Wiederaufbau im Herzogtum Württemberg

von Alexander Staib

Kriegsschadensbericht zu Brackenheim [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 29 Bü 105, Bl. 316v -315r]
Kriegsschadensbericht zu Brackenheim [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 29 Bü 105, Bl. 316v -315r]. Zum Vergrößern bitte klicken.

„Der Tiefe des Niedergangs entspricht ganz die Langsamkeit des Wiederaufstiegs“ “[1] – erst Mitte des 18. Jahrhunderts waren die ökonomischen und demographischen Schäden, die der Dreißigjährige Krieg etwa dem Herzogtum Württemberg zugefügt hatte, ausgeglichen. Verantwortlich für den nur allmählichen Wiederaufbau waren, neben den tiefen Einschnitten durch den Konflikt selbst, allerdings auch die Kriege Ludwigs XIV.

Aus politischer Perspektive erfolgte die Restitution Württembergs in seinen Vorkriegsgrenzen 1650 mit dem Wiedererhalt von Mömpelgard und 1649 mit der Rückgabe der entfremdeten Klöster und weltlichen Ämter. Im selben Jahr trat auch der Landtag nach langer Zeit wieder zusammen. Die Restitution war auf die Bemühungen des in Westfalen anwesenden Vizekanzlers Andreas Burkhard und des Geheimen Rats Johann Konrad Varnbühler zurückzuführen.

Auf administrativer Ebene blieb die Zahl der württembergischen Ämter erhalten, gleiches gilt für die Zentralbehörden (Oberrat, Rentkammer, Kirchenrat). Die Aufgaben des 1628/29 konstituierten Geheimen Rates wurden festgelegt.

Unter demographischen Gesichtspunkten wurden die Bevölkerungsverluste durch Krieg, Krankheit, Hunger und Vertreibung erst Mitte des 18. Jahrhunderts kompensiert. Einer raschen demographischen Erholung des Territoriums stand, gerade im Vergleich zur Kurpfalz, eine mangelnde religiöse Toleranz entgegen. Das Gros der Einwanderer stammte aus katholischen und reformierten Gegenden, sie erhielten nur eine eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr – bei Bekehrung zur lutherischen Konfession durften sie jedoch dauerhaft bleiben. Der Eintritt in gehobene Berufe blieb für die anderskonfessionellen Einwanderer verschlossen. Der Umgang mit den Salzburger Exulanten, verfolgten Protestanten aus dem (katholischen) Erzbistum Salzburg, gibt Hinweise auf die demographische Situation Württembergs: Die erste Auswanderungswelle gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde bereitwillig ins Herzogtum aufgenommen; unter ökonomischen Gesichtspunkten wurde jeder gebraucht. Die zweite Welle 1731/32 hingegen wurde – in Anbetracht der mittlerweile anderen demographischen wie wirtschaftlichen Bedingungen – größtenteils in andere Territorien weitergeleitet. Zwischen 1735 und 1750 waren wieder gleich viele Bewohner wie vor dem Krieg in Württemberg. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die hohe Geburtenzahl: Zwischen 1652 und 1678 stellten die Kinder im Alter bis zu 14 oder 15 Jahren 40 bis 50 % der Bevölkerung.

Aus ökonomischer Sicht war und blieb Württemberg hauptsächlich ein Agrarland, Protoindustrie gab es in  Calw (Tuchmacherei) und in Urach (Leinenweberei). Eine innovative Wirtschaftspolitik, die über die bisherige Rechts-, Wirtschafts- oder Sozialordnung hinausging, wurde nicht betrieben. Die Lebensmittelpreise waren nach dem Krieg niedrig und die Löhne hoch. Um die Absatzmöglichkeiten – nicht zuletzt aufgrund von Handelshindernissen – war es schlecht bestellt. Die Hollandflößerei kam nur zögerlich wieder in Gang, das Pfahlgeschäft für Weinstöcke brach durch den Rückgang des Rebbaus zusammen, der Getreideabsatz in Richtung Bodensee und Schweiz wurde unrentabel. Grund und Boden waren nun zu vermeintlich geringen Preisen zu erwerben. Jedoch lagen zahlreiche Belastungen, Abgaben und Steuern darauf. Entsprechend war die Nachfrage nach Land niedrig; verschärfend hinzu kam ein Kapitalmangel.

Die herzogliche Regierung versuchte durch ihre Politik insbesondere die wohlhabenden Bauern und Bürger zu unterstützen. Handel und Gewerbe wurden stärker besteuert. Durch Taxordnungen wurden die Löhne gesenkt, für Getreide wurde ein Mindestpreis erlassen, ausländischen Produkten wurde der Zugang zu den württembergischen Märkten (insbesondere galt das für Textilien und Wein) erschwert – so zumindest auf dem Papier; die Realität blieb hinter diesen Soll-Zuständen zurück. Schulden wurden mithilfe von Vergleichen abgebaut, bestehende Belastungen auf Grundstücken wurden reduziert. Häufig bestand jedoch Unklarheit darüber, wer die Schulden beziehungsweise die Forderungen erbte. Gemeinden verzichteten häufig auf die Besteuerung neuer Bewohner. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, sesshaft zu werden. Die Höhe der Grundabgaben blieb aber erhalten – und auch die reduzierten Schulden lasteten Jahrzehnte später noch schwer.

Aus einer kulturellen Perspektive wurde das Stuttgarter Schloss, welches während des Krieges ausgeplündert wurde, wieder erneuert. Herzog Eberhard III. wollte durch eine glanzvolle Repräsentation, durch höfische Feste und Restauration wieder an Ansehen im Reich gewinnen. Seitens der Kirche wurde ihm daraufhin Verschwendungssucht, seitens der Landstände eine schlechte Finanzpolitik vorgeworfen. Die geschlossenen Klosterschulen wurden wiedereröffnet. Zur Züchtigung des zunehmenden ‚Lebensgenusses‘ und des frivolen ‚Vergnügens‘ der Bevölkerung, des Fluchens und des ‚Kleiderluxus‘ sowie der Praktiken der wiedererstarkten Volksfrömmigkeit wurden Kirchenkonvente eingerichtet. Die während des Krieges vernachlässigte theologische Bildung der Pfarrer wurde wieder gestärkt, ihre gesellschaftliche Anerkennung sollte wieder gesteigert werden.

Anmerkungen

[1] Mehring: Wirtschaftliche Schäden, S. 83

Literatur in Auswahl

  • Baßler, Ernst, Die ersten Jahre nach dem dreißigjährigen Krieg im Bezirk Maulbronn, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 2 (1898), S. 119-129 und S. 166-173.
  • Fritz, Eberhard, Christliche Nächstenliebe oder ökonomisches Kalkül? Probleme der Aufnahme von Salzburger Exulanten im Herzogtum Württemberg, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 110 (2010), S. 241-271.
  • von Hippel, Wolfgang, Das Herzogtum Württemberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel von Steuer- und Kriegsschadensberichten 1629-1655. Materialien zur historischen Statistik Südwestdeutschlands (Sonderveröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), Stuttgart 2009.
  • von Hippel, Wolfgang, Eine südwestdeutsche Region zwischen Krieg und Frieden – Die wirtschaftlichen Kriegsfolgen im Herzogtum Württemberg, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1, hg. von Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Europaratsausstellungen, Bd. 26), München 1998, S. 329-336.
  • Mehring, Gebhard, Wirtschaftliche Schäden durch den Dreißigjährigen Krieg im Herzogtum Württemberg, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte NF 30 (1932), S. 58-89.
  • Schreiner, Klaus, Die Katastrophe von Nördlingen. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Folgen einer Schlacht für Land und Leute des Herzogtums Württemberg, in: Frieden ernährt – Krieg und Unfrieden zerstört. 14 Beiträge zur Schlacht bei Nördlingen, hg. Dietmar H. Voges (Jahrbuch des Historischen Vereines für Nördlingen und das Ries, Bd. 27), Nördlingen 1985, S. 39-90.

 

Zitierhinweis: Alexander Staib, Wiederaufbau im Herzogtum Württemberg, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 30.08.2022

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