Arbeit „Die Grundlage der Ethik“. 1890 wurde er dort Lizentiat der Theologie mit einer Arbeit „Die christliche Weltanschauung und Kants sittlicher Glaube“.
1883 stieß er auf den dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard (1813-1855). Er begann 1890 mit einer ersten Übersetzung zweier Werke Kierkegaards. Mit seiner Übersetzung und Herausgabe der Schriften Kierkegaards wurde dieser erstmals in Deutschland weit bekannt und einflussreich.
In den Kirchendienst trat er im April 1884 nur unter Vorbehalt ein. Doch hatte der zuständige Oberkonsistorialrat nichts dagegen, „dass ich als Prediger nur das Evangelium verkündigen könne, wie es in den ersten drei Evangelien enthalten sei“.
Während seines pfarramtlichen Dienstes in Leuzendorf zeigte sich ein Hauptmerkmal in seiner Persönlichkeit: eine radikale Wahrhaftigkeit, mit der er auch auf sich selbst und die eigene Familie keine Rücksicht nahm. Am 5. Juli 1891 fasste er während des Gottesdienstes vor der Predigt den Entschluss, bei der sich anschließenden Taufe das Apostolische Glaubensbekenntnis wegzulassen. Das wurde von der Gemeinde nicht bemerkt. Er zeigte sich selbst beim Dekan von Blaufelden an, mit dem Zusatz, er werde es bei Taufen künftig immer so halten. Am 6. August 1891 teilte er das auch der Kirchenleitung in Stuttgart mit und bat um eine „sittlich unanfechtbare Wirksamkeit in der Landeskirche“. Am 9. August 1891 gab er seiner Gemeinde im Gottesdienst bekannt, bei Taufen nicht mehr das Apostolische Glaubensbekenntnis zu verwenden. Er könne die Aussagen „empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, aufgefahren in den Himmel, Auferstehung des Leibes“ nicht mehr vertreten. Am Tag darauf bat der Kirchengemeinderat das Konsistorium in Stuttgart, Schrempf abzuberufen. Das Konsistorium untersagte Schrempf vorläufig, seine Amtsgeschäfte weiterzuführen, erkannte seinen „tiefen sittlichen Ernst“ und seine „Aufrichtigkeit“ an und kündigte die Absicht an, ihn zu entlassen, falls er nicht durch eine entsprechende Erklärung einlenke. Schrempf lehnte weiterhin die „Bekenntnispflicht“ ab. Am 11. Januar 1892 beklagte er in einem ausführlichen Schreiben eine „böse sittliche Unordnung“ in der württembergischen Landeskirche, weil die Gemeindemitglieder und die Pfarrer auch gegen ihre persönliche Wahrhaftigkeit und ihr Gewissen auf die klassischen Bekenntnisse verpflichtet seien, auch wenn die Kirchenleitung faktisches Abweichen vom Bekenntnis gar nicht weiter verfolge: „Die Verpflichtung des evangelischen Geistlichen in Württemberg ist unter den gegenwärtigen kirchlichen und theologischen Verhältnissen eine Schlinge für das Gewissen.“ Die Folge war die fristlose Entlassung aus dem Kirchendienst, mit Wirkung vom 14. Juni 1892, ohne Pensionsbezüge.
Der „Fall Schrempf“ war kirchengeschichtlich bedeutsam, indem er den ersten „Apostolikumstreit“ auslöste. Der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851-1930) äußerte sich am 18.8.1892 abwägend: Das Apostolikum könne wegen seiner hohen geschichtlichen Bedeutung und seines „großen Wahrheitsgehaltes“ liturgisch beibehalten werden, doch „die Anerkennung des Apostolikums in seiner wörtlichen Fassung ist nicht die Probe christlicher und theologischer Reife“. Entscheidend sei „der wesentliche Inhalt des Apostolikums“. Im November 1892 erbaten 153 Pfarrer in Württemberg eine Lockerung des Bekenntniszwanges. Dagegen forderten 1894 12.000 Gemeindemitglieder die Wahrung des Bekenntnisstandes. 1895 (neue Überleitungsfrage bei der Taufe möglich: „Wollt ihr, dass dieses Kind auf unsern christlichen Glauben getauft wird?“) und 1908 (neues Kirchenbuch) bekamen die württembergischen Pfarrer eine gewisse Freiheit gegenüber Bekenntnis und Liturgie zugestanden. 1912 wurde die Dienstverpflichtung der württembergischen Pfarrer weitherzig formuliert.
Schrempf trat am 13.3.1909 aus der württembergischen Landeskirche aus, ohne sich anderswo anzuschließen. Er hatte in der Landeskirche aber prominente Freunde und Sympathisanten, so den Esslinger Dekan Martin Finckh (1856-1950), den Esslinger Stadtpfarrer Johannes Herzog (1860-1943), den Tübinger Theologieprofessor Theodor Häring (1848-1928). Dieser bemerkte zu Schrempfs Rede „Was unsereiner will – ein Bekenntnis, kein Programm“ vom 10.8.1910 beim Weltkongress für freies Christentum und religiösen Fortschritt in Berlin: „Dieser Mann – es ist, als stünde er mitten im Leben mit einem Fuß schon drüben in der Ewigkeit. Hier ist Geist vom echten Christentum. Man muss bis zu einem Augustin zurückgehen, um solche religiösen Urlaute wieder zu vernehmen.“ Hoch geschätzt war Schrempf bei dem Dichter Hermann Hesse (1877-1962), den er im April 1935 in Montagnola besuchte. Hesse schrieb Ende Januar 1944, er empfinde Schrempfs „Denken und Wesen als eine glückliche Mischung von schwäbisch-frommem und sokratischem Geist“. Ab 1894 hielt Schrempf in Stuttgart religiöse Sonntagsreden, nach der Gottesdienstzeit, zunächst in der Bauhütte, dann in der Liederhalle, schließlich im Festsaal des Karlsgymnasiums. Während des Ersten Weltkriegs unterbrach er seine Sonntagsreden. In der 1920 begründeten Volkshochschule hielt er ab 1921 Vorträge über Kierkegaard. In Dritten Reich war Schrempf das öffentliche Reden und Auftreten verboten. „Ich bin zwar national und sozial, aber kein Nationalsozialist“, sagte er bei einer Vernehmung.
Schrempf war ein fleißiger und fruchtbarer Schriftsteller. Neben religionsphilosophischen Abhandlungen (vor allem „Natürliches Christentum“, 1893; „Menschenlos“, 1900; „Vom öffentlichen Geheimnis des Lebens“, 1919/20; „Jesus“, 1929, „Theologie“, 1929/30) stehen Arbeiten über Persönlichkeiten wie Luther („Martin Luther, aus dem Christlichen ins Menschliche übersetzt – ein Versuch“, 1901), Goethe („Goethes Lebensanschauung in ihrer geschichtlichen Entwicklung“, 1905 Teil 1, 1907 Teil 2), Lessing („Lessing“, 1913), Sokrates („Sokrates – seine Persönlichkeit und sein Glaube“, 1927), Kierkegaard („Sören Kierkegaard. Eine Biographie“, 1927/28), Kant, Nietzsche und Paulus. Dazu kommen kürzere Texte, in denen er seine Grundanschauungen zusammenfasst (etwa „Meine Stellung zum Christentum“, 1911; „Ein Glaubensbekenntnis nebst Erläuterungen“, 1911; „Durch Christentum hindurch zu Gott“, 1937; „Ich glaube ...“, 1939; „Mein Glaube“, 1940).
Das religionsphilosophische Werk Schrempfs harrt noch weitgehend der Bearbeitung. Sein hohes Ethos unerbittlicher Wahrhaftigkeit duldete keine Kompromisse. Dazu kamen eine freiheitliche, antiautoritäre Haltung und ein ausgeprägter Individualismus. So wollte er nur sagen, was ihm selbst einleuchtete. Er wollte nicht beanspruchen, die von ihm im eigenen Leben erlittenen und erstrittenen Überzeugungen müssten auch anderen einleuchten. Andererseits machte er Aussagen, die eine gewisse Allgemeingültigkeit anstreben.
Zentrum seines Denkens war Gott und „dass ich mit allem was ist aus Gott, durch Gott, in Gott lebe“ (1911). Er hielt Gott, „den schöpferischen Geist, der die Welt dichtet, in der breiten epischen Entfaltung ihres Bestandes und in dem dramatischen Gang ihrer Geschichte“ (1911), für verborgen und damit für letztlich unzugänglich. Das hielt ihn aber nicht davon ab, alles Geschehen und das gesamte persönliche Lebensgeschick auf Gottes Wirken zurückzuführen. Sein Grundsatz lautete: „Ich lebe nicht, sondern ich werde gelebt. Ich lasse mich leben“ (1900). Damit ist im Grund die menschliche Freiheit geleugnet, denn alles eigene Tun wird auf Gott zurückgeführt. Der Mensch kann dann auch nichts für das nach dem Tod anhebende ewige Leben tun, welches nach Schrempf das Ziel des menschlichen Daseins ist. Die Überzeugung, dass Gott alles wirkt, führte in Verbindung mit dem „Glauben, dass ich mit allen Menschen von einer ewigen Liebe gelebt werde“ (1900), zu der Gewissheit, dass auch bei allen Schicksalsschlägen schließlich „alles gut“ ist: „Was die Menschen als Gut und Böse, Tugend und Laster, Recht und Unrecht, Glück und Unglück unterscheiden, mag ja für sie in einem Gegensatz stehen, ist aber alles gut – in dem Sinne, in dem eben alles gut ist“ (1901/1917). Jesus ist für Schrempf immer der wichtigste, aber nicht der einzige Wegweiser zu Gott: „Das Kreuz ist ihm der Wegweiser, der an der letzten Wegscheide auf den Weg zum Leben hinweist“, und so hat er sich „zum freien (nicht-kirchlichen, und, wenn es sein muss, anti-kirchlichen) Zeugen für die von Jesus entdeckte Wahrheit entwickelt“ (1922). Zu Goethes Satz „Es glaubt der Mensch, sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksal gezogen“ bemerkte Schrempf gegen Ende seines Lebens: „Setze ich für ,Schicksal’ ,Heil’, so ist dieses Wort Goethes der einfachste Ausdruck für meinen Glauben“ (1940).
Quellen: Teil NL in der Hss.-Abt. des DLA.
Werke: Gesammelte Werke Bd. 1-16, 1930-1940; Zur Reform des ev. Pfarramts. Aufsätze und Reden, 1911; Religion ohne Religion. Eine Auswahl, hg. von Otto Engel, Bd. 1-3, 1947; Von der Religion zum Glauben, Ausgewählte Werke, Bd. 1-2, hg. von Otto Engel mit Nachwort und Anhang, 1960 (erw. Neuausg. der Auswahl von 1947).
Nachweis: Bildnachweise: Porträts vor den Titelseiten in: Gesammelte Werke Bd. 1, Porträt nach einem Ölgemälde von Wilhelm Rupprecht; Bd. 13, Porträtfoto; Bd. 16, Porträt ohne Nachweis; Abschied von C. Schrempf, Porträtfoto auf dem Totenbett; Von der Religion zum Glauben, Bd. 1 und 2, Porträts ohne Nachweis; Porträt-Foto in: Besigheimer Geschichtsblätter 21, 6 (vgl. Lit.).

Literatur: Im Banne des Unbedingten. C. Schrempf zugeeignet, 1930; Hermann Hesse, Nachruf auf C. Schrempf (1944), jetzt in: Hermann Hesse, Gedenkblätter. Erinnerungen an Zeitgenossen, 1984, 179-188; Abschied von C. Schrempf, 1946; Otto Engel, Distanz und Hingabe. Philosophische und literarische Essays, 1971; C. Schrempf 1860-1944 – Ein Sohn unserer Stadt, in: Besigheimer Geschichtsblätter 21 (2002).
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