Vossler, Karl Robert Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 06.09.1872;  Hohenheim (jetzt: Stuttgart-Hohenheim)
Sterbedatum/-ort: 18.05.1949; München
Beruf/Funktion:
  • Prof. der Romanischen Philologie
Kurzbiografie: 1891/92-1897 Studium der Germanistik und Romanistik in Tübingen, Straßburg, Genf und Rom
1897 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg bei dem Germanisten Max von Waldberg mit dem Thema „Das deutsche Madrigal. Geschichte seiner Entwicklung bis in die Mitte des XVIII. Jahrhunderts“ (1898, Neudruck 1972)
1897-1899 Assistent am Germanisch-Romanischen Seminar Heidelberg bei dem Romanisten Fritz Neumann
1899 dort Habilitation in Romanischer Philologie mit dem Thema „Poetische Theorien der italienischen Frührenaissance“ (1900), Privatdozent und Lektor für Italienische Sprache
1902 außerordentlicher Prof. in Heidelberg
1909 ordentlicher Prof. in Würzburg
1911-1938 ordentlicher Prof. in München, 1926 Rektor
1916 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München
1937 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien, Mailand, Madrid, Buenos Aires
1944 Komturkreuz des spanischen Ordens Alfonso X el Sabio; Direktor des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts Madrid (Amt nicht mehr angetreten)
1945 reaktiviert, erneut Rektor der Universität München bis 1947
1949 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin; Dr. phil. h. c. der Martin-Luther-Universität Halle
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 1900 (Rom) Esterina Gräfin Gnoli (1872-1922)
2. 1923 (München) Emma von Thiersch, verwitwete Zeller (geb. 1887)
Eltern: Vater: Otto Heinrich Vossler (1831-1906), Prof. an der Landwirtschaftlichen Akademie Hohenheim
Mutter: Anna, geb. Faber (1846-1940)
Geschwister: 1 Schwester
Kinder: Walter (geb. 1900, vermißt im Zweiten Weltkrieg)
Otto (1902-1987), Prof. der Neueren Geschichte in Leipzig und Frankfurt a. M.
GND-ID: GND/118770411

Biografie: Frank-Rutger Hausmann (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 288-290

Vossler war zugleich Literatur- und Sprachwissenschaftler mit komparatistischen und philosophischen Interessen. Obwohl von Hause aus Germanist, überschaute er die wichtigsten Erscheinungen der französischen, italienischen, spanischen und provenzalischen Sprachen und Literaturen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Kubareise im Jahr 1939 öffnete ihm in späten Jahren den Blick für Lateinamerika. Standen zunächst das Französische und Italienische im Zentrum seines Forschens und Lehrens, wandte er sich nach dem Tod seiner italienischen Frau wie unter dem Eindruck der französischen Deutschlandpolitik verstärkt dem Spanischen zu, das seiner Meinung nach sogar als Schulfach an die Stelle des Französischen treten sollte.
Die Begegnung mit dem italienischen Philosophen Benedetto Croce noch vor der Jahrhundertwende war für ihn und sein Denken entscheidend. Eine lebenslange Freundschaft verband die beiden, und ein intensiver Briefwechsel belegt ihren beständigen geistigen Austausch („Carteggio Croce – Vossler 1899-1949“, 1951; deutsche Ausgabe: Briefwechsel. Übertragung und Einleitung von Otto Vossler, 1955). Croce hatte mit dem Positivismus abgerechnet und ganz idealistisch die Sprache nicht als ein Gefüge von Gesetzmäßigkeiten, sondern als Wirken und Walten der Phantasie gedeutet. Sie finde ihre höchste Vollendung in der Dichtung. Vossler griff dies auf und rechnete in mehreren Büchern mit dem Empirismus der Junggrammatiker ab, die sich ausschließlich für die lautgesetzliche Entwicklung der Sprachen interessierten. Bereits die Titel seiner Untersuchungen sind beredt: „Sprache als Schöpfung und Entwicklung“ (1905), „Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung. Geschichte der französischen Schriftsprache von den Anfängen bis zur klassischen Neuzeit“ (1913; 3. Auflage 1921, ab der 4. Auflage unter dem Titel „Frankreichs Kultur und Sprache“, 1929) sowie „Geist und Kultur in der Sprache“ (1925). Vossler wandte sich gegen einen metaphysischen, nicht einen methodischen Positivismus, d. h. er lehnte keinesfalls ein sauberes philologisches Arbeiten ab, sondern eine Vorgehensweise, die das Sammeln und Ordnen zum Selbstzweck erhob.
Seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten galten den provenzalischen Troubadours oder anderen bedeutenden Dichtern wie La Fontaine, Dante, dessen „Göttliche Komödie“ er kommentierte (2 Bände, 1907-1910; 2. Auflage 1925) und übersetzte (1942), Leopardi, Lope de Vega oder Luis de León, doch auch Einführungen in oder Gesamtdarstellungen und Überblicke der italienischen und spanischen Literatur fehlen nicht.
In seinen elegant geschriebenen und leicht verständlichen Interpretationen hob Vossler besonders auf die Weltsicht der Autoren und ihre ästhetisch-stilistische Umsetzung ab. Schon bald galt er als Oberhaupt einer idealistischen Schule und konnte namhafte Schüler an sich ziehen, z. B. Eugen Lerch, Victor Klemperer und Helmuth Hatzfeld, doch selbst so unterschiedliche Romanisten wie Hugo Friedrich, Werner Krauss, Hans Rheinfelder oder Kurt Wais lernten bei ihm. Vossler wirkte über die engeren Fachgrenzen hinaus und war im Ausland höchst angesehen. Ein umfassender Briefwechsel bezeugt seine weltweiten Verbindungen. Als aufrichtiger Freund und großzügiger Lehrer bewährte er sich nicht zuletzt in der NS-Zeit, als er vielen Verfolgten, z. B. seinem Freund Leo Spitzer, aber auch ehemaligen Studenten (darunter den Schriftstellern Eugen Gottlob Winkler und Susanne Eisenberg verheiratete Bach), die Treue hielt. Während seines Rektorats hatte er sich gegen Nationalismus und Antisemitismus an den Hochschulen ausgesprochen und bei einer Zusammenkunft des Verbandes der Deutschen Hochschulen 1932 eine von Theodor Litt und Karl Jaspers eingebrachte Resolution, die Sanktionen gegen nationalsozialistische Rowdies vorsah, unterstützt. Diese mutige Haltung wurde von Alfred Rosenberg im „Völkischen Beobachter“ heftig kritisiert und war vermutlich dafür verantwortlich, dass Vossler drei Jahre früher als üblich entpflichtet wurde.
Sein Einfluss reichte über die engen Fachgrenzen hinaus, da er auch zu allgemeinen Bildungsfragen in der Tages- und Wochenpresse das Wort ergriff. Als Rektor lud er 1927 Hugo von Hofmannsthal zu einem Gastvortrag ein. Der Dichter und Romanist sprach über „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ und hob, Ideen Vosslers aufgreifend, die verbindende Kraft von Sprache und Literatur hervor. Da Vossler dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstand, schrieb er 1940 das beziehungsreiche Buch „Poesie der Einsamkeit in Spanien“, das vielen Zeitgenossen Trost und Hoffnung spendete. Umso unverständlicher ist es, dass er 1944 einwilligte, zu einer vom Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung organisierten Vortragsreise nach Spanien und Portugal aufzubrechen, die insbesondere im Ausland (z. B. von Thomas Mann) als Zustimmung zum NS-Regime gedeutet wurde. Die letzten Lebensjahre Vosslers waren von einer schmerzhaften Krankheit überschattet.
Quellen: PA LMU München; Briefe in der Bayerischen Staatsbibliothek München.
Werke: Theodor Ostermann, Bibliographie der Schriften K. Vosslers 1897-1951, 1951.
Nachweis: Bildnachweise: FS für K. Vossler, hg. von H. Rheinfelder/F. Rauhut, 1932.

Literatur: H. H. Christmann, Idealistische Philologie und moderne Sprachwissenschaft, 1979; H.-A. Koch, in: DBE 10, 1999, 260-261; F.-R. Hausmann, „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen“. Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“, 2000, 117-129; H. Maass, K. Vosslers Sprachphilosophie und die romanische Philologie des 19. Jh.s, in: F. Estelmann, u. a. (Hg.), Traditionen der Entgrenzung, 2003, 43-56.
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