Siehl-Freystett, Johann Georg 

Geburtsdatum/-ort: 16.02.1868;  Freistett
Sterbedatum/-ort: 15.08.1919; Wilhelmshaven
Beruf/Funktion:
  • Photograph und Maler
Kurzbiografie: 1874-1888 Maler- und Anstreicherlehre und anschließend Malergeselle
1888-1892 Freiwilliger bei der Kaiserlichen Marine in Wilhelmshaven
bis 1906 Photograph in Wilhelmshaven. Aneignung verschiedener Maltechniken im Selbststudium
1906 Freischaffender Maler in Wilhelmshaven
1912 Mitbegründer des Kunstvereins Wilhelmshaven
1913 Studienreise in den Odenwald
1915-1918 Kriegsfreiwilliger
1919 Mitinitiator einer Bürgerwehr während der revolutionären Unruhen in Wilhelmshaven
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. Minna Klara Bertha, geb. Karth (1876-1900)
2. Lina, geb. Behrmann (1876-1943)
Eltern: Vater: Johann Georg (1842-1871), Rheinfischer
Mutter: Dorothea, geb. Hauss (1842-1905), in 2. Ehe mit Johannes Lacker (Tagelöhner und Holzschuhmacher) verheiratet
Kinder: 3 Söhne aus erster Ehe
GND-ID: GND/120913461

Biografie: Lars U. Scholl (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 278-279

Dem künstlerisch begabten Sohn eines frühverstorbenen Rheinfischers blieb aus materiellen Gründen eine akademische Ausbildung als Maler versagt. Eine Malerlehre vermittelte ihm lediglich handwerklich-technische Grundkenntnisse, die für seine spätere künstlerische Tätigkeit von Nutzen waren. Als Malergeselle arbeitete er zunächst in seinem Heimatort, dann in Freiburg, wo er an der Ausmalung von Kirchen beteiligt war. 1888 meldete er sich als Freiwilliger zur Marine und diente vier Jahre bei der II. Matrosen-Artillerie-Abteilung in Wilhelmshaven. Auf sein Talent aufmerksam geworden, bemühten sich seine militärischen Vorgesetzten vergeblich darum, ihm eine Freistelle auf der Karlsruher Kunstakademie zu verschaffen. Nach Beendigung der Militärzeit ließ er sich als Photograph und Maler in Wilhelmshaven nieder. Wie er zur Photographie gekommen ist, hat sich noch nicht ermitteln lassen. So lebte er mehr schlecht als recht von photographischen Arbeiten, fand jedoch stolz vermerkte Anerkennung durch den Großherzog von Oldenburg und den Prinzen Heinrich von Preußen.
Nebenbei malte er vor allem die Schiffe der Kaiserlichen Marine. Seine Schiffsporträts wurden auf Postkarten vervielfältigt und dienten der Werbung für die Marine. Als Hauptwerk dieser Schaffensperiode gilt das im Deutschen Schiffahrtsmuseum ausgestellte Ölgemälde „Angriffsübung auf die Hafenbefestigung von Kiel, 12. September 1903“, das die Apotheose der bisherigen Malbemühungen darstellt. Erstmals sind die von ihm gemalten Einzelschiffe zu einer Flotte zusammengeführt, die in Manöverformation, geballte Macht signalisierend, auf den Betrachter zufährt. Kurz nach der Entstehung dieses Gemäldes gibt er um 1906 sein Photogeschäft auf, lebt als freischaffender Künstler und fügt selbstbewußt seinem Nachnamen als besonderes Erkennungszeichen seinen Geburtsort Freistett hinzu. Er verliert Interesse an der reinen Kriegsschiffsdarstellung und wendet sich Wilhelmshaven und der die Stadt umgebenden Landschaft zu. Einerseits malt er die Marschen- und Moorlandschaft im Nordwesten Deutschlands, andererseits befaßt er sich mit der Stadt und der sie dominierenden Marine mit ihren Schiffen, Hafen- und Werftanlagen. Er thematisiert den Antagonismus von ursprünglicher, unberührter Landschaft und von künstlicher, der Technik unterworfenen Stadt. Hauptarbeiten sind die beiden Triptychen „Schiffbau“ und „Hafen“, die wie zahlreiche Vorstudien spätimpressionistische Malweise mit naturgetreuer Darstellungsart vereinen. Die soziale Wirklichkeit im Sinne des „Realismus“ bleibt ausgespart.
Vor dem Krieg bezieht der inzwischen arrivierte Maler, der 1912 zu den Mitbegründern des Kunstvereins gehört, im Rüstringer Villenviertel als Nachbar höchster Marineoffiziere eine Villa mit Atelier. 1915 meldet er sich erneut zur Marine. Aus der Kriegszeit sind nur wenige Arbeiten überliefert, vorwiegend von Torpedo- und Schnellbooten. Die U-Boot-Waffe und die Hochseeflotte als die Hauptträger des Krieges zur See faszinieren ihn nicht mehr. Lediglich die entwaffnete Flotte vor der Fahrt in die Internierung hält er auf zwei Gemälden fest. In den revolutionären Wirren der Nachkriegszeit ruft er zur Bildung einer Bürgerwehr auf, die Ruhe und Ordnung in Wilhelmshaven sichern soll. Überraschend stirbt er am 15. August 1919 an einem Schlaganfall. Ein beträchtlicher Teil seiner Werke gilt als verschollen. Manches ist vermutlich 1943 in seinem von Bomben zerstörten Haus verbrannt. Aus seiner badischen Heimat sind nur wenige ganz frühe Jugendarbeiten überliefert. Ein Konvolut von 13 Bleistiftzeichnungen aus dem Odenwald ist vor einigen Jahren aufgetaucht. Lange Zeit in Vergessenheit geraten hat man sein Œuvre in den 1980er Jahren neu entdeckt und in Wilhelmshaven (1983) und Freistett (1988) Überblicksausstellungen präsentiert.
Werke: Hauptteil des Œuvres: Kunstsammlung d. Stadt Wilhelmshaven; Teile bei d. Städt. Sparkasse Wilhelmshaven; Porträt- u. Landschaftsarbeiten a. d. Frühphase beim Histor. Verein Rheinau/Stadt Rheinau; Odenwaldzeichnungen bei d. Gemeinde Waldbrunn; wichtigstes Frühwerk im Dt. Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven; weitere Werke im Familien- u. Privatbesitz.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtphotos: Histor. Verein Rheinau, Dt. Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven.

Literatur: Hartmut Wiesner, J. G. Siehl-Freystett Ein Maler in Wilhelmshaven u. Umgebung. Wilhelmshaven 1983; Werner Haas, Waldkatzenbach 1913. Eindrücke e. Sommerfrische – G. Siehl-Freystett zeichnet im Odenwald, in: Der Odenwald 30, 1983, 75-85; Lars U. Scholl, Der Marinemaler J. G. Siehl-Freystett, in: Dt. Schiffahrtsarchiv 9, 1986, 281-312; ders., Der Landschafts- u. Marinemaler J. G. Siehl-Freystett, in: Die Ortenau 66, 1986, 526-531; ders., Marinemaler in Wilhelmshaven, in: Kunst an d. Jade. Wilhelmshaven 1912-1987, Wilhelmshaven 1987, 93-98; ders. u. Hartmut Wiesner, J. G. Siehl-Freystett, Bremerhaven 1988.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)