Scheel, Gustav Adolf 

Geburtsdatum/-ort: 22.11.1907;  Rosenberg, Baden
Sterbedatum/-ort: 25.03.1979; Hamburg
Beruf/Funktion:
  • NS-Politiker, Reichsstudentenführer, Arzt
Kurzbiografie: 1914-1928 Volksschule und Gymnasium in Bötzingen am Kaiserstuhl, Tauberbischofsheim und Mannheim, am dortigen Karl-Friedrichs-Gymnasium 1928 Abitur, in der Schulzeit Mitglied der „Schülerbibelkreise“ (B. K.), der „Deutschen Freischar“ und des „Großdeutschen Jugendbundes“
1928-1934 Studium der Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft und Theologie (1. Semester Universität Heidelberg), Theologie, Volkswirtschaft und Chemie (2. und 3. Semester Universität Tübingen), Medizin (4.-11. Semester Universität Heidelberg), 1934 Medizinisches Staatsexamen (sehr gut), Promotion zum Dr. med. (sehr gut) bei Priv.-Doz. H. O. Kleine, Dissertation: „Zur Frage der Beeinflußbarkeit der Strahlensensibilität durch Diabetes bei Radiumbehandlung von an Collum- und Corpus-Carzinom erkrankten Frauen“
1930 Eintritt in die NSDAP, Mitgliedsnummer 391271
1931 Vorsitzender des AStA an der Universität Heidelberg, 1932 Kreisführer Südwest der Deutschen Studentenschaft und Gaustudentenführer
1933 Eintritt in die SA, 1934 Austritt und Eintritt in die SS: 1934 Sturmführer, 1935 Obersturmführer, 1936 Hauptsturmführer, 1936 Sturmbannführer, 1937 Obersturmbannführer, 1938 Oberführer, 1941 Brigadeführer, 1942 Gruppenführer, 1944 Obergruppenführer, General der Polizei
1935 Ehrensenator der Universität Heidelberg; 1945 Streichung aus der Ehrensenatorenliste
1935-1939 Oberabschnittsführer des Sicherheitsdienstes (SD) Stuttgart
1936-1945 Reichsstudentenführer, 1938 MdR
1939 Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD-Oberabschnitts Stuttgart, 1940 (Frühjahr) kurzzeitiger Wehrdienst bei einer Sanitätsersatzkompanie der Luftwaffe, Unterarzt
1940 (Sommer) Befehlshaber des SD im Elsaß, 1940 (Herbst) Oberabschnittsführer des SD München
1941 (05.05.) Führer des SS-Oberabschnitts Alpenland in Salzburg, 1941 (18.11.)-1945 Reichsstatthalter und Gauleiter in Salzburg, 1942 Reichsverteidigungskommissar für den Gau Salzburg
1944-1945 Reichsdozentenführer
1945 (29.04.) Kultusminister der Reichsregierung Dönitz, (15.05.) Verhaftung in St. Veit, Haft in Salzburg, Fürstenfeldbruck, Augsburg, Seckenheim, Kornwestheim, Heidelberg, Dachau
1946-1948 Haft im Nürnberger Gerichtsgefängnis, Zeuge bei den Kriegsverbrecherprozessen, Entlassung am 12.01.1948; 1948 (15.01.) Verhaftung durch die württemberg-badischen Behörden, Haft in Kornwestheim, Langwasser, Mannheim, Ludwigsburg
1948 (23.12.) Spruchkammerverhandlung in Heidelberg, „Hauptschuldiger“, Haftentlassung; 1952 (20.10.) Berufungsverhandlung vor der Zentralspruchkammer Nordwürttemberg in Tübingen, „Belasteter“
1949 Arzt in einem Hamburger Krankenhaus, später Eröffnung einer eigenen Praxis
1953 (15.01.) Verhaftung im Zusammenhang mit der Naumann-Affäre durch die britische Besatzungsmacht, Haft im Zuchthaus Werl und nach der Übergabe Scheels an die deutschen Behörden im Gerichtsgefängnis Karlsruhe, 1953 (07.06.) entlassen
1977 Aufgabe der ärztlichen Praxis aus Gesundheitsgründen
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch (Kirchenaustritt 1944)
Verheiratet: 1936 Elisabeth, geb. Lotze
Eltern: Vater: Wilhelm Scheel, Pfarrer
Mutter: Cornelia, geb. Tillmanns
Geschwister: 3 Schwestern (geb. 1909, 1911, 1921)
Kinder: 4 (geb. 1937, 1939, 1941, 1945)
GND-ID: GND/11897713X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 395-399

Zu den „ehrenhaften Männern“ in der von Hitler mit seinem „Politischen Testament“ vom 29.4.1945 ernannten Reichsregierung Dönitz gehörte als Nr. 12 – von 17 – der badische Pfarrersohn Gustav Adolf Scheel als Kultusminister. Seine Kabinettszugehörigkeit stand freilich nur auf dem Papier; wenige Tage nach dem Ende des „Dritten Reiches“ wurde er verhaftet. Der Weg Scheels in den innersten Zirkel der NS-Potentaten spiegelt keineswegs „das Schicksal der deutschen studentischen Jugend in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wider“. Sein Biograph Georg Franz Willing (Literatur) hat die Stirn, dies zu behaupten. Der größte Teil der deutschen studentischen Jugend der ersten Jahrhunderthälfte ging auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges in dem von Scheels „Führer“ entfesselten Inferno unter, und an diesem Schicksal hatte der ausschließlich seine Parteikarriere verfolgende „Reichsstudentenführer“ überhaupt keinen Anteil; seine Kriegsverdienstkreuze „mit Schwertern“ erwarb er sich als hoher NS-Funktionär und beflissener Vollstrecker der Befehle seines „Führers“ am Schreibtisch.
1905 war der aus Elberfeld stammende Vater in den Dienst der Badischen Landeskirche getreten, und die Jugend Scheels spielte sich in familiärer Harmonie und in der festgefügten hierarchischen Ordnung des Kaiserreichs bzw. Großherzogtums ab. Wohl dem verehrten Vater zuliebe begann er das Universitätsstudium mit der Theologie und bestand sogar noch das Hebraikum; aber bald gab er seiner Neigung zur Medizin nach und schloß seine Studien mit sehr guten Examina ab. Mittlerweile jedoch war nach ersten Erfahrungen mit Gleichgesinnten in „völkischen“ Jugendgruppen jenes Medium in sein Leben getreten, das es jahrzehntelang ganz und gar bestimmen sollte: die Politik. In verhängnisvoller Verkennung des Programms der Totengräber der Weimarer Republik trat er, „berauscht von dem Gedanken, einer neuen Führungselite anzugehören“ (H.-U. Thamer), schon 1930 in die NSDAP ein und übernahm, sich zu Leitungsfunktionen berufen fühlend, bald wichtige Ämter im studentischen Leben, das er erst auf der Orts-, Kreis- und Gauebene, später auf der Reichsebene den ideologischen Forderungen seiner Partei entsprechend ausrichtete. Eine erste Bewährungsprobe bestand er im Jahre 1932, als er die Heidelberger Studentenschaft gegen den durch seine pazifistischen Äußerungen bekanntgewordenen Professor Emil Gumbel aufhetzte. Aufgrund der von Scheel inszenierten pöbelhaften Demonstrationen, seiner zahlreichen Agitationsartikel im „Heidelberger Studentenblatt“ und der feigen Haltung der meisten Dozenten und des zuständigen badischen Kultusministers verlor Gumbel seine Lehrberechtigung und emigrierte. Im Jahre 1932 war Karl Jaspers Beisitzer in einem gegen Scheel „und Konsorten“ eingeleiteten Disziplinarverfahren. Jaspers berichtete später, Scheel habe es „durch seine Lügenhaftigkeit dazu gebracht, daß er freigesprochen“ worden sei. Scheel seinerseits machte bei seinen Entnazifizierungsverfahren geltend, daß er sich während des „Dritten Reiches“ für Jaspers und dessen jüdische Ehefrau eingesetzt habe.
1935 wurde Scheel zum Ehrensenator der Universität Heidelberg ernannt, wegen der Führung des „in Heidelberg besonders schweren Kampfes der Studentenschaft gegen die frühere Badische Regierung und gegen diejenigen Teile der Universität, die Gegner der Bewegung waren“, wie der Heidelberger Rektor Wilhelm Groh in der Begründung für diese außergewöhnliche Ehrung feststellte, in Anerkennung seiner Dienste „bei der Beseitigung der Feinde des Nationalsozialismus, dem Wegräumen des Abgestandenen und Überlebten wie aber insbesondere auch im Aufbau einer neuen Hochschule“. Scheel verbinde „unerbittliche Härte und revolutionären Schwung“ mit „maßvollem Auftreten und feinstem Takt“. Am 11.7.1945 wurde die Liste der Ehrensenatoren aufgrund eines Beschlusses des Universitätssenats als ungültig erklärt.
Nach der Bestätigung solcher Dienste auf so spektakuläre Weise konnte die Ernennung zum Reichsstudentenführer im Jahre 1936 nicht ausbleiben, und er blieb dies bis zur letzten Minute des „Dritten Reiches“. Sein wichtigstes Ziel in diesem Amt war die Vernichtung der alten Formen des studentischen Lebens und die Ausrichtung der Studentenschaft im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Alle Studenten mußten einer der NS-Organisationen angehören; Juden durften selbstverständlich nicht mehr studieren. Die Auflösung der Korporationen hatte schon sein Vorgänger erledigt – „Wir haben den Feudalstudenten für alle Zeiten unmöglich gemacht“ (Scheel) –, jetzt ging es um die Umformung der Universität zu einer „Erziehungs- und Führungsschule der besten charakterlichen und fachlichen Kräfte der Nation“, die dereinst „Führer und Unterführer des nationalsozialistischen Staates“ (Scheel) werden sollten. Dieses Ziel der „kampfgewordenen Studentenschaft“ werde im Bündnis mit dem „deutschen Werkmann“ gegen die „noch vorhandene Reaktion“ erreicht werden. Dazu gehöre auch, daß alle Studenten Vorlesungen über „Rassenkunde, Vererbungslehre, deutsche Kulturgeschichte und Wehrwissenschaft“ hörten. Die „kampfgewordene“ Gemeinschaft finde ihren äußeren Ausdruck im „Deutschen Gruß“, der auch untereinander „in strammer und würdiger Form“ zu erweisen sei. „Das in letzter Zeit eingerissene lässige Handaufheben ist eines SA-Studenten unwürdig.“
Nach solchen Werken „revolutionären Schwungs“ konnte sich die Parteikarriere nicht anders als unaufhaltsam entfalten, wie etwa die SS-Laufbahn erweist: jedes Jahr eine Beförderung. Hervorzuheben ist dabei Scheels Tätigkeit als hoher Funktionär des SD; er war allen Ernstes der Meinung, daß das wie ein Spinnennetz das Deutsche Reich überziehende verbrecherische Spitzelsystem des SD als „kritisches Regulativ ... im autoritären Staat anstelle der früheren Parlaments- und Pressekritik getreten sei“. Heydrich und der Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, Robert Wagner, befanden allerdings den in das eroberte Elsaß entsandten SD-Befehlshaber Scheel als „viel zu weich“; er bemühte sich nämlich, in seinen Berichten die Situation im Elsaß objektiv darzustellen. Hermann Bickler (Literatur) meinte, daß Scheel die Problematik des Grenzlandes rasch eingeleuchtet habe; das gute Verhältnis zum Stab habe Scheel ermöglicht, wirksam für die elsässische Bevölkerung einzutreten. Der Konflikt zwischen Scheel und Wagner/Heydrich spitzte sich zu, als Hitler im Spätjahr 1940 die Ausweisung der „Französlinge“ befahl. Scheel persönlich führte den Vorsitz in der Ausweisungskommission, und er ließ zu, daß von elsässischer Seite Einwendungen zugunsten der Auszuweisenden vorgetragen wurden, ließ aber keinen Zweifel daran, daß es sich bei dem Ausweisungsbefehl um eine unumstößliche Entscheidung Hitlers handle. Wenn auch in vielen Fällen die Ausweisungen tatsächlich erfolgten, galt Scheel doch nach dem Zeugnis eines elsässischen Pfarrers als „human und recht denkender Beamter“, und die Franzosen verzichteten denn auch nach dem Krieg darauf, ihn auf die Auslieferungsliste zu setzen.
Auf eigenen Wunsch übernahm Scheel im Herbst 1940 ein hohes SD-Amt in München; sein Ruf als linientreuer Nationalsozialist wurde auch durch die elsässische Episode nicht beeinträchtigt: Im November 1941 ernannte ihn Hitler zum Gauleiter und Reichsstatthalter in Salzburg. Folgt man der von Scheels Biographen Willing stammenden Schilderung der Aktivitäten des Gauleiters und Reichsstatthalters in den Jahren von 1941-1945 in Salzburg, entsteht das Bild einer weltabseitigen Idylle mit einem milden und gütigen Landesvater, der mit der Gründung des „Heimatwerks Salzburg“ Volks- und Brauchtum förderte, für die Weiterführung der Festspiele als „Salzburger Musik- und Theatersommer“ sorgte, eine Überfremdung des Gebiets mit „Reichsdeutschen“ verhinderte, sich für verhaftete Kommunisten und Sozialdemokraten einsetzte, den Bau von Luftschutzstollen vorantrieb, sich um ein gutes Verhältnis zur Katholischen Kirche bemühte etc. etc. Erzbischof Rohrbacher bestätigte Scheel bei dessen Entnazifizierungsverfahren, daß durch den Stollenbau mehrere zehntausend Menschen gerettet worden seien; Scheel habe auch durchgesetzt, daß Salzburg am Kriegsende nicht verteidigt, sondern den einrückenden Amerikanern kampflos übergeben worden sei.
Aber neben all diesen Guttaten fand er im Jahre 1943 doch noch die Zeit, sich in Interventionen bei Himmler und Bormann darum zu bemühen, daß die Mitglieder der „Weißen Rose“ „nicht als Studenten hingerichtet“ würden, sondern als „asoziale ehemalige Wehrmachtsangehörige“; denn „seine“ Studentenschaft durfte nicht mit der Mitgliedschaft dieser „Verbrecher“, wie er sie nannte, befleckt werden. 1944 trat er aus der Evangelischen Kirche aus, nachdem er noch 1941 versichert hatte, daß die Erinnerung an seinen Vater ihn daran hindern werde, „jemals etwas gegen die Kirche oder das Christentum mitzumachen“.
Mitte Mai 1945 stellte er sich freiwillig den Amerikanern. Eine dreijährige Haft in verschiedenen Lagern und Gefängnissen folgte. Nach seiner Entlassung in Nürnberg stellte er sich wiederum freiwillig den württemberg-badischen Behörden, die ihn am 15.1.1948 verhafteten. Im Dezember 1948 wurde er von der Heidelberger Spruchkammer als „Hauptschuldiger“ eingestuft; die Zentralspruchkammer Nordwürttemberg reihte ihn im Berufungsverfahren unter die „Belasteten“ ein, verurteilte ihn zu fünf Jahren Arbeitslager, zum Einzug von 50 % des Vermögens, ein Jahr lang zur Abgabe von 50 % des 500 DM übersteigenden monatlichen Einkommens sowie zu den Verfahrenskosten in Höhe von etwa 2000 DM. Ministerpräsident Gebhard Müller lehnte am 17.5.1954 einen Antrag Scheels auf Umstufung ab, hob aber sämtliche noch wirksame Sühnemaßnahmen mit Wirkung vom 1.5.1954 im Gnadenwege auf, nachdem die Verfahrenskosten schon 1953 auf 300 DM ermäßigt worden waren.
Von 1949 an konnte Scheel wieder seinen erlernten Arztberuf ausüben, zunächst, unter kümmerlichen Bedingungen, an einem Hamburger Krankenhaus, später in eigener Praxis. Im Jahre 1953 ging sein Name noch einmal durch die Presse: Im Januar dieses Jahres verhaftete die britische Besatzungsmacht acht führende ehemalige Nationalsozialisten, unter ihnen Scheel und den früheren Staatssekretär im Reichspropagandaministerium Werner Naumann, wegen des Verdachts des Aufbaus einer Geheimorganisation und der nationalsozialistischen Unterwanderung bundesrepublikanischer Parteien. Scheel wurde in Werl inhaftiert. Ende März übergaben die Briten die in unenglischer Hysterie verhafteten „Geheimbündler“ den deutschen Behörden; aber auch der Bundesgerichtshof mußte die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen die acht Beschuldigten mangels Tatverdachts ablehnen. „Der Angeklagte Dr. Gustav Adolf Scheel kann für die erlittene Untersuchungshaft Entschädigung aus der Staatskasse verlangen, weil das Verfahren dargetan hat, daß gegen ihn kein begründeter Tatverdacht vorliegt.“ Auch die Scheel erwachsenen „notwendigen Ausgaben“ – Anwaltskosten – wurden der Staatskasse auferlegt. Gleichwohl wurde Scheel, abgesehen von der psychischen Belastung durch die zu Unrecht verhängte Haft, gerade in der Aufbauphase seiner eigenen ärztlichen Praxis empfindlich geschädigt.
Der Salzburger Gauleiter und Reichsstatthalter unterschied sich in vielfacher Hinsicht von den meisten der gleichrangigen NS-Funktionäre: Er war ein gebildeter Mann und hatte sein Studium ordnungsgemäß abgeschlossen, er führte ein Familienleben ohne Skandale oder Affären, er lebte einfach und sammelte keine Reichtümer, Korruption war ihm fremd. Er bewies Menschlichkeit in Fällen, in denen andere SS- und SD-Führer sofort gnadenlos zuschlugen; „offenbar vertrug sich sein rücksichtsloser Nationalsozialismus gelegentlich mit Spuren des Respekts gegenüber Andersdenkenden“ (Eike Wolgast). Sein Gauleiteramt übte er „nach streng preußischer Auffassung“ (Willing) aus, also unter Einsatz der preußischen Tugenden Pflichttreue, Unbestechlichkeit und Sparsamkeit, jener Tugenden allerdings, die „in sich richtig waren oder zumindest echte sittliche Bestandteile enthielten, die sich aber jeweils auch für die schandbarsten sozialen und politischen Zwecke einsetzen ließen“ (Eugen Kogon). Bei aller persönlichen Integrität blieb er bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ ein treuer Diener des nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorsystems, dessen Fratze er schon bei den Staatsmorden am 30. Juni 1934 hätte erkennen können, von den Rassegesetzen und dem 9. November 1938, als die Synagogen brannten, nicht zu reden. Durchaus auch wußte er, wie ihm schon der Heidelberger Universitätsrektor bescheinigt hatte, mit „unerbittlicher Härte“ vorzugehen, seinerzeit bei der „Beseitigung der Feinde des Nationalsozialismus“ an der Heidelberger Universität, später, in Kenntnis der prekären Situation, bei den „Säuberungsmaßnahmen“ im Elsaß, für die er mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet wurde. Auch die Bezeichnung der Geschwister Scholl als asoziale Verbrecher spricht nicht gerade dafür, daß er ein „Fanatiker der Humanität“ war (Ziffer 31 seines apologetischen Katalogs, siehe unten), und auch nicht dafür, daß er „immer anständig zu den Gegnern“ war (Ziffer 1): Im Mai 1933 denunzierte er 25 Studenten, die bei den AStA-Wahlen im Januar 1933 die Liste „Rote Studentenfront“ unterstützt hatten; sie wurden ohne disziplinargerichtliches Verfahren aus der Universität hinausgeworfen (Ziffer 83: kein Student oder Professor habe auf seine Veranlassung die Hochschule verlassen müssen). Natürlich war ein Mann mit seinen Fähigkeiten im NS-System wohlgelitten und erfreute sich des besonderen Wohlwollens Hitlers und Himmlers; dem letzteren „gelobte“ er, ein ihm übertragenes Amt „anständig“ zu führen – dieses Adverb wurde später in vielen Entnazifizierungsprozessen zu einer der häufigsten Vokabeln –, und Hitler selbst erinnerte sich noch in der Stunde, in der sein „Tausendjähriges Reich“ in Trümmer sank, seines getreuen Gefolgsmannes Scheel und ernannte ihn zum Reichsminister. Ein solcher Parteigenosse, dessen Treue zum nationalsozialistischen System über jeden Zweifel erhaben war, konnte sich natürlich in seinem persönlichen Umfeld jene Freiheiten herausnehmen, die in den zu seinen Entnazifizierungsverfahren eingereichten Entlastungsstellungsnahmen eindrucksvoll reflektiert werden.
In der mehrfach zitierten Biographie Willings findet sich der oben schon erwähnte apologetische Katalog, in dem Scheel unter der Überschrift „Bin ich schuldig?“ in 151 Punkten nachzuweisen sucht, daß er mit dem Nationalsozialismus im allgemeinen und mit der NS-Rassenideologie und den Verbrechen des „Dritten Reiches“ im besonderen nichts zu tun habe. Zu seiner Entlastung führt er u.a. an, daß er nur dreieinhalb Jahre Gauleiter gewesen sei, daß der Gau Salzburg halb so groß wie der Gau Stuttgart gewesen sei und daß er, der SS-Obergruppenführer, General der Polizei und SD-Oberabschnittsführer, „nie ein Mann der Polizei“ gewesen sei. Man findet aber in diesem Katalog keine Zeile des Bedauerns über die Untaten des verbrecherischen Systems, dem er mit allen Kräften diente, und man findet auch nicht einen Satz darüber, daß er, bei aller persönlichen Integrität, schwere individuelle Schuld dadurch auf sich geladen hat, daß er im NS-Staat hohe und höchste Ämter übernahm und dadurch zur Stabilisierung des Unrechtssystems beitrug; gerade seine persönliche Integrität bewirkte ja bei der großen Mehrheit der undifferenziert denkenden Deutschen die Akzeptanz des Nationalsozialismus. In einem parteiamtlichen Lebenslauf Scheels vom 27.5.1943 heißt es: Scheel „spielte eine führende Rolle im Kampf gegen den Liberalismus und das Judentum an den deutschen Hochschulen“, und die von ihm geschaffene deutsche Studentenschaft werde zu einem „der einsatzfähigsten Faktoren im Kampf um unsere (NS-)Weltanschauung“ werden.
Die Antwort auf die von Scheel selbst gestellte Frage „Bin ich schuldig?“ kann nur lauten: Ja, ohne jede Einschränkung.
Quellen: Entnazifizierungs- und Parteiakten im GLAK; Mitteilungen des UA Heidelberg; Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich, Die geheimen Berichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, Bd. 2, 140-143, Bd. 3, 584, Bd. 14, 5503-5505, 1984.
Nachweis: Bildnachweise: in: G. F. Willing, „Bin ich schuldig?“ (Literatur), passim.

Literatur: (Auswahl) Eugen Kogon, Der SS-Staat, Das System der deutschen Konzentrationslager, 1947/1965; Hermann Bickler, Ein besonderes Land, 1978; Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer 1949-1957, in: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Karl Dietrich Bracher, Theodor Eschenburg, Joachim C. Fest, Eberhard Jäckel, 1981; Günter Böddeker, Der Untergang des Dritten Reiches, 1985; Karl Höffkes, Hitlers politische Generale, die Gauleiter des Dritten Reiches, 1986; Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt, Deutschland 1933-1945, 2. Aufl. 1986; Paulgerhard Gladen (unter Mitarbeit von Ulrich Becker), Gaudeamus igitur, Die Studentischen Verbindungen einst und jetzt, 1986; Eike Wolgast, Die Universität Heidelberg 1386-1986, 1986; ders., Die Universität Heidelberg in der Zeit des Nationalsozialismus, in: ZGO 135, 1987; Georg Franz Willing, „Bin ich schuldig?“, Leben und Wirken des Reichsstudentenführers und Gauleiters Dr. Gustav Adolf Scheel, 1907-1979, 1987; Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil I, Der Professor im Dritten Reich, 1991; ders., Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Die Kapitulation der Hohen Schulen, Bd. I, 1992; Martin Heidegger/Karl Jaspers, Briefwechsel 1920-1963, 1992; Munzinger 44/53.
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