Baur, P. Chrysostomus 

Andere Namensformen:
  • Taufname Karl
Geburtsdatum/-ort: 14.12.1876;  Oberdettingen/Landkreis Biberach
Sterbedatum/-ort: 31.01.1962; Seckau (Österreich)
Beruf/Funktion:
  • OSB, Patrologe
Kurzbiografie: 1883-1891 Grundschule und Gymnasium Friedrichshafen
1891-1895 Oberklassen der Oblatenschule der Abtei Seckau
1895 Kanonisches Noviziat, 1896-1898 Studium der Philosophie, Kirchengeschichte, des Hebräischen und Arabischen in Seckau; 24.09.1896 feierliche Profeß
1898-1902 Studium der Theologie in der Erzabtei Beuron
1901 Diakonatsweihe in Rottenburg, Priesterweihe durch Erzbischof Thomas Nörber von Freiburg i. Br.
1901-1903 Fortsetzung des theologischen Studiums in Seckau
1903-1904 Studium der Geschichte und der griechischen Paläographie an der Katholischen Universität Löwen (Belgien), 1907 Dr. phil. in scientiis ethicis et historicis, Dissertation: „St. Jean Chrysostome et ses œuvres dans l’histoire littéraire“
1908 Studienaufenthalt in Irland und Großbritannien (Erdington, Abtei Downside, Oxford, Cambridge, London)
1908-1913 Professor für Patrologie und Kirchengeschichte an der Benediktiner-Universität San Anselmo in Rom
1913-1916 Studium der klassischen Philologie und der Geschichte an der Universität Graz, 1916 dort Dr. phil., im gleichen Jahr Dr. theol. an der Universität Freiburg i. Br.
1916-1922 Seelsorger in Graz; Herausgeber der gegen die Sekten gerichteten apologetischen Hefte des Katholischen Glaubensapostolats
1922-1932 Leiter des Beuroner Studienkollegs in München, Sekretär für Deutschland der Catholica Unio
1932 Gründung und Leitung des Orientalischen Andreaskollegs in München, 1940 Aufhebung durch die Nationalsozialisten, im gleichen Jahr Aufhebung von Seckau; bis 1944 in München
1944-1946 Spiritual im Klarissenkloster Riedenburg, Seelsorger in Lazaretten
1946 Rückkehr nach Seckau, Weiterführung der patrologischen Studien
1955 Schlaganfall
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Karl Ludwig, Lehrer (gest. 1912)
Adelheid, geb. Gessler (gest. 1912)
Geschwister: 4
GND-ID: GND/127481125

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 11-14

An einen in seiner Zelle meditierenden Mönch darf man bei Baur nicht denken, er war ein leicht entflammbarer und eigenwilliger Geist, und unter den drei Evangelischen Räten – Keuschheit, Armut, Gehorsam – machte ihm wohl der dritte am meisten zu schaffen. Tiefe Frömmigkeit, das mütterliche Erbe, beseelte ihn, die unverbrüchliche Treue zu seinem Orden und seiner Kirche stand nie in Frage. Eigenwillig war schon seine frühe Entscheidung, das Gymnasium in Friedrichshafen wegen des ungeliebten Griechisch zu verlassen und dem an ihn sehr früh ergangenen Ruf ins Kloster zu folgen; als Vorbild hatte er dabei seinen älteren Bruder Ludwig vor Augen, Priester und später Theologieprofessor in Tübingen und Breslau. In Seckau fand er in der Person des Abtes Ildefons einen verständnisvollen Förderer, der seine wissenschaftliche Begabung erkannte. Bei der Aufnahme ins Noviziat erhielt er den griechischen Namen Chrysostomus, den Namen, den er zunächst wegen seiner frühen Aversion gegen das Griechische nicht sehr freudig begrüßte, der aber dann schnell zu einer sein ganzes Leben prägenden Herausforderung wurde. Auch mit der griechischen Sprache freundete er sich mehr und mehr an, und die erste berufliche Station nach der gründlichen philosophischen und theologischen Ausbildung in Beuron und Seckau war denn auch die des Griechischlehrers an der Seckauer Oblatenschule. In dieser Zeit begann er, sich in die Werke seines antiken Namensvetters (344/54-407) einzulesen; es sollte 25 Jahre dauern bis zur Veröffentlichung seines Standardwerks über den Heiligen. Der großzügige Abt ermöglichte Baur das anschließende Studium der griechischen Paläographie an der Universität Löwen; das Ergebnis seiner Studien in Gestalt der Dissertation über Chrysostomus legte Baur 1907 vor. Von besonderer Bedeutung für seine Studien waren längere Aufenthalte bei den Bollandisten – den Begründern der kritischen Hagiographie – in Brüssel, die ihn in das Studium der dortigen griechischen Handschriften einführten. Es folgte ein Studienjahr in Großbritannien und Irland, wo er in den dortigen großen Bibliotheken seine Chrysostomus-Forschungen fortsetzte. Englisch lernte er schnell, so daß er auf Einladung des Abtes von Downside an dem neuen College St. Benedikt Mount in Englisch unterrichten konnte.
1908 begann für ihn ein Lebensabschnitt, dessen er sich immer mit Freuden erinnerte; er wurde nach Rom an die Benediktiner-Universität San Anselmo berufen, wo er – italienisch – Patrologie und Kirchengeschichte dozierte und selbstverständlich seine Chrysostomus-Studien an den großen italienischen Bibliotheken – Mailand, Florenz, Venedig, später auch in Graz – weiterführte. 1913 wurde er nach Seckau zurückberufen, eine Entscheidung, die an die von ihm zu praktizierende Tugend des Gehorsams hohe Anforderungen stellte. Der Aufenthalt in Rom war ihm zum unwiederholbaren Höhepunkt seiner wissenschaftlichen und spirituellen Aktivitäten geworden. Er sprach von der „Lebenswunde“, die ihm mit dieser Rückberufung zugefügt worden sei. Aber nun war er frei für seine Lebensaufgabe, die Darstellung der Vita und des Werks des heiligen Chrysostomus. Sein neuer Abt Laurentius setzte die Förderung Baurs fort und schickte ihn auf die Grazer Universität, wo der Vierzigjährige nach dreijährigem Studium der klassischen Philologie und der Alten Geschichte zum Dr. phil. promoviert wurde. Die Examensnoten entsprachen allerdings nicht seinen Erwartungen: in klassischer Philologie und römischer Altertumskunde nur „genügend“, in Philosophie erhielt er „ausgezeichnet“. Der Dekan hatte in solchen Fällen das Recht, eine Gesamtnote festzusetzen, und entschied sich für „ausgezeichnet“. Baur war dieses Ergebnis als Grundlage für die beabsichtigte Habilitation in Graz etwas zu mager, und er bemühte sich um eine Verbesserung seiner Position für dieses Vorhaben. Wie er den menschenfreundlichen § 5 der Promotionsordnung der Theol. Fakultät der Universität Freiburg (1902) entdeckte, ließ sich nicht ermitteln. Diese Bestimmung sah jedenfalls vor, daß bei Kandidaten im vorgerückten Lebensalter, die ein höheres Kirchen- oder Lehramt bekleiden und ihre wissenschaftliche Bildung durch „gediegene, im Druck erschienene, theologische Schriften hinlänglich erwiesen“ hätten, das Rigorosum entfallen könne. Alle diese Bedingungen waren bei Baur erfüllt, er bewarb sich und die Fakultät promovierte ihn am 26. November 1916 zum Dr. theol. Aber auch die dreimalige Doktorwürde nützte ihm nichts, da das K.u.K. Unterrichtsministerium einen ausschlaggebenden Hinderungsgrund für die Habilitation konstatierte: ihm fehlte die österreichische Matura.
Nun, dieses Beharren auf dem Amtsschimmel hatte auch seine wohltätigen Folgen, Baur widmete sich der in jenen Umsturzjahren nach 1918 besonders aktuellen Seelsorge. Außer den „weltflüchtigen“ gab es ja auch die „welttätigen Gedanken in der Entwicklung des Mönchtums“, wie der Titel eines seiner Vorträge lautete. Und die „Welttätigkeit“ des Mönchs war für Baur immer eine wesensmäßig neben der monastischen Lebensweise und der wissenschaftlichen Forschung zu erfüllende Pflicht. Daneben konnte er aber in München, wo er von 1922 bis 1932 das Beuroner Studienkolleg leitete, sein Hauptwerk „Der heilige Chrysostomus und seine Zeit“ vollenden, das Ergebnis jahrzehntelanger mühsamer und zielbewußter Forschung. Nach Aufhebung des Studienkollegs übernahm er im Auftrag von Kardinal Faulhaber 1932 die Gründung und Leitung des Orientalischen Andreas-Kollegs in München. Die Liturgie der Ostkirche begeisterte ihn, sie stehe der Coena Domini näher als die westliche, meinte er. Auf derselben Ebene liegt die Mitarbeit Baurs in der Catholica Unio, jener von seinem Mitbruder P. Augustin von Galen gegründeten Gemeinschaft von Priestern und Laien, die sich um die Wiedervereinigung der getrennten Christlichen Kirchen des Morgenlandes mit der Katholischen Kirche bemühte. Baur übernahm in der Vereinigung das Amt des Sekretärs für Deutschland. Von März bis Oktober 1932 bereiste er Griechenland und den Nahen Osten – Alexandria, Jerusalem, Konstantinopel, Lesbos, Athen, die Athosklöster – und photographierte etwa 7 000 Texte der Kirchenväter des Ostens.
Der Krieg gab den Nationalsozialisten die erwünschte Gelegenheit, das Andreas-Kolleg aufzuheben, dessen Leiter sich zudem durch „staatsfeindliche“ Äußerungen verdächtig gemacht hatte; sein als Ertrag der Nahostreise verfaßtes Buch „Der christliche Orient“ wurde verboten. Verhöre durch die Gestapo überstand er dank seines schlagfertigen Mutterwitzes. Da die Nationalsozialisten auch das Kloster Seckau schlossen, blieb er in München und versuchte, „den griechischen Acker wieder zu bebauen“, wie er seinem Abt schrieb. Aber die ständigen und verheerenden Bombenangriffe auf München ließen keine kontinuierliche Arbeit zu. 1944 wurde er als Spiritual in das Klarissenkloster in Riedenburg geschickt. In der Seelsorge gehörte seine besondere Liebe den Kindern, den Alten und Kranken. Wenn es nach den Schwestern gegangen wäre, hätte er noch lange in Riedenburg bleiben können; aber nach Kriegsende drängte es ihn zur Rückkehr in sein Heimatkloster Seckau. Im August 1946 traf er, nach beschwerlicher und abenteuerlicher Bahnfahrt im Güterwagen, dort ein.
Sofort machte er sich an ein weiteres großes Werk, die „Initia Patrum Graecorum“, eine 26 000 Nummern umfassende Zusammenstellung der Anfänge der griechisch-theologischen Texte vom apostolischen ersten bis zum 16. Jahrhundert. Um die Grundlagen für dieses gewaltige Werk zu erarbeiten, studierte er ein weiteres Mal die Quellen in der Vatikanischen Bibliothek, aber auch in Graz, München, Wien, Löwen und Brüssel. Daneben hielt der nun schon über 70 Jahre alte Forscher zahllose Vorträge über seine Hauptthemen Ostkirche und Mönchtum. Den Rastlosen traf im Juli 1955 – gerade hatte er die letzten Druckbogen der „Initia Patrum Graecorum“ erhalten – ein Schlaganfall, der sein Gedächtnis weitgehend ausschaltete. Der Ausklang seines Lebens war bitter, die letzten zwei Jahre mußte er im Zustand des geistigen Verfalls in der Krankenstation des Klosters zubringen.
Baur hat ein imponierendes Lebenswerk hinterlassen. Er hat in vieler Beziehung die byzantinische Wissenschaft, die Erforschung der griechischen Kirchenväter im allgemeinen und des Chrysostomus im besonderen, auf neue Grundlagen gestellt. Seine Arbeitskraft war schier unbegrenzt, und seine gutschwäbische Zähigkeit und sein Humor halfen ihm über die sich immer wieder auftürmenden Hürden hinweg. Daß ihm bei der strengen Konzentration auf seine Fachgebiete der musische Bereich, Kunst und Literatur verschlossen blieben, kann man bedauern, entsprach aber seiner ausschließlichen Ausrichtung auf die patrologische Forschung. Beim jahrzehntelangen Studium seines Meisters Chrysostomus blieb nicht aus, daß einige der Eigenschaften, die diesen auszeichneten, auch auf ihn selbst übergingen: er war ein lebendig und facettenreich schreibender Autor und ein glänzender und wortgewaltiger Prediger, der vor deftigen Wendungen nicht zurückscheute. Auch die apologetischen und polemischen Wesenszüge seines Namensvetters teilten sich ihm mit. Furchtlos ging er durch das „Dritte Reich“. Felsenfestes Gottvertrauen blieb auch in den letzten schweren Jahren das tragende Fundament seiner Existenz.
Quellen: Akten der Archive der Universitäten Graz und Freiburg i. Br., Mitteilungen des Archivs der Erzabtei Beuron
Werke: (Auswahl) Der Matthäus-Kommentar des heiligen Chrysostomus (4 Bände), 1915/16; Die fünf Wunden der modernen Ehe und Familie, 1928; Der heilige Chrysostomus und seine Zeit, 1929/30 (auch in Spanisch und Englisch); Die Unionaussichten im Osten, 1930; Der christliche Orient, 1931; Initia Patrum Graecorum, 1955, 1381 S., Viele Artikel über die griechischen Kirchenväter in theologischen Zeitschriften; die in Graz edierten Hefte des Katholischen Glaubensapostolats erreichten in drei Jahren eine Auflage von 2 Millionen; ab 1935 Hg. der Zeitschrift „Der christliche Orient in Vergangenheit und Gegenwart“; Autor vieler Artikel in LThK 2. Aufl. über Kirchengeschichte und Hagiographie
Nachweis: Bildnachweise: In: Katholisches Sonntagsblatt (1)

Literatur: Virgil Redlich, P. Chrysostomus Baur O.S.B., Zu seinem Leben und Werk, in: Seckauer Hefte 1962, 5-24; ders., Zum Tode von P. Chrysostomus Baur von Seckau, in: Erbe und Auftrag 1962, 159; Katholisches Sonntagsblatt 1962, 9, 20, Bd. 10, 9389, 9390
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