Grammatik

 Die unterschiedlichen Partizip-II-Formen von sein (gewesen)
Die unterschiedlichen Partizip-II-Formen von sein (gewesen) [Quelle: Sprachatlas Baden-Württemberg, Universität Tübingen]

Die sprachliche Vielfalt im deutschen Südwesten ist auch in der Grammatik spürbar. Das Verb „sein“ und seine grammatikalischen Formen leiten sich aus dem mittelhochdeutschen „sîn“ bzw. das Partizip von „gewesen/gewest“ ab. Für das Partizip II von „sein“ (= „gewesen“) lässt sich sogar ein noch größerer Variantenreichtum nachweisen, als dies bei den bisher genannten Beispielen der Fall war. Die Karte, die die Verbreitungsgebiete der einzelnen Formen anzeigt, präsentiert sich schon bei einem oberflächlichen Blick wesentlich vielgestaltiger und bunter.

In den südwestlichen, an die Schweiz und Frankreich grenzenden Gebieten wird statt „gewesen“ „gsii“ gesprochen, in ganz wenigen Landstrichen sogar „gsin“ und im Landkreis Konstanz sowie in Teilen des Bodenseekreises ist die Form „gsi“ etabliert, das [n] wird also weggelassen. Weiter nördlich davon in den Landkreisen Sigmaringen, im Zollernalbkreis, in Teilen der Landkreise Tuttlingen und Rottweil findet sich die Partizipform „gsai“. In den relativ zentral gelegenen schwäbischen Landkreisen, d.h. in großen Teilen des ehemaligen Herzogtums Württemberg wird „gwea“ oder „gwäa“ gesprochen. In den orange eingefärbten Gebieten, die sowohl württembergisch-schwäbische als auch zu Baden gehörende Landkreise umfassen, d.h. in einem sich von West nach Nordost durchziehenden Streifen entfällt hingegen die diphtongierende Senkung zum [a]; es wird „gwee“ gesprochen. Nordwestlich davon, also in den badisch und kurpfälzisch geprägten Landkreisen Karlsruhe, dem Rhein-Neckar-Kreis und der südlichen Hälfte des Neckar-Odenwald-Kreises, sind die Formen „gwest“ oder „gwäst“ verbreitet, wobei das [e] aus der ersten Silbe entfallen ist und nicht mitgesprochen wird. Aber auch in der östlichen Hälfte des schwäbischen Ostalbkreises findet diese Form Verbreitung. In der Stadt Heidelberg und ihrer unmittelbaren Umgebung wird „gweese“, also mit weggelassenem anlautenden [e] und weggelassenem auslautendem [n] gesprochen. Auch im südöstlichen, an Bayern grenzenden Teil des Main-Tauber-Kreises findet die Form „gweese“ Verbreitung. In Mannheim und einigen umliegenden Gebieten, die an Rheinland-Pfalz oder an Hessen grenzen, wird die Form „gwest/gwäst“ mit anlautendem [ge] gesprochen – in den meisten anderen Regionen wird das [e] verschluckt. In einem kleinen nördlichen Zipfel des Main-Tauber-Kreises, der in der Karte rosa eingefärbt ist, wird hingegen „gwaa“ gesprochen. Insgesamt fällt an der Karte die starke Zersplitterung auf. Auch innerhalb relativ großflächiger, geschlossener Sprachgebiete finden sich immer wieder kleine „Inseln“ mit abweichenden Formen. Gerade in den nordwestlichen Teilen Baden-Württembergs begegnet uns ein größerer Variantenreichtum. Kleinräumige territoriale Einheiten insbesondere in Baden-Württembergs Norden weisen einen großen und ständigen Wechsel der gebräuchlichen Formen auf. Allein im Main-Tauber-Kreis lassen sich anhand des Gebrauchs des Partizips von „sein“ zehn verschiedene sprachliche Regionen unterscheiden. Das Spektrum umfasst die Formen „gweese“, „gwea/gweä“, „gwee“, „gwää“, „gwaa“ und „gewää“.

Felix Teuchert

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