Keine Rechtsgleichheit: Normalität in der ständischen Gesellschaft

von Uri R. Kaufmann

Gebet für den Landesherrn, 2. Hälfte 18. Jahrhundert. Obwohl nur mit Schutzbriefen auf Zeit geduldet, sahen sich die Juden als Untertanen ihrer Fürsten. Es war eine alte Weisheit, dass ein starker Fürst Schutz garantieren konnte. So beteten Juden schon seit der Antike für das Wohlergehen der nichtjüdischen Obrigkeit. Dieses Gebet galt dem Landesvater Makrgraf Karl Friedrich von Baden (Amtszeit 1746-1811). Interessant ist, dass die klassische hebräische Passage „und der Erlöser komme nach Zion" hier nicht übersetzt wurde. Gab es damals in Baden Stimmen, die an der Loyalität der Juden wegen ihres Glaubens an eine noch kommende Erlösung zweifelten? Der Göttinger evangelische Theologe und Orientalist Johann David Michaelis (1717-1791) hatte 1781 dieses Argument benutzt, die Idee der staatsbürgerlichen Gleichstellung von Juden zu diskreditieren. Pergament. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, HFK-HS Nr. 266, 23. Eigentümer: Markgraf von Baden.)

Gebet für den Landesherrn, 2. Hälfte 18. Jahrhundert. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, HFK-HS Nr. 266, 23. Eigentümer: Markgraf von Baden.]

Trotz der Verfolgungen lebten Juden seit dem Spätmittelalter weiterhin in Deutschland. Das 1806 untergegangene Alte Reich war eine ständische Gesellschaft. Adel, Geistliche und die Bürger vieler Städte hatte eigene Rechte und Gerichtsbarkeit. Es gab keine Rechtsgleichheit. Viele Bauern waren Leibeigene. Obwohl sich das Reich als christlich verstand, sahen viele Fürsten die jüdischen Einwohner als ihre Untertanen an. Sie riefen Landesjudenschaften ins Leben, die von ihren Mitgliedern Abgaben eintreiben sollten. Die Juden waren im 18. Jahrhundert meist einfache Hausierer, Makler, Vieh- und Pferdehändler. Ihre Betsäle lagen an unauffälligen Orten. Sie mussten Schutzbriefe für ihre Familien kaufen und konnten nach deren Ablauf ausgewiesen werden. Dies kam aber im 18. Jahrhundert im Oberrheingebiet kaum mehr vor. Wohlhabende Juden wurden zur Beteiligung am Aufbau neuer Residenzstädte eingeladen, so im kurpfälzischen Mannheim nach 1655 und im markgräflichen Karlsruhe nach 1717. Die Abgaben der Juden an die Obrigkeit wurden immer drückender. Juden empfanden es als Beleidigung, dass sie sich an Grenzen selbst verzollen mussten („Leibzoll“). Wer das Schutzgeld nicht bezahlen konnte, verlor sein Recht der befristeten Ansässigkeit und sank in den Wanderbettel ab.

Nur Einzelne konnten sich emporarbeiten und dienten als Hoflieferanten. Fürsten wollten „absolut“, das heißt losgelöst von alten Mitspracherechten regieren und so waren ihnen jüdische Geschäftsleute, die nur von ihrem Gutdünken abhingen, recht. Aron Elias Seligmann (1747–1824) in Leimen betrieb mit christlichen Partnern einträgliche Geschäfte, pachtete den lukrativen Salzhandel für die Kurpfalz und leistete sich ein modisches Palais. Mit dem erarbeiteten Kapital machte er Bankgeschäfte.

Auf die Herausforderung des Judentums durch die westeuropäische Aufklärung antwortete der Philosoph Moses Mendelssohn (1729–1786) in Berlin, der eine hochdeutsche Übersetzung des „Alten Testaments“, der Tora, mit einem rationalistischen Kommentar herausgab. Er scharte einen europäischen jüdischen Gelehrtenkreis um sich.

Aufklärer hinterfragten den althergebrachten Rechtsstatus der Juden. Die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz breitete sich aus. Der preußische Beamte Christian W. Dohm konnte sich in seinem Buch „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781) als Belohnung eines erfolgreichen Berufsumschichtungsprozesses gleiche Rechte für die Juden vorstellen. In Frankreich wurde der „Leibzoll“ 1784, in Baden 1804 abgeschafft.

Eine neue politische Lage entstand mit der Neuordnung Deutschlands zwischen 1803 und 1814. Die protestantischen Markgrafen von Baden erwarben große Gebiete. Sie wurden 1806 Großherzöge und regierten nun über eine mehrheitlich katholische Bevölkerung.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 36 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Keine Rechtsgleichheit: Normalität in der ständischen Gesellschaft, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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