Hauer, Wilhelm Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 04.04.1881;  Ditzingen, Kreis Leonberg (Württemberg)
Sterbedatum/-ort: 18.02.1962;  Tübingen, beigesetzt in Ditzingen
Beruf/Funktion:
  • Indologe, Religionswissenschaftler, Begründer der „Deutschen Glaubensbewegung“
Kurzbiografie: 1887-1900 Dorfschule in Ditzingen, Gipserlehre, Gehilfe im väterlichen Betrieb
1900-1906 Ausbildung zum Missionar bei der Basler Missionsgesellschaft, Basel, unterbrochen durch Militärdienst (1902-1903) beim Feldartillerieregiment 28, Ludwigsburg, 22.07.1906 Ordination in Leonberg
1906 Halbjähriger Aufenthalt in Edinburgh (Studium der englischen Literatur und Geschichte)
1907-1911 Lehrtätigkeit am Lehrerseminar der Basler Missionsgesellschaft in Nettur (Indien), Headmaster in Palghat
1911 London Matriculation Examination in Colombo, 1912 Immatrikulation am Jesus College in Oxford (Englisch, Latein, Deutsch, Geschichte)
1914 B. A. in Oxford (Berechtigung zum M. A. nach drei Jahren ohne weiteres Examen), nach Kriegsausbruch Internierung
1915 Rückkehr nach Deutschland, Stadtvikar in Heidenheim und Reutlingen, gleichzeitig ab 1916 Studium (Sanskrit, Alte Geschichte, Philosophie) an der Universität Tübingen
1918 Dr. phil. bei Richard von Garbe, Dissertation „Die Anfänge der Yoga-Praxis im alten Indien“ (Prädikat: „Sehr gut“)
1919 Zweites theologisches Examen („Recht gut“), Stadtvikar in Stuttgart, Austritt aus dem Dienst der Evangelischen Landeskirche, 1920 Gründung des „Köngener Bundes“
1921 Privatdozent für Allgemeine Religionsgeschichte an der Universität Tübingen, 1924 Erweiterung des Lehrauftrags um Indologie
1925 außerordentlicher Professor an der Universität Tübingen
1925-1927 Ordinarius für indische Philologie und Allgemeine Religionsgeschichte an der Universität Marburg
1927-1945 Ordinarius für Allgemeine Religionsgeschichte und Indologie an der Universität Tübingen, ab 1939 für Indologie, Vergleichende Religionswissenschaft und Arische Weltanschauung
1928 Studienreise in den Vorderen Orient
1933 Austritt aus der Evangelischen Kirche, Gründung und Leitung der „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung“, 1934-1936 Leitung der „Deutschen Glaubensbewegung“ (DG)
1934 Eintritt in die SS, 1935 in den NS-Dozentenbund, 1937 in die NSDAP, 1938 SS-Untersturmführer, 1941 Hauptsturmführer
1945-1947 Automatischer Arrest, Internierung in Tübingen, Speyer, Saarbrücken, Binsenthal und Theley
1949 Verfahren vor der Universitäts-Spruchkammer Tübingen, „Mitläufer“, Pensionierung
1950 Gründung und Leitung der „Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie“, seit 1956 „Freie Akademie“
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch (bis 1933)
Verheiratet: 1. 1922 Tübingen, Helene, geb Köpf, 1938 geschieden
2. 1939 Tübingen, Anna Marie (Annie), geb. Brügemann
Eltern: Vater: Jakob Hauer (1854-1935), Gipsermeister
Mutter: Gottliebin Friederike, geb. Maier (1861-1922)
Geschwister: 5 (Hauer war das zweite Kind)
Kinder: keine
GND-ID: GND/118773429

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 192-196

Als sich der neunzehnjährige Gipsergeselle Hauer im Sommer 1900 zu Fuß auf den Weg nach Basel machte – die Bahnfahrt hätte er nicht bezahlen können –, um die Ausbildung zum Missionar zu absolvieren, lag ein Jahrzehnt angestrengtester Tätigkeit hinter ihm. Von „unbändigem Wissensdurst erfüllt“, wie ihm später bescheinigt wurde, war er drei Jahre lang früh um 4 Uhr aufgestanden, um zwei Stunden Zeit für das vom Dorfpfarrer angeleitete Selbststudium zu gewinnen, bevor um 6 Uhr die tägliche Arbeit auf dem Bau begann, die oft bis in den Abend dauerte. Auch schon während der Schulzeit war er laufend als Hilfskraft im väterlichen Betrieb eingesetzt worden. Nun brachte er so viel an Wissensstoff nach Basel mit, daß ihm ein Jahr der sechsjährigen Ausbildung erlassen werden konnte. Nach dreijährigem gründlichen Studium und der Ordination wurde er, im Hinblick auf die beabsichtigte Aussendung nach Indien, von der Missionsgesellschaft nach Edinburgh geschickt, um seine englischen Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Bereits während der Seminarzeit in Basel gab es bei Hauer erste Ansätze, sich der engen, aber fest gegründeten Welt des schwäbischen Pietismus, der er entstammte und die auch sein Studium prägte, zu entziehen und mit Nietzsche „Ja zu sagen, zu dem, was ist, gegenüber allen Versuchen, mich in ein Schema zu zwingen, das Gott geliefert haben sollte“.
Am 19./20.12.1906 wurde er in Basel verabschiedet und trat im Januar 1907 die lange Schiffsreise nach Indien an, wo er zunächst als Schulleiter und dann als Headmaster in einer High School (Sekundärschule) der Missionsgesellschaft eingesetzt wurde. Hauer sollte jedoch als Leiter einer Höheren Schule etabliert werden – dies entsprach auch seinem Wunsch –, und so wurde ihm, nach Bestehen des schwierigen Aufnahmeexamens in Colombo (Ceylon), die Genehmigung zum Studium in England erteilt. Im September 1911 reiste er von Bombay nach Oxford, wo er unmittelbar vor Kriegsausbruch das B.A.-Examen in den Litterae humaniores mit „First Class Honours“ ablegte. Nach kurzer Internierung im September 1914 konnte er das Studium der Religionsgeschichte und Völkerkunde in Oxford bis Mai 1915 fortsetzen und wurde nach erneuter Internierung im Juli 1915 nach Deutschland entlassen, mußte jedoch ehrenwörtlich versprechen, nicht in die deutsche Armee einzutreten.
So zerschlug sich der Plan der schulpädagogischen Verwendung in Indien; aber der fünfjährige Aufenthalt dort und vor allem das Studium der indischen Religionen hatten Hauer die für seinen weiteren Werdegang ausschlaggebenden Erfahrungen vermittelt. Er nahm zwar für kurze Zeit Vikarsaufgaben im Dienst seiner Landeskirche wahr und legte sogar noch das zweite theologische Examen ab; aber in dieser Zeit waren die Zweifel am Absolutheitsanspruch des Christentums, die Frage, ob nicht auch in anderen Religionen „letzte Wahrheiten“ verkündet würden, schon so übermächtig geworden, daß er im Herbst 1919 den Dienst in der Landeskirche aufgab. Nach intensivem Studium des Sanskrit an der Universität Tübingen promovierte er im Juni 1918 mit einem Thema, das ihn lebenslang befassen sollte – Yoga – und zu dem er noch am späten Abend seines Lebens ein Standardwerk vorlegte. Vierzigjährig habilitierte er sich, gegen den Widerstand des evangelischen Alttestamentlers Paul Volz, der ihm fehlerhafte Methodik und unwissenschaftliche Werturteile vorwarf, und des katholischen Kirchenhistorikers Karl Bihlmeyer, an der Universität Tübingen für das Fach Religionsgeschichte – Habilitationsschrift: „Die Bedeutung der ekstatischen Erlebnisse in den primitiven Religionen“ – und produzierte in dem folgenden Jahrzehnt die seinen Ruf in der Fachwissenschaft begründenden Publikationen auf seinen weitgefächerten Interessengebieten: „Werden und Wesen der Anthroposophie“ (1922, 2. Aufl. 1923); „Die Religionen. Ihr Werden, ihr Sinn, ihre Wahrheit“ (1923); „Der Vratya. Untersuchungen zur nichtbramahnischen Religion Altindiens“ (1927); „Das Länkavatara-Satra und das Samkhya“ (1927); „Die Dharani im nördlichen Buddhismus und ihre Parallelen in der sogenannten Mithras-Liturgie“ (1927); „Ein monotheistischer Traktat Altindiens“ (1931); „Der Yoga als Heilweg“ (1932); „Indiens Kampf um das Reich“ (1932). Gleichzeitig aber mit der Aufnahme der akademischen Lehrtätigkeit begann 1920 ein erster und folgenreicher Exkurs in den nichtakademischen Bereich: Hauer wurde zum „Kanzler“ (Leiter) des „Köngener Bundes“ gewählt, einer Vereinigung junger evangelischer Christen, die gegen die Überbetonung dogmatischer Bindungen und die erstarrten Lebensformen ihrer Landeskirche protestierten. Hauer blieb dieser Gemeinschaft lebenslang verbunden. Eine andere außeruniversitäre Aktivität bestand in der Leitung des von Rudolf Otto begründeten „Religiösen Menschheitsbundes“, der für eine „religiöse Bruderschaft“ eintrat, nicht aus einer Gegenposition zum Christentum, sondern „von einer religiösen Mitte aus das Christentum einbeziehend in einen religiösen Kreis mit bewußt größerem Radius“ (Margarete Dierks). Aber Hauer mußte nach wenigen Jahren das Utopische dieser Vereinigung erkennen und wandte sich in der Folge der national, bald blutsmäßig und völkisch verengten Zielsetzung auf dem Gebiet der Verständigung der Religionen zu.
Hier begann nun die eigentliche öffentliche Wirksamkeit des Gelehrten, die ihn besonders in den Jahren 1933-1936 mitten hinein in die Strudel jener Zeit des vermeintlichen Aufbruchs, des Erstarkens des NS-Regimes und damit der Herrschaft des Ungeists stellte. Dabei hielt er in der ersten Zeit durchaus Distanz zu den braunen Machthabern: er weigerte sich am 11.2.1933, eine Ergebenheitsadresse der deutschen Hochschullehrer an Hitler zu unterzeichnen, und trat als einziger Professor seiner Fakultät der Absicht entgegen, Hitler ein Ehrendoktorat zu verleihen. (Die Angelegenheit erledigte sich dadurch, daß Hitler die Annahme von akademischen Ehren verweigerte.) Carlo Schmid berichtete: „Als 1933 die ersten Nachrichten über von SA-Rabauken erschlagene Juden zu uns drangen, verlangte Hauer im Senat eine Protestaktion der Universität. Dies wunderte mich keineswegs, um so mehr indessen, daß ich ihn kurze Zeit später in der Uniform eines SS-Untersturmführers traf.“ Dieser SS-Rang (= Leutnant) wie auch der 1941 verliehene des Hauptsturmführers (= Hauptmann) trugen vergleichsweise subalternen Charakter und sprechen für die eher mürrische Wertschätzung Hauers seitens der Partei.
Ausgangspunkt für die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung“ am 29./30.7.1933 in Eisenach – Hauer brachte hier das Kunststück des Zusammenschlusses verschiedenster außerkirchlicher Gruppen fertig –, die 1934 in die Bewegung aller „deutschgläubigen“ und nichtkirchlichen Gruppen umgewandelt wurde (DG), war Hauers Besorgnis, daß nach dem Umschwung des Jahres 1933 Freireligiöse in ihrem Glaubensleben durch staatliche Eingriffe gehindert werden könnten. Hauer wollte die Bekenntnisfreiheit retten und keineswegs eine „dritte Konfession“ gründen, wie auch heute noch zuweilen behauptet wird. Daß die DG nur unter Ausschluß der Juden zustande kommen konnte, bedrückte Hauer: „Ich weiß, daß ich damit Schuld auf mich lade.“ Natürlich geriet Hauer mit der „Deutschen Glaubensbewegung“ in bedenkliche Nähe des Parteiideologen Alfred Rosenberg, der, ausgehend vom „Mythus des Blutes“, die Errichtung einer „Nationalkirche“ forderte: „Die Sehnsucht (,) der nordischen Rassenseele im Zeichen des Volksmythus ihre Form als Nationalkirche zu geben, das ist mit die größte Aufgabe unseres Jahrhunderts“ („Der Mythus des 20. Jahrhunderts“). Hauer grenzte sich hiervon ab: Rosenberg wolle eine „völkische Religiosität“, während er selbst einen „umfassenden Glauben aus einer volkhaften Grundhaltung“ anstrebe, die den „religiösen Urwillen des deutschen Volkes“ freisetze. Der Gegensatz lag wohl vor allem darin, daß Rosenberg erwartete, die „nordischen Glaubensgenossenschaften“ würden den „Sauerteig“ bilden, der die „ehemaligen katholischen und ehemaligen lutherischen Bestandteile der Deutschen Kirche durchsetzen wird“, also das Aufgehen der Konfessionen in einer „Nationalkirche“, während Hauer lediglich die „öffentlich-rechtliche Anerkennung unserer deutschen Glaubensgerechtsame, das ist die freie Ausübung unseres deutschen Glaubens“ erstrebte (An Hitler, Frick und Reichskommissar Dr. Jäger gerichtete Denkschrift Hauers vom 24.8.1933).
Die DG wuchs, fand besonders Anhang in der Hitlerjugend und umfaßte nach wenigen Monaten über 300 Ortsgemeinden. Hauer schrieb am 23.11.1933 an Rosenberg, es sehe „ganz so aus, als ob jetzt eine Bewegung entstanden wäre, die zu einer Volksbewegung werden könnte“ – ohne einer Antwort gewürdigt zu werden, wie auch die Versuche Hauers, ein Gespräch mit Hitler zu erreichen, vergeblich waren. Mehr Glück hatte er beim „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Hess, der nach einem Gespräch mit Hauer am 13.10.1933 einen Erlaß herausgab, in dem es hieß, daß kein Nationalsozialist benachteiligt werden dürfe, „weil er sich nicht zu einer bestimmten Konfession bekennt“. Unterdessen war die DG „aus einer belächelten Strömung zu einer Volksbewegung geworden“ (Hauer), dank der Leitung durch den glänzenden Redner Hauer, der als Orator ebenso treffsicher zu formulieren wußte wie als Autor und dessen Sendungsbewußtsein und charismatisch-dynamische Ausstrahlung seine Zuhörer mitrissen. Das konnte man bei Massenkundgebungen der DG in vielen Großstädten feststellen, und mit Stirnrunzeln nahm die NSDAP zur Kenntnis, daß solche Kundgebungen auch an Orten stattfanden, die an sich ausschließlich der NS-Propaganda vorbehalten waren: im Berliner Sportpalast und im Zirkus Krone in München. Gleichwohl wurden im Sportpalast 3000 SA- und SS-Männer als „Saalschutz“ abgeordnet und reichlich mit Biermarken ausgestattet. Die „Saalschützer“ prügelten denn auch etwa 30 unerwünschte Zwischenrufer hinaus. Im überfüllten Kölner Gürzenich sprach Hauer im Februar 1935 über den „Deutschen Glauben als aufbauende Macht des Dritten Reiches“. Wer vom Geist des Neuen Testaments erfüllt sei, sagte er, könne dem deutschen Wesen nicht zum Durchbruch verhelfen. Als er sich jedoch in die Höhle des „Löwen von Münster“, des Bischofs von Galen, wagte, wurde er schon am Bahnhof von Tausenden von Katholiken und Protestanten empfangen, die pausenlos „Großer Gott, wir loben Dich“ und „Ein feste Burg ist unser Gott“ sangen, und in der Münsterlandhalle wurde dieser „Sängerkrieg“ fortgesetzt (so nannte ihn der Sopade-Gewährsmann, siehe Quellen), so daß Hauer Münster verlassen mußte, ohne gesprochen zu haben. Die Massenkundgebungen stießen auf heftigen Widerstand kirchlicher Amtsträger. So beschwerte sich z.B. der Münsteraner Bischof von Galen am 16.5.1935 bei dem Gauleiter Dr. Meyer in Münster darüber, daß den „Neuheiden“ erlaubt werde, öffentlich, in Anwesenheit von Vertretern der Partei und des Staates, für ihr Heidentum zu werben. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die Gürzenich-Kundgebung vom 3.2.1935. Wenn Hauer glaube, „mit seinem Kampf gegen Christentum und Gottesglauben den Willen des Führers recht zu verstehen“, sei dies „unendlich traurig für jeden deutschen Mann, der sich zum ‚positiven Christentum‘ bekennt“.
Die Massenveranstaltungen konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Streitigkeiten innerhalb der DG von Monat zu Monat verschärften. Enge Mitarbeiter Hauers versuchten, die DG mit dem Nationalsozialismus zu verschmelzen. Eine solche Gleichschaltung lief jedoch Hauers Absichten ganz zuwider: „Wir wollen weder bekehren noch verleumden noch verdächtigen“, hieß es in einem DG-Flugblatt des Jahres 1935. Aber zwei Jahre später hatte sich die NS-Fronde durchgesetzt: „Die Deutsche Glaubensbewegung lehnt das Christentum in jeder Form ab, weil seine Grundforderungen den Lebensgesetzen von Volk und Rasse widersprechen und dem deutschen Wesen artfremd sind.“ Hauer mag diese sich schon während seiner Amtszeit abzeichnende Entwicklung bitter genug empfunden haben; im Sommer 1936 trat er zurück. Welche Unabhängigkeit des Standpunkts, bei aller Hitlergläubigkeit, er sich bewahrt hatte, zeigt sein öffentlicher Protest gegen den Judenpogrom in Deutschland am 8./9.11.1938.
Hauers Veröffentlichungen in diesen stürmischen Jahren stehen im Zeichen der weltanschaulichen Auseinandersetzungen, in die er sich hineingestellt sah: „Deutsche Gottesschau“ (1934) wurde sein erfolgreichstes Buch überhaupt; „Eine indoarische Metaphysik des Kampfes und der Tat. Die Bhagavadgita in neuer Sicht“ (1934), die „Glaubensgeschichte der Indogermanen“ (1937), „Ein arischer Christus?“ (1939), „Urkunden und Gestalten der germanisch-deutschen Glaubensgeschichte“ (1940-1944) sind – wie auch „Religion und Rasse“ (1941) – von jener „arischen“ Weltanschauung bestimmt, die er sich als Lehrfach erkor. Er suchte Gott im „deutschen Wesen“. Die Heidelberger und Tübinger Universitäten waren „in hohem Grad ideologisch unterwandert“ (Hugo Ott). „Tübingens Gesicht trug beispielsweise die Züge des Lehrstuhlinhabers für Religionswissenschaft und arische Weltanschauung.“ Hauer, der sich „entschlossen hatte, an Hitler zu glauben“ (Hans Buchheim), ließ sich auch in der Agonie des „Dritten Reiches“ von nichts und niemand in diesem Glauben erschüttern. Als die Marokkaner schon vor Tübingen standen, kündigte er noch seine Sommervorlesung 1945 „Volk und Rasse“ an und meldete sich, 64jährig, freiwillig zum Volkssturm. Am 6.10.1946 spottete die Züricher „Tat“: „Der Prophet mit der Panzerfaust. Der Vorkämpfer des deutschen Neuheidentums: Jakob Wilhelm Hauer“. Am 3.5.1945 wurde er von der französischen Besatzungsmacht verhaftet und blieb bis 19.8.1947 interniert. Am 25.10.1945 teilte ihm Staatsrat Dr. Schmid die sofortige Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, auf Befehl der französischen Militärregierung, mit.
Nach der Rückkehr schrieb Hauer an den Tübinger Rektor: „Die achtundzwanzig Monate in verschiedenen Gefängnissen und Lagern sind nicht leicht gewesen ... Aber das Erleben, das in diesen 28 Monaten beschlossen ist, hat mir Erkenntnisse und Erfahrungen gebracht, die ich ohne es wohl nie gewonnen hätte. Ich kann darum auch diese Prüfung bejahen.“ In der erst 1949 stattfindenden Universitätsspruchkammer-Verhandlung bekannte sich Hauer dazu, im Nationalsozialismus die große Chance für die Erneuerung des Volkes aus religiöser Tiefe gesehen zu haben, und die Kammer attestierte ihm, daß er „seine hohe Stellung in der nationalsozialistischen Bewegung niemals dazu benutzt hat, irgendwelche menschlich verwerflichen Dinge zu begehen“. Gutachter – von der Kammer sogenannte „einwandfreie“ Gelehrte (Helmuth von Glasenapp, Friedrich Heiler, Martin Buber u.a.) – führten die Kammer schließlich zu dem Gesamtbild des „ehrlich und redlich bemühten Wissenschaftlers, der aber nicht hat verhindern können, daß seine religiöse Überzeugung ... von der nationalsozialistischen Bewegung mißbraucht wurde“. Das Urteil fiel mild aus: Hauer wurde als „Mitläufer“ eingestuft und mit Pension in den Ruhestand versetzt. Das passive Wahlrecht wurde bis 1.1.1952 aberkannt.
Ein ebenso wie Hauer hitlergläubiger Kollege, der Historiker Johannes Haller, bezeichnete im April 1945 Hitler entweder als Wahnsinnigen oder den größten Schwindler und Hochstapler der Weltgeschichte. Vergleichbare Äußerungen Hauers liegen nicht vor. In einem gemeinsamen Schreiben des Ehepaars vom 21.3.1950 an die „Kameraden und Freunde“ ist von dem „Chaos“ die Rede, „in das uns das Schicksal geführt hat“ – dieses Schicksal trägt aber einen Namen: Adolf Hitler. Einmal ließ sich Hauer noch von einer „Volksbewegung“ – gegen die Remilitarisierung – mitreißen und beschwerte sich bei Bundeskanzler Adenauer am 28.6.1951 gegen das von diesem angeblich ausgesprochene „Verbot“ einer Volksbefragung ...
Auch im letzten Lebensjahrzehnt ließen ihn die religionswissenschaftlichen und philosophischen Fragen, die ihn von Beginn seiner Laufbahn an umgetrieben hatten, nicht los. Die Spruchkammer hatte die Erneuerung der Venia legendi versagt. So suchte er ein Forum für die überparteiliche und überkonfessionelle Diskussion dieser Fragen und gründete zusammen mit dem Pädagogen Friedrich Berger am 17.9.1950 die „Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie“, die im Jahre 1956 in die „Freie Akademie“ umgewandelt wurde und in eindrucksvollen jährlichen Tagungen einschlägige Fragen behandelte. Bis in die Gegenwart (1992) setzt die „Freie Akademie“ die geistige Auseinandersetzung mit den existentiellen Fragen unserer Tage fort – im Geiste der Toleranz ihres Gründers und des „Hinhorchenkönnens auf den anderen“ (Hauer). Im Jahre 1958 schloß sich der Ring des Forscherlebens mit einem Werk, das Hauers Biographin Margarete Dierks den „krönenden Abschluß seines durch viele Jahrzehnte fortgesetzten Studiums der Quellen, der altindischen Literatur, seiner Beschäftigung mit Forschungsergebnissen und Interpretationen von Kollegen in dieser Zeit und der Klärung eigener Übersetzungsfragen“ nennt: „Der Yoga. Ein indischer Weg zum Selbst“ (1958). Den schwer erkrankten Achtzigjährigen begleiteten Nietzsches Dionysos-Dithyramben in die „letzthinnige Wirklichkeit“ (Hauer): „Was je schwer war, sank in blaue Vergessenheit ... Silbern, leicht, ein Fisch, schwimmt nun mein Nachen hinaus ..."
Quellen: BA Koblenz: NL 131 (9 lfd. m); Personal-Akte Jakob Wilhelm Hauer im UA Tübingen (126a/180, 149/37, 508/3); Klaus Behnken (Hg.), Deutsche Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934-1940, 1989; Bd. 1935: 223-225, 235-240, 243, 669-671, 674, 681-682; Bd. 1936: 768; Bd. 1937: 237, 433-439, 499, 500, 504, 1142; Bischof Clemens August von Galen: Akten, Briefe und Predigten 1933-1946, I. 1933-1939, II. 1939-1946, bearb. von Peter Löffler, 1988.
Werke: Die wesentlichsten Werke Hauers sind im Text erwähnt. Die Bibliographie in: Margarete Dierks, Jakob Wilhelm Hauer (siehe Literatur), umfaßt 301 Nummern.
Nachweis: Bildnachweise: in: Margarete Dierks, Jakob Wilhelm Hauer (siehe Literatur), 407-441 (Bilddokumente) passim.

Literatur: (Auswahl) Hd 10, 11; Wilhelm Schlatter, Geschichte der Basler Mission 1815-1915, 1916 (3 Bde.); Oskar Rühe, Jakob Wilhelm Hauer, in: RGG Bd. 2 Sp. 1647f., 1928; Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, 53-54, 1935; Jakob Wilhelm Hauer, in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1928/29 Dritte Ausgabe, 1961 Neunte Ausgabe; Hans Joachim Iwand, Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen. Antwort auf Wilhelm Hauers „Deutsche Gottschau“, 1935; Herbert Grabert, Der Protestantische Auftrag des Deutschen Volkes. Grundzüge der Glaubensgeschichte von Luther bis Hauer, 1936; Helmuth von Glasenapp, Jakob Wilhelm Hauer, Glaubensgeschichte des Indogermanen, in: Theologische Literaturzeitung 1938 Heft 14; Otto Karrer, Das Religiöse in der Menschheit und im Christentum, 1949; Hans Buchheim, Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, 1953; RGG 3. Aufl. 1956-1959; Art. Deutschgläubige Bewegung, Hinduismus, Jugendbewegung, Mystik, Neue Zeit, in: Bd. II, 111, IV; Fritz Castagne, Zur neueren Geschichte der religiösen Toleranz, in: Wirklichkeit und Wahrheit 1958 Folge 2-3; Konrad Algermissen, Deutsch-religiöse Bewegung, in: LThK Bd. 3 Sp. 306-309, 1959; Wilhelm Hauer, in: Munzinger 41/60; Hans Kohn, Martin Buber, sein Werk und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteleuropas 1880-1930. Nachwort (1930-1960) von Robert Weltsch, 1961; Rudolf Daur/Albrecht Ströle, Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Wilhelm Hauer, in: Bund der Köngener, Mitteilungen vom Juni 1961; Helmuth von Glasenapp, Meine Lebensreise. Menschen, Länder und Dinge, die ich sah, 1964; NDB 8 (1969), 83f.; Hans Christian Brandenburg/Rudolf Daur, Die Brücke zu Köngen. 50 Jahre Bund der Köngener 1919-1969, 1969; Paul Sauer, Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, 1975; Lennart Stähle, Deutsche Glaubensbewegung 1933-1936, 1975; Klaus Scholder, Die Kirche und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen, 1918-1934, 1977; Carlo Schmid, Erinnerungen, 1979; Ulrich Nanko, Die Geschichte des Lehrstuhles für Vergleichende Religionswissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (1848-1943), 1980; Margarete Dierks, Jakob Wilhelm Hauer 1881-1962, Leben – Werk – Wirkung, 1986 (grundlegend; im Literaturverzeichnis dieses Buches sind 147 Veröffentlichungen über Hauer genannt); Hugo Ott, Universitäten und Hochschulen, in: Das Dritte Reich in Baden und Württemberg, hg. von Otto Borst, Stuttgart 1988; Ulrich Nanko, Die deutsche Glaubensbewegung: eine historische und soziologische Untersuchung (Tübinger Dissertation 1989), 1993, 372 S. (enthält auch einen Briefwechsel von Jakob Wilhelm Hauer mit Hermann Hesse, 218-323).
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