Bildung und sozialer Aufstieg

von Uri R. Kaufmann

"Doktorrabbiner" gratulieren, 1877. Die meisten westeuropäischen Juden wollten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen akademisch gebildeten Rabbiner haben. Es wurde üblich, eine Promotion an einer Universität und ein Studium an einem der drei privaten Rabbinerseminare Deutschlands in Breslau und Berlin zu absolvieren. Der badische Staat unterstützte dies ausdrücklich. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 69 Baden Sammlung 1995, D Nr. 37.)
"Doktorrabbiner" gratulieren, 1877. Die meisten westeuropäischen Juden wollten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen akademisch gebildeten Rabbiner haben. Es wurde üblich, eine Promotion an einer Universität und ein Studium an einem der drei privaten Rabbinerseminare Deutschlands in Breslau und Berlin zu absolvieren. Der badische Staat unterstützte dies ausdrücklich.[Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 69 Baden Sammlung 1995, D Nr. 37.]

Auf dem Land beherrschten viele Juden um 1800 nur das hebräische Alphabet. Die badische Regierung setzte sich für die Verbesserung der allgemeinen Bildung unter den Juden ein. Nach 1814 entstanden an über vierzig Orten moderne jüdische Volksschulen. 1876 entschloss sich Baden, „Simultanschulen“ einzuführen, das heißt Schüler verschiedener Konfessionen gleichzeitig („simultan“) zu unterrichten.

Nun wurden an Orten mit größerem jüdischen Bevölkerungsanteil jüdische Lehrer in den öffentlichen Dienst übernommen. Das Judentum war gegenüber Lernen und Bildung seit jeher offen gewesen. Mannheimer Juden beteiligten sich an der Gründung einer Realschule für Jungen und einer Töchterschule. Die badische Regierung drängte auch auf eine gymnasiale und akademische Ausbildung der Rabbiner. Der promovierte „Doktorrabbiner“ wurde zum Ideal. Die jüdische Gemeinschaft war offener als die katholische Hierarchie, die mit der badischen Regierung in den 1850er-Jahren einen Kulturkampf um die Priesterbildung führte.

Viele Juden studierten und fanden Zugang zu den Freien Berufen als Anwälte oder Ärzte. Auch jüdische Frauen erwarben sich früh Bildung. Anna Ettlinger, die Tochter des Karlsruher Rechtsanwaltes und Oberratsmitgliedes Veit Ettlinger, hielt in den 1870er-Jahren öffentliche Vorträge über deutsche Literatur, was damals für Frauen unüblich war.

Viele durchliefen eine formalisierte kaufmännische Bildung und konnten sich im Handel emporarbeiten. Die gesellschaftliche Entwicklung im 19. Jahrhundert war in dieser Hinsicht eine Erfolgsgeschichte.

"Doktorrabbiner" gratulieren, 1877. Die meisten westeuropäischen Juden wollten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen akademisch gebildeten Rabbiner haben. Es wurde üblich, eine Promotion an einer Universität und ein Studium an einem der drei privaten Rabbinerseminare Deutschlands in Breslau und Berlin zu absolvieren. Der badische Staat unterstützte dies ausdrücklich. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 69 Baden Sammlung 1995, D Nr. 37.)
"Doktorrabbiner" gratulieren, 1877, Seite 2 [Quelle:Landesarchiv BW, GLAK, 69 Baden Sammlung 1995, D Nr. 37.]

Die Juden waren in ihren Handelsberufen angesichts des Wachstums von Wirtschaft, Bevölkerung und Konsum gut platziert. Viele konnten Ladengeschäfte eröffnen. Einzelne machten noch weiter Karriere, zum Beispiel im Bankenwesen, wie die Familie Homburger in Karlsruhe, oder in der Warenhausbranche, wie etwa die Gebrüder Knopf. Aus dem kleinen Ort Heidelsheim bei Bruchsal stammten drei einflussreiche Persönlichkeiten: Meyer Sulzberger (1847–1923) wanderte in die USA aus und wurde dort Vorsitzender des American Jewish Committee und Präsident der wichtigen Jewish Publication Society. Isaac Bär (1857–1922) machte eine Banklehre in Basel, nannte sich danach „Julius“ und gründete 1901 eine Privatbank, die in Zürich heute noch existiert. Auf denselben Ort geht der modern-orthodoxe Rabbiner Salomon Carlebach (1845–1919) zurück, dessen fünf Söhne auch Rabbiner wurden. Die Familie wirkt nach ihrer Emigration heute in England, Israel und den USA weiter. Aus dem kleinen Gondelsheim stammte Jakob Hecht (1879–1963), der nach seiner Ausbildung in Bruchsal und Belgien die große „Rhenania-Schifffahrtsgruppe“ in Mannheim gründete und nach 1920 von Basel aus die Neptun-Reederei leitete. Sein Sohn Rudolf (1909–1993) setzte das elterliche Geschäft im israelischen Haifa fort.

Die Mehrheit der badischen Juden arbeitete sich jedoch nur in den Mittelstand empor.

Literatur

  • Goldstein, Alice, Urbanization in Baden, Germany. Focus on the Jews, 1825-1925, in: Social Science History, 8.1, 1984, S. 42-66. 
  • Röcker, Bernd/Heitz, Michael, Jüdisches Leben im Kraichgau. Zur Geschichte der Eppinger Juden und ihrer Familien, Eppingen 2006.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 80 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Bildung und sozialer Aufstieg, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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