Schulze Gaevernitz, Gero von Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 27.09.1901;  Freiburg i. Br.
Sterbedatum/-ort: 00.00.1970; auf Mallorca
Beruf/Funktion:
  • deutscher Patriot und amerikanischer Weltbürger
Kurzbiografie: 3 Jahre Grundschule
1910-1917 Bertholdsgymnasium Freiburg mit Abitur
191?-192? Studium der Volkswirtschaft, des Handelsrechts und der Geschichte an den Universitäten Freiburg, München, Frankfurt/M.
1925 Niederlassung in USA, ab 1928 Wohnsitz in New York. Erwerb der Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten von Amerika
1941-1945 Special Assistent bei der amerikanischen Botschaft in Bern
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Vater: Gerhart (1864-1943), Professor der Nationalökonomie
Mutter: Johanna, geb. Hirsch (1881-1941)
Geschwister: Ruth (geb. 1898)
Margiana (geb. 1904)
Kinder: Tochter Pascale
GND-ID: GND/129442186

Biografie: Gerhard Granier (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 343-345

Schulze Gaevernitz’ Vater war ein führender Vertreter der liberalen Freiburger nationalökonomischen Schule, der sich zugleich unmittelbar politisch in der badischen Freisinnigen Volkspartei, dann in der Deutschen Demokratischen Partei engagierte und ab 1912 dem Reichstag sowie 1919/20 der Nationalversammlung angehörte. Seine Mutter entstammte einer politisch aktiven, angesehenen jüdischen Mannheimer Unternehmerfamilie. So erfüllten Abstammung und weltbürgerliche Atmosphäre eines kultivierten Elternhauses Schulze Gaevernitz mit liberalen Überzeugungen und ließen ihn zum geborenen Gegner engstirnig nationaler, im damaligen Deutschland fast stets zugleich antisemitischer Intoleranz werden.
Nach erfolgreichem Abschluß seiner Studien wandte sich Schulze Gaevernitz überraschend nicht einer wissenschaftlichen Karriere, sondern dem Geschäftsleben zu. Nach Fehlschlägen in Deutschland ließ er sich 1925 in den Vereinigten Staaten von Amerika nieder, wo geschäftlicher Ertrag es ihm nach einigen Jahren ermöglichte, ein Leben in großer Freizügigkeit zu führen. Schon 1923 unternahm er eine Reise in die Sowjetunion, damals ein ungewöhnliches Unternehmen. Seinen Wohnsitz behielt er zunächst in den USA, deren Staatsbürgerschaft er 1936 erwarb, hielt sich aber seit Februar 1937 in verschiedenen Ländern Europas auf und übernahm 1939 die Verwaltung des in der Schweiz belegenen Vermögens seines Schwagers Edmund Stinnes, des ältesten Sohnes des bekannten Mülheimer Großindustriellen, der sich in Ascona ansässig gemacht hatte und bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach England gegangen war. Dieser Auftrag ermöglichte es Schulze Gaevernitz, die Erlaubnis der eidgenössischen Behörden zu erhalten, sich in Bern niederzulassen und, als Export-Import-Kaufmann, nach Deutschland und Ungarn zu reisen. Als ein Mensch, dem es gegeben war, durch Liebenswürdigkeit und Diskretion Vertrauen zu gewinnen, nutzte er dies, Informationen aller Art zu sammeln und Verbindungen anzuknüpfen, die ihn zu aufschlußreichen Berichten an die diplomatischen Vertretungen der USA und Großbritanniens in den Stand setzten und sich wahrhaft bewährten, als der Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 seine Reisemöglichkeiten auf das Gebiet der Schweiz beschränkte.
Elf Monate später stellte Schulze Gaevernitz sein Wissen und seine Beziehungen in den Dienst Allen Dulles’, des Bruders von Präsident Eisenhowers Außenminister John Foster Dulles und späteren Chefs des CIA, der damals eine Dienststelle des amerikanischen Nachrichtendienstes Office of Strategy Services (OSS) in Bern aufzubauen begann. Als Leistungen seines Mitarbeiters hob Dulles später hervor den Hinweis darauf, daß bestimmte amerikanische Codes von den Deutschen entziffert worden waren, weiter Informationen über die Produktion deutscher Raketenwaffen, was zu einem amerikanischen Luftangriff auf die Fertigungsstätten in Peenemünde 1943 führte; auch über die Tätigkeiten der deutschen Abwehr und den Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft habe er Nachrichten beigebracht. Zugleich verhalf Schulze Gaevernitz badischen Juden, die in Südfrankreich interniert waren, zum Übertritt in die sichere Schweiz.
Zur Abkürzung des Krieges entwickelten Dulles und Schulze Gaevernitz den Plan, durch gefangene deutsche Offiziere, die gegen den Nationalsozialismus eingestellt waren, Kommandeure der deutschen Wehrmacht wie z. B. den General der Panzertruppen Graf Schwerin, nachmals erster militärischer Berater Bundeskanzler Adenauers, zur Kapitulation zu bewegen. Das Vorhaben wurde von den alliierten Befehlshabern schließlich abgelehnt. Doch bildete es die Vorstufe zu den Verhandlungen, die zur Übergabe der deutschen Streitkräfte in Italien führen sollten. Eingeleitet wurden die Schritte dazu Ende 1944 durch den deutschen Konsul in Lugano, Freiherr von Neurath, Sohn des früheren Reichsaußenministers und Reichsprotektors. Sie führten zu Verbindungen mit dem Höchsten SS- und Polizeiführer Italiens, Wolff, der sich entschlossen zeigte, die Kämpfe in Norditalien zu beenden und Zerstörungen dort zu vermeiden. Die Gespräche darüber zogen sich über Monate hin, teils wegen alliierter, durch Bekundungen sowjetischen Mißtrauens geschürter Bedenklichkeiten, teils weil auf deutscher Seite der halb schon gewonnene Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C, Generalfeldmarschall Kesselring, Mitte März 1945 durch Generaloberst von Vietinghoff-Scheel abgelöst wurde. Träger der Kontinuität im Oberkommando der Heeresgruppe blieb der Chef des Generalstabs General der Panzertruppen Röttiger, zwölf Jahre danach erster Inspekteur des Heeres in der Bundeswehr. Unmittelbar nach dem Kommandowechsel trafen sich zwei alliierte Generale, darunter der spätere Oberbefehlshaber der NATO, Lemnitzer, mit Wolff in der Villa von Schulze Gaevernitz’ Schwager Stinnes in Ascona. Als die Verhandlungen endlich am 29.4.1945 zur Übergabe aller in Italien stehenden Streitkräfte der Wehrmacht und der Waffen-SS führten, war Schulze Gaevernitz bei den abschließenden Verhandlungen im alliierten Hauptquartier in Caserta anwesend und überzeugte die deutschen Vertreter, daß nichts anderes als bedingungslose Kapitulation in Frage kam. In der Folge hatte er Gelegenheit, eine Reihe prominenter Gegner des nationalsozialistischen Regimes und von Angehörigen hingerichteter Widerstandskämpfer, die auf Anacapri interniert waren, zu befreien und mit einigen von ihnen, darunter Fabian von Schlabrendorff, Freundschaft zu schließen. Er blieb auch später bemüht, diesem Personenkreis zu helfen.
Hatte Schulze Gaevernitz bis zum Kriegsende sozusagen als Privatmann auf eigene Kosten sich dem OSS zur Verfügung gestellt, so trat er im Juli 1945 offiziell in dessen Dienste und beschaffte Nachrichten über die furchtbaren Verhältnisse in den deutschen Ostgebieten, die von den Sowjets besetzt worden waren und bald zum großen Teil polnischer Verwaltung übergeben wurden. Im September 1945 reiste er selbst vier Tage lang durch Schlesien. Was er über das grauenvolle Geschehen dort sah und hörte, erschütterte ihn zutiefst, und die amerikanischen Besatzungsbehörden erhielten durch ihn die ersten zuverlässigen Nachrichten darüber. Ende 1945 zog Schulze Gaevernitz sich ins Privatleben zurück und betätigte sich zuletzt als Berater einer deutsch-amerikanischen Industriegruppe. Zusammen mit Schlabrendorff setzte er sich 1949 für die deutschen Angeklagten in den fragwürdigen amerikanischen Prozessen wegen des sogenannten Malmedy-Zwischenfalls ein. Die Auszeichnung mit einem hohen US-amerikanischen Verdienstorden wurde damit begründet: because he shortened this war.
Quellen: Nachlaß (26 Bände) im Bundesarchiv – Militärarchiv Freiburg
Werke: Offiziere gegen Hitler. Nach einem Erlebnisbericht von Fabian von Schlabrendorff bearb. und hg. von Gero von Schulze Gaevernitz, Zürich 1. Aufl. 1946, 3. Aufl. o. J.; Allen Dulles und Gero von Schulze Gaevernitz, Unternehmen „Sunrise“. Die geheime Geschichte des Kriegsendes in Italien, Düsseldorf-Wien 1967
Nachweis: Bildnachweise: Dulles/Schulze Gaevernitz, Sunrise: nach S. 64 (2), vor S. 225; Schlabrendorff, Begegnungen: hinter S. 288; Smith/Agarossi: hinter S. 160; Waibel: vor S. 57, hinter S. 136; Heideking, Gero von Schulze Gaevernitz, S. 282

Literatur: Hans Bernd Gisevius, Bis zum bitteren Ende, Bd. 2 Zürich 1946, 272 f., 289 f.; Allen Dulles, Verschwörung in Deutschland, Kassel 1949, 161, 163; Fabian von Schlabrendorff, Begegnungen in fünf Jahrzehnten, Tübingen 2. Aufl. 1979, 321-347; Bradley Smith und Elena Garossi, Unternehmen „Sonnenaufgang“, Köln 1981; Max Waibel, 1945. Kapitulation in Norditalien, Originalbericht des Vermittlers, hg. von Eduard Preiswerk u. a., Basel-Frankfurt/M. 2. Aufl. 1981; Jürgen Heideking, Die „Schweizer Straßen“ des europäischen Widerstandes, in: Geheimdienst und Widerstandsbewegungen im Zweiten Weltkrieg, hg. von Gerhard Schulz, Göttingen 1982, hier S. 150 f., 167 f., ders., Gero von Schulze Gaevernitz. Deutscher Patriot im amerikanischen Geheimdienst, in: Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933-1945, hg. von Michael Bosch und Wolfgang Nies, Stuttgart 1984, 281-290
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