Das Rottweiler Heilig-Geist-Spital

Darstellung des Heilig-Geist-Patroziniums auf einem Schlussstein, Spitalskapelle St. Anna, Rottweil. Copyright: LABW
Darstellung des Heilig-Geist-Patroziniums auf einem Schlussstein, Spitalskapelle St. Anna, Rottweil. Copyright: LABW

Gründung und Organisation

1275 wird das Rottweiler Heilig-Geist-Spital erstmals urkundlich erwähnt. Es verfügte offenbar bereits damals über vergleichsweise stattliche Besitzrechte. Einiges spricht dafür, dass die Familie von Balingen oder Balgingen maßgeblich an der Gründung beteiligt war. Das Spital erfreute sich vielfacher Förderung und erlangte bald erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Zunächst unterstand es der Aufsicht des Diözesanbischofs in Konstanz. Dies änderte sich, als um 1317 die Kommunalisierung des Spitals einsetzte. Die Bruderschaft, die in den Anfangsjahren das Spital führte und nach der Regel des hl. Augustinus lebte, wurde nach 1414 nicht mehr erwähnt.

An der Spitze des Spitals standen nun – zumeist zwei – Pfleger, die aus den Reihen des Rates kamen und diesem rechenschaftspflichtig waren. Nach 1500 kam einer der Pfleger aus dem Kreis der Assessoren am kaiserlichen Hofgericht und gehörte der Herrenstube an. Als Kollegen wählte sich dieser Spitaloberpfleger einen Zunftmeister. Mit zunehmender Festigung der Strukturen bildete sich ein Spitaloberpflegamt heraus. Ihm gehörten neben den beiden Pflegern der Spitalmeister an. Letzterer war nach der Kommunalisierung nur noch für den inneren Betrieb sowie für die spitaleigene Ökonomie zuständig. Er lebte mit seiner Frau, die beim weiblichen Dienstpersonal eine Führungsposition einnahm, im Spital. Die Verwaltungsgrundlagen sowie die Regeln für das Zusammenleben der Spitalbewohner waren in der Spitalordnung festgelegt, die immer wieder, so 1598 oder 1707, erneuert wurde.

Bewohner

Arme, mittellose, oft alte oder kranke Menschen, die nicht in der Lage waren, selbst für ihre Ernährung, Unterkunft und Bekleidung zu sorgen, lebten um Gottes Willen im Spital. Sie bildeten die größte Gruppe der Spitalbewohner. Über ihre Aufnahme entschied der Rat. Auf eine befristete Aufnahme durften Kranke oder durch einen Unfall Hilfsbedürftige, aber auch fremde Bettler und Pilger auf der Durchreise hoffen. Für bedürftige Schwangere bestand seit 1324 eine eigene Stiftung zur Aufbesserung ihrer Verpflegung. Eine weitere wichtige Gruppe waren die so genannten Pfründner. Als erster Pfründner ist Konrad von Balingen 1314 überliefert. Im Verlauf des 15. Jh. wollten sich immer mehr Menschen durch Abschluss eines Pfründvertrags einen sorgenfreien Lebensabend im Spital verschaffen. Mit ihren Geldzahlungen trugen sie nicht unerheblich zur Entwicklung des Spitals bei. Eine Sonderrolle spielten die kranken Bäcker-, Müller- und Schuhmachergesellen, denen 1548 vertraglich die Aufnahme im Spital zugesichert worden war. 1700 sollen 107 Personen im Spital gelebt haben, zwischen den 1750er Jahren und 1780 betrug ihre Zahl zwischen 120 und 130 Personen. Um die Anzahl der Spitalbewohner niedrig zu halten, versuchte man sich zunächst mit der Abgabe von Mahlzeiten und Lebensmitteln zu behelfen. Bedürftige Kinder konnten auf die Vermittlung und Finanzierung ihrer Ausbildung hoffen.

Wirtschaftliche Bedeutung

Für die Bewohner der Stadt wie des Umlandes trat das Spital als wichtiger Kreditgeber in Erscheinung. Auch die Reichsstadt selbst griff oft und gerne auf dessen finanzielle und materielle Möglichkeiten zurück. Soweit die Fruchteinnahmen den Eigenbedarf überstiegen, konnten sie auf dem städtischen Markt zum Verkauf gebracht werden. Sie bildeten einen wichtigen Beitrag zur städtischen Getreideversorgung, dienten aber auch der Beeinflussung des aktuellen Marktpreises durch den Rat. Ferner befanden sich im Spital zwei städtische Arrestlokale.

Das Spital verfügte über zahlreiche Einnahmequellen. In den ersten Jahrhunderten spielten Stiftungen der führenden Familien, später dann auch weniger vermögender Bürger, eine wichtige Rolle. Als Empfänger von Messstiftungen musste das Spital seit dem 15. Jh. mit den immer attraktiveren Ordensniederlassungen in der Stadt konkurrieren.

Hinsichtlich der Naturaleinnahmen war die spitaleigene Landwirtschaft (Getreide, Gemüse, Vieh) am wichtigsten. Daneben konnte das Spital im Laufe der Zeit bedeutende Zehntrechte erwerben. Die so genannten Drittelhöfe spielten bei den Einnahmen des Spitals eine immer wichtigere Rolle. Neben den üblichen Abgaben lieferten die betreffenden Bauern zusätzlich ein Drittel des Getreideertrages ab. Außerdem mussten sie sich verpflichten, Vieh zu halten, das zur Hälfte dem Spital gehörte. Auf Käse, Eier, Geflügel und ähnliches beanspruchte das Spital ein Vorkaufsrecht. Der erste Drittelhof wurde 1529 in Zimmern eingerichtet, weitere folgten u.a. in Feckenhausen und in Villingendorf. Neben diesen Einkünften trugen Gülten und Fruchtzinsen am meisten zu den Naturaleinkünften des Spitals bei. Ihr Aufkommen blieb seit dem 16.Jh. nahezu unverändert.

Neben der Reichsstadt und der Heilig-Kreuz-Bruderschaft war das Spital der dritte bedeutende Waldbesitzer in Rottweil. Bereits 1275 ist von Wald in Händen des Spitals die Rede. Um 1800 umfasste der Waldbesitz 1618 Jauchert. Er diente vor allem zur Deckung des eigenen Brennholzbedarfs. Erst in den letzten Jahren des 18. Jh. begann man durch den Verkauf von Bauholz Finanzengpässe zu überbrücken. Ende der 1630er Jahre erreichten die Einnahmen aus Geldzinsen einen ersten Höchststand, der nach einem kriegsbedingten Rückgang Mitte der 1690er Jahre sogar noch übertroffen werden konnte. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. ging ihr Anteil an den Gesamteinnahmen jedoch stark zurück.

Die 1360 als Spitalmühle bezeichnete Mühle bei Angst- oder Omsdorf kam nach und nach ab 1318 in den Besitz des Spitals. Nur vorübergehend wurde sie vom Spital selbst betrieben, sonst war sie als Lehen oder pachtweise vergeben. Zeitweise verfügte das Spital über ein eigenes Bad. 1383 ist es erstmals erwähnt. Spätestens seit dem 30jährigen Krieg wurde das westlich des Spitals gelegene Gebäude von unterschiedlichen Handwerkern genutzt, bevor man es 1695 endgültig verkaufte.

Baugeschichte

Ursprünglich dürfte sich das Gebäude des Spitals kaum von den benachbarten Bürgerhäusern unterschieden haben. Noch vor 1322 muss ein Um- oder Neubau erfolgt sein. Auf der Pürschgerichtskarte (1564) nimmt das Hauptgebäude die Grundfläche zweier Bürgerhäuser ein. Nach Süden wird der mauerumfriedete Spitalkomplex durch die Spitalkapelle St. Anna und dort angebaute Nebengebäude abgeschlossen. 1577 wurde das Spital erneut grundlegend umgebaut. Ein Motiv war wohl der gestiegene Bedarf an Einzelkammern für die immer zahlreicheren Pfründner. Veränderte Anforderungen machten dann wieder zu Anfang des 19. Jh. größere Baumaßnahmen notwendig. 1839 musste die Spitalkapelle St. Anna dem Neubau des so genannten Krankenhauses weichen. Umfangreichere Baumaßnahmen zogen auch die Schäden eines Bombenangriffs 1945 nach sich. Ab 1951 wurde zwischen dem alten Spital und dem Krankenhaus ein Zwischentrakt mit Pforte und Küche errichtet. Er musste 1992 den heutigen Gebäuden Platz machen.

Neuorganisation im Königreich Württemberg

Der Übergang der Reichsstadt an das nachmalige Königreich Württemberg 1802/03 brachte eine Neuorganisation des Stiftungswesens mit sich. 1805 wurden zunächst zwei Hauptfonds, der Kirchen- und Schulfonds sowie der Armenfonds gebildet. Für den Betrieb im Spital war der Spitalhausmeister mit seiner Familie zuständig. Als Speisemeister fungierten oft Gastwirte, welche die Verpflegung zum niedrigsten Preis angeboten hatten. Letztlich war man aber mit den Verhältnissen im Spital nicht zufrieden. 1854 einigte man sich schließlich mit den Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul, die künftig die Leitung des Spitals übernahmen. Dabei blieb es bis Januar 1986.

Bis zur Eröffnung des Bezirkskrankenhauses 1916 erfüllte das Spital auch die Funktion eines Krankenhauses. Als 1865 mit dem Bau der Eisenbahn begonnen wurde, erwies sich dies als besonders wichtig: 1866 kamen von insgesamt 534 Kranken 318 von Baustellen der Eisenbahn. Darüber hinaus mussten immer wieder Verletzte der zahlreichen Unfälle in der Pulverfabrik versorgt werden. Nach 1916 behandelte man im Spital nur noch weibliche Kranke. 1984 wurde die Krankenhausabteilung geschlossen und das gesamte Spital in ein Alten- und Pflegeheim umgewandelt.

Ludwig Ohngemach

Veröffentlicht in: Der Landkreis Rottweil. Hg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rottweil (Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg). Ostfildern 2004, Bd. 2, S. 115f. 

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