Höß, Rudolf Franz Ferdinand 

Geburtsdatum/-ort: 25.11.1900;  Baden-Baden
Sterbedatum/-ort: 16.04.1947; ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz
Beruf/Funktion:
  • Kommandant des KZ Auschwitz
Kurzbiografie: 1907–1915 Volksschule Baden-Baden, Höhere Schule Mannheim (ohne Abschluss)
1916–1918 Kriegsfreiwilliger, Unteroffizier 1917; Eisernes Kreuz II. u. I. Klasse
1918–1919 Ostpreußisches Freiwilligen-Korps sowie Freikorps Rossbach
1920–1924 Hilfsarbeiter auf Bauernhöfen in Schlesien, Mecklenburg u. Schleswig-Holstein, Mitglied d. Arbeitsgemeinschaft Rossbach
1921 Mitglied d. NSDAP, Mitgliedsnr. 3240
1924–1928 Zuchthausstrafe wegen schwerer Körperverletzung u. Totschlag
1928–1934 Tätigkeit in verschiedenen Landdienstgruppen in Brandenburg u. Pommern, Mitglied im Bund d. Artamanen
1933/34 Eintritt in d. SS sowie d. SS-Totenkopfverbände
1934–1938 Ausbildung u. Rapportführer im KZ Dachau
1938–1940 Adjutant im KZ Sachsenhausen
1940–1943 Kommandant des KZ Auschwitz
1943 Chef des Zentralamtes in d. Amtsgruppe D des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes
1944 Standortältester in Auschwitz
1946–1947 Landarbeiter auf einem Bauernhof bei Flensburg, Haft, Zeuge in verschiedenen alliierten Militärgerichtsprozessen, Gerichtsverfahren in Krakau, Todesurteil
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., nach 1933 bis 1947 „gottgläubig“
Verheiratet: 1929 (Neuhausen bei Löwenburg) Hedwig, geb. Hensel (geboren 1908)
Eltern: Vater: Franz Xaver (geboren 1914), Kaufmann
Mutter: Lina, geb. Speck
Geschwister: 2, beide jünger
Kinder: 5
GND-ID: GND/118552252

Biografie: Karin Orth (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 176-179

Höß wuchs als ältester Sohn eines mittelständischen Kaufmanns und überzeugten Katholiken in Baden-Baden und Mannheim auf. Im I. Weltkrieg meldete er sich, 15-jährig und ohne die Schule abgeschlossen zu haben, freiwillig zum Kriegsdienst. Bis Kriegsende avancierte er zum jüngsten Unteroffizier des Heeres, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse. Er hatte drei Verwundungen und die Malaria überstanden und an den Kriegsschauplätzen in der Türkei und in Palästina gekämpft. Nach Verkünden des Waffenstillstandes schlugen sich Höß und der von ihm geführte Kavalleriezug von Damaskus aus nach Deutschland durch. Im Krieg erlebte Höß seine prägende Sozialisation, er war gleichsam sein Initiationsritus in die Welt des „soldatischen“ Mannes.
Dem zivilen Leben stand Höß fast hilflos gegenüber. Die berufliche Perspektivlosigkeit und seine persönliche Verunsicherung veranlassten ihn darum, sich dorthin zu wenden, wo die vertrauten Regeln weiterhin galten: zu den Freikorpsverbänden. Er meldete sich beim Ostpreußischen Freiwilligen-Korps zum Grenzschutz und wechselte dann zum sogenannten Freikorps Roßbach. Die Kämpfe im Baltikum, an denen er teilnahm, waren von einer Brutalität, die ihresgleichen sucht, wobei die Deutschen als besonders unbarmherzig und grausam galten. Die Mitglieder der Freikorpsverbände entfernten sich dabei immer weiter von bürgerlichen Werten und wurden fast zu „marodierenden Landsknechten“, die sich nur noch an den eigenen Verhaltenskodex gebunden fühlten.
Nach der Niederlage im Baltikum, die als erneuter „Dolchstoß“ gedeutet wurde, hielten die Mitglieder der Freikorpsverbände, auch Höß, die Verbindung untereinander aufrecht. Er verdingte sich als Hilfsarbeiter auf Bauernhöfen in Schlesien, Schleswig-Holstein und in Mecklenburg, wo er bald in Parchim einen Trupp der Arbeitsgemeinschaft Roßbach leitete. Der Zweck dieser „Arbeitsgemeinschaften“ – und nach ihrem Verbot wegen republikfeindlicher Betätigung der entsprechenden Nachfolgeorganisationen – bestand zumal darin, die Verbindung der ehemaligen Freikorpssoldaten zu gewährleisten, um ihre Mobilisierung gegen die verhasste Weimarer Republik jederzeit erreichen zu können. Höß fungierte häufiger als Kurier nach Süddeutschland, wo er u.a. Heinrich Himmler kennenlernte. Die vielfältigen Verbindungen zum rechten Milieu fanden mit dem Übertritt der „Roßbacher“ zur NSDAP Ende 1922 ihre organisatorische Entsprechung. Höß trat kurz vor seinem 21. Geburtstag der Münchner Ortsgruppe der NSDAP bei. Kurze Zeit später wurde er wegen schwerer Körperverletzung und Totschlags zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Zusammen mit vier anderen Männern hatte er Walter Kadow ermordet, einen Parchimer Volksschullehrer, der ebenfalls der Arbeitsgemeinschaft Roßbach angehörte, aber verdächtigt wurde, ein kommunistischer Spitzel zu sein. Sie erschlugen ihn: dazu aufgestachelt durch den Abschnittsleiter der Organisation Roßbach in Mecklenburg.
Durch das Amnestiegesetz vom Juli 1928 wurde Höß vorzeitig aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen. Nach kurzem Aufenthalt in Berlin arbeitete er erneut in verschiedenen Landdienstgruppen in Brandenburg und Pommern. Er bewegte sich durchweg im völkischen Milieu, schloss sich dem „Bund der Artamanen“ an, einem antiurban, antislawisch und antisemitisch ausgerichteten Verband, dann der SS. Höß selbst gab an, Himmler, mit dem er im Sommer 1934 erneut zusammentraf, habe ihn aufgefordert, in den Dienst der SS-Totenkopfverbände einzutreten. Ende 1934 zog Höß nach Dachau.
Im KZ Dachau durchlief er dann eine Art Schulung, ihr „handlungsleitendes Wissen“ erwarben die SS-Männer aber hauptsächlich durch die Praxis, den Umgang mit KZ-Häftlingen, kaum durch die selten anberaumten weltanschaulichen Schulungen. Gleichwohl kam der NS-Ideologie eine wichtige Funktion zu. Denn die SS-Männer suchten in Dachau das zu realisieren, was bis zur „Machtergreifung“ vorwiegend in Schriften und Reden existiert hatte. Sie prügelten und schikanierten die als „Staatsfeinde“ bezeichneten politischen Häftlinge, die als asozial geltenden homosexuellen Gefangenen und in besonderem Maße die Juden. Es waren die jüdischen Gefangenen, die zu einem überproportional hohen Anteil Opfer tödlicher Gewalt wurden. Schon das verweist auf die Bedeutung der ideologischen Aufladung der SS-Männer. Im Grunde erwies sich die „Dachauer Schule“ als Initiationsritus, der die SS-Männer unempfindlich gegen ihre eigenen Gefühle und die Qualen der Gefolterten machte und zur Gruppe der Täter formte. Die gemeinsam begangenen Verbrechen schweißten zusammen. Allmählich bildete sich in den kleinen Zirkeln der SS-Führer in Dachau, Sachsenhausen oder Buchenwald ein soziales Netz dienstlicher wie „kameradschaftlicher“ Beziehungen heraus, auf dem auch die spätere Stellenbesetzungspolitik basierte. So holte der Lagerkommandant des KZ Sachsenhausen, Herman Baranowski, zuvor Schutzhaftlagerführer in Dachau, [Höß] im Sommer 1938 als seinen Adjutanten nach Sachsenhausen. Hier geriet Höß in engen Kontakt zu den entscheidenden Männern der übergeordneten, in unmittelbarer Nähe des KZ Sachenhausen lokalisierten Dienststelle der IKL, „Inspektion der Konzentrationslager“. In diesem Zirkel bildete sich bald eine Gegnerdefinition und eine Konzeption zu deren Bekämpfung aus, die sich von der Dachaus zu Beginn der 1930er-Jahre unterschied, weil sie sich an der Häftlingszwangsgesellschaft des KZ Sachsenhausen orientierte. Dieses Konzept beruhte auf einem Verständnis von Nationalsozialismus, das sich weniger an politischen als an sozialbiologischen Kriterien orientierte: Der „deutsche Volkskörper“ sollte von den „schädigenden Elementen“ „befreit“ werden: Berufsverbrechern, Asozialen, vor allem aber von Juden.
Mit der Expansion des KZ-Systems seit Kriegsbeginn stieg Höß innerhalb der Lager-SS rasch auf. Die IKL ernannte ihn im Frühjahr 1940 zum Kommandanten des neu eingerichteten KZ Auschwitz, was Höß an die Spitze der dortigen Lager-SS brachte. Er befehligte nicht nur das KZ, er zeichnete in jeglicher Hinsicht für die Haftbedingungen der Gefangenen und deren Bewachung verantwortlich. Die IKL nutzte das KZ Auschwitz zunächst zur Unterdrückung des polnischen Widerstandes und der polnischen Intelligenz. Ende 1941 erfolgte die Erweiterung um das Lager Auschwitz-Birkenau, aus dem bald eine der zentralen Vernichtungsstätten des Holocaust wurde. Höß selbst berichtete nach Kriegsende mehrfach, dass Himmler ihn zu sich bestellt und mit der Durchführung der „Endlösung“ beauftragt habe. Unabhängig davon, wann genau dies geschah, ist zu betonen, dass Höß den Völkermord an den europäischen Juden – und seine eigene Beteiligung daran – nicht leugnete, ja er stilisierte sich selbst zum „Auserwählten“, dem eine historische Mission übertragen worden sei, die er aus weltanschaulichen Gründen als notwendig ansah. Auschwitz wurde unter Höß, der zuletzt SS-Obersturmbannführer war, zu einem gigantischen Lagerkomplex ausgebaut, zu dem das Stammlager Auschwitz, die Vernichtungsstätte Auschwitz-Birkenau, wo die Lager-SS Juden sowie Sinti und Roma im Gas erstickte, sowie Auschwitz-Monowitz, das als Industriekomplex für die IG-Farben diente. Dazu kamen noch 47 Außenlager, in denen die SS die Häftlinge in unterschiedlichsten Formen von Zwangsarbeit einsetzte.
Im November 1943 teilte das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt, WVHA, dem die Konzentrationslager seit März 1942 unterstanden, den Lager komplex Auschwitz in drei formal eigenständige KZ auf und holte Höß in die übergeordnete Dienststelle. Er wurde Chef des zentralen Amtes D I in der Amtsgruppe D des WHVA. Doch bereits ein halbes Jahr später schickte man ihn als „Standortältesten“ nach Auschwitz zurück, um eine besondere „Aktion“ durchzuführen: die Ermordung der ungarischen Juden. Seit dem 15. April 1944 trafen 458 000 ungarische Juden in Auschwitz ein, wovon die Lager-SS etwa 350 000 Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft tötete. Diese „Ungarn-Aktion“ gilt als am besten organisierte, schnellste und systematischste Juden-Vernichtungsaktion. Wegen seiner maßgeblichen Beteiligung wurde sie auch die „Höß-Aktion“ genannt. Zwischen Mai und Oktober 1944 erreichte der Völkermord einen schrecklichen Höhepunkt: In nur wenigen Wochen ermordete die Lager-SS einen Großteil der nach Auschwitz deportierten ungarischen Juden, die Häftlinge des „Theresienstädter Familienlagers“ sowie die des „Zigeunerlagers“ und die Insassen des Ghettos in Lódz. Bereits im Sommer 1944 hatte die SS begonnen, größere Gefangenengruppen aus Auschwitz Richtung Westen zu treiben, und im Januar 1945 wurde der Lagerkomplex endgültig aufgelöst. Rund 1,3 Mio. Menschen, Frauen, Kinder und Männer aus ganz Europa waren nach Auschwitz deportiert worden, von denen die Lager-SS etwa 1,1 Mio. tötete – darunter eine Million Juden.
Nach dem Zusammenbruch ihrer Welt suchte die Lager-SS unterzutauchen. Höß gab sich seit Kriegsende als Bootsmaat Fritz Lang aus und verdingte sich als Landarbeiter auf einem Bauernhof bei Flensburg. Am 11. März 1946 wurde er verhaftet und von der britischen Field Security Section mehrmals verhört. Mehrfach trat er als Zeuge in verschiedenen alliierten Militärgerichtsprozessen auf, bis er am 25. Mai 1946 nach Polen ausgeliefert wurde, wo er in der Krakauer Untersuchungshaft seine Erinnerungen niederschrieb. Am 2. April 1947 verurteilte ihn das polnische „Oberste Volksgericht“ zum Tod. Höß wurde am 16. April 1947 im ehemaligen Stammlager Auschwitz gehenkt.
Quellen: Institut für Zeitgeschichte, Fa 157, darin: Urteil gegen Höß vom 15.3.1924; BA Berlin-Lichterfelde, Bestand BDC, Personalakte Höß; Nürnberger Dokument NO-1210, darin: Eidesstattliche Erklärung von Höß vom 14.3.1946; Institut für Zeitgeschichte, F 13, Bd. I–VIII, darin: Autobiograph. Aufzeichnungen von Höß; A des Staatl. Museums Auschwitz H21 b, Prozess Höß sowie ZO54 c, Krakauer Auschwitz-Prozess.
Werke: Rudol Höß, Kommandant in Auschwitz. Autobiogr. Aufzeichnungen des Rudolf Höß, hgg. von Martin Broszat, 13. Aufl. 1992.
Nachweis: Bildnachweise: BA Berlin, Abt Dt. Reich, Personalakte Höß, SSO; http://auschwitz.org/en/galleryhistorical-pictures-and-documents/trails-of-nazi-criminals,14.html.

Literatur: Joseph Tenenbaum, Auschwitz in Retrospect. The Self-Portrait of Rudolf Höß, Commander of Auschwitz, in: Jewish Social Studies, Vol. XV, 1953, 203-234; Tom Segev, Commanders of Nazi Concentration Camps, 1977, 295-303; Mark Steven Clinton, Injustice Armed. Rudolf Höß, Totalitarien Man and the ideological Deformation of political consciousness, Clarement 1981; Manfred Deselaers, „Und Sie hatten nie Gewissensbisse?“ Die Biografie von Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz und die Frage nach seiner Verantwortung vor Gott u. den Menschen, 1997; Karin Orth, Werdegang eines Massenmörders – die Biographie von Rudolf Höß, in: Jacek Andrzej Mlynarczk/Jochen Böhler (Hgg.): Der Judenmord in den eingegliederten polnischen Gebieten 1939-1945, 2010, 251-275.
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