Bohnenberger, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 26.08.1863;  Riedbach (heute zu Schrozberg, Kreis Schwäbisch Hall)
Sterbedatum/-ort: 29.10.1951;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Germanist, Mundartforscher, Volkskundler
Kurzbiografie: 1881–1886 Studium ev. Theologie in Tübingen
1886 Promotion in Germanistik
1886–1888 Vikariat
1888 Bibliothekar UB Tübingen
1892 Habilitation
1899 ao. Prof.
1906 ordentliches nebenamtliches Mitglied des Statistischen Landesamts
1912 Honorarprof.
1920–1921 Direktor UB Tübingen
1921–1930 o. Prof. für deutsche Sprache und Literatur
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Ehrenbürger der Gemeinde Meßstetten (1932)
Eltern: Vater: Heinrich Bohnenberger (1831–1919), Pfarrer
Mutter: Sophie, geb. Berg (1837–1927)
Geschwister: 3: Ernst (1866–1923), Forstmeister; Hilde (1868–1906); Heinrich (1869–1908), Arzt
GND-ID: GND/116232919

Biografie: Gerhard Prinz (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 21-22

Bohnenberger entstammte einer Familie der württembergischen „Ehrbarkeit“; sein Urgroßvater war der Geodät, Astronom, Physiker und Pionier der Landesvermessung Johann Gottlob Friedrich von Bohnenberger (1765 – 1831). Aus einem Pfarrhaus stammend, besuchte er die niederen Seminare in Maulbronn und Blaubeuren und studierte als „Stiftler“ in Tübingen evangelische Theologie. Bereits während dieses Studiums setzte sein Interesse an philologischen Themen ein, so dass er zwar die theologischen Examina und das Vikariat absolvierte, doch 1886 mit einer Arbeit über die Ortsnamen der schwäbischen Alb promoviert wurde. 1888 erhielt Bohnenberger eine Stelle als wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universität Tübingen und wandte sich nun endgültig der Philologie zu. Seine Habilitationsschrift hatte die schwäbische Mundart im 15. Jahrhundert zum Gegenstand, doch trat bald die historische Perspektive in den Hintergrund zugunsten der Beschäftigung mit der Mundart der Gegenwart.
Im Gegensatz zu seinem mit schriftlichen Befragungen arbeitenden Lehrer Hermann Fischer, dem Herausgeber des „Schwäbischen Wörterbuchs“, bevorzugte er direkte mündliche Erhebungen vor Ort. So sehr er sonst, etwa als Junggeselle ohne gesellschaftliche Ambitionen, dem Bild des schrulligen, mit Haut und Haar der Wissenschaft verschriebenen Gelehrten entsprach, so wenig war er ein Stubenhocker. Auf ausgedehnten Fußmärschen erkundete er den gesamten schwäbisch-alemannischen Raum, wobei ihm in jüngeren Jahren seine hervorragende Kondition zustatten kam. Bohnenberger befasste sich vor allem mit Sprachbewegungen und den dahinter stehenden Kräften: Warum ändert sich gesprochene Sprache; warum breiten sich Änderungen aus oder kommen zum Stillstand? Solche Fragestellungen führten zu seinem Hauptthema, den Sprachgrenzen. Die Abgrenzung des Schwäbisch-Alemannischen gegenüber den benachbarten Mundarten bzw. Sprachen beschäftigte ihn über Jahrzehnte hinweg, ebenso dessen Binnengliederung. Zusammengefasst sind die Ergebnisse in dem zwei Jahre nach seinem Tod erschienenen Werk „Die alemannische Mundart“.
Die bei seinen Erhebungen von den Einheimischen erfragten Mundartbegriffe führten Bohnenberger zu den damit bezeichneten Dingen, Verrichtungen oder Verhaltensweisen, somit zu Alltagsleben, Arbeitswelt, Sitten, Bräuchen, Vorstellungen usw. – Themen also des sich gerade formierenden neuen Faches Volkskunde. Seine frühen Vertreter waren wie Bohnenberger durchweg aus der Erzähl- oder Mundartforschung kommende Germanisten. Zunächst, ab 1894, organisierte sich das Fach in lokalen und vor allem regionalen Vereinen; die Etablierung als eigenständige akademische Disziplin gelang erst nach 1918. Die Konstituierung der Württembergischen Vereinigung für Volkskunde im Jahre 1899 verdankte sich maßgeblich Bohnenbergers Initiative. In einigen Ländern, auch in Bayern und Baden, hatten solche Vereine bereits groß angelegte Bestandsaufnahmen durchgeführt, die nun Vorbild waren für Bohnenbergers „Aufruf zur Sammlung volkstümlicher Überlieferungen“. Er erging noch im Gründungsjahr des Vereins in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Landesamt sowie dem Ministerium des Kirchen- und Schulwesens. Als Vorarbeit für den württembergischen Beitrag zu einer geplanten, aber nie vollendeten „Deutschen Volkskunde“ entstanden die überwiegend von den örtlichen Volksschullehrern verfassten „Konferenzaufsätze“, die sich mit gewissen Einschränkungen als frühe volkskundliche Gemeindestudien bezeichnen lassen.
Weit über 500 Arbeiten bildeten eine enorme Stoffsammlung, von der ein Teil anschließend ausgewertet und die Ergebnisse ab 1904 in den Württembergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde veröffentlicht wurden. Von den acht Folgen verfasste Bohnenberger allerdings nur eine selbst. 1910 erweiterte sich die Vereinigung zum Württembergisch-Hohenzollerischen Verein für Volkskunde. Auch diesen leitete Bohnenberger und wurde zugleich Herausgeber des Vereinsorgans, der bis 1917 erscheinenden „Volkskunde-Blätter aus Württemberg und Hohenzollern“. Hier war er mit zahlreichen kleinen Beiträgen vertreten. Ebenso beteiligte er sich an den Oberamtsbeschreibungen und verfasste für fünf Oberämter die Kapitel über Mundart und Volkskunde. Insgesamt jedoch war die Anzahl seiner Veröffentlichungen zu volkskundlichen Themen im engeren Sinn eher gering, insbesondere im Vergleich zur großen Anzahl seiner Publikationen zu Mundart und Namenkunde. Bohnenbergers Bedeutung für die Volkskunde in Württemberg lag weniger im Forschen und Publizieren; ungleich wichtiger war er als Organisator und Multiplikator.
Hatte seine Dissertation noch Ortsnamen zum Gegenstand gehabt, befasste sich Bohnenberger bald auch mit Flurnamen. Um die sprachlich korrekte Überlieferung dieser wichtigen Zeugen der Siedlungs-, Agrar- und Sprachgeschichte zu gewährleisten, arbeitete er seit den 1890er-Jahren mit der Topographischen Abteilung des Statistischen Landesamts zusammen und wurde 1906 im Nebenamt zu dessen ordentlichem Mitglied berufen. Als „Schriftsachverständiger“ überprüfte er bei allen Kartenentwürfen die Schreibung der Flurnamen, war bei Flurbereinigungen beteiligt sowie bei der Fortbildung der Geometer und Kartographen. Ebenso wirkte er 1926 bei der Gründung des Württembergischen Flurnamenarchivs bei der Abteilung Volkstum des Landesamts für Denkmalpflege mit, der heutigen Landesstelle für Volkskunde Stuttgart.
Bohnenbergers akademische Karriere hingegen kam nur schleppend in Gang. Obwohl er seine Lehrtätigkeit gleich nach der Habilitation aufnahm und stets mit großem Engagement betrieb, erhielt er 1899 lediglich eine unbesoldete außerordentliche Professur und musste deshalb seinen Brotberuf als Bibliothekar weiterhin ausüben. 1912 wurde er zum Honorarprofessor ernannt, verblieb aber an der Tübinger Universitätsbibliothek, deren Leitung er nach dem Ersten Weltkrieg für kurze Zeit noch übernahm. Erst 1921 erhielt er als Endfünfziger einen eigenen Lehrstuhl, den er ein knappes Jahrzehnt inne hatte. Danach konnte er sich als Emeritus wieder verstärkt der Forschung zuwenden. In diesen Jahren entstanden auch die meisten Dissertationen seiner Schüler und Schülerinnen, die größtenteils die Mundart eines Ortes oder einer Region behandelten. Als wohl bedeutendster Schüler Bohnenbergers kann Helmut Dölker (1904 – 1992) gelten, der nach 1945 in mehreren Ämtern und Funktionen die Volkskunde in Württemberg entscheidend prägte.
Quellen: Teil-NL Karl Bohnenberger und Teil-NL Helmut Dölker bei der Landesstelle für Volkskunde Stuttgart im Landesmuseum Württemberg.
Werke: (nur Monographien) Zur Geschichte der schwäbischen Mundart im 15. Jahrhundert, 1892 (Habilitationsschrift); Der altindische Gott Varuna, 1893; Die Mundart der deutschen Walliser, 1913; Die Ortsnamen Württembergs, 1927; Die Mundarten Württembergs, 1928; Die Alemannische Mundart, 1953 (posthum).
Nachweis: Bildnachweise: Karl Bohnenberger, wohl um 1935 (Abb.: Landesstelle für Volkskunde Stuttgart im Landesmuseum Württemberg).

Literatur: Hugo Moser, Karl Bohnenberger, in: Zs. für Mundartforschung 20 (1952), 237-245; Helmut Dölker, Karl Bohnenberger, in: Württ. Jb. für Volkskunde 1955, 168-179; Ulrich Engel, Karl Bohnenberger, in: Hermann Bausinger (Hg.), Zur Geschichte von Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg, 1964, 210-242 (hier auch vollständige Bibliographie).
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