Lenckner, Theodor Hans Ulrich 

Geburtsdatum/-ort: 14.07.1928;  Schwäbisch Hall
Sterbedatum/-ort: 05.11.2006;  Tübingen, beigesetzt in Giengen/Brenz, Alter Friedhof
Beruf/Funktion:
  • Strafrechtslehrer
Kurzbiografie: 1939-1948 Oberschule in Giengen/Brenz und Heidenheim bis Abitur
1948-1952 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Tübingen, I. Juristische Staatsprüfung
1953-1957 Vorbereitungsdienst in Ulm und Tübingen, II. Juristische Staatsprüfung
1957 Dr. jur. der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen
1957-1964 Assistent am Juristischen Seminar der Universität Tübingen und – unterbrochen von einer kurzen Tätigkeit bei der Südwestdeutschen Landwirtschaftsbank in Stuttgart – Assistent des Tübinger Strafrechtslehrers Prof. Dr. Horst Schröder
1964 Habilitation für die Fächer Strafrecht und Prozessrecht in Tübingen
1964-1972 ordentlicher Professor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Münster/Westfalen
1972-1996 ordentlicher Professor für Straf- und Prozessrecht an der Universität Tübingen (emeritiert zum Ende des Sommersemesters 1996)
1977 Ablehnung eines Rufes an die Universität München
1998 Festschrift Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag
1999 Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: (Ludwigsburg) 1961 Sigrid, geb. Hutten
Eltern: Vater: Erich (1898-1973), evangelischer Pfarrer
Mutter: Ella, geb. Hutten (1902-1994)
Geschwister: 3 Brüder
Kinder: 2: Sohn und Tochter
GND-ID: GND/120221810

Biografie: Ulrich Weber (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 205-207

Lenckner wuchs in einem Elternhaus auf, das zwar in seiner politischen Grundhaltung bürgerlich-konservativ ausgerichtet war, den Nationalsozialismus jedoch ablehnte. Wie stark den Sohn die elterliche Gegnerschaft zum „Dritten Reich“, das er bewusst miterlebte, geprägt hat, wurde u. a. deutlich an den anschaulichen Schilderungen damaliger Ereignisse, die Lenckner bis in die jüngste Zeit hinein immer wieder gab. Erwähnt sei die Äußerung seines Vaters auf die Rundfunkmeldung der Machtergreifung am 30. Januar 1933, Hitler bedeute Krieg, oder die Antwort eines biederen Schwaben auf die beifallheischende Feststellung eines NS-Funktionärs, die Bauern seien doch sicher froh, dass die Juden jetzt weg seien: „Wieso, die haben uns doch nichts getan“.
Lenckner musste, wie viele Angehörige des Jahrgangs 1928, gegen Ende des II. Weltkriegs am Schluchsee Hilfsdienst bei der Feindfliegerabwehr leisten, gehörte also der sogenannten Flakhelfer-Generation an. Die Studien- und Berufswahl als Jurist wurde zwar vom Vater nicht oktroyiert, aber doch in dem Sinne beeinflusst, dass etwas praktisch Brauchbares herauskommen müsse. Lenckner war zwar schon als Schüler stark an Geschichte interessiert, jedoch kam ein Geschichtsstudium für ihn deshalb nicht ernsthaft in Betracht, weil er dessen fast zwingender Konsequenz, nämlich der Ergreifung des Lehrerberufs, nichts abgewinnen konnte. Wenn aber überhaupt davon gesprochen werden kann, dass Lenckner ein Hobby hatte, so war es die europäische, insbesondere die deutsche Geschichte, in der Lenckner über ein immenses Wissen verfügte.
Will man das Bleibende des Lebens und Schaffens Lenckners kurz charakterisieren, so stehen seine glänzenden wissenschaftlichen Leistungen in der Dogmatik und der Reform des Strafrechts sowie seine jahrzehntelange Mitwirkung an der Behindertenfürsorge im Vordergrund.
Lenckners Meisterschaft auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft zeigte sich bereits in seinen frühen Arbeiten: in der von Wilhelm Gallas betreuten Dissertation über den Prozessbetrug (1957) und der in der Assistentenzeit bei Horst Schröder verfassten, 1965 gedruckten Habilitationsschrift über den rechtfertigenden Notstand. Beide Untersuchungen sind bis heute unverzichtbare Grundlagenwerke zu wichtigen Fragen der Strafrechtsdogmatik. Die hohe Wertschätzung, die nicht nur diesen Monographien, sondern gleichermaßen den in den frühen 1960er Jahren publizierten straf- und strafprozessrechtlichen Aufsätzen und Urteilsbesprechungen zuteil wurde, hatte zur Folge, dass Lenckner unmittelbar nach seiner Habilitation als Ordinarius an die Universität Münster berufen wurde, wo er nach eigenem Bekunden glückliche Jahre verbrachte und an ihn ergangene Rufe an die Universitäten Gießen und Heidelberg ablehnte. Erst ein Ruf an seine Heimatuniversität Tübingen konnte ihn 1972 zum Weggang von Münster bewegen.
Im Zentrum seines Tübinger strafrechtsdogmatischen Schaffens steht zweifellos die Arbeit am „Schönke/Schröder“, einem führenden Kommentar zum Strafgesetzbuch, dessen Weiterführung er nach dem Unfalltod Horst Schröders im Jahre 1973 gemeinsam mit den anderen Schülern Schröders, Albin Eser, Peter Cramer und Walter Stree übernommen hatte. Von der 18. Auflage 1976 bis zur 26. Auflage 2001 erläuterte Lenckner, der auch die Gesamtredaktion des Werkes innehatte, vor allem die Grundlagen der Strafbarkeit, namentlich Rechtfertigung und Entschuldigung, daneben die Tatbestände einer ganzen Reihe von Einzeldelikten. An der im Frühjahr 2006 erschienen 27. Auflage hatte Lenckner noch mitarbeiten können. Mit seinen Erläuterungen ist er in besonderer Weise dem Anliegen der Begründer des „Schönke/Schröder“ gerecht geworden, der Kommentar möge Mittler zwischen Theorie und Praxis sein. Auch seine zahlreichen anderen Veröffentlichungen zum geltenden Recht sind nicht nur dogmatisch brillant, sondern haben immer wieder nachhaltig die Rechtsprechung beeinflusst.
Auf der Grundlage der souveränen Beherrschung der lex lata sind von Lenckner auch wichtige Anstöße zur Strafrechtsreform, etwa auf dem Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs, ausgegangen, namentlich durch seine von Anfang an intensive Mitwirkung an den seit 1966 von einem Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer vorgelegten Alternativ-Entwürfen zum Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafrechts sowie zum Strafprozessrecht.
Lenckner verkörperte in seiner Person das Wort „Mehr sein als scheinen“. Zu seinem bescheidenen Auftreten hätte nichts schlechter gepasst als der theatralische Vorlesungsstil eines Belcantisten. Seine nüchternen und streng sachbezogenen Lehrveranstaltungen, in denen Positionen und Gegenpositionen sorgfältig gegeneinander abgewogen wurden, waren bei Generationen von Studenten hoch geschätzt, weil auch sie die überragende wissenschaftliche Kompetenz des Vortragenden und dessen leidenschaftliches Ringen um überzeugende Lösungen erkennen ließen. Wesentlich für die Wertschätzung Lenckners war weiter, dass er Mitarbeiter, Doktoranden und Studenten als vollwertige Gesprächspartner anerkannte und stets offen war für Anregungen und Kritik. – Die ihm von seiner Fakultät anvertrauten Aufgaben in der Selbstverwaltung, etwa das Dekanat im Amtsjahr 1975/76, hat Lenckner pflichtbewusst, geräuschlos und sehr effektiv bewältigt.
Neben seinem wissenschaftlichen Werk beruht die tiefe Verehrung, die Lenckner über die juristische Fachwelt hinaus entgegengebracht wird, auf der liebevollen Hingabe an seinen infolge Sauerstoffmangels bei der Geburt schwer körperbehinderten Sohn und auf der damit verflochtenen jahrzehntelangen persönlichen Unterstützung der Behindertenförderung. Insbesondere als Mitglied des Vorstandes der Körperbehindertenförderung Neckar-Alb (Mössingen) von 1985 bis 1994 sowie als Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins „Hilfe für Behinderte“ konnte er maßgeblich zum Auf- und Ausbau behindertengerechter Einrichtungen und zur Schaffung geeigneter Arbeitsplätze beitragen.
Die herausragenden Leistungen Lenckners sowohl als Wissenschaftler wie auch als Förderer der Behindertenarbeit fanden ihre Anerkennung in der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.
In den beiden letzten Lebensjahren zeigte sich ein deutliches Nachlassen seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Lenckner verstarb nach kurzem Aufenthalt im Paul-Lechler-Krankenhaus in Tübingen.
Quellen: Dekanat d. Tübinger Juristischen Fakultät, Personalakte.
Werke: Vollständ. Schriftenverzeichnis in FS T. Lenckner, 1998, 871 ff. – Auswahl: Der Prozessbetrug, Diss. jur. Tübingen 1957; Der rechtfertigende Notstand. Zur Problematik d. Notstandsregelung im Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962, gedr. 1965; Strafe, Schuld u. Schuldfähigkeit, in: Göppinger/Witter (Hg.), Handb. d. forensischen Psychiatrie Bd. 1, 1972, 3; (mit H. Schumann), Psychiatrische Probleme des Privatrechts, ebd. 287; Computerkriminalität u. Vermögensdelikte, 1981; Schönke/Schröder. Kommentar zum StGB. Begründet von Adolf Schönke. Fortgeführt von Horst Schröder. 1976 18. Aufl., neubearb. von T. Lenckner, P. Cramer, A. Eser, W. Stree, bis 2006 27. Aufl.
Nachweis: Bildnachweise: FS T. Lenckner, 1998, Frontispiz; Schwäb. Tagblatt vom 4.10.1996.

Literatur: Ulrich Weber, Impulse für die Strafrechtsreform. Zur Emeritierung des Gesetzbuch-Kommentators Prof. Dr. T. Lenckner, Schwäb. Tagblatt vom 4. 10. 1996; Peter Cramer, T. Lenckner zum 70. Geburtstag, Neue Jurist. Wochenschrift H. 29, 1998, 2104; Heribert Schumann, T. Lenckner zum 70. Geburtstag, Juristenztg. H. 14, 1998, 720; Fritjof Haft, T. Lenckner zum 75. Geburtstag, Neue Jurist. Wochenschrift H. 29, 2003, 2076; Joachim Vogel, Nachruf auf T. Lenckner, Juristenztg. H. 23, 2006, 1167; Jörg Eisele, T. Lenckner, Neue Jurist. Wochenschrift H. 1/2, 2007, 38.
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