Gleichen-Rußwurm, Alexander Freiherr von Heinrich Adelbert Konrad Carl Schiller 

Geburtsdatum/-ort: 06.11.1865; Schloss Greifenstein bei Hammelburg
Sterbedatum/-ort: 25.10.1947;  Baden-Baden, beigesetzt in Frankfurt/M.
Beruf/Funktion:
  • Schriftsteller
Kurzbiografie: 1865-1872 Kindheit auf Schloss Greifenstein, Erziehung durch Großmutter Emilie Gleichen-Rußwurm, geb. von Schiller
1883-1889 Militärschule, dann Berufsoffizier
1890-1938 Schriftsteller auf Schloss Greifenstein ob Bonnland und in München
1938 Enteignung des Familiensitzes Greifenstein
1938-1947 Lebensjahre in Baden-Baden
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1895 (Salzburg) Sophia, geb. Freiin von Thienen-Adlerflycht (1867-1952), ev., Nichte der Mutter
Eltern: Vater: Ludwig (1836-1901), Dr. h. c., Kunstmaler
Mutter: Elisabeth, geb. Freiin von Thienen-Adlerflycht (1837-1865)
Geschwister: keine
Kinder: keine
GND-ID: GND/119371456

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 94-96

Gleichen-Rußwurm war der letzte Urenkel des Dichters Friedrich von Schiller. Dessen jüngste Tochter Emilie (1804-1872) hatte den aus fränkisch-thüringischem Geschlecht stammenden bayerischen Kammerherrn Heinrich Adelbert Gleichen-Rußwurm (1803-1887) geehelicht und war ihm auf sein Schloss Greifenstein ob Bonnland nahe Hammelburg gefolgt. Aus dieser Ehe ging der Landschaftsmaler Ludwig Gleichen-Rußwurm hervor, Gleichen-Rußwurms Vater. Da die Mutter wenige Monate nach der Geburt verstarb, übernahm Großmutter Emilie die Erziehung des Jungen. Die vielseitig gebildete Frau, die sich schriftstellerisch betätigte, bewahrte und publizierte den Nachlass Schillers. Der junge Gleichen-Rußwurm wuchs somit in einem Umfeld auf, das stark von Erinnerungen an den berühmten Vorfahren geprägt war. Ersten Unterricht hat die Großmutter erteilt, später besuchte Gleichen-Rußwurm die Schule in Würzburg. Im April 1883 trat Gleichen-Rußwurm in die von Hartungsche Militär-Vorbildungsanstalt in Kassel ein und kam 1884 als Fahnenjunker zum Heer. Im Jahre 1885 wurde er in Darmstadt zum Secondeleutnant beim 2. Großherzoglichen Dragonerregiment Nr. 24 ernannt. 1889 nahm er seinen Abschied, wurde als Reservist der Landwehr-Kavallerie in Darmstadt zugeteilt und 1895 Premierleutnant der Reserve. Der verschiedentlich erwähnte Rang eines Rittmeisters dürfte auf eine spätere Charakterisierung, d. h. nominelle nachträgliche Dienstgraderhöhung, zurückzuführen sein.
Nach seiner Verabschiedung wandte sich Gleichen-Rußwurm dem Schriftstellerberuf zu. Als seine erste Veröffentlichung erschien 1896 die Komödie „Amor und Psyche“. Über hundert Bücher hat er von nun an verfasst. Beträchtlicher Erfolg war seinem „Sieg der Freude. Eine Ästhetik des praktischen Lebens“ (1909) beschieden. Diese Schrift ficht für die daseinsreformerischen Bestrebungen der Jugendstilzeit, sieht in Arbeitslust und Spieltrieb Kräfte, die schöpferisch Schönes zu gestalten vermögen. Auch als der ausbrechende I. Weltkrieg bittere Realität lehrte, hielt Gleichen-Rußwurm mit dem pazifistisch grundierten Roman „Die Macher und die Macht“ (1915) an neuromantischen Denkformen fest. Ein monumentales Werk legte er mit der 24teiligen Kultur- und Sittengeschichte aller Zeiten und Völker vor (1929-1931), worin er gemeinsam mit einem weiteren Autor die Entwicklung der Menschheit von den Uranfängen bis in die Moderne enzyklopädisch ausbreiten und deuten will. Zu seinen Buchveröffentlichungen traten unzählige Zeitschriften- und Zeitungsbeiträge, so etwa in der von Maximilian Harden herausgegebenen „Zukunft“. Trotz manch krauser Gedankensprünge fühlte sich der Autor letztlich der humanitären Idee verpflichtet. Das meiste aus seinem Werk ist längst vergessen. Von dauerhaftem Wert bleiben allein die familiengeschichtlichen Schriften wie etwa der Lebensaufriss Schillers (1918) oder die Betrachtungen über Schiller inmitten des Weimarer Kreises (1948).
Das Ehepaar Gleichen-Rußwurm lebte sommers auf Schloss Greifenstein, während der Winterszeit ab 1902 bis zum Anfang der 1930er Jahre im Hause Prinzregentenstraße 4 in München. Dort unterhielt man einen angeregten literarischen Salon, in dem neben anderen Heinrich Mann und Friedrich Lienhard verkehrten. Unterbrechung boten zahlreiche Reisen, vor allem nach Italien und Ferienaufenthalte in Wasserburg bei Lindau, wo die Eheleute ein kleines Hotel besaßen.
Zu den braunen Machthabern hatte der Schöngeist von Anbeginn Distanz gehalten. Im Jahre 1938 wurde er enteignet, sein ererbter Stammsitz Greifenstein wurde dem Truppenübungsplatz Hammelburg zugeschlagen. Gleichen-Rußwurm fand in Baden-Baden in der Villa Menschikow oberhalb der Lichtentaler Allee ein neues Domizil; in einem der Zimmer richtete er ein kleines Museum für die verbliebenen Erinnerungsstücke an Friedrich von Schiller ein. Unmittelbar nach Kriegsende drohte Unheil, denn die französische Besatzungsmacht wollte die Villa innerhalb weniger Stunden requirieren. Da hielt Gleichen-Rußwurm den Soldaten die beglaubigte Abschrift jener Urkunde entgegen, durch die im Jahre 1792 die französische Nationalversammlung seinem freiheitsliebenden Urgroßvater die Ehrenbürgerwürde der Grande Nation verliehen hatte. Umgehend bekam Gleichen-Rußwurm einen Schutzbrief der Militärregierung und konnte unangefochten die beiden letzten Lebensjahre im eigenen Heim verbringen. Als er verstarb, nahmen mehrere Vertreter Frankreichs an der Trauerfeier teil. Das gemeinsame Grab mit der Ehefrau auf dem Frankfurter Hauptfriedhof in der Eckenheimer Landstraße, Gewann an der Mauer Nr. 277, ist denkmalgeschützt. Gegenstände Schillers und Gleichen-Rußwurms, die sich im Besitz des Ehepaares befanden, sind teils dem Deutschen Literatur-Archiv in Marbach, teils den Archives de la Marne in Châlons-sur-Marne überlassen worden und im Musée Municipal, 78 rue Léon Bourgeois, ausgestellt.
Quellen: DLA, Handschriftenabt. 47 772 u. 613 385; StAF C 5/1 826; Offizier-Stammliste des Leib-Dragoner-Regiments (2. Großh. Hess.) Nr. 24, Darmstadt 1910, 22, 45; Gothaisches Genealog. Taschenb. d. Freiherrl. Häuser, 1924, 706.
Werke: Bibliographie bei Wilpert/Gühring, Erstausgaben dt. Dichtung, 1967, 403; A. v. Gleichen-Rußwurm, Ein Rückblick am 60. Geburtstag, 1925.
Nachweis: Bildnachweise: Foto im DLA, Bildabt.; Porträtzeichnung im AK Châlons-sur-Marne 1960, 10.

Literatur: Fedor v. Zobeltitz, Augsburger Postzeitung vom 6.11.1925; Richard Sexau, Münch.-Augsb. Abendztg. vom 6.11.1925; E. H., Frankfurter Ztg. vom 7.11.1935; Heinrich Berl, Das Badener Tagebuch, 1936 2. Aufl., 299; Paul Wittko, Kölnische Volksztg. vom 6.11.1940; Bad. Tagblatt vom 28. u. 31.10.1947; Otto Flake, Es wird Abend, 1960, 537; Souvenirs de Schiller, Goethe et Valmy, Musée Garinet, Châlons-sur-Marne, AK vom 15.5.1960; Friedrich von Langsdorff, Bad. Tagblatt vom 8.4.1962; Leonhard Lenk, in: NDB 6, 1964, 445; Ingrid Kußmaul, Die Nachlässe u. Sammlungen des DLA Marbach, 1983, Sp. 447; Gerhard Schmid, Friedrich Schiller, Bürger von Frankreich, 1984, 12; Hellmuth Hecker, NJW 1990, 1955; 100 Jahre Truppenübungsplatz Hammelburg 1895-1995, 1995, 11, 74; Klaus Fischer, Bad. Tagblatt vom 21.2.1995; DBE 4, 1996, 28; Reiner Haehling von Lanzenauer, in: BH 1996, 645 u. NJW 1997, 1139.
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