Kabinettsprotokolle

Von Kurt Hochstuhl

Das erste Kabinettsprotokoll der Landesverwaltung Baden, französisches Besatzungsgebiet, vom 22. November 1945, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF C 151 Nr. 654)
Das erste Kabinettsprotokoll der Landesverwaltung Baden, französisches Besatzungsgebiet, vom 22. November 1945, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF C 151 Nr. 654)

Definition der Quellengattung

Das Kabinett ist das Kollegialorgan einer jeden demokratischen Regierung. Seinen Vorsitz führt der jeweilige Regierungschef, der zugleich die ihm von der Verfassung übertragene Richtlinienkompetenz innehat (siehe beispielhaft Art. 49 der Verfassung von Baden-Württemberg).[1] Dem Kabinett gehören weiter an die Ministerinnen und Minister der jeweiligen Ressorts sowie die beamteten Staatssekretäre und Staatsräte im Kabinettsrang, mit oder ohne Stimmrecht, und schließlich die politischen Staatssekretäre in der Regel mit beratender Funktion.

Das Kabinett ist sowohl ein Gremium des Austauschs, der gegenseitigen Information und Koordination gemeinsamer Initiativen und politischer Aktionsprogramme auf der obersten Regierungsebene wie auch ein Beschlussgremium, in dem Gesetzentwürfe und Verordnungen, der Haushaltsplanentwurf aber auch Berichte aus den einzelnen Ressorts in der Form verabschiedet werden, in der sie dem Parlament als Gesetzgeber zur Beschlussentscheidung oder zur Kenntnis übergeben werden.[2]

Aufbau und Inhalt

Die Dokumentation der Aufgabenerledigung geschieht grundsätzlich über ein Protokoll, das von einem Protokollanten geführt wird. Der Aufbau des Protokolls ist formalisiert. Es beginnt mit der fortlaufenden Nummerierung der Sitzung, deren Ort und Zeitpunkt und Auflistung der Teilnehmer/innen, gefolgt von den jeweils abzuhandelnden Tagesordnungspunkten und endet mit der Paraphierung durch den Protokollanten und dem Schlussvermerk über die Inkraftsetzung des Protokolls durch den Leiter der Kabinettssitzung.

Vollständige Serien der Protokolle werden in der Regel sowohl im Staatsministerium bzw. der Staatskanzlei als Regierungszentrale wie auch in den Zentralstellen der Ressortministerien verwahrt. Die Kabinettsprotokolle werden in der Regel als Beschluss- oder Ergebnisprotokoll geführt, nur in Ausnahmefällen als Mischform aus Verlaufs- und Ergebnisprotokoll. Über den tatsächlichen Verlauf, über Stimmung, über den Austausch von Animositäten und Sympathien, über Kontroversen, Dispute und grundlegende Meinungsverschiedenheiten geben die sowohl sprachlich wie in ihrer Semantik geglätteten Protokolle nur bedingt Auskunft. Lediglich floskelhaft verwendete Begriffe wie „nach eingehenden Erörterungen“ oder „nach längeren Diskussionen“ deuten darauf hin, dass der Abstimmungs- und Einigungsprozess länger dauerte und möglicherweise auch disharmonischer als üblich verlief. Bei der Mischform von Verlaufs- und Ergebnisprotokoll treten unterschiedliche Positionen der einzelnen Ressorts und Meinungsverschiedenheiten deutlicher zu Tage. Eigene Sitzungsmitschriften von Mitgliedern des Kabinetts bilden, soweit überliefert und öffentlich zugänglich, wertvolle Ergänzungen zum oftmals nüchternen Ton der offiziellen Protokolle und erlauben eine schärfere politische Konturierung und inhaltliche Positionierung der einzelnen Kabinettsmitglieder.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Inhaltlich geprägt werden die Kabinettsprotokolle von der Routine des politischen Handelns der Exekutive. Themenfelder, wie z.B. der Bereich der Entnazifizierung, der sowohl in den badischen als auch in den württembergisch-hohenzollerischen Kabinettsprotokollen präsent ist, können dabei über längere Zeiträume zum festen Bestandteil der Sitzungen werden, was zum einen die inhaltliche Komplexität, zum anderen aber die öffentlichkeitswirksame Bedeutung dieser Politikfelder unterstreicht. Gerade bei diesen Dauer-Themen lässt sich die Prozesshaftigkeit des politischen Handelns, das was Max Weber als das „Bohren dicker Bretter mit einem dünnen Bohrer“ bezeichnete, unmittelbar und direkt rekonstruieren. Doch auch einmalige Ereignisse, Naturkatastrophen, Eisenbahnunglücke, diplomatische Zwischenfälle, Akkreditierung ausländischer Diplomaten, politische „Skandale“ oder andere, die Öffentlichkeit bewegende Vorkommnisse wie die Ernährungs- und Flüchtlingsfrage, die Versorgung der entlassenen Kriegsgefangenen oder die Bodenreform finden in den Kabinettsprotokollen ihren Niederschlag.

Indem sie die Beratungen und Entscheidungen der höchsten strategischen Ebene der Exekutive wiedergeben, öffnen die Protokolle auch den Blick auf die Aktivitäten der nachgeordneten Fachressorts, die neben der Erarbeitung einer beschlussreifen Vorlage auch für die Konkretisierung und Umsetzung der Beschlüsse innerhalb der behördlichen Hierarchie verantwortlich zeichnen.

In gewisser Weise fungieren die Kabinettsprotokolle als Findbücher des Regierungshandelns. In den Beständen des Landesarchivs sind sie beispielsweise im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu finden, Bestand E 130 b Bü 214; ebd. Bestand EA 4/001 Bü 57 (Kabinettsprotokolle 1945–1948); im Staatsarchiv Freiburg, Bestand C 15/1 etc.

Hinweise zur Benutzung

Da es sich bei den Kabinettsprotokollen in den meisten Fällen um Sachakten handelt, gelten hierfür entsprechende Sperrfristen von 30 Jahren, solange die Akten keine personenbezogenen Daten enthalten. Aktuell sind demnach alle Kabinettsprotokolle, die vor 1987 entstanden sind, ohne Einschränkungen zugänglich.

Forschungs- und Editionsgeschichte

Seit 2004 werden die Kabinettsprotokolle badischer und württembergischer Regierungen in zwei Reihen eines laufenden Editionsvorhabens von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg herausgegeben. In der Reihe „Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918–1933“ sind bislang zwei Bände der Protokolle der Regierung der Republik Baden (November 1918 – November 1921) und zwei Bände der Protokolle der Regierung des Volksstaates Württemberg (November 1918 – Mai 1924) erschienen.[3] Die Reihe „Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945-1952“ umfasst derzeit drei Bände der Protokolle der Regierung Baden (1945–1952) sowie drei Bände der Protokolle der Regierung Württemberg-Hohenzollern (1945–1949).[4] Beide Reihen sind noch nicht abgeschlossen, weitere Bände sind geplant oder in Vorbereitung.

Anmerkungen

[1] Verfassung.
[2] Handwörterbuch.
[3] Vgl. die Präsentation der bisher erschienen Bände auf der Homepage der Kommission: https://www.kgl-bw.de/a_publ_kabp-wr.htm.
[4] Ebd., https://www.kgl-bw.de/a_publ_kabp.htm.

Literatur

  • Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Uwe Andersen/Richard Woyke, 2. Auflage, Bonn 1995, S. 258–265: Baden-Württemberg.
  • Nentwig, Teresa, Zur Beschaffenheit und zur Aussagekraft der Protokolltexte, in: Die Kabinettsprotokolle der Hannoverschen und Niedersächsischen Landesregierung 1946–1951, hg. vom Niedersächsischen Landesarchiv u. vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, eingeleit. und bearb. von Ders., Teilbd. 1, Hannover 2012, S. XCf.
  • Die Protokolle der Regierung der Republik Baden, 1. Bd.: Die provisorische Regierung November 1918 – März 1919, bearb. von Martin Furtwängler (Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918–1933 Tl. 1), Stuttgart 2012.
  • Die Protokolle der Regierung der Republik Baden, 2. Bd.: Das Staatsministerium April 1919 – November 1921, bearb. von Martin Furtwängler, 2 Teilbde. (Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918–1933 Tl. 1), Stuttgart 2016.
  • Die Protokolle der Regierung des Volksstaates Württemberg, 1. Bd.: Die provisorische Regierung und das Kabinett Blos November 1918 – Juni 1920, bearb. von Ansbert Baumann (Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918–1933 Tl. 2), Stuttgart 2013.
  • Die Protokolle der Regierung des Volksstaates Württemberg, 2. Bd.: Das Kabinett Hieber und das Kabinett Rau Juli 1920 – Mai 1924, bearb. von Ansbert Baumann, 2 Teilbde. (Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg 1918–1933 Tl. 2), Stuttgart 2017.
  • Die Protokolle der Regierung von Baden, 1. Bd.: Die Landesverwaltung Baden und das Staatssekretariat Wohleb 1945–1947, bearb. von Kurt Hochstuhl (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 1), Stuttgart 2006.
  • Die Protokolle der Regierung von Baden, 2. Bd.: Das Erste und Zweite Kabinett Wohleb und die Geschäftsführende Regierung Wohleb 1947–1949, bearb. von Christof Strauß (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 1), Stuttgart 2009.
  • Die Protokolle der Regierung von Baden, 3. Bd.: Das Dritte Kabinett Wohleb 1949–1952, bearb. von Kurt Hochstuhl/Christof Strauß, 2 Teilbde. (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 1), Stuttgart 2014.
  • Die Protokolle der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, 1. Bd.: Das Erste und Zweite Staatssekretariat Schmid 1945–1947, bearb. von Frank Raberg (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 3), Stuttgart 2004.
  • Die Protokolle der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, 2. Bd.: Das Kabinett Bock 1947–1948, bearb. von Frank Raberg (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 3), Stuttgart 2008.
  • Die Protokolle der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, 3. Bd.: Die geschäftsführende Regierung Müller 1948–1949, bearb. von Frank Raberg, mit einer Einl. von Klaus-Jürgen Matz (Kabinettsprotokolle von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Tl. 3), Stuttgart 2013.
  • Verfassung des Landes Baden-Württemberg: https://www.lpb-bw.de/bwverf.htm (22.5.2017).

Zitierhinweis:  Kurt Hochstuhl, Kabinettsprotokolle, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 31.05.2017.

 

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