Reichsritterschaft

Der Reichsritter Zacharias Geizkofler (1560-1617) (StAL B 90 Bü 3454)
Der Reichsritter Zacharias Geizkofler (1560-1617; Landesarchiv BW, StAL B 90 Bü 3454)

Schon im 14. Jahrhundert zeigen sich zahlreiche Ansätze zu Ritterbünden, die wahrscheinlich weit ältere Wurzeln haben. Durch die Goldene Bulle wurden sie – auch das hat ältere Vorbilder – verboten, zumindest was ihre unmittelbar politische Wirksamkeit betraf. Als gesellschaftliche Zusammenschlüsse, u. a. zum Turnier, bestanden sie weiter. Eine ausgesprochen politische Organisation erhielt der schwäbische Adel während der Appenzeller Kriege unter dem St. Jörgenschild. Er zerfiel früh in vier Quartiere, die Vorläufer der späteren Kantone. Ihn hat Kaiser Sigismund als Instrument einer Reichsreform einsetzen wollen und damit endgültig 1422 anerkannt. Um 1450 hatte der St. Jörgenschild bereits alle andern Rittergesellschaften in Schwaben aufgesogen und war längst auch in Franken vertreten. Die Ritterschaft im Kraichgau, eng mit der Pfalz verbunden, mit einer eigenen Turniergesellschaft, hielt sich von den großen Zusammenschlüssen fern, auch vom schwäbischen Bund, während die St. Georgsritterschaft in Schwaben zu dessen konstitutiven Mitgliedern zählte.

Die staatsrechtliche Stellung der Reichsritterschaft wurde durch die Reichsreform von 1495 vor entscheidende Fragen gestellt. Der ewige Landfriede und das Reichskammergericht stärkten im Endeffekt die Stellung der Fürsten und nahmen den Rittern den letzten Weg der Selbsthilfe. Ihre Kriegsdienste galten dem Kaiser nicht mehr viel; er suchte sie zum Gemeinen Pfennig zu bewegen, den die Ritterschaft unter Berufung auf ihre Freiheiten ablehnte. Mit der vorgesehenen Zuteilung zu den Reichskreisen drohte eine weitere finanzielle Belastung. Durch Zusammenarbeit suchten die Ritter die nachteilige Entwicklung abzuwenden. Die Ritterschaft in Franken entwarf eine Ordnung und war auf dem Konvent von Windsheim 1515 bereits mit ihren sechs Orten, den späteren Kantonen, zusammengetreten. Die schwäbischen Ritter gerieten mit dem Zusammenbruch des schwäbischen Bundes 1534 in eine ganz neue Situation. Damals trennten sich die Grafen vom St. Georgenschild, wurden eigener Reichstand und die Ritterschaft infolgedessen aus der Reichsmatrikel gelöscht. Sie hatte keine feste Ordnung. Der Kaiser versuchte aber 1542 sie zur Türkenhilfe zu bewegen und hat das durch geschicktes taktisches Vorgehen auch erreicht, außerdem schon einen gewissen Anschluss der von der Pfalz seit dem Landshuter Krieg sich langsam lösenden Kraichgauer an die schwäbische Ritterschaft. Die Rittertruhen zum Einzug der Türkenhilfe waren der erste Ansatz einer festeren Organisation in den Kantonen.

Einen weiteren Schritt zur Festigung der rechtlichen Lage der Ritterschaft brachte ihre Einbeziehung in den Augsburger Religionsfrieden. Die Ritter waren jetzt, was das Reformationsrecht betraf, praktisch den Reichsständen gleichgestellt. Innerhalb der Ritterschaft hatte die Reformation ganz verschieden Fuß gefasst; die Kraichgauer hatten sich ihr schon sehr früh 1522 geschlossen zugewendet, andere Ritterkantone waren gemischt konfessionell und besetzten die Ämter paritätisch, die oberschwäbischen Kantone blieben katholisch. 1560 gab sich die Ritterschaft in Schwaben eine Ordnung, die im folgenden Jahr vom Kaiser bestätigt, aber erst allmählich von allen Rittern angenommen wurde, als sich herausstellte, dass die großen Territorien Württemberg und Pfalz ihren Vasallen deswegen nicht die Lehen entziehen würden. Damit war der letzte Schritt zur Herauslösung der Ritterschaft aus diesen beiden Territorien eingeleitet. Dies wurde in der Pfalz noch dadurch begünstigt, dass sich mit deren Übertritt zum reformierten Bekenntnis bald auch ein konfessioneller Gegensatz ergab, persönliche Rivalitäten zwischen den bürgerlichen und ritterlichen Räten des Kurfürsten ausbrachen und die Kalvinisten überdies eine scharfe Landsässigkeitspolitik betrieben. 1566 erklärte der Kaiser, er werde fortan die Ritterschaft als ein geschlossenes Ganzes betrachten. Von 1577 an wurden Korrespondenztage von der gesamten Reichsritterschaft beschickt und allmählich trotz des Widerstrebens einzelner eine Rittermatrikel aufgestellt. Die fränkische Ritterschaft gab sich 1590 eine Ordnung.

Die "Ritterschaftliche Freie Pürsch in Schwaben, am Neckar und im Schwarzwald", von Johann Ulrich Stierlin, 1705 (StAS K I Sch/1)
Die "Ritterschaftliche Freie Pürsch in Schwaben, am Neckar und im Schwarzwald", aufgenommen und umgesetzt von Johann Ulrich Stierlin, Zeugwart und Feldmesser auf Hohen Tübingen, 1705: Stierlins Karte ist die Kopie einer bereits 1605 angefertigten älteren Version (Landesarchiv BW, StAS K I Sch/1)

Innerhalb Südwestdeutschlands war der schwäbische Ritterkreis mit seinen fünf Kantonen vertreten: Donau (Kanzlei in Ehingen), Hegau und Allgäu (Kanzleien in Wangen und in Radolfzell), Neckar-Schwarzwald (Kanzlei in Tübingen) samt dem bis 1749 selbständigen Kantonsbezirk Ortenau (Kanzlei in Kehl, zuletzt in Offenburg), am Kocher (Kanzlei in Esslingen), Kraichgau (Kanzlei in Heilbronn). Von den Gliedern der fränkischen Ritterschaft erreichten nennenswerten Umfang innerhalb der heutigen Landesgrenzen nur der Kanton Odenwald. Im Gegensatz zu den schwäbischen Kantonen hatte er die Kanzlei auf eigenem Boden in Kochendorf. Die in die Rittermatrikel aufgenommenen Güter und Herrschaften durften ihr nie mehr entfremdet werden. So waren am Ende des alten Reiches zahlreiche Territorien mit Orten, die sie Ritterfamilien abgekauft hatten, den Ritterkantonen steuerbar. Auch die Reichsritterschaft versuchte sich, zum Teil recht erfolgreich, in den administrativen und wirtschaftlichen Reformen der Aufklärungszeit. Ihre Anhänglichkeit an das Kaiserhaus – zusammen mit dem Zugang zu den Stiftspfründen im 17. und 18. Jahrhundert ein Grund für Konversionen zum Katholizismus – war ebenso unbestritten wie die Reichstreue. Die stets als freiwillige Leistungen betrachteten Abgaben der Ritter an das Reich, die sog. Charitativsubsidien, unmittelbar an den Kaiser bezahlt, waren eine wesentliche Hilfe für dessen finanziellen Handlungsspielraum.

(Quelle: Bearbeitete Fassung aus dem Abschnitt Landesgeschichte, in: Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Band I, Stuttgart, 2. Aufl. 1977)

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