Bothe, Walther Wilhelm Georg 

Geburtsdatum/-ort: 08.01.1891; Oranienburg bei Berlin
Sterbedatum/-ort: 08.02.1957;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Kernphysiker, Nobelpreisträger
Kurzbiografie: Goethe-Schule, Oranienburg
1908 Reifeprüfung an der Friedrich-Werderschen Oberrealschule, Berlin
1908-1912 Studium der Physik, Mathematik, Chemie und Musikwissenschaft, Berlin
1913 Lehramtsprüfung; Hilfsassistent landwirtschaftliche Hochschule, Hilfsassistent Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR)
1914 Promotion bei Max Planck: Zur Molekulartheorie der Brechung, Reflexion, Zerstreuung und Extinktion
1914 Einberufung zur Kavallerie
1915-1920 Gefangenschaft in Sibirien, Abiturientenkurse, Zündholzfabrikation
1920-1925 Assistent an der PTR in Berlin
1925-1930 Leiter des Laboratoriums für Radioaktivität der PTR
1925 Bestätigung der Lichtquantenvorstellung
1926 Habilitation an der Universität Berlin
1929 Nachweis der Korpuskularen Natur der Kosmischen Ultrastrahlung
1930-1932 Ordentlicher Professor für Physik an der Universität Gießen
1932-1934 Ordentlicher Professor für Physik an der Universität Heidelberg
1934-1945 Direktor Institut für Physik am Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung
1946-1953 Ordentlicher Professor für Physik an der Universität Heidelberg
1953-1957 Direktor Institut für Physik am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung
1952 pour le mérite
1953 Max-Planck-Medaille
1954 Nobelpreis für Physik
1956 Dr. h.c. der Universität Gießen
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1920 Moskau, Barbara, geb. Below
Eltern: Vater: Friedrich Bothe, Uhrmachermeister
Mutter: Charlotte, geb. Hartung, Schneiderin
Kinder: Elena, Johanna
GND-ID: GND/119335956

Biografie: Ulrich Schmidt-Rohr (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 39-42

Bothe ist in Oranienburg nördlich von Berlin unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Nach dem Abitur begann er 1908 eine Banklehre, konnte dann aber zum Wintersemester mit dem Studium beginnen. Seinen Lebensunterhalt mußte er weitgehend durch Nachhilfeunterricht verdienen. Nach der Lehramtsprüfung im Jahre 1913 erhielt er eine Hilfsassistentenstelle an der landwirtschaftlichen Hochschule. Sie ermöglichte es ihm, zu promovieren und sich ganz auf die Physik zu konzentrieren. Bothe war einer der sieben Doktoranden, die Max Planck angenommen hat und von denen viel Selbständigkeit verlangt wurde. Sein Thema lautete: „Zur Molekulartheorie der Brechung, Reflexion, Zerstreuung und Extinktion“.
Noch während seiner Promotion trat Bothe Ende 1913 als Hilfsassistent in das ein Jahr zuvor neugegründete Laboratorium für Radioaktivität der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ein. Das Laboratorium leitete Hans Geiger, der bei Rutherford in Manchester gearbeitet hatte.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Bothe zur Kavallerie eingezogen und geriet 1915 in russische Gefangenschaft. Gewisse Freiheiten, die man ihm dort nach einiger Zeit einräumte, nutzte er zur Abhaltung von Abiturientenkursen und zum Aufbau einer Zündholzfabrikation.
Nach seiner Rückkehr nach Berlin trat er 1920 als Regierungsrat in das von Geiger geleitete Laboratorium der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ein. Mit einer Wilsonschen Nebelkammer wurden dort zunächst die elementaren Streuvorgänge von Elektronen und Röntgenquanten untersucht. Die Elektronenstreuung hat Bothe bis zu seinem Tode immer wieder beschäftigt. Besonders um das theoretische Verständnis der Ergebnisse mit Hilfe der Begriffe Kleinwinkelstreuung und Vielfachstreuung hat er sich von Anfang an bemüht. Seine Arbeiten Anfang der 20er Jahre waren wichtige Vorstufen für die Entdeckung des Comptoneffektes. Die experimentellen Untersuchungen, die er in den 30er, 40er und 50er Jahren mit seinen Schülern durchführte, waren allerdings zeitweise von Fehlmessungen überschattet.
Compton hatte den von ihm 1923 entdeckten Effekt als einen Streuvorgang zwischen Röntgenquanten und Elektronen erklärt, für den der Energie- und Impulssatz gilt. Bohr, Kramers und Slater stellten dagegen 1924 die Gültigkeit der Erhaltungssätze für den Einzelprozeß in Frage. Mit der von ihnen entwickelten Koinzidenzmethode wiesen Bothe und Geiger 1925 mit zwei Spitzenzählern nach, daß Energie- und Impulssatz auch im Einzelprozeß gültig sind. Die Lichtquantenhypothese war damit bewiesen.
Kurz nach diesem Experiment erhielt Geiger einen Ruf auf ein Ordinariat der Universität Kiel. Bothe wurde sein Nachfolger. Für seine Arbeiten während der nächsten zehn Jahre blieb die Koinzidenzmethode bestimmend. Die Doppelgitterröhrenschaltungen, die er dafür entwickelte, bildeten den Ausgangspunkt für die Entwicklung der modernen kernphysikalischen Elektronik und der Datenverarbeitung.
Mit H. Franz und H. Becker als Gast untersuchte Bothe Ende der 20er Jahre die Reaktionsprodukte der Kernreaktionen leichter Kerne mit α-Teilchen. Sie führte zum ersten Nachweis der Anregung von Atomkernen, und die Beobachtung einer „durchdringenden Be-Strahlung“ erregte weltweit Aufsehen. Sie war Ausgangspunkt für die Entdeckung des Neutrons durch Chadwick.
Zusammen mit dem Studienrat W. Kolhörster, der als Gast bei ihm arbeitete, baute Bothe 1929 zwei Geiger-Müller-Zählrohre vertikal übereinander auf und zeigte, daß die kosmische Strahlung nicht – wie damals angenommen – eine „kosmische Ultra-γ-Strahlung“ ist, sondern eine Teilchenstrahlung. Die Teilchen durchdrangen viele zentimeterdicke Gold- und Bleiplatten, fielen also mit extrem hohen Energien von etwa 1000 MeV auf die Erde ein. Bothe hat anschließend mit B. Rossi aus Florenz und später mit einer großen Zahl von Doktoranden den Durchgang dieser energiereichen Teilchen durch Materie bis in die 50er Jahre untersucht.
Nach der Habilitation an der Berliner Universität im Jahre 1926 erhielt er schon 1927 einen Ruf auf den Lehrstuhl für theoretische Physik der TH Karlsruhe. Auf Anraten von Einstein, mit dem er freundschaftlich verbunden war, lehnte er ab. Den Ruf auf ein Ordinariat der Universität Gießen nahm er dann aber 1930 an. Ihm folgte 1932 ein Ruf als Nachfolger von Lenard an das Physikalische Institut der Universität Heidelberg. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde ihm 1933 ein Teil des Institutes weggenommen. Er legte daraufhin die Institutsleitung nieder.
Als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft berief Max Planck Bothe 1934 zum Leiter des Instituts für Physik im Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung. Hier fand er die Voraussetzungen für Experimente mit größeren kernphysikalischen Apparaturen. Zusammen mit W. Gentner baute er 1937 einen elektrostatischen Beschleuniger nach Van De Graaff. Mit ihm entdeckten Bothe und Gentner den Kernphotoeffekt an schweren Kernen. Der anschließend ins Auge gefaßte Bau eines Zyklotrons zog sich lange hin, weil Bothe große Mühe hatte, die erforderlichen Geldmittel zu beschaffen. Es konnte schließlich als erster größerer deutscher Teilchenbeschleuniger 1943 in Betrieb genommen werden.
Schon während der 30er Jahre hatte Bothe zusammen mit R. Fleischmann an Gammaspektren der Kerne nach Neutroneneinfang gearbeitet. Sein Institut spielte deshalb bei den Arbeiten des Uranvereins, der im Krieg den Auftrag hatte, die Möglichkeit einer Atombombe oder eines Kernreaktors zu prüfen, von Anfang an eine bedeutende Rolle. In einer gut durchdachten kugelförmigen Anordnung von Graphit, Cadmiumblechen und Indiumindikatoren, die in einen großen Wasserbehälter getaucht war, untersuchten Bothe und Peter Jensen schon 1941 die Absorption langsamer Neutronen in Graphit. Wenn auch der Absorptionsquerschnitt im Rahmen der angegebenen Fehler richtig gemessen war, so führten doch die noch unvollkommenen Berechnungsmethoden für Reaktoren zu dem Schluß, daß der geplante Reaktor nicht mit Graphit, sondern mit schwerem Wasser als Moderator gebaut werden müßte.
Nach Kriegsende wurde das Institut von einer amerikanischen Einheit beschlagnahmt. In dieser Zeit übernahm Bothe wieder seinen alten Lehrstuhl an der Universität. Zusammen mit H. Maier-Leibnitz befaßte er sich dort in erster Linie mit Kernspektroskopie. Nach der Freigabe des Instituts setzte er 1953 zusammen mit Ch. Schmelzer die Planung für einen Neubau des Zyklotrons in Gang. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich Anfang 1954 so, daß er nur noch sporadisch in sein Institut kommen konnte. Die bedeutenden Arbeiten seiner Schüler zur Nichterhaltung der Parität und die Wiederinbetriebnahme des Zyklotrons hat er aber noch mit großem Interesse verfolgt.
Bothe war ein strenger Chef mit oft lautstarker Kritik. Aber seine Schüler wußten, daß er alles für ihn mögliche für sie tun würde.
In seiner Freizeit spielte er ausgezeichnet Klavier, besonders gern Bach. In den Ferien in Tirol malte er regelmäßig.
Ende des Jahres 1954 wurde ihm – auch Mitglied mehrerer Akademien – der Nobelpreis für Physik verliehen für die Entwicklung der Koinzidenzmethode und der mit ihr gemachten Entdeckungen. Sein wichtigster Beitrag zur Physik war aber, daß – wie J. Wheeler anläßlich einer Festansprache zum 50. Jubiläum der Kernspaltung formuliert hat – er derjenige gewesen ist, der uns Physikern mit seiner durchdringenden Be-Strahlung das Signal gegeben hat, daß hier etwas Außergewöhnliches, etwas Neues, vorliegt und daß die bedeutendsten Fortschritte der Physik der kommenden Jahrzehnte auf diesem Gebiet sein würden.
Werke: Künstliche Umwandlung und Anregung von Atomkernen (mit H. Fränz), Handbuch der Physik XXII 1 (1931) 153-200; Durchgang von Elektronen durch Materie, Handbuch der Physik XXII 2 (1932) 1-74; Absorption von Röntgenstrahlen, Handbuch der Physik XXIII 2 (1932) 1-84; Streuung von Röntgenstrahlen (mit F. Kirchner), Handbuch der Physik XXIII 2 (1932) 85-141; Über das Wesen des Comptoneffekts, ein experimenteller Beitrag zur Theorie der Strahlung (mit H. Geiger), Zeitschrift für Physik 32 (1925) 639-663; Das Wesen der Höhenstrahlung (mit W. Kolhörster), Zeitschrift für Physik 56 (1929) 75-77; Erregung von Kern-γ-Strahlung (mit H. Becker), Zeitschrift für Physik 66 (1930) 289-306; Vom Wesen des Experimentierens, Schriften Universität Heidelberg 2, 1947, 170-186; Die Koinzidenzmethode (Nobelvortrag) 1954; Ratschläge für junge Physiker, Ruperto-Carola 21, 1957, 168-170
Nachweis: Bildnachweise: Foto im Archiv des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, Heidelberg

Literatur: W. Hauser, Walther Bothe. PTB-Mitteilungen 92 (1982) 345-349; H. Maier-Leibnitz, Walther Bothe, in: Semper apertus, s. 3. Berlin 1985 und in: 600 Jahre Universität Heidelberg (1986), 406-416; Nachrufe: W. Gentner, Zeitschrift für Naturforschung 12, 1957, 175-176; Otto Hahn, Walther Bothe, in: Orden pour le mérite. Reden und Gedenkworte 2 (1956/57) 117-122; R. Fleischmann, Naturwissenschaft 44, 1957, 457-460; L. Meitner, Nature 179, 1957, 654-655; R. Drossel, Walther Bothe. Bemerkungen zu seinen kernphysikalischen Arbeiten aufgrund der Durchsicht seiner Laborbücher, Staatsexamensarbeit Universität Heidelberg 1975; B. Rossi, Early days in cosmic rays, Physics Today (October 1981) 35-40; J. Six, La Découverte du Neutron (1920-1936), CNRS Paris, 1987, 174 S.
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