Müller-Clemm, Hellmuth Adolf Hans 

Andere Namensformen:
  • bis 1920 Müller
Geburtsdatum/-ort: 08.12.1892;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 03.02.1982; Lindau/Bodensee
Beruf/Funktion:
  • Papierchemiker und -verbandsfunktionär
Kurzbiografie: 1913 19. Jul. Abschluss der 9-klassigen Oberrealschule zu Konstanz
1913-1918 Militärdienst bei den Dragonern, von Ende Jul. 1914 bis Nov. 1914 im Feld
1918-1921 Studium der Chemie in Heidelberg und Freiburg
1921 10. Mai Promotion bei R. Schwarz: „Zur Kenntnis der Sulfitlauge“
1921 Umzug nach Mannheim; Antritt bei der Zellstoff-Fabrik Waldhof
1927 1. Nov. Stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Fabrik
1933 Ordentliches Vorstandsmitglied des Waldhof-Konzerns; Umzug nach Berlin; Vorsitzender des Vereins der Zellstoff- und Papier-Chemiker und -Ingenieure (Zellcheming), bis 1941
1939 Dez. Ehrensenator der Technischen Hochschule Darmstadt (erneut 1962)
1946 Ausscheiden aus dem Waldhof-Konzern
1948 Wiederaufbau des Vereins Zellcheming; Vorsitzender des Vereins bis 1962
1956-1959 Präsident des Internationalen Komitees für Zellulose und Papier (EUCEPA)
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1959); Dr.-Ing. h. c. der Technischen Hochschule Darmstadt (1968)
Verheiratet: 1921 (Gutach im Breisgau) Anna Luisa Gütermann (1900-1985)
Eltern: Vater: Georg Wilhelm Müller (1862-1906), Leutnant und Adjutant des Regiments 110
Mutter: Anna Ernestine, geb. Clemm (1868-1956)
Geschwister: 3:
Margaretha Maria Katharina (geb. 1890)
Wolfgang Friedrich Georg (1891-1972)
Kurt (1897-1970)
Kinder: 4:
Wolfgang (1922-1942)
Heinz (geb. 1923)
Benno (geb. 1923)
Dieter (geb. 1929)
GND-ID: GND/128262346

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 233-235

Müller-Clemm wurde als jüngstes Kind eines Offiziers geboren und sollte mit der Familie mehrmals den Wohnort wechseln. Er besuchte das Gymnasium in Berlin und die Oberrealschule zu Heidelberg und Konstanz. Nach dem frühen Tod seines Vaters, damals Bataillonskommandeur in Kassel, wurde der Lebensweg des 13-jährigen durch seine Mutter und ihren Bruder Hans Clemm, technischer Leiter der Zellstoff-Fabrik Waldhof in Mannheim, bestimmt. Mit 20 Jahren, nach Schulabschluss, trat Müller-Clemm als Einjährig-Freiwilliger ins Dragoner-Regiment 14 in Colmar ein und rückte am 28. Juli 1914 ins Feld. Er nahm am Krieg im Westen und Osten in Kavalleriedivisionen, aber auch bei der Luftwaffe bis zum November 1918 teil.
Während eines Urlaubs im April 1918 ließ sich Müller-Clemm in Heidelberg einschreiben, wo seine Mutter wohnte, war aber wegen des Heeresdienstes im Sommersemester 1918 noch beurlaubt. Die nächsten zwei Semester studierte er Chemie bei Th. Curtius, bestand das Vorexamen und ging dann nach Freiburg. Dort promovierte Müller-Clemm nach vier Semestern mit einer anorganisch-chemischen Arbeit, die direkt auf die Herstellung der Sulfitlauge für die Zellstoffproduktion gerichtet war, speziell in der Zellstoff-Fabrik Waldhof. Über seinen Eintritt in diese Firma war schon lange entschieden.
Nach der Hochzeit zog Müller-Clemm mit seiner Frau nach Mannheim und im Juni 1921 begann seine Arbeit bei der Zellstoff-Fabrik. Zuerst beschäftigte er sich mit Sulfitablaugenverwertung, dann leitete er die Aktivkohleanlage. Er machte mehrere Verbesserungen, die in Betrieb genommen wurden. Nach dem Tod seines Onkels Hans Clemm begann die Erneuerung der Verwaltung der Firma, die unter Clemms Leitung zu einem Konzern herangewachsen war; Müller-Clemm kam in den Vorstand und widmete sich besonders der Entwicklung eines Zellstoffs für Kunstseide. Schon 1928 wurde beschlossen, eine Kunstseideversuchsanlage zu Studium und Kontrolle der verschiedenen Rohstoffe einzurichten. „Erst dadurch gelang es uns, sehr viele Fehler zu erkennen, die von Zellstoffseite aus unwissend gemacht wurden, und erst durch diese Anlage gelang uns immer mehr, mit dem Kunstseidefabrikanten in derselben Sprache zu reden“, erzählte er rückblickend. Müller-Clemm beschäftigte sich insbesondere mit internationalen Absprachen hinsichtlich einer Angleichung der Analysen und der Bestimmungsmethoden der Festigkeit von Zellstoffen. Ein großer Erfolg für ihn war die durch ihn eingeleitete und verwirklichte Gründung der Internationalen Vereinigung der Zellstoffwerke, die Zellstoff für die Kunstfaserindustrie herstellten (R. P. S. – Reyon Pulp Suppliers). 1933 wurde Müller-Clemm zum ordentlichen Vorstandsmitglied der Hauptverwaltung des Waldhof-Konzerns in Berlin. Ende 1933 übernahm er auch den Vorsitz im Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker und -Ingenieure (Zellcheming), damals in Berlin. Er war schon vor 1933 für den Verein als Vertreter bei den Kontakten mit Fachleuten in England und auch in verschiedenen Kommissionen tätig gewesen. Nun arbeitete Müller-Clemm fast ausschließlich organisatorisch. Insbesondere beteiligte sich Müller-Clemm bei einer bedeutenden Erweiterung der Kapazitäten durch Produktionsstätten im Osten Deutschlands und durch die Errichtung der Anlagen in Kexholm, Finnland. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender von Zellcheming konnte er die Selbständigkeit des Vereins bei neuen Anordnungen bewahren, so dass der Verein nur als formeller Annex des NS-Bunds Deutscher Technik geführt wurde. Dank Müller-Clemms Initiative wurden viele internationale Verbindungen des Vereins hergestellt; auf ihn geht auch die Gründung der Forschungsstelle Papiergeschichte (1938) am Gutenberg-Museum in Mainz zurück. Müller-Clemm verstand es sehr gut, die Lehrstühle Papierfabrikation und Zellstoffchemie an der Technischen Hochschule Darmstadt von Seiten der Industrie zu fördern; seine Verdienste in dieser Hinsicht wurden durch die Verleihung der Ehrensenatorwürde der Technischen Hochschule Darmstadt anerkannt.
Zu Beginn des II. Weltkrieges wurde Müller-Clemm nochmals als Reserveoffizier für ein Jahr zur Luftwaffe eingezogen, dann aber für seine kriegswichtige Tätigkeit bei der Zellstoffindustrie vom Militärdienst freigestellt. Die Vereinsleitung sollte er im Februar 1941 verlassen.
Nach dem Zusammenbruch leitete Müller-Clemm per Order der US-Besatzungsmacht die Zellstofffabrik Waldhof. Es ging vor allem um den Fortbestand des Unternehmens und den Erhalt der Belegschaft. Nachdem gesichert war, dass die Zellstofffabrik weiter bestehen würde, schied Müller-Clemm in gegenseitigem Einvernehmen Ende 1946 aus. Danach wirkte er als freier Berater der Zellstoff- und Papierindustrie und wohnte am Bodensee, zuerst in Kappelhof bei Friedrichshafen, ab 1957 in Lindau bei Reutin.
Anfang 1948 wurde Müller-Clemm durch eine Gruppe von Fachleuten gebeten, den Wiederaufbau des Zellcheming zu führen. Müller-Clemm schuf ein Team von arbeitsfähigen Mitarbeitern und leitete den Verein bis Juni 1962. Auf seine Weisung wurde der Verein nach Darmstadt verlegt. Müller-Clemms Verdienst war, dass Zellcheming mit seinen Bezirksvereinen und zahlreichen Fachausschüssen an der Schaffung und Übermittlung von Wissensmaterial in der Chemie, der Technologie und der Technik des Zellstoff- und Papierwesens arbeitete. Besonderen Nachdruck legte er auf die Förderung der Nachwuchsausbildung für die Zellstoff- und Papierindustrie; dank seiner Initiative wurden die entsprechenden Fachrichtungen an der Technischen Hochschule Darmstadt 1948 wiederhergestellt und 1949 am Oskar-von-Miller-Polytechnikum in München gegründet. Müller-Clemm betonte, „dass jedes echte akademische Studium nicht nur dem Zweck des Broterwerbs dient, sondern die Persönlichkeit formen und den Menschen zur inneren Freiheit verhelfen soll.“ Auf seine Initiative entstand 1950 auch die Papiertechnische Stiftung, die Auftragsforschungen durchführte und er beteiligte sich an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschung (1954), deren Präsidium er angehörte. 20 Jahre leitete Müller-Clemm außerdem das Kuratorium für Forschung und Berufsausbildung im Rahmen der Treuhandstelle der Zellstoff- und Papierindustrie und er war „Technical Editor for West Germany“ der internationalen Zeitschrift „Pulp and Paper International“.
Vor und besonders nach dem Krieg unternahm Müller-Clemm viele Studienreisen: nach Chile, Mexiko, Südafrika, Ägypten, Indonesien und mehrere Male in die USA und nach Kanada, woher er manche forscherische Anregung mitbrachte. Durch seine internationalen Beziehungen gelang es Müller-Clemm 1956, das „Comité Européen de Liaison pour la Cellulose et le Papier“ (EUCEPA) zu organisieren, das alle auf den Gebieten Zellstoff und Papier wissenschaftlich tätigen Verbände zusammenführte. 1956 bis 1959 fungierte Müller-Clemm als Präsident des Komitees, ab Oktober 1959 als Ehrenpräsident von EUCEPA. Müller-Clemm war außerdem Vorsitzender des Vereins der Freunde des Instituts für Seenbewirtschaftung und Reinhaltung der Gewässer in Langenargen (Bodensee).
Seine Fähigkeit als Leiter wurde durch Überzeugungskraft, Zähigkeit und Wagemut charakterisiert. 1962 verließ Müller-Clemm seine Position beim Zellcheming, gestaltete aber fast 20 Jahre lang seinen Ruhestand äußerst aktiv. Der sehr vielseitige Mensch, gute Sportler, insbesondere Skiläufer, Segler und Flugzeugführer, schrieb Gedichte, sammelte Miniaturen, fotografierte und konnte im Kreise der Freunde durch Erzählungen aus seinem ereignisreichen Leben brillieren. 1984 gründete Zellcheming den nach Müller-Clemm benannten Förderverein zur Unterstützung von Absolventen der Technischen Hochschule Darmstadt und Freien Hochschule München.
Quellen: UA Heidelberg Studentenakten 1910-1920, Rep. 14-633; UA Freiburg Promotionsakte B31/445; Verein Zellcheming, Darmstadt, Vereinsarchivalien; StadtA Mannheim Melderegister (Auskunft).
Werke: Holzverhältnisse an d. Pazifikküste von USA in Bezug zur Zellstoff-Industrie, in: Der Papier-Fabrikant 39, 1932, 97-100; Finnland in seiner politischen u. wirtschaftlichen Bedeutung, ebd. 32, 1934, Sonderheft 51-53; Genügen Deutschlands Holzbestände für unsere Kunstseidenindustrie? Ja, in: Kunstseide 16, 1934, 342-345; Der Stand d. heutigen Qualitäts-Zellstoffe, ebd. 38, 1940, 309-320; Hans Clemm, NDB 3, 1957, 286; Germany's Technical Revival, in: Pulp&Paper International 2, 1960, No. 4, 32 f.; Die Fachrichtung des akademischen Papieringenieurwesens d. TH Darmstadt, in: Das Papier 15, 1961, 121-126; Die akad. Ausbildung d. Cellulosechemiker an d. TH Darmstadt, ebd. 219-222; Gedenken u. Gedanken, Privatdruck o. J. [1962].
Nachweis: Bildnachweise: Verein Zellcheming, Darmstadt; Das Papier, 1977 (vgl. Lit.).

Literatur: Frieder Schmidt, Müller-Clemm, in: NDB 18, 1997, 492; Fünfzig Jahre Verein d. Zellstoff- u. Papier-Chemiker u. -Ingenieure 1955, 41-43, 48-51, 88-93 u. 121-122 (mit Bild); Das Papier 16, 1962, 753 (mit Bild); 1967, 21 u. 854 f. (mit Bild); 26, 1972, 771-773 (mit Bild); 31, 1977, 548 f. (mit Bild); 36, 1982, 150 f.
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