Düringer, Adelbert 

Geburtsdatum/-ort: 11.08.1855;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 03.09.1924; Berlin, beigesetzt auf dem alten Wilmersdorfer Friedhof, heute Stahnsdorf/DDR
Beruf/Funktion:
  • Jurist, DNVP/DVP-Politiker, Mitglied des Reichstags
Kurzbiografie: 1873 Abitur am Ludwigsgymnasium in München
1873-1880 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Straßburg, Bonn (u. a. bei Roderich von Stintzing) und Heidelberg (u. a. bei Johann Caspar Bluntschli), mehrmals unterbrochen wegen einer Typhus-Erkrankung
1880 Promotion in Heidelberg, anschließend praktische juristische Vorbereitungszeit
1884-1890 Amtsrichter in Wolfach, Offenburg und Mannheim
1890 Landgerichtsrat in Mannheim
1897 Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe
1900 Ministerialrat im großherzoglich-badischen Justizministerium
1902-1915 Richter am Reichsgericht in Leipzig
1915 Präsident des Oberlandesgerichts in Karlsruhe
1917 Minister des Großherzoglichen Hauses, der Justiz und des Auswärtigen im Großherzogtum Baden
1919 Abgeordneter der Weimarer Nationalversammlung (Wahlkreis Nr. 33, Baden). Deutschnationale Volkspartei, Gründungsmitglied und Landesvorsitzender der DNVP in Baden
1920-1922 Reichstagsabgeordneter für die DNVP (Wahlkreis Nr. 35, Baden)
1922-1924 Reichstagsabgeordneter für die DVP
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1884 Lina, geb. Heuß aus Eberbach am Neckar
Eltern: Vater: Heinrich Düringer, Küfer und Weinhändler in Mannheim (1813-1886)
Mutter: Margarete, geb. Gräber, aus Hemsbach (1824-1904)
Geschwister: Maria Katharina (1845-1877), 1871 verheiratet mit Prof. Dr. Karl Köster, 3 Kinder
Franz Eduard (1846-1910), Kaufmann, Reederei-Direktor, 1875 verheiratet mit Babette Glimpf, 3 Kinder
Kinder: Emma (1889-1949), verheiratet mit Dr. Werner Schulze, Landgerichtsrat in Berlin
Margarete (1892-1954), verheiratet mit Arthur Louis Sellier, Verleger in München, 3 Kinder
GND-ID: GND/118914456

Biografie: Thomas Wirth (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 65-68

Düringer gehörte zu den vielseitigsten Juristen seiner Zeit. Mit Ausnahme des Strafrechts gibt es kaum ein Rechtsgebiet, auf dem er sich nicht wissenschaftlich oder praktisch betätigt hätte.
Nach Beendigung seines Studiums begann er die Laufbahn als Richter im großherzoglich-badischen Justizdienst, die ihn durch die Instanzen bis zum Oberlandesgericht in Karlsruhe führte. Den Schwerpunkt seiner Interessen legte er bald auf das Gebiet des Handelsrechts; erfolgreich, wie sich an seiner 1895 erfolgten Berufung in die „Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines neuen Handelsgesetzbuches“ nach Berlin zeigte.
Das neue Handelsrecht baute auf dem neuen bürgerlichen Recht auf. Das sollte auch in der Bearbeitung dieses Rechtsgebietes deutlich werden, die Düringer seit 1897 zusammen mit seinem Freund, dem Mannheimer Rechtsanwalt Max Hachenburg, vornahm. In dem großen HGB-Kommentar „Düringer-Hachenburg“ wurde erstmalig die Entwicklung des Handelsrechts aus dem bürgerlichen Recht verdeutlicht. Düringer und Hachenburg stellten die beiden Materien als einheitliches Recht dar, indem sie besonders deren gegenseitige Ergänzung herausarbeiteten. Es dauerte nicht lange, bis der Kommentar unter den Standardwerken den führenden Platz eingenommen hatte.
1902 wurde Düringer Richter am Reichsgericht in Leipzig. Auch dort stand das Handels- und Patentrecht im Mittelpunkt seiner Tätigkeit; sein Senat spezialisierte sich mehr und mehr auf Fragen des Wirtschaftsrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes.
Da die Rechtsentwicklung mit der zunehmenden Komplexität des Wirtschaftslebens kaum Schritt halten konnte, hielt es Düringer für notwendig, diesem Rechtsgebiet ein eigenes Forum zu schaffen. 1907 gründete er zusammen mit zwei Kollegen die „Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht“, die bald zur Pflichtlektüre für jeden mit dem Wirtschaftsrecht befaßten Juristen wurde.
Sein Interesse für die philosophischen Grundlagen des Rechts führte den Reichsgerichtsrat bald nach der Jahrhundertwende in die Diskussion zwischen Positivisten und „Freirechtlern“, durch die die Interpretation und die Umsetzung des neuen deutschen Rechts maßgeblich mitgestaltet werden sollten. Mit zwei kleinen Bändchen über Recht und Moral bei Friedrich Nietzsche hatte er die Aufmerksamkeit vieler auf sich gezogen, die zu Beginn des Jahrhunderts nach neuen Methoden in der Rechtswissenschaft suchten. Um die bald immer weitere Bereiche des Rechtslebens ergreifenden Auseinandersetzungen betreffend die Erneuerung des Rechts in eine Bahn zu lenken, in der sie möglichst effektiv werden könnten, gründete Düringer 1911, zusammen mit weiteren gleichgesinnten Juristen, den Verein „Recht und Wirtschaft“. Vorrangiger Vereinszweck war die Zusammenführung der verschiedenen Meinungen zur Weiterentwicklung des Rechts sowie die Anpassung von Rechtsentwicklung und Rechtsanwendung an die Bedürfnisse der fortschreitenden Industrialisierung und Modernisierung. Zu den Vereinsmitgliedern gehörten neben Staatsrechtslehrern wie Heinrich Triepel, Erich Kaufmann und Hugo Preuß auch die Industriellen Carl Duisburg und Wilhelm von Siemens sowie die späteren Minister der Weimarer Zeit Gustav Radbruch, Hans Luther, Eugen Schiffer und Rudolf Heinze. Düringer lenkte die Geschicke des Vereins bis zu dessen Auflösung 1923 als erster Vorsitzender.
Im Oktober 1915 kehrte Düringer vom Reichsgericht an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurück, als dessen Präsident. Es blieb ihm jedoch nicht viel Zeit, sich in diese neue Stellung einzuarbeiten. Schon 2 Jahre später, im Dezember 1917 ernannte ihn Großherzog Friedrich II. von Baden als Nachfolger des Freiherrn von Dusch zum Minister des Großherzoglichen Hauses, der Justiz und des Auswärtigen. Die Kriegszeiten haben es verhindert, daß unter Justizminister Düringer nennenswerte Gesetze entstanden sind. Als Minister des Auswärtigen war er jedoch im Bundesrat und im Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten an der deutschen Außenpolitik in der Endphase des Krieges direkt beteiligt. Darüber hinaus kam ihm eine Aufgabe besonderer Art zu: als Vertrauensmann des Prinzen Max von Baden stand er diesem besonders in den Tagen seiner Kanzlerschaft als Freund und Berater zur Seite.
Auch nach der Revolution wollte Düringer sich weiterhin in der Politik engagieren. Als gerade entlassener großherzoglicher Minister war ihm der Eintritt in die republikanisch gesinnte Partei jedoch nicht möglich. Er trat in die Deutschnationale Volkspartei ein und wurde zum 1. Vorsitzenden des badischen Landesverbandes gewählt. Bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. 1. 1919 wurde Düringer als einziger Abgeordneter der DNVP im Wahlkreis Baden nach Weimar entsendet. Dort konnte er sich bald als Mitglied des 8. Ausschusses, der für die Vorberatung des Entwurfs einer neuen Verfassung zuständig war, dieser wohl wichtigsten Aufgabe der Nationalversammlung widmen. Düringer war gewillt, auf der Grundlage der neuen Verhältnisse mitzuarbeiten, selbst wenn das erklärte Ziel seiner Partei, die Wiedererrichtung der Monarchie, zunächst in weite Ferne gerückt war. Im Gegensatz zu weiten Teilen seiner Partei hatte er den Volkswillen, der sich für die Republik als neue Staatsform entschieden hatte, akzeptiert.
Bei den Verfassungsberatungen engagierte sich Düringer vor allem für einen Ausbau der Grundrechte sowie für eine unmittelbare Grundrechtsbindung aller Staatsgewalten. Zwar konnte er sich mit seiner Ansicht, daß die Grundrechte über die Ebene eines deklamatorischen Appells eindeutig hinausgehoben werden müßten, indem ihnen ein festes staatsrechtliches Fundament zu schaffen sei, gegen die Mehrheit der Regierungsparteien nicht vollends durchsetzen. Jedoch hat er den Beratungen wichtige Impulse gegeben und durch seine Vorschläge die große staatsrechtliche Diskussion der Weimarer Zeit über die Notwendigkeit eines richterlichen Prüfungsrechts vorgezeichnet.
Auch nach der Verabschiedung der Verfassung setzte Düringer seine konstruktive Arbeit am Aufbau der Republik fort. Bei der von Erzberger betriebenen Reichsfinanzreform, mit der eine Lösung der Frage nach der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern herbeigeführt werden sollte, war der ehemalige Minister einer der Hauptredner in der Nationalversammlung.
In seiner Partei wurde Düringer, der sich entgegen ausdrücklichen Weisungen der Parteileitung nicht daran hielt, im Parlament schärfste und rücksichtslose Opposition zu betreiben, zunehmend isoliert. Nach dem Kapp-Putsch, der von Teilen der DNVP offen unterstützt worden war, gehörte Düringer zu den wenigen Deutschnationalen, denen von den anderen Parteien der Nationalversammlung abgenommen wurde, diesen Umsturzversuch von vornherein kategorisch abgelehnt zu haben. Insbesondere von ihm erhofften sich viele einen mäßigenden Einfluß auf die „Gewaltpolitiker“ der Rechten. Spätestens nach dem Mord an Außenminister Rathenau erwies sich diese Hoffnung jedoch auch für Düringer als unerfüllbar. Im Herbst 1922 wechselte er in die Deutsche Volkspartei über.
Parteipolitisch trat er in der DVP kaum noch in Erscheinung. Dafür verstärkte er seine Arbeit auf rechtspolitischem Gebiet. Düringer wurde zum Anführer einer breiten Volksbewegung, die für eine gerechte Lösung des durch die Inflation hervorgerufenen Aufwertungsproblems kämpfte. Insbesondere auf seine Bemühungen ist es zurückzuführen, daß das Reichsgericht im November 1923 mit dem aufsehenerregenden Urteil zur Hypothekenaufwertung erstmals einer vollständig im freirechtlichen Sinne erfolgten Gesetzesauslegung zum Durchbruch in der Praxis verhalf. Damit war der Grundstein gelegt für die Anerkennung der Vorschläge Düringers auch durch den Gesetzgeber im Aufwertungsgesetz 1924.
Obwohl Düringer lange Abschnitte seines Lebens außerhalb Badens verbrachte, blieb er seiner Heimat stets eng verbunden. So betätigte er sich während seiner Zeit als Reichsgerichtsrat auch als Verfasser von Gedichten in Mannheimer Mundart. Und in Weimar wandte er sich als einziger Abgeordneter seiner weiteren Heimat gegen einen Zuammenschluß der beiden Länder Württemberg und Baden. Als Düringer im September 1924 starb, trauerten sowohl der Reichstag als auch die Rechtswissenschaft um eine auf allen Seiten hochgeschätzte Persönlichkeit.
Werke: (Auswahl aus den über 130 Publikationen): Das Handelsgesetzbuch auf Grundlage des BGB, erläutert von Dr. Düringer und Dr. Hachenburg, Mannheim, 1. Aufl. 1899 ff.; Das Gesetz betreffend die Überleitung der ehelichen Güterstände des älteren Rechts in das Reichsrecht, Karlsruhe 1903; Nietzsches Philosophie vom Standpunkt des modernen Rechts. Leipzig 1906; Nietzsches Philosophie und das heutige Christentum, Leipzig 1907; Richter und Rechtsprechung, Leipzig 1909; Das Reichsgesetz über wertbeständige Hypotheken vom 23.6.1923, erläutert von Dr. Düringer und Dr. Schulze; Gewährleistung beim Verkauf von Wertpapieren, in: Deutsche Juristenzeitung, 1905, 374 ff.; Schreibjustiz und Richterkönigtum, in: Das Recht, 1907, 1027 ff.; Justizreform! in: Deutsche Richterzeitung, 1909, 47 ff.; Die Vorbildung der Juristen auf der Universität, in: Blätter für Rechtsanwendung, 1911, 371 ff.; Zur Reform des Zivilprozeßrechts, in: Leipziger Zeitschrift, 1914, 46 ff.; Zur Reform der Rechtspflege, in: Recht und Wirtschaft, 1917, 1 ff.; Die Verfassung des Deutschen Reiches, in: Recht und Wirtschaft, 1919, 119 ff.; 143 ff., 167 ff.; Grundrechte und Grundpflichten, in: JW 1919, 701 ff.; Die Verfassungswidrigkeit der Reichsabgabenordnung, in: Recht und Wirtschaft, 1920, 2 ff.; Schutz der Hypotheken, in: JW 1923, 433 ff.; Staatsbürgertum und politische Betätigung, in: Deutschen-Spiegel, Heft 2, 38 ff.; Etwas über Politik und Philosophie im Weltkrieg, in: Der Tag, 16. 6. 1916; Die Verbrechen der Deutschen, in: Karlsruher Ztg., 27. und 28.8.1918; Offener Brief des RT-Abgeordneten Dr. Düringer, in: Zeit, 12.9.1922; Schutz der Hypothekengläubiger, in: Vossische Ztg., 13.3.1923; Ermächtigungsgesetz und Verfassung in: Vossische Ztg., 9.1.1924; Im Kampf um das Recht, in: Nationalliberale Correspondenz, 28.4.1924.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde D.s im großen Sitzungssaal des Oberlandesgerichts in Karlsruhe; Portraitskizze in der FS zur Eröffnung des BGH in Karlsruhe, S. 105.

Literatur: Max Hachenburg, A. Düringer, Mannheim/Berlin/Leipzig 1931 (28 Seiten); ders., A. Düringer, in: JW 1924, 1409; ders. Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts, Düsseldorf 1927; Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, Stuttgart 1968, 298 ff.; Karl Jordan, Karlsruher Richterbilder, in: FS zur Eröffnung des BGH in Karlsruhe 8.10.1950, 104 ff.; Erich Döhring, A. Düringer, in: NDB4, 1971, 171 f.; Thomas Wirth, A. Düringer – Jurist zwischen Kaiserreich und Republik, Mannheim 1989.
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