Prager Fenstersturz (23.05.1618)

von Regina Fürsich

 Fenstersturz zu Prag 1618; Illustration aus Theatrum Europaeum, Bd. 1 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek]
Fenstersturz zu Prag 1618; Illustration aus Theatrum Europaeum, Bd. 1 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek]

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam es im „Bruderzwist im Hause Habsburg“ zu Konflikten zwischen Kaiser Rudolf II. und seinen jüngeren Brüdern, die 1606 Rudolf II. für geisteskrank erklärten und den zweitältesten Bruder, Erzherzog Matthias, als neues Familienoberhaupt einsetzten. 1608 konnte Matthias in Ungarn, Mähren, Ober- und Niederösterreich die Regierungsgewalt an sich ziehen, wofür er sich die Unterstützung der Stände in diesen Territorien durch umfassende Religionskonzessionen sicherte. Um sich dagegen die Loyalität der protestantischen Stände Böhmens erhalten zu können, stellte Kaiser Rudolf II. diesen am 9. Juli 1609 den „Majestätsbrief“ aus, der den Anhängern der Confessio Bohemica freie Religionsausübung garantierte.

Bereits 1610 kam es dennoch zu Konflikten zwischen dem Kaiser und den böhmischen Ständen. Rudolf ließ Truppen nach Böhmen einmarschieren, woraufhin sich die Stände schließlich von ihm ab- und seinem Bruder Matthias zuwandten, der 1611 den böhmischen Thron bestieg. Nun fürchteten die Stände eine Rückkehr zur früheren landesherrlichen Konfessionspolitik und eine Rekatholisierung, was die Lage immens anspannte und antihabsburgische Sentiments im böhmischen Adel förderte. Nach dem Scheitern einer Generalversammlung der Länder der böhmischen Krone 1615 aufgrund innerer Zerwürfnisse, begannen die protestantischen Stände gar geheime Verhandlungen mit potentiellen Bündnispartnern im Kreis der protestantischen Reichsstände.

Als es um den Jahreswechsel 1617/18 zur Schließung zweier evangelischer Gotteshäuser durch hohe katholische Geistliche in Klostergrab und in Braunau kam, beriefen die Defensoren, die seit dem Majestätsbrief von den protestantischen Ständen bestellt wurden, um deren konfessionelle Rechte zu schützen und zu wahren, für März 1618 eine protestantische Ständeversammlung ein. Obwohl viele Stände nicht erschienen, sandte der Protestantentag eine schriftliche Beschwerde an den Kaiser und forderte sein Vorgehen gegen die Verletzung verbriefter Religionsrechte. Diese Resolution wurde in einem kaiserlichen, von Kardinal Melchior Khlesl verfassten Schreiben scharf abgelehnt, die Ständeversammlung für ungesetzlich erklärt und weitere Versammlungen dieser Art verboten, was bei den Ständen auf Empörung stieß.

Dem kaiserlichen Schreiben zum Trotz versammelten sich die protestantischen Stände ein weiteres Mal am 21. Mai 1618 im Prager Karolinum. Die kaiserlichen Statthalter ließen ein Edikt vorlegen, demzufolge die Versammlung sofort aufgelöst werden sollte. Am 23. Mai stellten Mitglieder des Protestantentags die Statthalter auf dem Prager Hradschin zur Rede. Die Situation eskalierte und die kaiserlichen Statthalter Wilhelm Slawata und Jaroslaw Martinitz sowie deren Sekretär Philipp Fabricius wurden aus dem Fenster geworfen. Eine kleine Gruppe Eingeweihter hatte die „Defenestration“ zuvor im Palast des Albrecht Jan Smiřický geplant, wohl als Anspielung auf die vorangegangenen Fensterstürze im Prag des 15. Jahrhunderts (1419 und 1483). Da der Fenstersturz von 1483 in deutscher Zählung oftmals nicht beachtet wird, ist vom Fenstersturz 1618 oft als dem „Zweiten Prager Fenstersturz“ die Rede.

Die Defenestrierten landeten zwar im Burggraben und überlebten den Sturz, was auf katholischer Seite bereits kurz darauf als dem Schutz der Jungfrau Maria zuzuschreiben propagiert wurde, dennoch war die öffentliche Demütigung Wiens ein bewusst herbeigeführter, auf Konfrontation ausgerichteter Akt. Der Protestantentag konstituierte sich am 24. Mai als Landtag, wählte eine Regierung aus 30 Direktoren und beschloss die Aufstellung einer eigenen Armee.

Quellen in Auswahl

  • Abelin, Johann Philipp, Theatrum Europaeum, Oder Außführliche, und Wahrhaftige Beschreibung aller und jeder denckwürdiger Geschichten: so sich hin und wider in der Welt, fürnämlich aber in Europa, und Teutschen Landen, so wohl im Religion- als Prophan-Wesen, vom Jahr Christi 1617. biß auff das Jahr Jahr 1629. bey Regierung deren… Keysern Matthiae… und Ferdinandi deß Andern… sich begeben und zugetragen haben, &c., Frankfurt a. M. 1662, hier S. 14-17.

Literatur in Auswahl

  • Burkhardt, Johannes, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 2015, hier S. 74-90.
  • Höbelt, Lothar, „Schlimmer noch als die Böhmen…“. Der Putsch vom 20. Juli als letzter Akt des Bruderzwists, in: 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Rober Rebitsch, Wien/Köln/Weimar 2017, S. 129-148.
  • Kampmann, Christoph, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2013, hier S. 32-34.
  • Kilián, Jan, Religiös-politische Unruhen in Böhmen und der (dritte) Prager Fenstersturz, in: 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch, Wien/Köln/Weimar 2017, S. 149-168.
  • Petráň, Josef, Die Anfänge des Krieges in Böhmen, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1, hg. von Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Europaratsausstellungen, Bd. 26), München 1998, S. 85-93.

Zitierhinweis: Regina Fürsich, Prager Fenstersturz, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 10.08.2022.

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