Kollegiatstift Urach 

Ortsbezüge:
Baujahr/Gründung: 1477 [1477/1517]
Zerstörung/Aufhebung: 1534 [1534]
Beschreibung: Mit der Berufung der Kanoniker vom gemeinsamen Leben an die Residenzstadt Urach 1477 verband der Landesherr, Graf Eberhard V. von Württemberg, ein ehrgeiziges religions- und bildungspolitisches Programm. Anders als klassische Residenzstifte erlangte dieses keine Bedeutung für die Zentralverwaltung des Landes, und auch die memorialen Aufgaben übertrafen keineswegs die anderer geistlicher Institute, mit denen der Landesherr verbunden war. Mit den Kanonikern vom gemeinsamen Leben kam eine Klerikergemeinschaft nach Württemberg, die einen "mittleren Weg" zwischen Weltklerus und Ordensleben suchte. Nicht durch Gelübde, sondern auf freiwilliger Basis zum gemeinsamen Leben und persönlicher Besitzlosigkeit verpflichtet, sahen die von den Ideen Geert Grotes und der "Devotio moderna" beeinflussten Brüder ihre Aufgabe in Seelsorge, Bildungsarbeit und Studium. In Urach bekamen die Brüder die Pfarrkirche (Patrozinium: Amandus, Maria und Andreas) übertragen, die in eine Stiftskirche umgewandelt wurde. Auch wurde ihnen alsbald die städtische Lateinschule anvertraut. Die Bedeutung der Uracher Kanoniker ergibt sich mit Blick auf die Universität Tübingen, die im gleichen Jahr gegründet worden war. In Tübingen wurde ein eigenes Studienhaus eingerichtet und 1482 waren schon acht Kanoniker in der Universität eingeschrieben. Besonders der zweite Uracher Propst, Gabriel Biel, erlangte eine zentrale Rolle bei der Herausbildung der Theologie an der Tübinger Hohen Schule. In den Folgejahren entstanden noch weitere Stifte der Brüder in der Grafschaft, die so ein entscheidendes Gewicht innerhalb der im oberdeutschen Generalkapitel zusammengeschlossenen Bruderhäuser erlangten. Einheitliche Kleidung, gemeinsames Leben und gemeinsamer Besitz ließen die Brüder in den Augen vieler als Ordensleute erscheinen. In Württemberg wurden sie aufgrund ihrer vielfältigen Privilegien misstrauisch beäugt, und schon kurz nach dem Tode Eberhards (1496) gab es Bemühungen, die "Kappenherren" abzuschaffen. 1517 gab Herzog Ulrich diesen Forderungen nach. Bis auf das unter päpstlichem Schutz stehende Stift St. Peter auf dem Einsiedel wurden alle württembergischen Brüderhäuser aufgehoben. Urach wurde mit zehn Kanonikerstellen in ein weltliches Chorherrenstift überführt, zwei weitere Pfründen wurden zur Finanzierung der herzoglichen Hofkapelle verwendet. Dem neuen Stift gehörten dieselben Personen an wie zuvor. Bis zu seiner Auflösung in der Reformation (1534/35) erlangte es jedoch nurmehr lokale Bedeutung. Die um 1474 bis 1499 durch den Baumeister Graf Eberhards, Peter von Koblenz, an Stelle eines Vorgängerbaus errichtete Stiftskirche blieb nach der Reformation Pfarrkirche der Stadt. An die Zeit der Kanoniker vom gemeinsamen Leben erinnern besonders das Chorgestühl mit Reliefbüsten von Kappenherren und die steinerne Kanzel (um 1500) mit einer sehr seltenen Darstellung des Kanzlers der Pariser Universität, Johannes Gerson, der sich für die Brüder eingesetzt hatte. Der ab 1477 entstandene "Mönchshof", eine nördlich an die Kirche angebaute dreiflügelige Anlage, wurde 1537 Wohnsitz von Diakon und Lehrer und 1561-1564 aufgrund des Wirkens von Primus Truber Druckerei von protestantische Literatur in kroatischer Sprache. 1818 wurde hier ein evangelisches Seminar errichtet, das bis 1977 bestand. Seit 1980 dient der "Mönchshof" als Einkehrhaus der evangelischen Landeskirche Württemberg.
Autor: ROLAND DEIGENDESCH
Objekttyp: Kloster
Ordensregel:
  • Kanoniker vom gemeinsamen Leben 1477-1517
  • Chorherren, weltliche 1517-1534
Sonstiges: Bistum: Konstanz, ab 1821 Rottenburg-Stuttgart
Weiter im Partnersystem: http://www.kloester-bw.de/?nr=531

Adresse Bad Urach

Literatur:
  • W. Zimmermann / N. Priesching (Hg.): Württembergisches Klosterbuch. Klöster, Stifte und Ordensgemeinschaften von den Anfängen bis in die Gegenwart. Stuttgart 2003. 487f. (R. DEIGENDESCH).Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg. Inventar Schwarzwaldkreis. Bearb. v. E. von Paulus. Stuttgart 1897. OA Urach, 462-466, 468.Monasticon Fratrum Vitae Communis 233-246 (W. SCHÖNTAG).F. SCHMID (Hg.): Die Amanduskirche in Bad Urach. Sigmaringen 1990.G. FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. Quellen und Untersuchungen zu Verfassung und Selbstverständnis des Oberdeutschen Generalkapitels (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 11). Tübingen 1999.
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