Nessler (Nestlé), Karl (Charles) Ludwig 

Geburtsdatum/-ort: 02.05.1872;  Todtnau
Sterbedatum/-ort: 22.01.1951; Harrington Park, New Jersey, USA
Beruf/Funktion:
  • Friseur und Erfinder
Kurzbiografie: ca. 1878-1885/6 Volksschule in Schopfheim, Wiesental; nach wenigen Monaten Abbruch einer Barbierlehre, Gelegenheitsarbeiten in der Schweiz
ab 1892 Arbeit als Friseur in Genf, Paris und London
1901 Eröffnung eines eigenen Salons in London
1906 nach einer Anzeigenkampagne Vorstellung seiner Erfindung, der Dauerwelle
1915 kriegsbedingter Neubeginn in den USA, rascher und großer Erfolg der Firma Charles Nestlé&Co.
1928 Ausstieg aus der Firma durch Verkauf, fortan Nestlé-LeMur-Company
1934 Publikation seines Buches „Our vanishing hair“, Entwicklung eines Hautverjüngungsapparats
1939 Letzte Deutschlandreise, Ehrung im Haus des Deutschen Handwerks
1949 Ehrung durch die American Women’s Voluntary Services
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1901 Katharina, geb. Laible (1879-1935) aus Langenau bei Ulm
Eltern: Vater: Bartholomäus (geb. 1842), Schuhmacher
Mutter: Rosina, geb. Laitner (geb. 1844)
Geschwister: 8
Kinder: 4
GND-ID: GND/138043752

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 215-216

Die Pflege seines Andenkens verdankt Nessler in erster Linie Professor Dr. Hans Lehmberg, der in Darmstadt Gewerbelehrer ausbildete und im Bundesverband der Lehrer in Friseurklassen eine führende Rolle spielte. In den 1950er Jahren stellte er intensive Nachforschungen über Nesslers Leben und Werk an und publizierte seine Ergebnisse in einer Monographie, als deren Herausgeber er die Schwarzwälder Firma Kadus gewinnen konnte. In der zweiten überarbeiteten Auflage von 1986 wird eine Spendenaktion des deutschen Friseurhandwerks zur Pflege von Nesslers Grab in New York dokumentiert. Daneben trug Lehmberg schriftliches und technisches Material zusammen, das er dem Deutschen Museum in München übergab. Für Medienecho sorgten Gedenkveranstaltungen, wie sie beispielsweise Obermeister Erwin Schmidt von der Friseurinnung in Bretten regelmäßig ins Werk setzte, zuletzt 1996 zur Erinnerung an „90 Jahre Dauerwelle”. Damals beschäftigten sich auch verschiedene überregionale Zeitungen mit Nessler und seiner Erfindung, die ihm Ruhm und geschäftlichen Erfolg bescherte. Dieses Datum würdigt auch Nesslers Geburtsstadt Todtnau durch eine Karl-Nessler-Stiftung, die im Zweijahresrhythmus einen mit 1 000,- DM, heute 500 €, dotierten Preis verleiht. Im Jubiläumsjahr 2006, wenn die Nesslersche Erfindung 100 Jahre alt wird, soll der Preis auf 1 000 € erhöht werden. Die Aussagen über Nesslers Kindheit und Jugend sind stark durch eigene Pressestatements aus seiner Glanzzeit, den 1920er Jahren, geprägt. Regelmäßig erwähnte er, dass er früh Waise wurde und als Schüler nebenbei als Hütekind arbeiten musste. Während der langen Stunden auf den Bergweiden habe er begonnen, Beobachtungen zum physikalischen Phänomen „glatt oder gelockt“ bei Gräsern oder Haaren anzustellen. Seine Geburtsstadt Todtnau verließ er schon mit vier Jahren nach dem großen Brand von 1876, der seine Eltern obdachlos machte und zu einem Umzug nach Fahrnau bei Schopfheim veranlasste. Dort besuchte er die Volksschule. Seinen Lehrherren, den Dorfbarbier von Fahrnau, verließ er schon nach fünf Monaten, um sich über Säckingen in die Schweiz zu begeben. In Aarau arbeitete er in einer Uhrenfabrik, wo er sich feinmechanische Kenntnisse erwarb, die ihm später bei der Herstellung seiner Dauerwellenapparate zugute kamen. 1891 war er in Basel. Außerdem ist ein Aufenthalt in Mailand im Zusammenhang mit dem Hinweis erwähnt, dass Nessler Italienisch und Französisch sprach.
1892 fasste er in Genf den Entschluss, Friseur zu werden. Er arbeitete in einem anspruchsvollen Haus, ohne jemals eine Lehre abgeschlossen zu haben, nannte sich fortan Charles Nestlé und begann, mit menschlichem Haar zu experimentieren. Bald zog er nach Paris, wo ein Kollege Erfolge mit der Ondulation feierte. Nessler setzte sich das Ziel, ihn zu übertreffen und eine Methode zur Dauerondulation zu finden. Er erkannte, dass hierfür die Struktur des Haares verändert werden müsse, was er durch Hitze und mechanisches Spannen zu erreichen suchte. (Die Kaltwelle kam erst in den 1950er Jahren auf.) Den ersten Versuch am lebenden Objekt unternahm er an seiner späteren Ehefrau, einer Schwäbin aus der Ulmer Gegend, die als Friseuse in Paris arbeitete. Noch vor der Jahrhundertwende zog er nach London, wo er 1901 im Jahr seiner Eheschließung ein eigenes Geschäft eröffnete. Zu diesem Entschluss samt Namensänderung hatte die Ehefrau, die sich in Paris Yvonne genannt hatte, maßgeblich beigetragen. Mit Ondulationen nach Pariser Art, künstlichen Wimpern und Haarersatzteilen verdiente das Ehepaar Nessler genug, um das Geschäft nach fünf Jahren in eine anspruchsvollere Gegend verlegen und vergrößern zu können. Hier präsentierte Nessler im Oktober 1906 einem Gremium internationaler Fachleute und der Presse seine Erfindung: ein Verfahren zur Herstellung von Dauerwellen. Sein Mitarbeiter George Aldworth assistierte dabei, die Probandin hatte laut Foto etwa 50 Zentimeter langes glattes Haar.
Die Perfektionierung des Verfahrens ging rasch voran. An die Stelle der Heizzangen, die anfangs von Hand gehalten wurden, traten hängende Heiztuben. Elektrische Beheizung wurde Standard. Schon 1908 träumte Nessler von der weltweiten Verbreitung seines Systems. Er erlebte damals als etwa 40jähriger eine erste Glanzzeit, ließ 1911 ein luxuriöses Haus der Dauerwelle bauen und leistete sich zur Freizeitgestaltung ein eigenes Maleratelier. Dass er „auch in Börsensachen beschlagen“ war und die Werbung massiv einsetzte, trug zu seinem finanziellen Erfolg bei. Da er die deutsche bzw. badische Staatsangehörigkeit beibehalten hatte, wurde er 1914 als feindlicher Ausländer auf der Isle of Man interniert. Er konnte jedoch fliehen und schon im August 1915 in New York eine zweite Karriere beginnen. Durch einen Anwalt ließ er sich seine Patente sichern, dann lief wie ein Feuerwerk eine Erfolgsgeschichte ab, die ihn im Verlauf der 1920er Jahre zum vielfachen Dollarmillionär machte. In der Nähe des Rockefeller Centers in Manhattan hatte er sein Hauptgeschäft mit vier Hausnummern und am Broadway war er mit einem Frisörgeschäft vertreten, das von Film- und Theaterleuten frequentiert wurde. In der 5th Avenue hatte er sein Privatbüro, wo er Börsengeschäfte abwickelte, in allen Großstädten der USA unterhielt er Filialen. Seine Dauerwellenapparate, die er auch als Heimgeräte auf den Markt brachte, stellte er in eigenen Fabriken her. Daneben produzierte er Kosmetikartikel und Haarpflegemittel. 1927 beschäftigte er 500 Personen. Zu seinen engeren Mitarbeitern gehörten auch Landsleute aus dem Schwarzwald, die Lehmberg in den 1950er Jahren interviewen konnte. Die ersten greifbaren Kontakte zur alten Heimat fanden im Krisenjahr 1923 statt. Damals begann Nessler, einem Appell des Todtnauer Bürgermeisters folgend, Sach- und Geldspenden in seine Geburtsstadt zu schicken. 1923 und 1925 kam er zu Besuch. 1928 traf Nessler eine fatale Entscheidung und verkaufte das gesamte Dauerwellenimperium, um künftig als wissenschaftlich tätiger Privatier zwischen Manhattan und seinem ausgedehnten Landsitz Deerpark zu leben. Er arbeitete an seinem Buch „Our vanishing hair“, als der Börsenkrach von 1929 sein Vermögen, das zum großen Teil aus Kupferaktien bestand, drastisch schwinden ließ. Als 60jähriger trennte er sich von seinem Landsitz und fasste den Entschluss, sein Glück ein drittes Mal zu versuchen mit einem Hautverjüngungsapparat, der durch Reibung und Sogwirkung auch der Glatzenbildung entgegenwirken sollte. Als er 1939 zum letzten Mal nach Deutschland kam, hoffte er hier Lizenznehmer zu finden. Ehe jedoch Konkretes vereinbart war, reiste er in die USA zurück. Die amerikanische Botschaft hatte ihn als US-Bürger vor der drohenden Kriegsgefahr gewarnt. Das neue Deutschland, dessen Lichtseite ihm vorgeführt wurde und das ihm Ehrungen zuteil werden ließ, hatte ihn beeindruckt. Nesslers Lebensjahre jenseits der 60 waren für ihn und seine Umgebung beschwerlich, da er den Rückschlag nach so vielen großen Jahren nicht verarbeiten konnte. Er wurde zum Einzelgänger und zog sich auch innerhalb der Familie zurück. Nach dem Tod seiner Frau 1935 verschlimmerte sich sein psychisches Befinden kontinuierlich. Außerdem verstärkte sich ein Augenleiden, das ihm schon in der Schulzeit den Spitznamen „Eule“ eingebracht hatte. Er starb im Alter von 79 Jahren.
Quellen: Akten d. Stadt Todtnau mit Korrespondenz von Nessler; Kadus Friseur-Museum Lenzkirch; Lehmberg-Sammlung über Nessler im Deutschen Museum München; Auskünfte von H. Röth.
Werke: Lehrbuch für Dauerwellen am Haare des Menschen, 1922; Mirror, mirror on the wall ..., Werbeschrift, 1923; The Story of Hair, 1928; Our Vanishing Hair, 1934; The ChaNess, Werbeschrift, 1938.
Nachweis: Bildnachweise: bei Lehmberg (vgl. Lit.).

Literatur: Hans Lehmberg, K. L. Nessler u. die Erfindung d. Dauerwelle, 1954, 2. überarb. Aufl. 1986.
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