Stern-Täubler, Selma 

Geburtsdatum/-ort: 24.07.1890;  Kippenheim
Sterbedatum/-ort: 17.08.1981; Riehen bei Basel
Beruf/Funktion:
  • Historikerin, Leiterin der American Jewish Archives (Cincinnati, USA)
Kurzbiografie: 1909 VI 19 Abitur als erstes Mädchen am humanistischen Gymnasium in Baden-Baden
1909-1913 Studium der Geschichte, Literatur, Germanistik und Philosophie in Heidelberg und München, Promotion „summa cum laude“ in München bei Karl Theodor von Heigel (1842-1915)
1914-1919 Historikerin und Publizistin in Frankfurt
1920 Wissenschaftliche Beamtin der Akademie für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Arbeit an einer umfangreichen Quellenedition über das Verhältnis des preußischen Staats zu den Juden und an einem Werk über Hoffaktor Süsskind Josef Oppenheimer
1927-1933 wohnhaft in Heidelberg an der Seite von Prof. Eugen Täubler
1933 Vertreibung aus der Beamtung
1933-1935 Arbeiten für den Oberrat der Israeliten Badens
1935-? Archivarische Arbeit für die Reichsvertretung der Juden in Deutschland
1938 Arbeitsverbot für „deutsche“ Bibliotheken und Archive
1941 Ausreise über Schweden ins Exil nach Amerika
1947 1. Direktorin der American Jewish Archives in Cincinnati (-1957)
1955 1. Reise nach Deutschland
1956 VI 2 Ehrenpromotion durch das Hebrew Union College
1960 Rückkehr nach Europa: Wohnort Basel, später Riehen bei Basel
1962-1975 Publikation des Monumentalwerks: „Der preußische Staat und die Juden“ in der Schriftenreihe des Leo Baeck Institute New York
Weitere Angaben zur Person: Religion: israelitisch
Verheiratet: 1927 Heidelberg, Prof. Eugen Täubler (1879-1953)
Eltern: Julius Stern (1861-1908), israelitisch, Arzt (Dr. med.) in Baden-Baden
Emilie, geb. Durlacher, israelitisch (1869-1931)
Geschwister: Anna Strauss (gest. in London 1978)
Margarete Horowitz (gest. in Basel)
Kinder: keine
GND-ID: GND/119368161

Biografie: Uri R. Kaufmann (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 444-446

Nach einer glücklich verbrachten Kindheit im badischen Dorf Kippenheim bezog sie das humanistische Gymnasium in Baden-Baden. Zu ihrem Heimatort unterhielt sie über ihre Tante Berta Stern eine intensive Beziehung aufrecht. Selma Stern-Täubler war wohl eine der ersten promovierten Historikerinnen Deutschlands. Ihre Doktorarbeit hatte einen Ideologen der französischen Revolution zum Thema. Sie distanzierte sich von der kaiserlichen Politik im Verlauf des ersten Weltkriegs und entwickelte durch das Studium der preußischen Geschichte Sympathien für die Sozialdemokratie. Ihr lebhaftes Interesse galt der neuen Rolle von Frauen in der Gesellschaft. Nebenbei war sie in internationalen Zeitungen, allgemeinen und jüdischen Frauenzeitschriften publizistisch tätig. Ihr Interesse an jüdischer Geschichte entstand erst um 1917/18. Als ausgewiesene Historikerin wurde sie 1920 von der Akademie für die Wissenschaft des Judentums (Berlin) angestellt, die sich mit großen Plänen einer wissenschaftlichen Darstellung des Judentums von verschiedenen Aspekten her abgab. Prof. Eugen Täubler war Leiter der für sie relevanten historischen Sektion. Ihn heiratete sie 1927, als er an der Universität Heidelberg, ihrem ehemaligen Studienort, lehrte. Ein Thema ihrer publizistischen Arbeiten war die Entwicklung des jüdischen Frauentypus vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In dieser Hinsicht nahm sie das heutige Interesse an der Rolle der jüdischen Frau um Jahrzehnte vorweg. Sie erhielt nun den Auftrag, eine umfangreiche Quellenedition über das Verhältnis des preußischen Staates zu den Juden zur Zeit des Absolutismus vorzubereiten. Ihr Hauptinteresse galt den jüdischen Hoffaktoren. Besonders wichtig war ihre 1929 erschienene Arbeit über „Jud Süss“. Diese Persönlichkeit sah sie vor allem als Teil der absolutistischen Machtpolitik.
Ein Teil ihrer Arbeit über den preußischen Staat und die Juden konnten noch vor dem NS-Regime veröffentlicht werden. Ihr 1938 gedruckter 2. Teilband wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Eine unbekannte Frau spielte ihr ein Druckfahnenexemplar zu. Erst nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Herrschaft konnte dieses Publikationsvorhaben erneuert werden, als Stern-Täubler schon über siebzig Jahre zählte. Nach 1933 beschäftigte sie sich mit Gelegenheitsarbeiten, mit denen sie vom Oberrat der Israeliten Badens und später von der Reichsvertretung betraut wurde. Um 1934 zog sie zu ihrem Mann nach Berlin. Dieser war 1933 aus Protest über die judenfeindlichen Maßnahmen der Nationalsozialisten von seinem Lehramt zurückgetreten und unterrichtete an der Hochschule/Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Noch 1941 konnte das Ehepaar nach Schweden ausreisen. Ihr Mann erhielt einen Ruf des Hebrew Union College, des liberalen Rabbinerseminars der USA, wo auch Stern-Täubler 1947 in den American Jewish Archives tätig wurde. Dort veröffentlichte sie ihr Standardwerk über die Hofjuden zur Zeit des Absolutismus. Sie beschreibt diese als eigene soziale Gruppe in ihren vielfältigen Funktionen für die Fürsten und die jüdische Gemeinschaft. Es finden sich viele Bezüge zur Kurpfalz und anderen historischen Territorien des heuten Baden-Württemberg. Leider wird dieses Buch erst jetzt (1998) ins Deutsche übersetzt.
Die Emigration war für sie – wie für alle deutsch-jüdischen Flüchtlinge – eine sehr schmerzliche Erfahrung. In einem Brief an den Schriftsteller Jacob Picard schreibt sie 1953, daß sie „trotz allem, was geschah, wenigstens mit der Landschaft der gewesenen Heimat noch immer zutiefst verbunden“ sei. Sie korrespondierte auch mit Hermann Maas (Heidelberg) und beschrieb ihre Gefühle anläßlich der ersten Reise nach Deutschland. Damals knüpfte sie Kontakte mit Lambert Schneider (Heidelberg) betreffend die Herausgabe ihres großen Werkes über den preußischen Staat. Dieses wurde einige Jahre später vom Mohr (P. Siebeck) Verlag in Tübingen im Rahmen der Schriftenreihe des Leo Baeck Institute in New York ediert. Eine vertraute Tätigkeit konnte sie als erste Archivarin der American Jewish Archives zwischen 1947 und 1957 ausüben.
Der Massenmord an den europäischen Juden motivierte sie, sich mit der Geschichte der Judenverfolgung zur Zeit des Schwarzen Todes abzugeben. Eine Sammlung historischer Novellen war die Frucht dieser Arbeit. Wohl auch in diesem Zusammenhang muß ihr grundlegendes Buch über den Fürsprecher der deutschen Juden zur Zeit der Reformation, den aus dem elsässischen Rosheim stammenden Josel, gesehen werden.
Aus dem Gefühl der Heimatlosigkeit in Amerika und der Verbundenheit mit ihrer in Basel lebenden Schwester entschloß sie sich 1960, nach Europa, nicht nach Deutschland, zurückzukehren. Hier korrespondierte sie mit der in Heidelberg geborenen Eleonore Sterling-Oppenheimer, Rechtsanwalt Hugo Marx und Prof. Nathan Stein. Im fortgeschrittenen Alter betreute sie die Herausgabe ihres eigenen Werkes und von Schriften ihres Gatten, Prof. Eugen Täubler. Sie verstarb im Hohen Alter von 91 Jahren im jüdischen Altersheim „La Charmille“ in Riehen bei Basel, an der Grenze ihrer ehemaligen badischen Heimat.
Quellen: Lebenslauf (13.9.1955), Korrespondenzen und Tagebücher im Leo Baeck Archive New York AR 7160, S 44/4; AR C. 6022, Box 21, 29/3 (Nachlaß Jacob Picard); Teilnachlaß UB Basel 0120 D 08-018
Werke: (Auswahl) Anacharsis Cloots, der Redner des Menschengeschlechts (...), (Diss. München 1914), ND 1965; Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, 1921; Der preußische Staat und die Juden, Bd. 1 und 2 Berlin 1925/38, ND und Neudruck Bde. 3 und 4, 1962-1975; Die Entwicklung des jüdischen Frauentypus, in: Der Morgen H. 3-5 (1925), H. 1 (1926); Jud Süss: Ein Beitrag zur deutschen und zur jüdischen Geschichte, 1929, 2. Aufl. 1974; Die Emanzipation der Juden in Baden, in: Gedenkbuch zum 125-jährigen Bestehen des Oberrats der Israeliten Badens, 1934, 11-104; Der literarische Kampf um die Emanzipation in den Jahren 1816-1819, in: MGWJ Bd. 83, 1939, 645-665; The Court Jew, Philadelphia 1950; Josel von Rosheim, Befehlshaber der Judenschaft im Hl. römischen Reich Deutscher Nation, 1959; Ihr seid meine Zeugen. Ein Novellenkranz aus der Zeit des Schwarzen Todes 1348/49, 1972; Eugen Täubler und die Wissenschaft des Judentums, in: Leo Baeck Year Book Bd. 3, 1958, 40-59
Nachweis: Bildnachweise: Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1972, Stichwort Selma Stern-Täubler, Sp. 399 Bd. 15

Literatur: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, 1983, Bd. 2 Teil 2, 1128; Hans Kühner, Zum Tode von Selma Stern-Täubler, in: Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz, Nr. 36, 28.08.1981, 87; Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden. Württemberg; hg. von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und dem Innenministerium Baden-Württemberg, 1988, 408; Jutta Dick, Selma Stern-Täubler: Historikerin, in: Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. 1993, 363-365; Christhard Hoffmann, The German-Jewish Encounter and German Historical Culture, in: Leo Baeck Year Book Bd. 41 (1996) 279 f.; ders. Zerstörte Geschichte. Zum Werk der jüdischen Historikerin Selma Stern-Täubler, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 11 (1993) 203-215; Marina Sassenberg, À propos Selma Stern-Täubler, 1998, 138 S.; dies., Hinweis auf ihre Dissertation und zwei Aufsätze über Selma Stern-Täubler, in: Arbeitsinformationen, Ausgabe 17, hg. Germania Judaica, 1998, 112, Nr. 521-523
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