Zivilisten

Von Peter Exner

 

Landarbeiter
Aus der zivilen Welt herausgerissen: Der zum Militärdienst eingezogene Wilhelm Hartmann aus Weingarten im Kreis seiner Familie und Angestellten (Quelle: Landesarchiv BW, GLA N Hartmann)

Die klassische Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, zwischen Soldaten und Zivilisten, war in der Vorstellungswelt der Menschen im Jahr 1914 fest verankert. Es zeigte sich aber sehr bald, dass die Idee eines vom Völkerrecht domestizierten Krieges, der als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln die Kämpfe unter allseits akzeptierten Regeln zwischen disziplinierten Armeen austrägt, nur ein Mythos war, um das Grauen kalkulierbar und damit akzeptabel erscheinen zu lassen.
 

Die akademische Elite Deutschlands stellte sich fast geschlossen in den Dienst des Krieges. In den beiden christlichen Kirchen trugen Bischöfe wie Feldgeistliche mit Predigten und Feldgottesdiensten dazu bei, die Menschenopfer zu legitimieren und die Soldaten wie auch ihre Angehörigen moralisch zu rüsten. Zwar hatte in der deutschen Öffentlichkeit das politische Leben im Zeichen des propagierten Burgfriedens vorerst geruht, doch bröckelte dieser Scheinfriede in Baden bereits Ende 1914. Aber erst nach drei Jahren Krieg fand sich im Reichstag eine Gruppe von Abgeordneten um Matthias Erzberger (Zentrum) zusammen, die gegen den Willen der Militärführung am 19. Juli 1917 eine Friedensresolution vorlegte, in der sie sich für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen und Kontributionen aussprach. Ihr war jedoch kein Erfolg beschieden. Im Elsass war unter der aufgerichteten Militärdiktatur überhaupt kein politisches Leben mehr möglich. Im Gegenteil, im Reich wurden wieder alte Pläne aus den Schubladen gezogen, ob das misstrauisch beäugte Land nicht doch noch zwischen Bayern und Baden aufgeteilt werden sollte, während Lothringen an Preußen und Montbéliard an Württemberg fallen könnten.


Je länger der Krieg dauerte, umso mehr verwischten die Grenzen zwischen militärischer und bis dahin ziviler Welt. Wirtschaft und Gesellschaft wurden auf den totalen Krieg ausgerichtet. Der Überblick über die Verlustzahlen ist bei den Zivilisten noch schwieriger als bei den Soldaten. Die Furcht vor Partisanen veranlasste das deutsche Militär in Belgien, aber auch im Elsass und an anderen Orten zu brutalem Vorgehen und Massakern unter der Zivilbevölkerung. Für Deutschland werden etwa 700.000 Tote, für Frankreich 600.000 Tote angenommen. Während die meisten französischen Zivilpersonen in den Kampfzonen in Nordfrankreich umkamen, starben die deutschen hauptsächlich aufgrund der durch die Seeblockade ausgelösten Hungersnot. In Baden selbst wurden 218 zivile Opfer von Luftangriffen gezählt: Das war eine gänzlich neue Erfahrung. Zu allen Entbehrungen und Todesgefahren tauchte im Juni 1918 die sogenannte Spanische Grippe auf. Reichsweit erkrankten bis Frühjahr 1919 insgesamt 12 Millionen Menschen an der Pandemie. Die Krankheit untergrub nicht nur die Kampfmoral der kämpfenden Truppe, sondern auch den Durchhaltewillen der ohnehin geschwächten Bevölkerung. Weltweit forderte sie mit über 25 Millionen Toten mehr Menschenleben als der Erste Weltkrieg. Das Zahlenverhältnis zwischen toten Kombattanten und Nicht-Kombattanten sollte sich dann im Zweiten Weltkrieg umkehren. Seitdem sterben in den Konflikten der Welt mehr unbeteiligte Zivilisten als Soldaten.

 

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