Der Dreißigjährige Krieg im deutschen Südwesten

Mit großer Geduld ein fester Friede: Wahlspruch und Porträt des württembergischen Gesandten Johann Conrad Varnbüler, Conrad Woumans nach Anselm van Hulle 1649, Quelle: UB Tübingen
Mit großer Geduld ein fester Friede: Wahlspruch und Porträt des württembergischen Gesandten Johann Conrad Varnbüler, Conrad Woumans nach Anselm van Hulle 1649, Quelle: UB Tübingen

Oktober 1648: Nach mehrjährigen zähen Verhandlungen ging in Münster und Osnabrück der Westfälische Friedenskongress in seine Schlussphase. Er beendete eine dreißigjährige Abfolge von Feldzügen, die zu Verwüstung und Zerstörung im Reich und insbesondere auch dem deutschen Südwesten geführt hatte. Mit vorsichtigem Optimismus und spürbarer Zufriedenheit gegenüber den absehbaren Ergebnissen beteiligte sich der württembergische Gesandte Johann Conrad Varnbüler (1595–1657) in Osnabrück an den letzten Verhandlungen. Ganz anders der Murrhardter Benediktinerprior Adam Adami (1610–1663), der in Westfalen unter anderem die Schwäbischen Reichsprälaten vertrat. Zusammen mit seinem für das Fürstbistum Augsburg tätigen Kollegen bereitete er offizielle Proteste gegen den Osnabrücker Friedensvertrag vor. Beide standen für eine kleine katholische Minderheit, die noch immer bereit war, den Krieg bis zur Durchsetzung ihrer Forderungen weiterzuführen. Die dahinterstehende Programmatik einer weitreichenden Rekatholisierung Schwabens war jedoch längst illusorisch geworden. Schon seit Jahren war es das vorrangige Ziel der maßgeblichen politischen Akteure, eine tragfähige Kompromisslösung und einen Ausweg aus dem jahrzehntelangen Krieg zu finden.

Die Friedensengel werden bitterlich weinen: Wahlspruch und Porträt des Gesandten der Reichsprälaten Adam Adami, Conrad Woumans nach Anselm van Hulle 1649, Quelle: UB Tübingen
Die Friedensengel werden bitterlich weinen: Wahlspruch und Porträt des Gesandten der Reichsprälaten Adam Adami, Conrad Woumans nach Anselm van Hulle 1649, Quelle: UB Tübingen

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lagen die Dinge noch völlig anders. Mit der protestantischen Union und der katholischen Liga standen sich im Reich zwei konfessionelle Bündnisse gegenüber. Auch die Stände im deutschen Südwesten ordneten sich mehrheitlich jeweils einem der Lager zu. Am Ende waren es Ereignisse in Böhmen, an denen sich der seit Jahren erwartete Krieg tatsächlich entzündete. Dass der Funke übersprang und sich der Krieg ausweitete, war unter anderem auf Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632) zurückzuführen. Er nutzte 1619 die Gelegenheit, sich zum König von Böhmen wählen zu lassen, konnte sich dort aber nur wenige Monate behaupten. Die Kurpfalz wurde anschließend von spanischen Truppen erobert, der Winterkönig bezahlte sein Abenteuer mit der Flucht ins Exil.

Auf dem Boden des Reiches folgte bis 1648 eine Aneinanderreihung von Kriegen in unterschiedlichen Bündniskonstellationen und mit wechselnden geografischen Schwerpunkten. Der deutsche Südwesten war immer wieder stark betroffen, vor allem während der zweiten Kriegshälfte. Besonders einschneidend wirkten sich der schwedische Vormarsch an den Bodensee im Jahr 1632 und der französische Kriegseintritt an der Seite Schwedens im Jahr 1635 aus. Über Jahre war der Südwesten direktes Kriegsgebiet, vielerorts kam es zu schweren Zerstörungen. Charakteristisch war dabei, dass die im Schwäbischen Reichskreis ansässigen Reichsstände in dieser Phase längst keine eigenen Truppen mehr ins Feld führten. Der durch die Gewässer Rhein, Bodensee und Lech sowie im Norden durch Baden, Württemberg, die Territorien der Reichsstädte Wimpfen, Schwäbisch Hall und Dinkelsbühl sowie die Grafschaft Öttingen begrenzte Kreis bot vielmehr den Schauplatz der militärischen Kämpfe zwischen dem kaiserlichen Bündnissystem und der schwedisch-französischen Allianz. Politisch, gesellschaftlich wie auch ökonomisch geriet die Region immer stärker aus den Fugen. Die aus Ernte- und Viehverlusten entstandenen Versorgungsengpässe sowie grassierende Seuchen (etwa die Pest) verursachten vielerorts enorme Bevölkerungsverluste, etwa am Oberrhein, einigen Teilen des Herzogtums Württemberg oder auch in Oberschwaben. Regional waren Einbußen von bis zu zwei Dritteln der Bevölkerung zu verzeichnen. Selbst in Phasen relativer Ruhe entstanden aus Truppendurchzügen und Einquartierungen hohe Belastungen für die Untertanen. Dies umso mehr, je schlechter die Truppenführer willens oder in der Lage waren, für Disziplin der in der Regel aus zusammengewürfelten Söldnern bestehenden Regimenter zu sorgen. Die außergewöhnlich weitreichenden Folgen des Krieges sind auch daran abzulesen, dass nicht nur die Untertanen direkt betroffen waren. Selbst die Fürstbischöfe von Konstanz und Augsburg sahen sich zeitweise veranlasst, ihre Residenzen zu räumen und sicherer gelegene Aufenthaltsorte zu wählen. Kleinere Reichsstände wie etwa die oberschwäbischen Prälaten flohen zum Teil mehrfach vor anrückenden Truppen und mussten wiederholt die Plünderung und Zerstörung ihrer Besitzungen hinnehmen. Auf die Lage der Herrschenden konnte sich neben dem direkten Kriegsgeschehen auch insbesondere ihre jeweilige politische Positionierung auswirken. Sowohl Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach (1594– 1659) als auch Herzog Eberhard III. von Württemberg (1614–1674) wagten sich in ein Bündnis mit Schweden und gerieten durch diese riskante, gegen den Kaiser gerichtete Bündnisentscheidung in enorme Schwierigkeiten. Folgen waren für beide Fürsten Flucht und mehrjähriges Exil.

Andererseits blieben einzelne Landstriche weitgehend unbehelligt, und ungeachtet der tiefen ökonomischen Zerrüttung vor allem des Agrarsektors führte der Krieg zur Blüte einzelner Wirtschaftszweige und am Rande des Geschehens liegender Wirtschaftszentren. Neben dem Fernhandel profitierte dabei insbesondere die Herstellung und Vermarktung der für den Krieg benötigten Güter wie Waffen, Munition und Feldausrüstung aller Art. Zu einer Verlängerung des Krieges trug in diesem Zusammenhang durchaus bei, dass er einem bestimmten Personenkreis Einkünfte sowie zumindest begrenzte soziale Aufstiegsmöglichkeiten bot. Aus der im 17. Jahrhundert gebräuchlichen Form der Kriegsfinanzierung ergab sich, dass Regimentsführer und hohe Offiziere oftmals als Kriegsunternehmer in Erscheinung traten. Während der zweiten Kriegshälfte entstand jedoch ein Überangebot an ambitionierten, aber oftmals militärisch völlig unerfahrenen und dementsprechend ungeeigneten Offiziersaspiranten.

Verschiedene Anläufe zu einem Friedensschluss brachten zunächst keine tragfähige Lösung. Die 1629 in Lübeck und 1635 in Prag abgeschlossenen Verträge scheiterten. Ursachen hierfür waren die vielschichtigen und immer wieder wechselnden Konfliktkonstellationen, aber auch die fehlende Kompromissbereitschaft und die Hoffnung eines Teils der Kriegsparteien auf eine militärische Entscheidung. Erst die wachsende Erschöpfung der kriegführenden Mächte führte in Münster und Osnabrück ab 1645 unter venezianischer und päpstlicher Vermittlung zu erfolgversprechenden Verhandlungen, bei denen neben den komplexen inneren Problemen des Reiches auch zentrale internationale Streitfragen zur Klärung gelangten. Mit dem Westfälischen Frieden vom 24. Oktober 1648 endeten auch im deutschen Südwesten die Kämpfe. Ein Ende der Truppenpräsenz und der damit verbundenen Belastungen bedeutete dies gleichwohl nicht. Ganz im Gegenteil, nach dem Abzug der kaiserlichen und der französischen Truppen wurden im Winter 1648/49 sogar aufs Neue zahlreiche unter schwedischem Kommando stehende Kontingente in den Südwesten verlegt. Für die Abdankung und Entwaffnung des schwedischen Heeres waren hohe Summen aufzubringen – und bis dahin blieben die Truppen im Land und mussten versorgt werden. Zuständig für die Bereitstellung und Auszahlung der Gelder war der Schwäbische Reichskreis. Auf den hierzu abgehaltenen Kreistagen mussten protestantische und katholische Stände ihr Misstrauen überwinden und an einem Strang ziehen. Die Aufbringung der Gelder, stattliche 1,7 Millionen Gulden allein in Schwaben, gelang mit einigen Verzögerungen. An den letzten hierzu in Nürnberg geführten Verhandlungen nahm wiederum Johann Conrad Varnbüler teil – zum Ende seiner Karriere hin. 1652 wurde er für seine allseits gewürdigten diplomatischen Verdienste von Kaiser Ferdinand III. (1608–1657) in die Reichsritterschaft aufgenommen. Sein Gegenspieler Adam Adami kehrte Schwaben dagegen den Rücken, er verstarb 1663 als Weihbischof von Hildesheim. Im Herbst 1650 zogen die letzten Verbände aus dem Südwesten ab – erst jetzt war der Dreißigjährige Krieg tatsächlich zu Ende. Während im Herbst 1648 noch religiöse Ausdrucksformen wie Dankgebete und Gottesdienste die Würdigung des Friedensschlusses dominierten, wurden für das Jahr 1650, etwa im Herzogtum Württemberg und der Reichsstadt Augsburg, Friedensfeste angeordnet und gefeiert – im letzteren Fall sogar bis heute.

Die gravierenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zeigten sich noch viele Jahre nach 1648 in mehreren Bereichen. Zu dem Verlust an Menschenleben traten soziale Probleme hinzu, etwa zerstörte Familien und aufgelöste Gesellschaftsstrukturen sowie verbreitete Traumatisierungs- und Verrohungserscheinungen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten kam es vielerorts zunächst zu Arbeitskräftemangel und einem Rückgang der Wirtschaftskraft, teilweise kompensiert über Zuwanderung aus vom Krieg unbehelligten Regionen. Kulturell war neben der zu beklagenden Entfremdung oder Zerstörung von Kulturgütern insbesondere ein Rückschlag für das Bildungswesen zu verzeichnen – bis hin zur erkennbaren Verwilderung der Handschriften in den überlieferten Quellen. Wie tief und nachhaltig sich der Dreißigjährige Krieg und insbesondere die Phase der schwedischen Besetzung ins kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat, illustrieren heute noch bekannte Volkslieder (Bet Kindlein bet, morgen kommt der Schwed...), die Darstellung vor allem der Schwedenzeit im Rahmen historischer Festumzüge, die Tradierung von Legenden oder zahlreiche auf den Krieg zurückgehende Orts- und Gemarkungsbezeichnungen.

Andreas Neuburger

Quelle: Archivnachrichten 57 (2018), S. 4-6

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