Cissarz, Johann Vincenz 

Andere Namensformen:
  • Johannes Joseph Vincenz
Geburtsdatum/-ort: 22.01.1873; Danzig
Sterbedatum/-ort: 22.12.1942; Frankfurt am Main
Beruf/Funktion:
  • Leiter der Abteilung für grafische Künste und Buchgewerbe an der Kunstgewerbeschule Stuttgart
Kurzbiografie: 1891–1894 Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden
1895–1896 Meisterschüler von Ferdinand W. Pauwels
seit 1897 selbstständiger Grafiker in Dresden-Loschwitz
seit 1898 Mitarbeiter der „Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst“
1.5.1903 Prof. für dekorative Malerei, Grafik und Buchkunst an der Darmstädter Künstlerkolonie
1.10.1906 Lehrbeauftragter für Buchkunst an den „Lehr- und Versuchswerkstätten“ des Vereins Württembergischer Kunstfreunde in Stuttgart
1908 Mitglied des Deutschen Werkbundes
1909 Prof., ab 1913 Leiter der Abteilung für grafische Künste und Buchgewerbe an der Kunstgewerbeschule Stuttgart
1916–1939 Leiter der Klasse für Freie Malerei an der Kunstgewerbeschule Frankfurt am Main
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: 1. 1898 oder 1899 Else Henriette, geb. Killisch von Winterfeld (* 4.4.1875 Luzern, † 27.12.1918 Frankfurt am Main)
2. 23.12.1919 Lucie Valentine, geb. Graus gesch. Contag (* 18.1.1880 Frankfurt am Main, † 12.3.1969 Frankfurt am Main)
Eltern: Vater: Nicodemus Cissarz, Steuerbeamter, Danzig
Mutter: Florentine, geb. Pankow
Kinder: 2: Arnold (* 17.8.1900); Hildegard (* 19.3.1905); Stieftochter 2. Ehe Viktoria Contag-Graul (1906–1973)
GND-ID: GND/134089316

Biografie: Holger Klein-Wiele (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 36-37

Aus seiner Geburtsstadt Danzig kommend, ging Cissarz 1891 an die Dresdener Akademie, wo er bei L. Pohle und G. H. Freye studierte. Seine Tätigkeit im Dresdener Meisteratelier des belgischen Historienmalers F. W. Pauwels übte nachhaltigen Einfluss auf die Herausbildung eines naturalistischen Stils bei Cissarz aus. Bekannt wurde Cissarz in seinen Anfangsjahren mit gebrauchsgrafischen Arbeiten in Form von Plakaten und Kalendern, die er ab 1897 für die Dresdener Kunstanstalt Th. Beyer entworfen hatte. Wie viele Künstler seiner Generation folgte Cissarz dem Ideal des „Universalkünstlers“, der sich nicht an die traditionellen Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst gebunden sah.
Ferdinand Avenarius, der Herausgeber des konservativen „Kunstwart“, für den Cissarz als Illustrator tätig wurde, stellte den Kontakt zu dem Verleger E. Diederichs her. Diederichs hatte 1896 einen eigenen Verlag in Leipzig gegründet und war ein Verfechter der Buchkunstreform, die die moderne dekorative Gestaltung von Büchern nach einheitlichen Kriterien zum Ziel hatte. Cissarz übernahm in den ersten Jahren einen Großteil der Buchgestaltung des Verlages – er entwarf auch das Signet mit dem „Markuslöwen“ – und avancierte zu einem der führenden Buchkünstler der Jugendstilzeit in Deutschland.
Intensiven Kontakt zu den fortschrittlichen Ideen der Kunstgewerbereform, die um 1900 den überkommenen Historismus überwinden wollte, bekam Cissarz über die Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst. Die Dresdner Werkstätten, im Oktober 1898 durch K. Schmidt gegründet, firmierten ab 1907 als Deutsche Werkstätten und bildeten den späteren Ausgangspunkt für den Bau der ersten deutschen Gartenstadt in Dresden-Hellerau. Cissarz war praktisch von Beginn an für die Werkstätten als Gebrauchsgrafiker, Innenraum- und Produktdesigner, zum Beispiel für moderne Schichtholzmöbel, tätig. Cissarz‘ Entwürfe für Schutzmarken, Warenetiketten und Firmensignets trugen zu einem einheitlichen Corporate Design der Werkstätten bei.
Ein entscheidender Karriereschritt für Cissarz war seine Berufung als Professor an die Darmstädter Künstlerkolonie 1903 durch Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, einen der wichtigsten Jugendstil-Förderer. Cissarz war hier als Designer auf vielen Gebieten tätig. Für die zweite Ausstellung der Kolonie entwarf Cissarz grafische, buchkünstlerische und textile Arbeiten, die in einer Sonderausstellung gezeigt wurden, Innenraumausstattungen und die Werbegrafik für die Kolonie. Für die Darmstädter Synagoge entstanden figürlich-dekorative Glasfenster. Der Gewinn der Goldmedaille für Dekorationsmalerei auf der Weltausstellung St. Louis 1904 und die Veröffentlichung mustergültiger Designvorlagen für Buchschmuck („Cissarz-Ornamentik“, 1906) förderten Cissarz‘ Bekanntheitsgrad.
Seine Erfolge mündeten 1906 in die Übernahme eines Lehrauftrags für Buchausstattung an den 1901 ins Leben gerufenen „Kunstgewerblichen Lehr- und Versuchswerkstätten“ in Stuttgart. Diese von B. Pankok geleitete Lehreinrichtung war an die Kunstgewerbeschule angeschlossen und ergänzte den theoretischen Unterricht um die praktische Werkstattarbeit. 1909 erhielt Cissarz dort eine Professur und widmete sich in den folgenden Jahren maßgeblich dem Aufbau des Fachbereiches für Grafik und Buchgewerbe, deren Leiter er 1913 wurde. Im Württembergischen Kunstgewerbeverein (1907) und im Landesgewerbemuseum Stuttgart (1911/12) feierte er seine ersten wichtigen Einzelausstellungen. Parallel war er als Dekorationsmaler tätig, und schuf die Ausmalung der Ratsherrentrinkstube im Stuttgarter Rathaus, für das Hoftheater in Stuttgart und für die Friedenskirche in Offenbach/Main, die leider alle nicht erhalten sind.
Von Zeitgenossen wegen seiner umfassenden Kenntnis gestalterischer Techniken geschätzt, war Cissarz ein stilistisch konservativer, auf die klassische Figuren- und Bildnismalerei konzentrierter Künstler. 1916 übernahm Cissarz die Professur für freie Malerei an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt. Auch wenn er weiterhin als Werbegrafiker tätig blieb, vor allem für Asbach-Uralt, konzentrierte sich Cissarz nun auf sein malerisches Werk. Mitte der 1920er Jahre schwand Cissarz‘ Einfluss an der Schule, als mit Max Beckmann ein ausgewiesener Avantgardist sein Meisteratelier dort etablierte.
Während Beckmann mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 fristlos entlassen wurde, blieb Cissarz im Zuge der Neueinrichtung der Städelschule weiterhin als Lehrer tätig, obwohl er im gleichen Jahr offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden war. Hierbei waren ihm seine frühen Sympathien für die Nationalsozialisten und seine Mitgliedschaft in der NSDAP sicher hilfreich. Cissarz‘ Werk wurde völlig zu Recht als auffallend anpassungsfähig bezeichnet (Stuchtey). Er erhielt so in seinen späten Lebensjahren Staatsaufträge für Monumentalmalereien und fertigte mehrere Hitlerporträts an, von denen eines als Postkarte Verbreitung fand.
Die bedeutendste Schaffens- und Wirkungsphase von Cissarz als Maler, Gebrauchsgrafiker und Lehrer liegt zweifellos in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Hier beteiligte er sich an den innovativen Leistungen der Kunstgewerbereformbewegung, war an den Kunstzentren in Dresden und Darmstadt tätig und leistete Pionierarbeit in der Lehre und beim Aufbau der buchkünstlerischen und grafischen Abteilung in Stuttgart. In der gegen Ende seiner beruflichen Tätigkeit formulierten programmatischen Schrift „Die Mission der Kunstschulen“ wird Cissarz‘ ungebrochene Orientierung an den Idealen der Zeit um 1900 und an der Vereinheitlichung und Gleichwertigkeit von Kunst und Kunstgewerbe deutlich.
Quellen: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: PA Cissarz, Johann Vincenz.
Werke: (Auswahl) Gebrauchsgrafik: Plakat zur Künstlerkolonie-Ausstellung Darmstadt, 1904; Musterbücher der Dresdener Werkstätten, 1906; Cissarz-Ornamentik, 1906; Schriftmusterbuch Cissarz-Latein, 1913; Werbegrafik für Asbach-Uralt, 1922/23 – Buchkunst: H. Blum, Die deutsche Revolution, 1897; Katalog der Buchgewerbe-Ausstellung im Deutschen Reich, 1900; H. Voigt-Diederichs, Unterstrom, 1901; Ehrenbuch des Kgl. Landesgewerbe-Museum Stuttgart, 1911 – Programmatische Schrift: Die Mission der Kunstschulen. Ein Versuch. Als Manuskript gedruckt, o. J. (um 1933/34).

Literatur: H. Stuchtey, Cissarz, Johann Vincenz, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 19, 300–301, dort mit weiterer Werkauswahl.
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