„Schlageter ist nicht mehr!“

Eine „Märtyrerfigur“ der Weimarer Republik aus Schönau im Schwarzwald

Propagandatafel in Waldshut-Tiengen zum Andenken an Albert Leo Schlageter. Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1775
Propagandatafel in Waldshut-Tiengen zum Andenken an Albert Leo Schlageter. Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1775

Zu Ruhm und Popularität kam der 1894 in Schönau geborene Bauernsohn Albert Leo Schlageter erst nach seiner Hinrichtung in Düsseldorf 1923. Der Weltkriegsoffizier und spätere Freikorpskämpfer hatte sich zu Beginn der 1920er Jahre der Organisation Heinz angeschlossen, einem rechten Geheimbund, der auch vor Morden nicht zurückschreckte. Nach dem Einmarsch französischer und belgischer Truppen ins Rheinland 1923, der die Erfüllung der im Versailler Vertrag festgelegten Reparationsforderungen erzwingen sollte, betätigte sich Schlageter am aktiven Widerstand gegen die Besatzungsmächte. Mit allen Mitteln sollte der Abtransport von Ruhrkohle nach Frankreich verhindert werden. Nach einem Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke in Kalkum wurde Schlageter im April desselben Jahres verhaftet. Nach einem im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess vor einem französischen Militärgericht erfolgte im Mai 1923 Schlageters Hinrichtung durch ein Erschießungskommando der Besatzungsmacht.

Ein Augenzeuge, der Gefängnispfarrer Faßbender, beschrieb die Szene in seinen 1927 erschienenen Erinnerungen mit den Worten: Schlageter ist nicht mehr! Im Hinblick auf das wechselvolle Gedenken an den Erschossenen gewinnt dieser Satz indessen noch eine andere Bedeutung. Nach seinem Tod wurde Schlageter zu einem bisweilen bizarr überhöhten Märtyrer in der Weimarer Republik, zu einer – so Stefan Zwicker – Integrationsfigur des krisengeschüttelten Deutschland, die unterschiedlichste politische Strömungen und gesellschaftliche Gruppierungen für sich zu nutzen suchten. In der NS-Zeit erfolgte dann die völlige Vereinnahmung des Hingerichteten durch die NS-Propaganda. So erscheint es wenig verwunderlich, dass die Figur Schlageter nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand. Zu den Hochzeiten des Heldenkults entstanden vielerorts Schlageter-Denkmäler, auch in seiner Geburtsstadt Schönau. Gerade dieses Denkmal verdeutlicht das wechselhafte Gedenken an den Getöteten wie kaum ein anderes. Schönau und der 1926 eingeweihte schlichte Obelisk wurden zum Schauplatz von Kundgebungen deutschnationaler Kreise, die aus ganz Deutschland in den Schwarzwald pilgerten. Die NSDAP betrieb zunächst ihren eigenen Heldenkult, hielt ab 1933 dann aber jedes Jahr entsprechende Veranstaltungen in Schönau ab. Gauleiter Robert Wagner beabsichtigte, den schlichten Obelisken durch ein würdiges (also deutlich größeres) Denkmal ersetzen zu lassen. Dem stand man in Schönau und Umgebung durchaus kritisch gegenüber. Das Bauwerk nach einem Entwurf von Hermann Alker gelangte indes nie zur Vollendung, mehr noch, ein Teil der dafür vorgesehenen Steine diente nach dem Krieg zur Errichtung einer Gedächtniskapelle für ein Opfer des Nationalsozialismus: den Priester Willibald Strohmeyer, der 1945 von der SS ermordet wurde und in der katholischen Kirche als Märtyrer verehrt wird.

Christof Strauß

Literaturhinweise:

Stefan Zwicker: „Nationale Märtyrer“: Albert Leo Schlageter und Julius Fučik. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Paderborn u.a. 2006.

Das Titelzitat stammt aus:

Albert Leo Schlageter. Seine Verurteilung und Erschießung durch die Franzosen in Düsseldorf am 26. Mai 1923. Dargestellt von den einzigen beteiligten Augenzeugen Rechtsanwalt Dr. Sengstock, Gefängnispfarrer Faßbender und Gefängniskaplan Roggendorf, Düsseldorf. Düsseldorf 1927.

Quelle: Archivnachrichten 56 (2018), S. 27.

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