Kissel, Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 22.12.1885; Haßloch (Pfalz)
Sterbedatum/-ort: 18.07.1942;  Überlingen (Bodensee)
Beruf/Funktion:
  • Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG
Kurzbiografie: 1902-1904 Kaufmännische Lehre bei den Firmen Wagner&Schulz, Eisenhochbau und Kunstschmiede sowie Reich, Schmidt&Co., Eisengießerei und Maschinenfabrik – beide in Neustadt an der Hardt
1904 Eintritt als Korrespondent in die Einkaufs-Abteilung bei Benz&Cie., Rheinische Gasmotorenfabrik Aktiengesellschaft, Mannheim
1908 Leiter der Einkaufs-Abteilung bei Benz&Cie.
1917 Bestellung zum Prokuristen
1921 Ernennung zum Einkaufsdirektor
1924 Mitorganisator der Interessengemeinschaft zwischen der Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz&Cie.
1925 Berufung in den Vorstand der Interessengemeinschaft zwischen der Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz&Cie.
1930 Leiter der Vorstandssitzungen der Daimler-Benz AG
1933 Verleihung der „Würde eines Doktor-Ingenieurs Ehrenhalber“ durch die Technische Hochschule Darmstadt
1937 Formelle Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG nach Inkrafttreten eines neuen Aktiengesetzes
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1911 (Haßloch) Mathilde Roth
Eltern: Vater: Johannes Kissel (1847-1914), Eisenbahnbeamter
Mutter: Maria Magdalena, geb. Fischer (1851-1920)
Geschwister: 4 Brüder
4 Schwestern
Kinder: 2 Söhne
GND-ID: GND/143197592

Biografie: Harry Niemann (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 134-135

Kissel wurde im Jahre 1885 als Sohn eines Eisenbahnbeamten in Haßloch in der Pfalz geboren. Obgleich aus eher einfachen Verhältnissen kommend, wurde Kissel ab dem Jahre 1886 der Besuch der Königlichen Realschule in Neustadt an der Hardt ermöglicht. Im Jahre 1902 unterzog sich Kissel den Abschluss-Prüfungen dieser Schule und bestand diese mit hervorragendem Erfolg. Auf Wunsch seines Vaters, welcher für seinen Sohn eine Beamtenlaufbahn ins Auge gefasst hatte, begann Kissel, der eigentlich Mathematiker werden wollte, eine Ausbildung als Gerichtsschreiber am Amtsgericht Neustadt. Um seine mathematische Schulung und rechnerische Begabung besser einsetzen zu können, verließ Kissel indes recht bald das Amtsgericht und nahm im Dezember 1902 eine kaufmännische Ausbildung bei dem Unternehmen Wagner&Schulz, Eisenhochbau und Kunstschmiede auf. Eine unternehmerische Umstrukturierung, welche für Kissel einen Umzug nach Dürkheim erfordert hätte, nutzte Kissel zum Eintritt in das größere Unternehmen Reich, Schmidt&Co., Eisengießerei und Maschinenfabrik, Neustadt. Doch auch in dieser Firma sollte Kissel nicht lange verweilen, wurde sie doch im Jahre 1904 liquidiert.
So bewarb sich Kissel – mit Erfolg – bei dem damals aufstrebenden Automobilunternehmen Benz&Cie., Rheinische Gasmotorenfabrik Aktiengesellschaft, Mannheim. Zunächst als Schreiber – als „Korrespondent“ – in der Einkaufsabteilung eingesetzt, arbeitete sich Kissel schon im Jahre 1908 zum Abteilungsleiter empor, wobei Kissel sich in seiner Freizeit sowohl im Privatstudium als auch in Kursen an der Mannheimer Handelshochschule weiterbildete. Während des Ersten Weltkrieges hatte Kissel die Leitung der Rohstoff-Verwaltung für die besonders wichtigen Kriegslieferungen des Mannheimer Unternehmens inne. Da sich Kissel auch in dieser Position bewährte, wurde er im Jahre 1917 zum Prokuristen bestellt, was insofern eine besondere Auszeichnung darstellte, als die Unternehmensleitung die Prokura außerordentlich wählerisch und sparsam erteilte. Im Jahre 1921 wurde Kissel mit Wirkung zum 1. Januar 1922 zum Einkaufsdirektor ernannt. In dieser Position sah sich Kissel in den folgenden Monaten mit den Schwierigkeiten von Inflation und Hyperinflation konfrontiert. Vor dem Hintergrund dieser Krise verfocht Kissel recht früh die Idee eines Zusammenschlusses von Benz&Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft. So war Kissel auch maßgebend und richtungsweisend an der Ausarbeitung eines genau umschriebenen Programmes für eine Interessengemeinschaft zwischen den beiden Unternehmen beteiligt. Die einschlägigen Verträge wurden alsdann im Mai des Jahres 1924 von den Hauptversammlungen der beiden Unternehmen genehmigt. In den Aufgabenbereich Kissels fiel fortan die Organisation des gemeinsamen Einkaufs der Materialien für sämtliche Werke, des gemeinsamen Vertriebs und der gemeinsamen „Propaganda“ von sämtlichen Erzeugnissen. In Ehrung seiner herausragenden Leistungen wurde Kissel im Jahre 1925 in den Vorstand der Interessengemeinschaft berufen.
Am 28. Juni 1926 schlossen die Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz&Cie. einen Fusionsvertrag, welcher die beiden Unternehmen zur Daimler-Benz AG zusammenschloss. Kissels Aufgaben nach der Durchführung der Verschmelzung waren der Auf- und Ausbau des deutschen Verkaufsgeschäftes, die Entwicklung der gesamten Organisation des Konzerns und die Überwachung des Einkaufs in der Zentralverwaltung. Faktisch war Kissel kraft seiner einnehmenden Persönlichkeit im Vorstand der Daimler-Benz AG bald Primus inter pares, ohne freilich den Titel eines Vorstandsvorsitzenden oder Generaldirektors zu führen. Die exponierte Stellung Kissels dokumentiert sich im übrigen auch in dem Faktum, dass er ab 1930 die Sitzungen des Vorstandes leitete.
Unter der Ägide Kissels wurde im Jahre 1926 das erste Sechszylinder-Programm unter dem gemeinschaftlichen Markennamen „Mercedes-Benz“ vorgestellt. Weiterhin unterstützte Kissel den Ausbau des Nutzfahrzeugbereichs in Gaggenau, die Entwicklung des Fahrzeug-Dieselmotors von Benz sowie die Einführung der Fließbandfertigung im Jahre 1928. Während der Weltwirtschaftskrise, in welcher die Modellpalette mit dem Typ 170 „nach unten“ arrondiert wurde, wandte sich Kissel mit einiger Vehemenz gegen drohende Werkschließungen, da er an eine Überwindung der Wirtschaftskrise glaubte.
Als sich die Wirtschaft im Deutschen Reich, wie erhofft, im Jahre 1933 belebte, wurden unter Kissel mehrere Tausend neue Mitarbeiter eingestellt. Gleichzeitig wurde der Großmotorenbau ausgeweitet. So wurde im Jahre 1935 mit dem DB 600 eine neue Generation von Flugmotoren serienreif. Es handelte sich um einen wassergekühlten Zwölfzylinder mit 1 000 PS. Ihm folgte im Jahre 1936 der DB 601, der ebenso wie sein Vorgänger in diverse Flugzeuge der Luftwaffe – Me 109, He 111, Do 17 – eingebaut wurde. Im Bereich des Baus von Personenkraftwagen ist vor allem die Produktionsaufnahme des 170 V im Jahre 1936 herauszustreichen. Es handelte sich hier um das erste wirkliche Großserien-Auto von Daimler-Benz. Infolge des Inkrafttretens eines neuen Aktiengesetzes wurde Kissel im Jahre 1937 auch formell Vorsitzender des Vorstandes.
Während des Zweiten Weltkrieges konzentrierte sich die Daimler-Benz AG bei der Fertigung weitestgehend auf die Produktion von Rüstungsgütern. Den Verpflichtungen des Unternehmens als Lieferant der Wehrmacht nachkommend, suchte Kissel auf der anderen Seite den Einfluss von Staat und Partei im Unternehmen gering zu halten. Kissel verstarb am 18. Juli 1942 im Alter von 56 Jahren.
Quellen: Reden, Nachrufe, biographische Daten etc. im Daimler-Chrysler Konzernarchiv, Stuttgart-Untertürkheim.
Werke: Aktiv für Deutschlands Autosport, in: Hans Stuck/Ernst G. Burggaller, (Hg.), Das Autobuch, 1933, 63-66; Die Automobilindustrie im deutschen Wiederaufstieg, 1937.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Daimler-Chrysler Konzernarchiv.

Literatur: Max Kruk/Gerold Lingnau, 100 Jahre Daimler-Benz: Das Unternehmen, 1986; Hans Pohl/Stephanie Habeth/Beate Brüninghaus, Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945. – Eine Dokumentation (Zs. für Unternehmensgeschichte, Beiheft 47), 2. Aufl., 1987; Neil Gregor, Stern und Hakenkreuz: Daimler-Benz im Dritten Reich, 1997; Wilfried Feldenkirchen, „Vom Guten das Beste“ – Von Daimler und Benz zur Daimler-Chrysler AG, Bd. 1: Die ersten 100 Jahre (1883-1983), 2003.
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